Zinzendorf
und Pottendorf, Nikolaus Ludwig, Graf von, Stifter der evangelischen Brüdergemeinde (s. d.), geb. zu Dresden, [* 2] ein Patenkind Speners, wurde nach dem frühen Tod seines Vaters, der kursächsischer Konferenzminister war, in der Lausitz bei seiner frommen und gelehrten Großmutter erzogen und kam im zehnten Jahr in das Waisenhaus zu Halle [* 3] unter A. H. Franckes besondere Aufsicht. Aber erst in Wittenberg, [* 4] wo er seit 1716 ¶
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die Rechte, daneben Theologie studierte, wurde er entschiedener Pietist. Seit 1721 Hofrat bei der Landesregierung in Dresden, führte er 1722 auf seinem Gut Berthelsdorf den Plan aus, eine Religionsgesellschaft zu gründen, für welche die Predigt Jesu des Gekreuzigten die Hauptabsicht sein, und in der sich alle Glieder [* 6] der evangelischen Konfessionen [* 7] vereinigen sollten. Als die ausgewanderten Mährischen Brüder (s. d.), welche er deshalb aufgenommen hatte, dort keinen Raum mehr fanden, gründete er Herrnhut. Da ihm 1727 das Halten von Hausgottesdiensten untersagt wurde, trat er aus dem Staatsdienst aus und ließ sich 1734 unter angenommenem Namen in Stralsund [* 8] als Kandidat des Predigtamtes prüfen, dann zu Tübingen [* 9] in den geistlichen Stand aufnehmen und 1737 in Berlin [* 10] zum Bischof der Mährischen Brüdergemeinden ordinieren.
Von 1736 bis 1747 aus seinem Vaterland wegen seiner »Neuerungen« verbannt, ging er zunächst in die Wetterau, nahm seinen Sitz in Ronneburg, gründete zwei Gemeinden in Marienborn und Herrnhaag und geriet hier in Konflikt mit den Inspirationsgemeinden (s. d.). Später war er auf Reisen in Europa, [* 11] Westindien [* 12] und Nordamerika [* 13] für seine Gemeinde thätig, nächst öffentlichen Vorträgen, die er hielt, fast immer mit Korrespondenzen und Bücherschreiben beschäftigt. Er verfaßte 108 asketische Schriften (ein Verzeichnis derselben erschien Stett. 1824), darunter seine »Sammlung geistlicher und lieblicher Lieder« (hrsg. von Knapp, Stuttg. 1845; Auswahl von Daniel, Bielef. 1851; Gütersl. 1861) und das Gesangbuch der Gemeinde in Herrnhut von 1735. Er starb in Herrnhut.
Vermählt war er seit 1722 mit Erdmute Dorothea, Gräfin Reuß
[* 14] von Ebersdorf, die ebenfalls geistliche Lieder dichtete (mit ihrer
Biographie hrsg. von Ledderhose, Gütersl.
1887), und nach ihrem Tod seit 1757 mit Anna Nitschmann, Chorpflegerin der ledigen Schwestern in Herrnhut; auch sie ist als Liederdichterin
bekannt. Zinzendorfs
Biographie schrieben: Spangenberg (Barby 1772-1775, 8 Bde.), Varnhagen v. Ense (»Biographische Denkmale«,
Bd. 5), Verbeek (Gnadau 1845), Völbing (das. 1850), Schröder (2. Aufl., Leipz. 1863), Pilgram (das. 1857),
Bovet (3. Aufl., Par. 1865), Burkhardt (Gotha
[* 15] 1866), Zwick (Heidelb. 1882).
Vgl. außerdem Plitt, Zinzendorfs
Theologie (Gotha 1869 bis
1874, 3 Bde.);
Körner, Die kursächsische Staatsregierung dem Grafen Zinzendorf
und Herrnhut bis 1760 gegenüber (Leipz. 1878);
E.
Becker, Zinzendorf
im Verhältnis zu Philosophie und Kirchentum seiner Zeit (das. 1886);
Tietzen, Zinzendorf
(Gütersl.
1888);
Ritschl, Geschichte des Pietismus, Bd. 3 (Bonn [* 16] 1886).