(althochd. Wiolant, angelsächs. Veland, altnord. Völundr), der
Name eines kunstreichen
Schmiedes der deutschen
Heldensage, der ursprünglich in
dem germanischen Volksglauben als halbgöttliches
Wesen erscheint und mit
Vulkan und
Dädalos
[* 2] verglichen werden kann. Er war
der Sohn des Meerriesen
Wade (s. d.) und wurde von diesem erst bei dem berühmten
SchmiedMimir, dann bei den
Zwergen in
die
Lehre
[* 3] gegeben, die ihn zum kunstreichsten aller
Schmiede machten.
Darauf wohnte er mit seinen beiden
Brüdern Eigil und Schlagfidr eine Zeitlang in Ulfdalir, wo sie drei
Schwanjungfrauen fanden.
Mit diesen lebten sie zusammen, bis dieselben nach sieben
Jahren davonflogen, um als
Walküren den
Schlachten
[* 4] nachzuziehen.
Dann kam Wieland zum König Nidung, dessen
Schmied Ämilias er im Wettkampf mit dem
Schwert Mimung besiegte.
Nidung ließ ihn lähmen, aber Wieland rächte sich, indem er des
Königs beide
Söhne tötete und seine Tochter Baduhild entehrte,
die hierauf den
Wittich, der dann selbst in der deutschen
Heldensage gewaltig auftritt, gebar.
Dann entfloh er in einem Federkleid, das er sich gefertigt. Die
Sage von Wieland, die
Simrock in dem Gedicht
»Wieland der
Schmied« und im 4. Teil des
»Heldenbuchs« vortrefflich dargestellt hat, war weit verbreitet, daher die zahlreichen
Anspielungen auf ihn in nordischen, angelsächsischen, englischen und deutschen, aber auch in altfranzösischen Gedichten
(wo er
Galant heißt) und
Überlieferungen. Möglicherweise ist die
Sage aus der antiken
Sage entlehnt.
Vgl.
Depping und
Michel, Veland le forgeron (Par. 1838);
ChristophMartin, hervorragender deutscher Dichter, der älteste des klassischen Viergestirns von
Weimar,
[* 7] geb. zu
Oberholzheim im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt
Biberach,
[* 8] nach der sein
Vater bald darauf als
Pfarrer versetzt wurde. Bei
diesem und in der
Biberacher Stadtschule genoß er trefflichenUnterricht.
Schon im 12. Jahr versuchte er
sich in lateinischen und deutschen
Versen; im 16. hatte er bereits fast alle römischen
Klassiker gelesen, neben denen ihn
unter den modernen Schriftstellern
Voltaire,
Fontenelle und
Bayle und unter den deutschen
Poeten insbesondere
Brockes anzogen.
Noch vor dem 14. Jahr auf die
Schule zu
Klosterberge bei
Magdeburg
[* 9] geschickt, gab der sehr fromm erzogene
Knabe sich anfangs ganz dem dort herrschenden
Geist hin und warf sich in eine ausschließliche Bewunderung
Klopstocks. Nachdem
er seit
Ostern 1749 sich ein Jahr lang bei einem Verwandten zu
Erfurt
[* 10] aufgehalten, wo er mit dem
»Don Quichotte«
fruchtbare
Bekanntschaft machte, verbrachte
er denSommer 1750 im Vaterhaus. Hier traf er mit
Sophie Gutermann (nachmals
Sophie v.
Laroche, s. d.), einer geistreichen, sein gebildeten Verwandten, zusammen.
Die schwärmerische
Neigung, welche er zu ihr faßte, entwickelte rasch sein poetisches
Talent. Auf einem Spaziergang mit ihr
empfing Wieland die Anregung zu seinem ersten der
Öffentlichkeit übergebenen Gedicht, das 1752 von dem
ÄsthetikerMeier in
Halle,
[* 11] welchem es Wieland anonym zugeschickt, unter dem
Titel: »Die
Natur der
Dinge. Ein
Lehrgedicht in 6
Büchern« herausgegeben
wurde. Im
Herbst 1750 hatte Wieland die
UniversitätTübingen
[* 12] bezogen, angeblich um die
Rechte zu studieren, welches
Studium er jedoch
über der Beschäftigung mit der neuern schönen Litteratur und eigner poetischer
Produktion ziemlich
vernachlässigte. Ein
Heldengedicht: »Hermann«, von welchem er fünf
Gesänge (hrsg. von Muncker, Heilbr. 1886) ausarbeitete
und an
Bodmer sandte, brachte ihn mit diesem in einen sehr intimen Briefwechsel. Seine übrigen Erstlingsdichtungen: »Zwölf
moralische
Briefe in
Versen«
(Heilbronn 1752),
»Anti-Ovid« (Amsterd. 1752) u. a.,
kennzeichneten ihn als ausschließlichen und leidenschaftlichen Klopstockianer und strebten auf eine spezifisch seraphisch-christliche
Dichtung hin. Im
Sommer 1752 folgte er einer Einladung
Bodmers nach Zürich.
[* 13] Auf das herzlichste empfangen, wohnte er im traulichsten
Verkehr eine
Weile bei
Bodmer, den er sich durch eine Abhandlung über die
Schönheiten in dessen Gedicht
»Noah« und durch die neue Herausgabe der 1741-44 erschienenen »Züricherischen
Streitschriften« (gegen
Gottsched) verpflichtete, und in dessen
Sinn er ein episches Gedicht in drei
Gesängen: »Der geprüfte
Abraham« (Zürich
1753),
verfaßte. In anregendem
Verkehr mit
Breitinger,
Hirzel,
Sal.
Geßner,
Füßli,
Heß u. a. schrieb Wieland inZürich
um jene Zeit noch die
»Briefe von Verstorbenen an hinterlassene
Freunde« (Zürich
1753). Die plötzliche Nachricht, daß seine Geliebte
sich verehelicht, sowie ein längerer Aufenthalt in dem pietistisch gestimmten Grebelschen
Haus in Zürich
hielten ihn eine
Weile länger,
als es sonst geschehen sein würde, bei der seiner innersten
Natur ganz entgegengesetzten frommen
Richtung.
In seinen
»Hymnen« (Zürich
1754) und den
»Empfindungen eines
Christen« (das. 1755) sprach er zum letztenmal die
Sprache,
[* 14] die er seit
Klosterberge geredet, und erklärte sich mit besonderer Heftigkeit gegen alle erotische
Poesie.
Der nüchterne
Nicolai verglich schon damals WielandsMuse mit einer jungen
Schönen, welche die Betschwester
spielen will und sich ehestens in eine
Kokette verwandeln könne; auch
Lessing durchschaute die Hohlheit der seraphischen
SchwärmereiWielands.Bald genug vollzog sich in Wieland, besonders unter dem Einfluß der
Schriften des Lukian, Horaz,
Cervantes,
Shaftesbury,
d'Alembert,
Voltaire u. a., eine vollständige Umkehr von den eben bezeichneten
Bahnen.
Schon das
Trauerspiel
»LadyJohannaGray« (Zürich
1758) konnte
Lessing mit der Bemerkung begrüßen, Wieland habe »die ätherischen
Sphären verlassen und wandle wieder unter
Menschen«. In demselben Jahr entstand das epische
Fragment
»Cyrus« (Zürich
1759),
zu dem die
Thaten
Friedrichs d. Gr. die
Inspiration gegeben hatten, ferner das in Bern,
[* 15] wo Wieland 1759 eine Hauslehrerstelle
angetreten hatte, geschriebene
Trauerspiel
»Clementina von
Porretta« (das. 1760) und die dialogisierte
Episode aus der Kyropädie
des
Xenophon: »Araspes und Panthea«, welche
Dichtungen sämtlich nach Wielands spätern
¶
mehr
eignen Worten die »Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage« ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern
trat der Dichter
in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, JulieBondeli. 1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche
Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er
auf dem Schloß des GrafenStadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster
weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen
traf Wieland auch seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und
andern Personen, die sich in jenem hochgebildeten Kreis
[* 17] bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins »Weltliche«. Jetzt erst
trat seine schriftstellerische Thätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Litteratur
umfaßt. Um 1761 wurde der Roman »Agathon« (Frankf. 1766) begonnen, 1764 »Don Silvio von Rosalva, oder der
Sieg derNatur über die Schwärmerei« (Ulm
[* 18] 1764) vollendet; daneben hatte seit 1762 die Ausführung einer der verdienstlichsten
Arbeiten Wielands, seine Übertragung des Shakespeare(Zürich
1762-66, 8 Bde.),
»Die Grazien« (das. 1770) und »Der neue Amadis«
(das. 1771) betrat Wieland seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten
Anmut, welche im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand. Inzwischen hatte Wieland, der seit 1765 mit
einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge
gegeben. Seine Lehrthätigkeit, die er mit Eifer betrieb, that seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt
verfaßte er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel »Aurora«, die »Dialoge des Diogenes«
und den lehrhaften Roman »Der goldene Spiegel,
[* 19] oder die Könige von Scheschian« (Leipz. 1772), welcher ihm den Weg nach Weimar
bahnte. 1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar zur litterarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar.
Hier trat Wieland in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland,
[* 20] der schon bei seiner
Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u. a. in sich schloß, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst seine
höchste Weihe und Belebung erhielt. Wieland bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrats einen Gehalt von 1000 Thlr., welcher
ihm auch nach KarlAugusts Regierungsantritt als Pension verblieb. In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete
er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein litterarische Thätigkeit.
Mit dem Singspiel »Die Wahl des Herkules« und dem lyrischen Drama »Alceste« (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift
»Der teutsche Merkur«,
[* 21] deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen
Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Thätigkeit übte, die lange Zeit hindurch
sich auf fast alles, was für die litterarische Welt, vorzüglich die deutsche, von Bedeutung war, erstreckte (vgl. Burkhardt,
Repertorium zu
Wielands deutschem Merkur, Jena
[* 22] 1873). Wielands im »Merkur« abgedruckte »Briefe über Alceste«
(September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des erstern Farce »Götter, Helden und Wieland« hervor, auf welchen Angriff
Wieland mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete.
Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und ein dauerndes Freundschaftsverhältnis,
dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat.
Goethe gewann auch den stärksten Einfluß auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich
die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden
Breite
[* 23] und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde.
Die »Geschichte der Abderiten« (Leipz. 1781;
besprochen von Seuffert, Berl. 1878),
das romantische, farbenreiche Gedicht »Oberon« (Weim. 1781),
die prächtigen poetischen
Erzählungen: »Das Wintermärchen«, »Geron der Adelige«, »Schach Lolo«, »Pervonte« u. a.,
gesammelt in den »Auserlesenen Gedichten« (Jena 1784-87),
entstanden in den ersten Jahrzehnten zu Weimar. Dazu gesellten sich
die treffliche Bearbeitung von »Lukians sämtlichen Werken« (Leipz. 1788 bis
1789) und zahlreiche kleinere Schriften. Eine Gesamtausgabe seiner bis 1802 erschienenen Werke (1794-1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden),
welche Göschen in Leipzig
[* 24] verlegte, hatte Wieland in den Stand gesetzt, das Gut Osmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort lebte der Dichter
seit 1798 im Kreise
[* 25] seiner großen Familie (seine Gattin hatte ihm in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der
Tod seiner Gattin 1803 veranlaßte, seinen Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen, wo er
dem Kreis der Herzogin AnnaAmalia bis an deren Tod angehörte.
Indem Wieland bei Beginn seiner zweiten Periode zur Vorbildlichkeit der französischen Litteratur zurückkehrte und den Ehrgeiz
hegte, die der deutschen Litteratur völlig gleichgültig gegenüberstehenden höhern Stände durch eine
der französischen ähnliche graziöse Leichtigkeit und lebendige Anmut für die deutsche Litteratur zu gewinnen, leistete
er ebendieser Litteratur einen großen und entscheidenden, aber auch einen höchst bedenklichen Dienst. Er nahm einen guten
Teil der Leichtfertigkeit, der Üppigkeit und Oberflächlichkeit jener Musterlitteratur in die Produktionen seiner mittlern
Zeit herüber. Freilich verband sich diese herausfordernde Frivolität und spöttische Weltklugheit mit dem kräftigen Behagen
und dem unverwüstlichen Kern in seiner Natur, der selbst Schiller in einem Brief an Körner Wielands »Deutschheit« trotz alledem
und alledem betonen ließ. Und die
¶
mehr
außerordentliche Entwickelungsfähigkeit seines reichen Talents, der eigentümliche Aufschwung, den seine Dichtung noch in der
zweiten Hälfte seines Lebens nahm, hätten die stutzig machen sollen, welche von Wieland immer und überall nur als von einem
guten Kopf, ohne eigenstes poetisches Verdienst und tiefere Bedeutung, sprachen. Die mittelbare Nachwirkung Wielands brachte
der deutschen Litteratur eine Fülle seither nicht gekannter Anmut und Heiterkeit, die lebendigste Beweglichkeit
und gesteigerte Fähigkeit für alle Arten der Darstellung.
Die unmittelbare Nachwirkung, die sich an Wielands schwache Seiten, an die Lüsternheit, die gelegentliche Oberflächlichkeit
und Schnellproduktion des großen Schriftstellers, heftete, ließ eine sehr unkünstlerische und zum Teil unsittliche
Belletristik entstehen, die sich mit Recht und Unrecht auf Wieland berief und ihm wesentlich schadete. Die sämtlichen Werke Wielands
wurden herausgegeben von Gruber (Leipz. 1818-28, 53 Bde.;
neue Aufl., das. 1839-40 u. Stuttg.
1853, 36 Bde.) und bei Hempel (Berl.
1879, 40 Bde.); »Ausgewählte
Werke« von H. Kurz (Hildburgh. 1870, 3 Bde.),
Eine Biographie
des Dichters schrieb Gruber (»Christ. Martin Wieland«, Altenb. 1815-16, 2 Bde.;
neue Bearbeitung u. d. T.: »Chr. M. Wielands Leben«, Leipz. 1827-28, 4 Bde.);
eine neue quellenmäßige bearbeitet B. Seuffert in Würzburg.
[* 28]
Christoph Martin, Dichter, geb. zu Oberholzheim bei Biberach, erhielt von seinem Vater,
der damals Pfarrer daselbst, später in Biberach war, eine sorgfältige Erziehung. Im 12. Jahre versuchte er bereite sein
poet. Talent, bald in lat., bald in deutschen Versen. Im 14. Jahre kam er auf die Schule zu Kloster-Berge bei Magdeburg. Schon
hier traten seine Empfänglichkeit für die verschiedensten geistigen Gebiete, eine eigentümliche Vereinigung
dichterischer und philos.
Thätigkeit und Anmut der Darstellung hervor. Außer mit den alten Klassikern beschäftigte er sich mit engl. und franz.
Litteratur. 1749 verließ er Kloster-Berge, brachte nun anderthalb Jahre bei einem Verwandten in Erfurt zu, der ihn zur Universität
vorbereitete, und kehrte 1750 in seine Vaterstadt zurück, wo er eine schwärmerische Neigung zu Sophie
von Gutermann, der nachherigen Frau von La Roche (s. d.), faßte. Auf einem Spaziergange
mit ihr kam ihm die Idee zu seinem Lehrgedicht «Die Natur der Dinge» (anonym,
Halle 1752). Im Herbst 1750 begab sich Wieland nach Tübingen, um die Rechtswissenschaft zu studieren; doch
beschäftigte er sich mehr mit den humanistischen Wissenschaften und der neuern schönen Litteratur des In- und Auslandes,
und dichtete außer dem erwähnten Lehrgedicht «Zwölf moralische Briefe», «Anti-Ovid», «Lobgesang
auf den Frühling», «Erzählungen». In dieser Zeit wirkte besonders Klopstocks Vorbild auf ihn ein. Auf eine Einladung Bodmers,
dem er schon früher fünf Gesänge eines nie vollendeten und erst in den «Deutschen Litteraturdenkmalen
des 18. Jahrh.» (Heilbr. 1882) herausgegebenen Heldengedichts«Hermann» zugeschickt hatte, gab er den Plan auf, sich in Göttingen
[* 31] zu habilitieren, und ging nach Zürich.
Wieland schrieb hier zunächst eine Abhandlung von den Schönheiten des Bodmerschen Gedichts «Noah»,
sodann «Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde» (Zür. 1753),
«Der geprüfte Abraham», episches
Gedicht in vier Gesängen, wozu Bodmer als Triebfeder und Muster mitgewirkt hatte, «Hymnen», «Empfindungen eines Christen» u. s. w.,
alles Dichtungen, in denen sich exaltierte fromme Schwärmerei bereits mit blendender Darstellung und üppiger Phantasie paart.
Allmählich machte er sich aber von Bodmers Einfluß los, und seine Denk- und Dichtungsart ward schnell
eine ganz andere. Der lebhafte Anteil, den er an den Thaten Friedrichs d. Gr. nahm, veranlaßte ihn, das Ideal eines Helden
in einem größern Gedicht auszuführen, wozu er Cyrus wählte.
Die ersten fünf Gesänge dieses Gedichts erschienen 1759; allein der Beifall war mit Recht nur mäßig,
und so blieb es unvollendet. Fast zu derselben Zeit bearbeitete er die schöne Episode aus der «Kyropädie» des Xenophon, «Araspes
und Panthea» (Zür. 1761), in dialogisierter Prosa. Bodmers Haus hatte er schon 1754 verlassen. Er unterrichtete nun die Söhne
zweier Züricher Familien vier Jahre lang, worauf er kurze Zeit nach Bern
zum Landvogt Sinner als Hauslehrer
ging. In Zürich
hatte er 1758 sein erstes Trauerspiel (nach Rowe), «Johanna Gray», beendet, das die Ackermannsche Truppe an verschiedenen
Orten der Schweiz zur Aufführung brachte. In Bern
schrieb er sein
zweites Trauerspiel, «Clementina von Poretta» nach Richardsons
«Grandison». Er lernte dort Rousseaus Freundin, Julie Bondeli, kennen, mit der er in den herzlichsten
Beziehungen lebte, bis er 1760 in seine Vaterstadt als Kanzleidirektor zurückkehrte.
Das nahe Schloß Warthausen, wo seit 1762 der ehemalige kurmainzische Staatsminister Graf von Stadion mit seinem Schützling,
dem kurmainzischen Hofrat La Roche und dessen Gattin, W.s erster Geliebten, weilte, wurde für Wieland eine
Stätte geistiger Erhebung und feinen weltmännischen Verkehrs. Hier lernte er zuerst den Ton der vornehmen Welt und eine Geistesbildung
näher kennen, die hauptsächlich aus der franz. und engl. Litteratur
gewonnen war; hier fand er auch eine in beiden Litteraturen reiche Bibliothek.
Daneben gewannen die griech. Philosophen und Lucian Macht über seine Seele. Unter diesen Einflüssen
schrieb Wieland in Biberach nach dem Muster des «Don Quixote» den Roman «Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder die Abenteuer
des Don Sylvio de Rosalva» (Ulm 1764),
dessen elegante Ungeniertheit den vollständigen Umschwung in W.s
Geschmacksrichtung grell beleuchtete; ferner die besonders in ihrer ursprünglichen Form sehr anstößigen «Komischen
Erzählungen» (ohne Ort, 1765) und das heroisch-komische unvollendete Gedicht «Idris»
(Lpz. 1708),
eine in Sinnlichkeit getauchte Nachahmung von Ariosts «Rasendem Roland»; aber
auch die ganz vortreffliche «Geschichte des Agathons» (Frankf. 1766‒67),
den ersten modernen deutschen Bildungsroman, und
das durch Anmut, Leichtigkeit und Harmonie derDarstellung ausgezeichnete Lehrgedicht «Musarion oder die Philosophie der Grazien»
(Lpz. 1768 u. ö.). In Biberach verfaßte er auch seine Übersetzung von 22 StückenShakespeares («Shakespeares theatralische
Werke», 8 Bde., Zür. 1762‒66),
eine bei allen Mängeln für ihre Zeit höchst verdienstliche und einflußreiche Arbeit. 1760 folgte Wieland, der
sich 1765 mit Anna Dorothea von Hillenbrand aus Augsburg
[* 32] vermählt hatte, einem Rufe als Professor der Philosophie an die Universität
zu Erfurt, wo er bis 1772 blieb. In dieser Zeit erschienen von ihm die «Dialogen
des Diogenes von Sinope» (Lpz. 1770),
die durch RousseausSchriften hervorgerufenen «Beiträge zur geheimen
Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens, aus den Archiven der Natur» (2 Bde., ebd. 1770),
«Der goldene Spiegel oder
die Könige von Scheschian» (4 Bde., ebd. 1772),
worin er das Gemälde eines idealen Staates zu entwerfen suchte, das Lehrgedicht
«Die Grazien» (ebd. 1770),
die poet. Erzählung «Combabus» (2 Bde.,
ebd. 1770) und das komische Gedicht in 18 Gesängen «Der neue Amadis» (2 Bde., ebd. 1771).
Die Herzogin Anna Amalia berief ihn, durch seinen «GoldenenSpiegel» veranlaßt, 1772 als Erzieher ihrer beiden Söhne mit dem
Charakter eines herzogl. Hofrats nach Weimar. Hier schrieb Wieland das Singspiel «Alceste» (Lpz. 1773)
und gründete den «DeutschenMerkur», eine Monatsschrift, die er bis 1796 redigierte und worin nun alle seine neuen Dichtungen
und eine große Anzahl prosaischer Aufsätze, die nur mit Auswahl in seine Werke aufgenommen sind, erschienen (vgl. Burkhardt,
Repertorium zu W.s deutschem Merkur, Jena 1873), namentlich der prächtige komische Roman «Die Abderiten»
(1774; allein, u. d. T. «Geschichte der Abderiten», 2 Bde., neue Aufl.,
Lpz. 1781) und die Versnovellen «Das Wintermärchen»,
«Gandalin
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0702a
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0702b
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0702c
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0702d
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0702e
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0702f
¶
mehr
oder Liebe um Liebe" (1776),
«Geron der Adlige», «Das Sommermärchen»
(1777) u. a., vor allen aber sein bestes und berühmtestes Werk «Oberon»
(1780; Ausg. letzter Hand
[* 40] 1796; mit Einleitung und Anmerkungen hg. von R. Köhler, Lpz. 1868; vgl.
M. Koch, das Quellenverhältnis von W.s Oberon, Marb. 1880). 1782 und 1786 erschienen W.s
vortreffliche Übersetzungen und Erläuterungen der Episteln und Satiren des Horaz, 1788‒89 die der sämtlichen Werke des
Lucian. Letzterer Arbeit verdankten die «Neuen Göttergespräche» (Lpz. 1791) und die «Geheime Geschichte des Philosophen Peregrinus
Proteus» (2 Bde., ebd. 1791),
wozu der «Agathodämon» (ebd. 1799) ein Seitenstück bildet, ihre Entstehung.
Seit 1793 arbeitete Wieland mit großem Fleiß an der Revision seiner sämtlichen Werke, von denen
eine Gesamtausgabe in 36 Bänden in Großquart und eine in 39 Bänden in Oktav, mit je 6 Supplementbänden (Lpz. 1794‒1802)
erschien. In den neunziger Jahren übersetzte Wieland mehrere Komödien des Aristophanes, welche teils im «DeutschenMerkur», teils
in dem von ihm begründeten «Attischen Museum» erschienen.
Letztere Zeitschrift (1796‒1801),
mit der Fortsetzung «Neues attisches Museum» von Wieland, Hottinger und Jacobs (1802‒10),
sollte besonders Übersetzungen der Meisterwerke der attischen Poesie, Philosophie und Beredsamkeit liefern und wurde von Wieland mit
einer Übersetzung des «Panegyrikus» des Isokrates eröffnet. 1797 erwarb
sich Wieland das Gut Oßmannstedt bei Weimar, wo er bis 1803 im Kreise einer zahlreichen Familie (seine Gattin
hatte ihm in 20 Jahren 11 Kinder geboren) lebte. Hier schrieb Wieland seinen letzten größern Roman, «Aristipp und einige seiner
Zeitgenossen» (1800‒2). 1803 verkaufte er seinen Landsitz und zog wieder nach Weimar. In seinen letzten
Lebensjahren beschäftigte ihn vorzugsweise die Übersetzung und Erläuterung der BriefeCiceros, die er jedoch nicht vollenden
konnte (Bd. 1 bis 5, Zür. 1808‒12).
Er starb Seine Überreste ruhen in dem Garten
[* 41] seines ehemaligen Gutes Oßmannstedt. W.s erzenes Standbild von Gasser
ist zu Weimar enthüllt worden; ein anderes Denkmal (Marmorbüste von Scherer nach dem Entwurf
von Professor Dollinger) wurde in Biberach enthüllt.
Wieland gab der deutschen Dichtkunst, als sie sich zu tieferm, nationalem Gehalt erhob, die ihr noch fehlende Anmut und den Wohllaut
des Worten und des Verses. Er hat den Adel wieder nachhaltiger für deutsche Litteratur zu interessieren
gewußt. Die Entwicklung und künstlerische Darstellung zarterer Seelenvorgänge ist ihm zuerst gelungen. Außerdem hat er
durch seine Übersetzungen und Nachahmungen viele nachhaltige Richtungen zuerst angeregt. Ganz neu ging von ihm die dichterische
Behandlung des mittelalterlichen Rittertums aus. Aber auch aus Griechenland,
[* 42] England, Frankreich, Spanien
[* 43] und Italien
[* 44] hat er dichterische Stoffe eingeführt, die nicht ohne Nachwirkung geblieben sind. Endlich hat auch seine Kritik
viel zur Verbreitung allgemeiner Bildung beigetragen.
Ausgaben von W.s sämtlichen Werken besorgten Gruber (53 Bde.,
Lpz. 1818‒28; 36 Bde., Stuttg.
1853‒57) und Düntzer (40 Bde., Berl. 1867‒75);
eine Auswahl Heinr. Kurz (3 Bde.,
Lpz. 1869‒70), H. Pröhle (6 Bde.,
in Kürschners «Deutscher Nationallitteratur»),
Muncker (6 Bde., Stuttg. 1889).
–
Vgl. außer Grubers Biographie W.s (4 Bde., Lpz. 1827‒28):
W.s ausgewählte Briefe (4 Bde., Zür. 1815‒16),
Auswahl denkwürdiger
Briefe (2 Bde., Wien 1815), Briefe an Sophie La Roche ( Berl. 1820);
Hassencamp, NeueBriefe W.s, vornehmlich an Sophie La Roche (Stuttg. 1894);
Loebell, Christoph Martin Wieland (Braunschw. 1858);
Hirzel, Wieland und Martin
und Regula Künzli (ebd. 1891);
Weizsäcker, Die Bildnisse W.s (in den «Württemb. Vierteljahrsschriften»,
Bd. 2).
Auch sein Sohn Ludwig Wieland, geb. zu Weimar, erwarb sich als Schriftsteller einen geachteten Namen. Er studierte zu
Jena, lebte dann bei seiner Schwester in Zürich,
wo er mit H. von Kleist und Zschokke verkehrte; 1809 ward er Bibliothekar des Fürsten
Esterházy; seit 1811 wohnte er in Wien, Weimar und Jena als Redacteur polit. Zeitschriften und starb zu
Jena. Er dichtete im Wetteifer mit H. von Kleist das Trauerspiel «Die Familie Schroffenstein» (Zür.
1802),