Zahnlücker
[* 2] (zahnarme, fälschl. zahnlose
Säugetiere,
Edentata, Bruta; hierzu Tafel »Zahnlücker«
),
eine trotz ihres geringen Gehalts an lebenden Vertretern doch sehr formenreiche Ordnung der niedern Säugetiere. Charakteristisch ist zunächst für sie das Gebiß, das in einzelnen Fällen gänzlich fehlt, bei allen, mit einer einzigen Ausnahme, der Vorderzähne entbehrt, bei einigen hingegen sich durch die große Anzahl der Backenzähne (bis zu 100) auszeichnet. Zahnwechsel findet nicht statt, auch haben die Zähne [* 3] keinen Schmelz. Die Zahl der Wirbel ist gleichfalls nicht konstant; so hat z. B. Bradypus tridactylus 9, Choloepus nur 6 Halswirbel statt der sonst für die Säugetiere gültigen 7. Nach Körpergestalt und Ernährungsweise lassen sich zwei Gruppen unterscheiden.
Die einen (Erdschweine, Ameisenfresser, Schuppen- und Gürteltiere) sind Insektenfresser [* 4] mit langgestrecktem, spitzem Kopf, schwachen Kiefern und verkürzten Extremitäten, deren wenig bewegliche Zehen mit kräftigen Scharrkrallen endigen. Die Haut [* 5] ist häufig mit großen, dachziegelförmig sich deckenden Hornschuppen oder mit einem gegliederten knöchernen Panzer bedeckt. Die andern (Faultiere) nähren sich von Blättern, besitzen einen runden Affenkopf mit kurzen, hohen Kiefern, ungemein schwerfällige Körperformen und sehr lange, mit Sichelkrallen bewaffnete Vorderextremitäten, die beim Klettern gute Dienste [* 6] leisten; die Haut ist mit grobem Haar [* 7] bedeckt.
Das
Gehirn
[* 8] der
Zahnarmen steht in mancher Beziehung dem der
Huftiere nahe, ist aber noch einfacher und häufig,
bei den meisten kleinern
Formen, völlig windungslos. Sehr entwickelt sind die
Speicheldrüsen; bei den
Faultieren erinnert
der
Magen
[* 9] an denjenigen der
Wiederkäuer.
[* 10] Die
Hoden liegen in der
Bauchhöhle. Die
Gebärmutter
[* 11] ist meist einfach, hat jedoch
bei einzelnen
Gattungen einen doppelten
Muttermund. Die Zahnlücker
sind träge, stumpfsinnige
Tiere, bewegen sich
langsam, klettern oder graben
Höhlen. Die lebenden 13
Gattungen (mit etwa 40
Arten) sind auf
Südamerika
[* 12] beschränkt, nur
Manis
und
Orycteropus sind in
Afrika
[* 13] und
Asien
[* 14] zu
Haus. Auch die fossilen
Formen, darunter
Tiere von der
Größe des
Elefanten, scheinen
hauptsächlich in
Amerika
[* 15] gelebt
¶
mehr
zu haben, wo man sie im Diluvium
[* 17] gefunden hat; aus Europa
[* 18] sind nur Verwandte des Orycteropus, der heute in Südafrika
[* 19] lebt,
bekannt geworden. Die Einteilung der Zahnlücker
ist zur Zeit noch nicht befriedigend, da die einzelnen Gruppen sehr weit voneinander
geschieden sind und auch durch fossile Zwischenformen noch nicht recht verbunden werden.
I. Tillodontier (Tillodontia). Nur fossil, aus dem Eocän der Vereinigten Staaten;
[* 20] bilden vielleicht die Vorfahren der heutigen
Zahnlücker.
Hierher die Stylinodontia mit wurzellosen Zähnen und die Tillotheridae mit sehr eigentümlichem Gebiß.
II. Riesenfaultiere (Gravigrada). Ebenfalls nur fossil, in den Knochenhöhlen Nordamerikas und Brasiliens gefunden. Im wesentlichen den heutigen Faultieren ähnlich, jedoch mit geschlossenem Jochbogen, mit 4-5 Zehen an den Vorder- und 3-4 an den Hinterfüßen und mit starkem Schwanz. Hierher die interessanten Gattungen: Megatherium (s. Tafel »Tertiärformation [* 21] II«) [* 22] aus dem Diluvium, von Elefantengröße, Mylodon (s. ebenda), von demselben Fundort, aber auch von Nordamerika, [* 23] Scelidotherium aus Süd-, Mogatonyx aus Nordamerika etc.
III. Faultiere (Bradypoda, Tardigrada). Kopf rundlich, Jochbogen nicht geschlossen, Gesicht [* 24] ähnlich dem der Affen; [* 25]
Arme sehr lang;
Schwanz äußerst kurz oder gar nicht vorhanden;
Vorderfüße mit 2-3, Hinterfüße mit 3 Zehen;
Körper mit grauem Haar bedeckt;
Gebiß m 5/5 oder 5/4;
Magen zusammengesetzt, ähnlich dem der Wiederkäuer.
Leben nur auf Bäumen, wo sie sich mittels ihrer langen, sichelförmigen Krallen festhalten und sich langsam, aber sicher fortbewegen, während sie auf dem Boden äußerst unbehilflich sind. Zwei lebende Gattungen mit 12 Arten, nur in den großen Wäldern von Guatemala [* 26] bis Brasilien [* 27] und Ostbolivia: Bradypus, das dreizehige Faultier (s. d.), und Choloepus, das zweizehige Faultier oder der Unau. Fossil aus den brasilischen Knochenhöhlen Coelodon und Sphenodon.
IV. Gürteltiere (Armadille, Dasypodidae). Kopf und Schnauze spitz;
Hinterbeine fünfzehig und länger als die meist vierzehigen Vorderbeine;
Ohren meist groß;
Backenzähne meist zahlreich, aber klein, Schneidezähne nur bei zwei Gattungen vorhanden;
Zunge nicht weit vorstreckbar;
Rücken von einem Panzer mit beweglichen Knochenplatten bedeckt, oft auch Kopf und Schwanz mit Schildern;
Zitzen an der Brust. Sechs lebende Gattungen mit 17 Arten, nur in Amerika, von Texas bis zu den Ebenen Patagoniens;
hierher unter andern: Dasypus, das Gürteltier (s. d.), mit Schneidezähnen, Prionodontes, das Riesengürteltier, von 1,5 m Länge, Chlamydophorus, das Panzertier, mit lederartigem Rückenpanzer und kaum sichtbaren Ohren.
Fossil aus den Knochenhöhlen Brasiliens außer echten Gürteltieren auch die Gattungen Chlamydotherium von der Größe eines Nashorns, Schistopleurum und Glyptodon (s. Tafel »Tertiärformation II«) [* 22] von der Größe eines Elefanten; sie haben im Knochenbau einige Verwandtschaft mit den Riesenfaultieren.
V. Schuppentiere (Manididae). Körper mit Hornschuppen und Haaren bedeckt;
Kiefer zahnlos;
Schwanz lang;
Füße fünfzehig;
Zunge weit vorstreckbar.
Nur die Gattung Manis mit mehreren Arten, im westlichen und südlichen Afrika sowie in Südasien bis nach China [* 28] hin und auf Java, Borneo etc. S. Schuppentier.
VI. Ameisenfresser (Myrmecophagidae). Körper mit Haaren bedeckt, ohne Zähne; Zunge weit vorstreckbar; Schwanz lang. Drei lebende Gattungen mit 5 Arten, nur in den Wäldern Südamerikas; hierher Myrmecophaga, der Ameisenfresser (s. d.). Fossil die Gattung Glossotherium aus Brasilien.
VII. Erdschweine (Orycteropidae). Körper mit langen Borsten bedeckt, Ohren lang;
Schwanz kurz;
Kiefer mit kleinen, gleichartigen Zähnen;
Vorderfüße mit 4, Hinterfüße mit 5 langen Krallen.
Nur eine lebende Gattung, Orycteropus, das Erdschwein (s. d.), am Kap sowie im nördlichen Afrika. Von Fossilien gehören vielleicht hierher Ancylotherium und Macrotherium aus dem europäischen Miocän.
Vgl. Ball, Edentata (Lond. 1836);
Rapp, Anatomische Untersuchungen über die Edentaten (Tübing. 1852);
Gray, Handlist of edentate, thickskinned and ruminous mammals (Lond. 1873).