Wolfram
von
Eschenbach, neben
Gottfried von Straßburg und
Walther von der Vogelweide der bedeutendste
deutsche Dichter des
Mittelalters, wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. aus dem altadligen
Geschlecht, das von
dem fränkischen
Städtchen
Eschenbach seinen
Namen führte, geboren. Über seine Lebensschicksale ist wenig bekannt. Aus mehreren Andeutungen
in seinen Gedichten geht hervor, daß er nicht der erstgeborne Sohn seines
Hauses war und dadurch der
Armut anheimfiel.
Auf seinen Ritterzügen, wobei er von
seinem Dichtertalent und der
Freigebigkeit der
Fürsten lebte, kam er 1204 an den
Hof
[* 2] des
Landgrafen
Hermann von
Thüringen, der damals der
Mittelpunkt höfischer Ritterlichkeit und
Poesie war. Hier ward er von
Hermann
mit der Bearbeitung des französischen Gedichts von
Wilhelm von
Orange beauftragt. Er starb um 1220. Nach
seinem eignen
Geständnis konnte er weder lesen noch schreiben. Die wenigen
Lieder
Wolframs sind
¶
mehr
kritisch herausgegeben in Lachmanns Ausgabe Wolframs; San Marte übersetzte sie in »Leben und Dichten Wolframs von
Eschenbach«
(2. Bd., 1. Buch). In allen sprechen sich lebhaftes und starkes Gefühl und ehrenfeste Gesinnung aus. Von seinen größern Werken
ist vor allen »Parzival« (vollendet um 1210) zu nennen. Wolframs Quelle
[* 4] war nach seiner eignen Aussage eine
doppelte: er kannte das uns erhaltene Gedicht des Chrétien de Troyes: »Le
[* 5] conte del graal«, außerdem aber ein andres, noch
nicht wieder aufgefundenes Werk eines Provençalen, Kyot. Wolfram
von Eschenbach
bezeichnet ausdrücklich Kyots Darstellung als die richtigere.
Man hat behauptet, allerdings ohne zwingenden Grund, daß dieser Kyot nur von Wolfram erdichtet sei, um damit seine Abweichungen von Chrétien zu rechtfertigen. Seine Dichtung enthält in den zwei ersten Büchern die Vorgeschichte des Helden, die Geschichte von Parzivals Vater Gahmuret, der, ein jüngerer Sohn des Hauses Anjou, in heidnischen Landen eine Königin, Belakane, erwirbt. Sie gebiert ihm einen Sohn, Feirefiz; er aber, vom Drang nach Abenteuern getrieben, verläßt sie und kehrt nach Frankreich zurück, wo er in Herzeloide eine zweite Gattin findet.
Auch von dieser scheidet er und zieht aufs neue gegen die Heiden, um im Kampf mit ihnen zu fallen. Herzeloide gebiert einen Sohn, Parzival, den sie, um ihn vor gleicher Gefahr zu schützen, in der Einöde erzieht. Allein der in ihm schlummernde ritterliche Sinn treibt ihn in die Welt; er kommt an Artus' Hof, erwirbt die schöne Kondwiramur zur Gemahlin, verläßt sie aber, um seine Mutter aufzusuchen. Er gelangt in die Burg des Gral, unterläßt jedoch die den verwundeten Gralkönig Amfortas erlösende Frage. In Artus' Tafelrunde feierlich aufgenommen, erfährt er durch eine Gralbotin seine Schuld und zieht nun aufs neue aus, den Gral zu suchen.
Durch den Einsiedler Trevrizent von seinem Zweifel an Gott bekehrt, ist er nach vielen Kämpfen, zuletzt mit seinem Freund Gawan und seinem Halbbruder Feirefiz, endlich würdig, das Gralkönigtum zu erlangen. Einen nicht unbeträchtlichen Teil des Gedichts nehmen die Abenteuer Gawans ein, welcher, der Typus eines höfischen Ritters, einen Gegensatz zu dem innerlich tiefern Parzival bildet. Die auf die höchsten Fragen des Daseins, das Verhältnis des Menschen zu Gott, gerichtete Idee des Gedichts macht dasselbe zu einem psychologischen Roman von hohem Interesse.
Ein zweites Gedicht Wolframs ist der unvollendete »Willehalm«, eine Episode aus dem Leben Wilhelms des Heiligen von Orange. Seine
Quelle war das altfranzösische Heldengedicht »La bataille d'Aliscans«, welches nur einen Teil des
großen Sagencyklus von »Guillaume au court nez« umfaßt. Ulrich von dem Türlin (1253-78) glaubte den
»Willehalm« Wolframs
von vornherein ergänzen zu müssen, und Ulrich von Türheim (um 1250) dichtete die letzten Thaten, die
Mönchwerdung und den Tod Wilhelms hinzu, beides unbedeutende Machwerke.
»Willehalm« steht hinter dem »Parzival« weit zurück, obgleich Sprache
[* 6] und Verskunst vorgeschritten erscheinen. Ungleich höher
steht wieder der nur in wenigen Bruchstücken vorliegende, von Wolfram selber nicht vollendete »Titurel«,
der nicht mit dem »Jüngern Titurel« verwechselt werden darf, als dessen Verfasser Wolfram
von Eschenbach
früher ebenfalls galt. Den
eigentlichen Inhalt des ganzen Gedichts sollte wohl die Geschichte der Liebe Schionatulanders und Sigunes bilden, die schon
im »Parzival« als eine liebliche Episode hervortritt.
Ob der »Titurel« vor oder nach dem »Parzival« falle, ist streitig. Bedeutend
ist der Einfluß Wolframs auf spätere Dichter;
auch schon bei Wirnt von Grafenberg macht er sich geltend. Ja, Wolfram
von Eschenbach
ward endlich selbst mythische Person, ein Held der deutschen
Sage im »Wartburgkrieg«. Einen neuen Aufschwung gewann aber sein Ruhm durch Albrecht von Scharfenberg (s. d.),
den Dichter des sogen. »Jüngern Titurel«, der die Fragmente des »Titurel« zu einem großen Gedicht vervollständigte, das unter
Wolframs Namen ging. Noch im 15. Jahrh. waren »Parzival« und »Titurel« gelesen und wurden bereits 1477 gedruckt. Dann für Jahrhunderte
verschollen, wurden erst in der Mitte des 18. Jahrh., namentlich durch
Bodmer und Breitinger, Wolframs Dichtungen wieder bekannt; doch sagte weder des erstern moderne Bearbeitung des »Parzival« (Zür.
1753) noch die des »Wilhelm von Orange« in Hexametern dem Geschmack des größern Publikums zu. Erst die neueste Zeit erhob Wolfram
von Eschenbach
wieder
zu der ihm gebührenden Ehrenstelle.
Büschings Abhandlung »Wolfram
von Eschenbach
, sein Leben und seine Werke«, im »Altdeutschen Museum« von v. d. Hagen
[* 7] und Büsching (Berl. 1809, Bd.
1),
enthält neben schätzbarem Material viel Irrtümliches, da sie den »Jüngern Titurel« noch als ein Werk Wolframs ansieht. Ein richtigeres und tiefer greifendes Verständnis des »Parzival« eröffnete Lachmann in seiner »Auswahl aus den hochdeutschen Dichtern des 13. Jahrhunderts« (Berl. 1820). Auch die erste kritische Ausgabe von Wolframs Werken gab Lachmann (Berl. 1833, 4. Ausg. 1879),
eine Ausgabe des »Parzival« allein mit erklärenden Anmerkungen Bartsch (2. Aufl., Leipz.
1875-77, 3 Bde.). Neuhochdeutsche Übersetzungen besorgten San Marte (in »Leben und Dichten Wolfram
von Eschenbachs«,
Magdeb. 1836-41, 2 Bde.; 3. Aufl.,
Halle
[* 8] 1886, 2 Bde., und »Wilhelm von Orange«, das. 1873) und Simrock (»Parzival und Titurel«, Stuttg. 1842, 2 Bde.; 6. Aufl.
1883).
Vgl. Bötticher, Die Wolfram-Litteratur seit Lachmann (Berl. 1880).