Winckelmann
,
Johann Joachim, Altertumsforscher und Begründer der Kunstgeschichte des Altertums, geb. zu Stendal [* 2] in der Altmark als Sohn eines Schuhmachers, besuchte erst die Schule seiner Vaterstadt, dann das köllnische Gymnasium zu Berlin, [* 3] studierte seit 1738 in Halle [* 4] Theologie und alte Litteratur, 1741 in Jena [* 5] noch Mathematik und Medizin, ward 1742 Hauslehrer zu Hadmersleben bei Halberstadt, [* 6] 1743 Konrektor zu Seehausen in der Altmark und 1748 Bibliothekar des sächsischen Ministers Grafen von Bünau zu Nöthnitz bei Dresden. [* 7]
Die
Nähe
Dresdens mit seinen Kunstschätzen sowie der
Verkehr mit Künstlern und Kunstkennern, namentlich mit
Öser,
Lippert,
Hagedorn u. a., steigerten in ihm die
Liebe zur
Kunst. Das Anerbieten des päpstlichen
Nunzius in
Dresden, Archinto, ihm
in
Rom
[* 8] eine Bibliothekarstelle zu verschaffen, bewog Winckelmann
1754 zum Übertritt zur katholischen
Kirche. Er verweilte aber noch
ein Jahr in
Dresden, mit Kunststudien beschäftigt. Als erste
Frucht derselben erschienen die
»Gedanken
über die
Nachahmung der griechischen Werke in der
Malerei und
Bildhauerkunst«
[* 9]
(Dresd. u. Leipz. 1754, 2. Aufl.
1756); alle Einwürfe, die hiergegen gemacht worden waren, sammelte er selbst in dem »Sendschreiben
über die
Gedanken von der
Nachahmung der griechischen Werke in der
Malerei und
Bildhauerkunst«
(Dresd. 1755),
um sie dann in der »Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung etc.« (das. 1755) zu widerlegen. Im Herbst 1755 reiste er mit einer königlichen Pension nach Rom, wo er an den Kardinälen Passionei und Albani sowie an Archinto, der inzwischen Kardinal und Staatssekretär geworden war, Gönner fand, namentlich aber zu Mengs in ein vertrautes, für die Richtung seiner Studien erfolgreiches Verhältnis trat. Zunächst widmete er seine Zeit fast ausschließlich dem Studium alter und neuer Kunstwerke. Im Frühjahr 1758 besuchte er Neapel, [* 10] Portici, Herculaneum und Pompeji, [* 11] im September d. J. auf Einladung des Barons Stosch Florenz, [* 12] wo er neun Monate verweilte, um die Gemmensammlung desselben zu ordnen.
Das Verzeichnis davon führt den
Titel: »Description des pierres gravées du feu
Baron de
Stosch«
(Flor. 1760). Um dieselbe Zeit
erhielt Winckelmann
eine
Anstellung als Bibliothekar und Aufseher über die Altertümersammlung des
Kardinals
Albani. Im
Sommer 1760 vollendete
er die »Anmerkungen über die
Baukunst der
[* 13] Alten« (Leipz. 1762; franz.,
Par. 1783). In
Gesellschaft des
Grafen
Brühl besuchte er 1762 abermals
Neapel und dessen Umgebungen. Eine von ihm beabsichtigte
kleine
Schrift zur
Erläuterung schwieriger
Punkte in der
Mythologie und den Altertümern gestaltete sich zu einem größern
Werk, das unter dem
Titel: »Monumenti antichi inediti«
(Rom 1767, 2. Bde.;
neue Ausg. 1821; vollständige deutsche Übersetzung durch
Brun, 1791-92) mit 268 Kupfertafeln und vielen
Textabbildungen erschien. 1763 zum Oberaufseher aller
Altertümer in und um
Rom ernannt, veröffentlichte er mehrere
Schriften,
unter andern: »Von den herculanischen
Entdeckungen«
(Dresd. 1762);
»Versuch einer Allegorie, besonders für die Kunst« (das. 1766; hrsg. von Dressel, Leipz. 1866) und die »Abhandlung von der Fähigkeit der Empfindung des Schönen in der Kunst und dem Unterricht in derselben« (Dresd. 1771).
Sein ¶
mehr
Hauptwerk ist aber die »Geschichte der Kunst des Altertums« (Dresd. 1764; 2. Aufl., Wien [* 15] 1776; neue Ausg. von J. ^[Julius] Lessing, 2. Aufl., Heidelb. 1881, und in verschiedene Sprachen übersetzt),
welche er später durch die »Anmerkungen über die Geschichte der
Kunst« (Dresd. 1767) ergänzte. 1764 hatte Winckelmann
mit Volkmann und Heinrich Füßli eine dritte Reise nach Neapel
unternommen, deren Ergebnisse er in den »Nachrichten von den neuesten herculanischen
Entdeckungen« (Dresd. 1764) bekannt machte. Den größten Teil des Jahrs 1766 widmete er der Ausarbeitung des »Discorso preliminare«
und seiner »Monumenti inediti«. 1767 unternahm er eine vierte Reise nach Neapel und Herculaneum, und im
folgenden Jahr begab er sich in Gesellschaft des Bildhauers Cavaceppi über Venedig,
[* 16] Verona
[* 17] und durch Tirol
[* 18] nach München
[* 19] und
Wien.
Auf der Rückreise ward er zu Triest
[* 20] in einem Gasthaus von Francesco Arcangeli ermordet. Sterbend setzte er noch den
Kardinal Albani zum Universalerben ein. Eine Kolossalbüste Winckelmanns
, von E. Wolff gearbeitet, ließ
König Ludwig I. von Bayern
[* 21] in Villa Albani, der letzten Stätte seines Wirkens, aufstellen. Ein Denkmal von L. Wichmann ist ihm
in Stendal, eine Marmorstatue von demselben in der Vorhalle des Museums zu Berlin errichtet worden. 1823 wurde ihm auch ein
Marmordenkmal im städtischen Museum zu Triest gesetzt.
Durch die »Kunstgeschichte« und die »Monumenti« wurde Winckelmann
der
eigentliche Schöpfer der Kunstwissenschaft. Er öffnete das griechische Altertum zu so freier und objektiver Betrachtung wie
Herder den Orient. Winckelmann
war der erste, der ganz unabhängig und mit wissenschaftlich gebildetem Auge
[* 22] die klassischen Kunstschöpfungen
betrachtete und von der Erhabenheit, der Harmonie, dem lebendigen Hauch derselben so durchdrungen war,
daß sich dieser antike Geist bei ihm in der körnigen, einfachen Sprache,
[* 23] in den Grundsätzen seiner Lehre
[* 24] und in der Idee vollendeter
Schönheit wieder ausgeprägt und gleichsam verkörpert hat.
Aus wenigen Andeutungen des Vellejus Paterculus und des Quintilian hatte Winckelmann
die Idee einer geschichtlichen
Entwickelung der Kunst geschöpft, und danach bestimmte er in seiner »Kunstgeschichte« die Charaktere, Stilarten und Grundzüge
der alten Denkmäler. Biederkeit und Einfachheit waren die hervorstechendsten Eigenschaften seines Charakters. Eine Gesamtausgabe
seiner Werke wurde von Fernow begonnen und von Meyer und Johannes Schulze vollendet (Dresd. 1808-20, 8 Bde.).
Vollständiger noch ist die Ausgabe von Joseph Eiselein (Donauesching. 1825-1829, 12 Bde.). Als Anhang zu ersterer
Ausgabe gab Fr. Förster heraus: »Winckelmanns
Briefe 1747 bis 1766« (Berl. 1824-25, 3 Bde.);
Blümner veröffentlichte »Winckelmanns
Briefe an seine Züricher Freunde« (Freiburg
[* 25] 1882).
In neuerer Zeit wird der Geburtstag Winckelmanns
in Rom von dem Archäologischen Institut daselbst durch einen feierlichen Akt jährlich begangen, und auch auf mehreren deutschen
Universitäten, namentlich zu Kiel,
[* 26] Greifswald,
[* 27] Berlin und Bonn,
[* 28] werden zur Erinnerung jährlich 9. Dez. Winckelmann
-Feste gefeiert.
Vgl. Heyne, Lobschrift auf Winckelmann
(Kassel
[* 29] 1778);
Goethe, Winckelmann
und sein Jahrhundert (1805);
Justi, Winckelmann
, sein Leben,
seine Werke und seine Zeitgenossen (Leipz. 1866-72, 2 Bde.).