Zirbeldrüse
422 Wörter, 3'093 Zeichen
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Zirbeldrüse,
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Zirbeldrüse,
Gehirnepiphyse (Glandula pinealis oder conarium), ein ziemlich in der Mitte des Gehirns liegender erbsengroßer,
rundlicher Körper von fester Gehirnsubstanz, der in seinem Innern zuweilen eine Höhle und in seinem Zellgewebe sandige Körnchen
von derselben Zusammensetzung wie die der Knochenasche enthält (s. Gehirn nebst Tafel,
[* 3]
Fig. 1, 9, sowie Tafel: Körper des Menschen,
beim Artikel Mensch). Beim weiblichen Geschlecht ist die Zirbeldrüse
größer als beim männlichen, und von einigen Philosophen, z. B.
von Descartes, wurde sie für den Sitz der Seele angesehen.
Man findet dieses Organ, dessen Funktion noch zweifelhaft ist, auch bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien
und Amphibien, während es bei Fischen noch nicht vollständig nachgewiesen ist. Die sandigen Konkremente (Hirnsand) werden
nur bei dem Menschen beobachtet. Eine Drüse ist die Zirbeldrüse
nicht, sondern heißt nur so wegen ihrer drüsenförmigen Gestalt.
In neuerer Zeit ist die Zirbeldrüse
durch H. de Graaf und W. Baldwin Spencer einer eingehenden Untersuchung unterzogen
worden, wobei sich herausgestellt hat, daß die Zirbeldrüse
höchst wahrscheinlich ein rudimentäres Organ und zwar
der funktionslose Rest eines mitten auf dem Scheitel gelegenen unpaaren Auges (Scheitel-, Parietal- oder Pinealauge) ist.
Ursprünglich scheinen die Stammformen sämtlicher Wirbeltierordnungen ein solches Parietalauge besessen
zu haben, das bei den verschiedenen Ordnungen in verschiedenem Umfange geschwunden ist, sich aber am besten bei einer Reihe
von Reptilien gehalten hat. Eine Anzahl dieser Tiere haben oben auf dem knöchernen Scheitel zwischen den Scheitelbeinen ein
rundes Loch (das foramen parietale), das besonders bei einigen fossilen Formen sehr ansehnlich ist und
das Schädeldach bis in die Schädelhöhle durchsetzt. Am nicht macerierten, noch mit Haut
[* 4] überzogenen Schädel wird dies
Loch oft von einer eigenartig beschaffenen, pigmentlosen, gelegentlich sogar durchsichtigen Schuppe überdeckt, die als ein
der Hornhaut des eigentlichen Auges entsprechendes Gebilde aufgefaßt werden kann. Die Zirbeldrüse
selbst erscheint
als ein birnförmiges Gebilde mit langem Stiel, der in demselben Gehirnteile wie die eigentlichen Sehnerven, im Zwischenhirn
nämlich, wurzelt. Meist ist er degeneriert und sein Zusammenhang mit der eigentlichen Zirbeldrüse
unterbrochen.
Bei andern Formen,
¶
namentlich bei der überhaupt so altertümlich organisierten Brückenechse (s. d.), ist er aber noch im Zusammenhang mit dieser
und entspricht einem mittlern, unpaaren Sehnerven. Bei diesem Tiere ist auch das der Birne entsprechende, außen von einer Bindegewebskapsel
umhüllte distale Ende der Zirbeldrüse
hohl (Epiphysenblase). Seine vordere Wandung stellt eine Linse
[* 6] dar
und der größte Teil der Innenwandung des hinter derselben liegenden Hohlraums zeigt sich mit eigentümlichen feinsten, von
Pigment umgebenen Nervenendigungen (Stäbchen) besetzt und entspricht so einer Netzhaut. Daß manche Reptilien mit dem Parietalauge,
wenn auch nicht deutlich sehen, so doch Lichteindrücke wahrnehmen können, erscheint nicht unwahrscheinlich.