Yvorne
(Kt. Waadt, Bez. Aigle). 465 m. Gem. und Pfarrdorf am Fusse der sw. Vorberge der Tour d'Aï, in schöner, wohl geschützter Lage; 1,8 km n. von Aigle, Station der Simplonbahn. Postwagen Aigle-Corbeyrier; Postbureau, Telegraph, Telephon. Gemeinde mit Les Paqueys, Vers Monthey, Vers Morey, Vers Vey und Maison Blanche: 182 Häuser, 872 reform. Ew.; Dorf: 108 Häuser, 532 Ew. Kirchgemeinde, zusammen mit den Gemeinden Corbeyrier und Roche. Klinik für Neurastheniker. Die Hauptbeschäftigung der Bewohner ist der Weinbau; die gesuchtesten Gewächse sind die von Clos du Rocher, Maison Blanche etc.; da und dort versucht man den Weinstock durch weniger kostspielige Kulturen zu ersetzen. Auch der Ackerbau beschäftigt viele Hände, obschon die Mehrzahl der Felder und Wiesen in der Ebene liegen, während das Dorf an einem von Weinbergen bedeckten Abhang erbaut ist. Ausbeutung der benachbarten Wälder. In einer Urkunde von 1020 wird Yvorne unter den Namen «Evurnum in pago capitis laci» angeführt; im Jahre 1332: Yvorna, 1588: Yvornaz, vom keltischen Worte evor, ebur = Eibe (franz. if).
Man hat den Namen auch von «hiberna» abgeleitet, wegen der Nähe der römischen Station Aigle. Ebenso betrachtete man Yvorne als das Ebodouron des Ptolomäus, als das es nicht bewiesen ist. (Vergl. Essai de toponymie von H. Jaccard). Den wurde das Dorf durch einen Schlammstrom verwüstet, der aus der Combe de Luan durch das Thal von Corbeyrier sich herabwälzte, wo er zuerst fast alle Häuser zerstört hatte. Man sieht heute unter dem kleinen Plateau von Plan Falcon die Fläche noch sehr gut, von der sich die Erdmasse losgerissen hat.
Sie bestand aus einem Gemisch von Kies, Sand und Lehm mit ziemlich grossen Felsblöcken, das zu einer gewaltigen schlammigen Flut anwachsen musste. Diese Katastrophe, die durch eine Reihe von am ganzen Becken des Genfersees wahrgenommenen Erderschütterungen verursacht war, brach morgens zwischen 9 und 10 Uhr so plötzlich herein, dass sie zahlreiche Opfer verschlang. Ein Zeitgenosse aus Aigle berichtet, dass dieser Erdsturz etwa 100 lebende Personen (manche sagen mehr), 240 Milchkühe, und viele Ochsen und Pferde begrub. Er bedeckte 69 Häuser, 106 Scheunen, 2 Keller, 2 Dreschtennen ... mit einer Menge Getreide, Wein, Möbel und Weiden.
Bei dieser Heimsuchung bewies Gott eine solche Barmherzigkeit, dass es kein Haus gab, aus dem nicht ein Mann oder Kind am Leben blieb. (Vergl. Conservateur suisse von Dekan Bridel, Bd. XIII, p. 28. Lausanne, 1857). Das vom Sturz bedeckte Gebiet heisst heute Ovaille, was vom alt-französischen orvale oder orvaille, Ungewitter, Orkan, Verderben herkommt, ein Wort, dem man häufig in den Urkunden von Aigle begegnet, wo von der Grande Eau die Rede ist. Die Ovaille liefert einen der besten Weine von Yvorne.
Seit 1909 verbindet eine neue Strasse Yvorne mit Aigle. Als man 1908 einen Weinberg umgrub fand man Münzen von Titus (79-81), Domitian (81-96), Mark Aurel (161-180), Faustina II. (125-175), Valentinian (364-375), Konstantin II (316-340) und ein Armband aus Zinn, wahrscheinlich aus dem 4. Jahrhundert. Bronzebeil mit Verzierung. Burgundische Gräber. Mit der Geschichte Yvornes ist die des alten Edelsitzes la Maison Blanche innig verknüpft, der 11 Jahre vor dem Bergsturz, also 1573, von den Brüdern Anton und Burkhardt von Erlach erbaut wurde, welche einen Teil des heutigen Weinberges anpflanzten.
Anton verheiratete sich einige Jahre später mit Agatha von Diesbach; zu ihrer Zeit ereignete sich der Erdsturz, der zwar ihre «Villa» verschonte, aber viel Erde und Steine auf ihrem Grundstücke ablud. Sie wohnten im Sommer in ihrem Hause, im Winter auf dem Schlosse zu Aigle. Ihre Enkelin Margaretha, die den Brigadier Mannier geheiratet hatte, wirtschaftete nicht gut und musste nach zahllosen Prozessen ihre Besitzungen verkaufen. La Maison Blanche wurde dann von Friedrich Wurstemberger, dem Landvogt von Aigle, im Jahre 1731 gekauft; er starb 1737 und wurde in der Klosterkirche zu Aigle begraben. Seine Witwe und seine Tochter Margaretha besorgten den Weinbau und den Weinverkauf weiter. Beim Tode der letztern ging die Maison Blanche als Erbe an die Familie Sinner von Bern über, die es heute noch besitzt. (Eigenhändige Notizen der Frau von Sinner).