Titel
Wolzogen
,
altadliges
Geschlecht, das früher in
Tirol
[* 2] und
Niederösterreich ansässig war, zu Anfang des Dreißigjährigen
Kriegs aber sich in
Franken und
Brandenburg,
[* 3]
Schlesien
[* 4] und
Obersachsen niederließ. Die
Familie teilte sich seit dem 16. Jahrh.
in die Neuhausische und Mißingdorfsche
Linie. Jene ward 1607 in den österreichischen, 1702 in den Reichsfreiherrenstand
erhoben; die jüngere erlosch um 1700. Der letztern gehörten an der als
Socinianer berühmte
Johann
Ludwig von Wolzogen
, geb. 1596,
gest. 1658 zu Schlichtenheim in
Polen, und
Ludwig von Wolzogen
, geb. 1632, gest. 1690 als arminianischer
Professor der
Kirchengeschichte zu
Utrecht.
[* 5]
Hans
Christoph von Wolzogen
, aus der ältern
Linie, geb. 1666, Premierminister
des
Herzogs
Christian von
Sachsen-Weißenfels, gest. 1734, hatte zwei
Söhne, die zwei
Linien gründeten, von denen die jüngere
Linie, Wolzogen
und
Neuhaus, in mehreren
Zweigen noch blüht.
Vgl. A. v. Wolzogen
, Geschichte des reichsfreiherrlichen v. Wolzogen
schen
Geschlechts (Leipz. 1859, 2 Bde.).
Der jüngern Linie gehörten an:
1)
Karoline von, geborne von
Lengefeld, Dichterin, geb. zu
Rudolstadt,
[* 6] genoß eine treffliche
Erziehung und ward bereits
in ihrem 16. Jahr an den
Rudolstädter Geheimrat v. Beulwitz verheiratet, lebte aber mit ihrem
Gatten im
Haus ihrer
Mutter. Im
Spätherbst 1787 kam
Schiller nach
Rudolstadt und war nun ein regelmäßiger
Gast der
Familie, der er durch
die Verlobung mit der jüngern
Schwester,
Charlotte, noch näher trat (vgl.
»Schiller und
Lotte«, Stuttg. 1856, worin auch der
Briefwechsel
Karolines mit
Schiller enthalten ist). Im
August 1796 verheiratete sich
Karoline nach ihrer
Scheidung
von Beulwitz mit dem weimarischen Oberhofmeister
Wilhelm von Wolzogen
(geb. 1762, gest. 1809), einem Jugendfreund
Schillers von der
Karlsschule her. Als Dichterin trat sie zuerst anonym mit dem
Roman
»Agnes von
Lilien«
[* 7] (Berl. 1798, 2 Bde.;
neue Ausg., Stuttg. 1881) auf, der durch anmutige
Darstellung, tiefe poetische
Wahrheit, Zartheit des
Gefühls
und sittliche Tüchtigkeit noch jetzt zu den besten derartigen Werken gehört.
Als
Wilhelm von Wolzogen
1804 zum Geheimrat und Mitglied des
Ministeriums ernannt wurde, trat
Karoline in nähere Beziehungen zu dem
weimarischen
Hof;
[* 8] nach dem
Tod ihres einzigen
Sohns aus zweiter
Ehe aber siedelte sie nach
Jena
[* 9] über. Hier
schrieb sie: »Erzählungen« (Stuttg. 1826-27, 2 Bde.),
den Roman »Cordelia« (Leipz. 1840, 2 Bde.) und ihr Hauptwerk, »Schillers Leben, verfaßt aus den Erinnerungen der Familie, seinen eignen Briefen und den Nachrichten seines Freundes Körner« (Stuttg. 1830, 2 Bde.; zuletzt 1883),
ausgezeichnet durch Treue, Reichhaltigkeit und liebevolle Wärme [* 10] der Darstellung. Sie starb in Jena. Ihr »Litterarischer Nachlaß« erschien zu Leipzig [* 11] 1848-49, 2 Bde. (2. Aufl. 1867).
2) Ludwig Julius Adolf Friedrich, Freiherr von, geb. zu Meiningen, [* 12] Schwager der vorigen, besuchte 1781 die Karlsschule in Stuttgart, [* 13] trat 1792 als Leutnant in württembergische und 1794 in preußische Dienste, [* 14] in denen er bis zum Leutnant aufgerückt war, als ihm 1802 der Herzog Eugen von Württemberg [* 15] die Erziehung seines ältesten Sohns anvertraute. 1805 zum württembergischen Major, Flügeladjutanten und Kammerherrn ernannt, machte er als Quartiermeister beim Generalstab den Feldzug jenes Jahrs mit.
Obgleich Wolzogen
1806 zum
Oberstleutnant und
Kommandeur der
Garde zu
Fuß aufrückte, trat er doch 1807 abermals
in preußische
Dienste, nach dem
Tilsiter
Frieden in russische. Im
September 1807 wurde er
Major beim russischen
Generalstab, 1811
Oberstleutnant
und Flügeladjutant des
Kaisers, 1812 Oberst, befand sich 1813 im
Gefolge des
Kaisers, nahm an den
Schlachten
[* 16] bei
Großgörschen,
Bautzen,
[* 17]
Dresden
[* 18] und
Leipzig teil und wurde noch am
Abend des 18. Okt. zum
Generalmajor ernannt.
Nachdem er hierauf an der
Organisation der deutschen
Heere
Anteil genommen, wurde er dem 3.
Armeekorps, welches der
Herzog von
Weimar
[* 19] nach den
Niederlanden führte, als
Chef des
Generalstabs beigegeben. Während des
Wiener
Kongresses trat Wolzogen
wieder
in preußische
Dienste zurück und ward mit der militärischen
Erziehung der preußischen
Prinzen betraut und 1818 preußischer
Militärkommissar bei der deutschen
Bundesversammlung. Seit 1820
Generalleutnant, ward er 1836 als
¶
mehr
General der Infanterie in den Ruhestand versetzt und starb in Berlin. [* 21] Die aus seinem Nachlaß veröffentlichten »Memoiren« (Leipz. 1851) bieten interessante Aufschlüsse über die Zeitgeschichte.
3) Alfred, Freiherr von, Schriftsteller, ältester Sohn des vorigen, geb. zu Frankfurt
[* 22] a. M., studierte seit 1841 Jurisprudenz
in Berlin und Heidelberg,
[* 23] trat 1844 als Auskultator beim Stadtgericht zu Erfurt
[* 24] ein, arbeitete später als
Regierungsreferendar zu Potsdam
[* 25] und absolvierte 1851 sein Staatsexamen. Nach einer längern Reise, die ihn 1852-53 nach Italien,
[* 26] der Schweiz,
[* 27] Frankreich, Spanien,
[* 28] Belgien,
[* 29] England, Schottland und Holland führte, arbeitete er als Regierungsassessor im Ministerium
des Innern, bis er Ende 1859 an die Regierung nach Breslau
[* 30] versetzt wurde, wo er 1863 zum Regierungsrat
aufrückte. Seit 1868 lebte er als Hotheaterintendant in Schwerin
[* 31] und starb in San Remo. Wolzogen
gab 1851 die »Memoiren«
seines Vaters heraus; später veröffentlichte er: »Fr. von Schillers Beziehungen zu Eltern, Geschwistern
und der Familie von Wolzogen«
(Stuttg. 1859) und »Aus
Schinkels Nachlaß« (Berl. 1862-64, 4 Bde.).
Von seinen eignen Schriften sind zu nennen: »Preußens
[* 32] Staatsverwaltung mit Rücksicht auf seine Verfassung« (Berl. 1854);
»Reise nach Spanien« (Leipz. 1857);
»Geschichte des reichsfreiherrlich von Wolzogen
schen Geschlechts« (das. 1859, 2 Bde.);
»Über Theater [* 33] und Musik« (Bresl. 1860);
»Über die szenische Darstellung von Mozarts Don Giovanni« (das. 1860);
»Wilhelmine Schröder-Devrient« (Leipz. 1863);
»Schinkel als Architekt, Maler und Kunstphilosoph« (Berl. 1864);
»Rafael Santi« (Leipz. 1865);
»Peter v. Cornelius« (Berl. 1867) u. a. Als Dichter versuchte er sich in dem Lustspiel »Nur kein Ridicul« (Berl. 1864) und den Dramen: »Blanche«, »Sophia Dorothea« und »Fürstin Orsini« (»Dramatische Werke«, Leipz. 1866),
welch letztere er mit Ludw. Albert v. Winterfeldt gemeinsam verfaßte.
Auch lieferte er eine freie Bühnenbearbeitung von Kalidasas »Sakuntalâ« (Schwerin 1869) und andres Ähnliche.
4) Hans Paul von, Schriftsteller, Sohn des vorigen, geb. zu Potsdam, studierte bis 1871 Philosophie, vorzüglich Mythologie und vergleichende Sprachwissenschaft, widmete sich dann der litterarischen Thätigkeit und ließ sich als Redakteur der von Richard Wagner gegründeten »Baireuther Blätter« in Baireuth [* 34] nieder. Er veröffentlichte Übertragungen des »Armen Heinrich« von Hartmann von Aue, des »Beowulf« und der »Edda« und schrieb: »Der Nibelungenmythos in Sage und Litteratur« (Berl. 1876);
»Poetische Lautsymbolik« (Leipz. 1876);
»Über Verrottung und Errettung der deutschen Sprache« [* 35] (2. Aufl., das. 1881) und zahlreiche Aufsätze über deutsche Sprache und Schrift (gesammelt in »Kleine Schriften«, Bd. 1, das. 1886).
Einer der entschiedensten Anhänger der Wagnerschen Kunstrichtung, war er auch für diese schriftstellerisch thätig, so namentlich in den wiederholt aufgelegten »Thematischen Leitfaden« durch die Musik zum »Ring des Nibelungen«, zu »Tristan und Isolde« und zu »Parsifal«;
»Erläuterungen zu R. Wagners Nibelungendrama« (4. Aufl., Leipz. 1878);
»Die Tragödie in Baireuth und ihr Satyrspiel« (5. Aufl., das. 1881);
»Die Sprache in R. Wagners Dichtungen« (2. Aufl., das. 1881);
»Richard Wagners Tristan und Isolde« (das. 1880);
»Was ist Stil? was will Wagner« (das. 1881);
»Unsre Zeit und unsre Kunst« (das. 1881);
»Die Religion des Mitleidens« (das. 1882);
»R. Wagners Heldengestalten erläutert« (2. Aufl., das. 1886);
»Wagneriana« (das. 1888) und durch zahlreiche Artikel in Zeitschriften.
Von Schurés Werk »Le
[* 36] drame musical« besorgte er eine
deutsche Übertragung (2. Aufl., Leipz. 1879). - Sein Bruder Ernst von Wolzogen
, geb. zu Breslau, machte sich durch einige
litterarhistorische Schriften (»George Eliot«, »Wilkie Collins«, beide Leipz. 1885),
Erzählungen und Romane, wie »Heiteres und Weiteres« (Stuttg. 1886),
»Basilla« (das. 1887),
»Die Kinder der Exzellenz« (das. 1888). »Die rote Franz« (das. 1888) etc., bekannt.