(althochd. Wiolant, angelsächs. Veland, altnord. Völundr), der
Name eines kunstreichen
Schmiedes der deutschen
Heldensage, der ursprünglich in
dem germanischen Volksglauben als halbgöttliches
Wesen erscheint und mit
Vulkan und
Dädalos
[* 2] verglichen werden kann. Er war
der Sohn des Meerriesen
Wade (s. d.) und wurde von diesem erst bei dem berühmten
SchmiedMimir, dann bei den
Zwergen in
die
Lehre
[* 3] gegeben, die ihn zum kunstreichsten aller
Schmiede machten.
Darauf wohnte er mit seinen beiden
Brüdern Eigil und Schlagfidr eine Zeitlang in Ulfdalir, wo sie drei
Schwanjungfrauen fanden.
Mit diesen lebten sie zusammen, bis dieselben nach sieben
Jahren davonflogen, um als
Walküren den
Schlachten
[* 4] nachzuziehen.
Dann kam Wieland zum König Nidung, dessen
Schmied Ämilias er im Wettkampf mit dem
Schwert Mimung besiegte.
Nidung ließ ihn lähmen, aber Wieland rächte sich, indem er des
Königs beide
Söhne tötete und seine Tochter Baduhild entehrte,
die hierauf den
Wittich, der dann selbst in der deutschen
Heldensage gewaltig auftritt, gebar.
Dann entfloh er in einem Federkleid, das er sich gefertigt. Die
Sage von Wieland, die
Simrock in dem Gedicht
»Wieland der
Schmied« und im 4. Teil des
»Heldenbuchs« vortrefflich dargestellt hat, war weit verbreitet, daher die zahlreichen
Anspielungen auf ihn in nordischen, angelsächsischen, englischen und deutschen, aber auch in altfranzösischen Gedichten
(wo er
Galant heißt) und
Überlieferungen. Möglicherweise ist die
Sage aus der antiken
Sage entlehnt.
Vgl.
Depping und
Michel, Veland le forgeron (Par. 1838);
ChristophMartin, hervorragender deutscher Dichter, der älteste des klassischen Viergestirns von
Weimar,
[* 7] geb. zu
Oberholzheim im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt
Biberach,
[* 8] nach der sein
Vater bald darauf als
Pfarrer versetzt wurde. Bei
diesem und in der
Biberacher Stadtschule genoß er trefflichenUnterricht.
Schon im 12. Jahr versuchte er
sich in lateinischen und deutschen
Versen; im 16. hatte er bereits fast alle römischen
Klassiker gelesen, neben denen ihn
unter den modernen Schriftstellern
Voltaire,
Fontenelle und
Bayle und unter den deutschen
Poeten insbesondere
Brockes anzogen.
Noch vor dem 14. Jahr auf die
Schule zu
Klosterberge bei
Magdeburg
[* 9] geschickt, gab der sehr fromm erzogene
Knabe sich anfangs ganz dem dort herrschenden
Geist hin und warf sich in eine ausschließliche Bewunderung
Klopstocks. Nachdem
er seit
Ostern 1749 sich ein Jahr lang bei einem Verwandten zu
Erfurt
[* 10] aufgehalten, wo er mit dem
»Don Quichotte«
fruchtbare
Bekanntschaft machte, verbrachte
er denSommer 1750 im Vaterhaus. Hier traf er mit
Sophie Gutermann (nachmals
Sophie v.
Laroche, s. d.), einer geistreichen, sein gebildeten Verwandten, zusammen.
Die schwärmerische
Neigung, welche er zu ihr faßte, entwickelte rasch sein poetisches
Talent. Auf einem Spaziergang mit ihr
empfing Wieland die Anregung zu seinem ersten der
Öffentlichkeit übergebenen Gedicht, das 1752 von dem
ÄsthetikerMeier in
Halle,
[* 11] welchem es Wieland anonym zugeschickt, unter dem
Titel: »Die
Natur der
Dinge. Ein
Lehrgedicht in 6
Büchern« herausgegeben
wurde. Im
Herbst 1750 hatte Wieland die
UniversitätTübingen
[* 12] bezogen, angeblich um die
Rechte zu studieren, welches
Studium er jedoch
über der Beschäftigung mit der neuern schönen Litteratur und eigner poetischer
Produktion ziemlich
vernachlässigte. Ein
Heldengedicht: »Hermann«, von welchem er fünf
Gesänge (hrsg. von Muncker, Heilbr. 1886) ausarbeitete
und an
Bodmer sandte, brachte ihn mit diesem in einen sehr intimen Briefwechsel. Seine übrigen Erstlingsdichtungen: »Zwölf
moralische
Briefe in
Versen«
(Heilbronn 1752),
»Anti-Ovid« (Amsterd. 1752) u. a.,
kennzeichneten ihn als ausschließlichen und leidenschaftlichen Klopstockianer und strebten auf eine spezifisch seraphisch-christliche
Dichtung hin. Im
Sommer 1752 folgte er einer Einladung
Bodmers nach Zürich.
[* 13] Auf das herzlichste empfangen, wohnte er im traulichsten
Verkehr eine
Weile bei
Bodmer, den er sich durch eine Abhandlung über die
Schönheiten in dessen Gedicht
»Noah« und durch die neue Herausgabe der 1741-44 erschienenen »Züricherischen
Streitschriften« (gegen
Gottsched) verpflichtete, und in dessen
Sinn er ein episches Gedicht in drei
Gesängen: »Der geprüfte
Abraham« (Zürich
1753),
verfaßte. In anregendem
Verkehr mit
Breitinger,
Hirzel,
Sal.
Geßner,
Füßli,
Heß u. a. schrieb Wieland inZürich
um jene Zeit noch die
»Briefe von Verstorbenen an hinterlassene
Freunde« (Zürich
1753). Die plötzliche Nachricht, daß seine Geliebte
sich verehelicht, sowie ein längerer Aufenthalt in dem pietistisch gestimmten Grebelschen
Haus in Zürich
hielten ihn eine
Weile länger,
als es sonst geschehen sein würde, bei der seiner innersten
Natur ganz entgegengesetzten frommen
Richtung.
In seinen
»Hymnen« (Zürich
1754) und den
»Empfindungen eines
Christen« (das. 1755) sprach er zum letztenmal die
Sprache,
[* 14] die er seit
Klosterberge geredet, und erklärte sich mit besonderer Heftigkeit gegen alle erotische
Poesie.
Der nüchterne
Nicolai verglich schon damals WielandsMuse mit einer jungen
Schönen, welche die Betschwester
spielen will und sich ehestens in eine
Kokette verwandeln könne; auch
Lessing durchschaute die Hohlheit der seraphischen
SchwärmereiWielands.Bald genug vollzog sich in Wieland, besonders unter dem Einfluß der
Schriften des Lukian, Horaz,
Cervantes,
Shaftesbury,
d'Alembert,
Voltaire u. a., eine vollständige Umkehr von den eben bezeichneten
Bahnen.
Schon das
Trauerspiel
»LadyJohannaGray« (Zürich
1758) konnte
Lessing mit der Bemerkung begrüßen, Wieland habe »die ätherischen
Sphären verlassen und wandle wieder unter
Menschen«. In demselben Jahr entstand das epische
Fragment
»Cyrus« (Zürich
1759),
Wieland
* 16 Seite 16.598.
zu dem die
Thaten
Friedrichs d. Gr. die
Inspiration gegeben hatten, ferner das in Bern,
[* 15] wo Wieland 1759 eine Hauslehrerstelle
angetreten hatte, geschriebene
Trauerspiel
»Clementina von
Porretta« (das. 1760) und die dialogisierte
Episode aus der Kyropädie
des
Xenophon: »Araspes und Panthea«, welche
Dichtungen sämtlich nach Wielands spätern
¶
mehr
eignen Worten die »Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage« ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern
trat der Dichter
in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, JulieBondeli. 1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche
Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er
auf dem Schloß des GrafenStadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster
weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen
traf Wieland auch seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und
andern Personen, die sich in jenem hochgebildeten Kreis
[* 17] bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins »Weltliche«. Jetzt erst
trat seine schriftstellerische Thätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Litteratur
umfaßt. Um 1761 wurde der Roman »Agathon« (Frankf. 1766) begonnen, 1764 »Don Silvio von Rosalva, oder der
Sieg derNatur über die Schwärmerei« (Ulm
[* 18] 1764) vollendet; daneben hatte seit 1762 die Ausführung einer der verdienstlichsten
Arbeiten Wielands, seine Übertragung des Shakespeare(Zürich
1762-66, 8 Bde.),
»Die Grazien« (das. 1770) und »Der neue Amadis«
(das. 1771) betrat Wieland seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten
Anmut, welche im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand. Inzwischen hatte Wieland, der seit 1765 mit
einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge
gegeben. Seine Lehrthätigkeit, die er mit Eifer betrieb, that seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt
verfaßte er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel »Aurora«, die »Dialoge des Diogenes«
und den lehrhaften Roman »Der goldene Spiegel,
[* 19] oder die Könige von Scheschian« (Leipz. 1772), welcher ihm den Weg nach Weimar
bahnte. 1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar zur litterarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar.
Hier trat Wieland in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland,
[* 20] der schon bei seiner
Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u. a. in sich schloß, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst seine
höchste Weihe und Belebung erhielt. Wieland bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrats einen Gehalt von 1000 Thlr., welcher
ihm auch nach KarlAugusts Regierungsantritt als Pension verblieb. In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete
er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein litterarische Thätigkeit.
Mit dem Singspiel »Die Wahl des Herkules« und dem lyrischen Drama »Alceste« (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift
»Der teutsche Merkur«,
[* 21] deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen
Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Thätigkeit übte, die lange Zeit hindurch
sich auf fast alles, was für die litterarische Welt, vorzüglich die deutsche, von Bedeutung war, erstreckte (vgl. Burkhardt,
Repertorium zu
Wielands deutschem Merkur, Jena
[* 22] 1873). Wielands im »Merkur« abgedruckte »Briefe über Alceste«
(September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des erstern Farce »Götter, Helden und Wieland« hervor, auf welchen Angriff
Wieland mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete.
Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und ein dauerndes Freundschaftsverhältnis,
dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat.
Goethe gewann auch den stärksten Einfluß auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich
die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden
Breite
[* 23] und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde.
Die »Geschichte der Abderiten« (Leipz. 1781;
besprochen von Seuffert, Berl. 1878),
das romantische, farbenreiche Gedicht »Oberon« (Weim. 1781),
die prächtigen poetischen
Erzählungen: »Das Wintermärchen«, »Geron der Adelige«, »Schach Lolo«, »Pervonte« u. a.,
gesammelt in den »Auserlesenen Gedichten« (Jena 1784-87),
entstanden in den ersten Jahrzehnten zu Weimar. Dazu gesellten sich
die treffliche Bearbeitung von »Lukians sämtlichen Werken« (Leipz. 1788 bis
1789) und zahlreiche kleinere Schriften. Eine Gesamtausgabe seiner bis 1802 erschienenen Werke (1794-1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden),
welche Göschen in Leipzig
[* 24] verlegte, hatte Wieland in den Stand gesetzt, das Gut Osmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort lebte der Dichter
seit 1798 im Kreise
[* 25] seiner großen Familie (seine Gattin hatte ihm in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der
Tod seiner Gattin 1803 veranlaßte, seinen Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen, wo er
dem Kreis der Herzogin AnnaAmalia bis an deren Tod angehörte.
Indem Wieland bei Beginn seiner zweiten Periode zur Vorbildlichkeit der französischen Litteratur zurückkehrte und den Ehrgeiz
hegte, die der deutschen Litteratur völlig gleichgültig gegenüberstehenden höhern Stände durch eine
der französischen ähnliche graziöse Leichtigkeit und lebendige Anmut für die deutsche Litteratur zu gewinnen, leistete
er ebendieser Litteratur einen großen und entscheidenden, aber auch einen höchst bedenklichen Dienst. Er nahm einen guten
Teil der Leichtfertigkeit, der Üppigkeit und Oberflächlichkeit jener Musterlitteratur in die Produktionen seiner mittlern
Zeit herüber. Freilich verband sich diese herausfordernde Frivolität und spöttische Weltklugheit mit dem kräftigen Behagen
und dem unverwüstlichen Kern in seiner Natur, der selbst Schiller in einem Brief an Körner Wielands »Deutschheit« trotz alledem
und alledem betonen ließ. Und die
¶
mehr
außerordentliche Entwickelungsfähigkeit seines reichen Talents, der eigentümliche Aufschwung, den seine Dichtung noch in der
zweiten Hälfte seines Lebens nahm, hätten die stutzig machen sollen, welche von Wieland immer und überall nur als von einem
guten Kopf, ohne eigenstes poetisches Verdienst und tiefere Bedeutung, sprachen. Die mittelbare Nachwirkung Wielands brachte
der deutschen Litteratur eine Fülle seither nicht gekannter Anmut und Heiterkeit, die lebendigste Beweglichkeit
und gesteigerte Fähigkeit für alle Arten der Darstellung.
Die unmittelbare Nachwirkung, die sich an Wielands schwache Seiten, an die Lüsternheit, die gelegentliche Oberflächlichkeit
und Schnellproduktion des großen Schriftstellers, heftete, ließ eine sehr unkünstlerische und zum Teil unsittliche
Belletristik entstehen, die sich mit Recht und Unrecht auf Wieland berief und ihm wesentlich schadete. Die sämtlichen Werke Wielands
wurden herausgegeben von Gruber (Leipz. 1818-28, 53 Bde.;
neue Aufl., das. 1839-40 u. Stuttg.
1853, 36 Bde.) und bei Hempel (Berl.
1879, 40 Bde.); »Ausgewählte
Werke« von H. Kurz (Hildburgh. 1870, 3 Bde.),
Eine Biographie
des Dichters schrieb Gruber (»Christ. Martin Wieland«, Altenb. 1815-16, 2 Bde.;
neue Bearbeitung u. d. T.: »Chr. M. Wielands Leben«, Leipz. 1827-28, 4 Bde.);
eine neue quellenmäßige bearbeitet B. Seuffert in Würzburg.
[* 28]