Wiederkäuer
[* 1] (Ruminantia), früher eine besondere Ordnung der Säugetiere, jetzt eine Gruppe der paarzehigen Huftiere (s. d.) oder überhaupt nicht mehr als einheitlich anerkannt, sondern in kleinere selbständige Familien zerlegt. Die sie auszeichnenden Merkmale sind folgende: Die obern Schneidezähne und die Eckzähne werden zwar bei den Embryonen noch ausgebildet, fallen jedoch später aus;
im Unterkiefer bleiben sie zeitlebens bestehen.
Die Zahl der Backenzähne beträgt 20-28; sie sind durch eine weite Lücke von den Eckzähnen getrennt und haben platte Kronen [* 2] mit daraufstehenden halbmondförmigen Schmelzleisten; beim Kauen werden sie übereinander hin- und hergeschoben. Zehen und Hufe sind bei den lebenden Arten immer nur zu zwei vorhanden (daher Zweihufer), und zwar entsprechen sie der dritten und vierten Zehe; die zweite und fünfte sitzen meist als kleine Afterzehen daneben, ohne jedoch den Boden zu berühren; die erste ist gänzlich verschwunden.
Der
Magen
[* 3] (s. Abbild.) zerfällt in vier Abteilungen, nämlich den
Pansen oder
Wanst (rumen,
A), den
Netzmagen
oder die
Haube (reticulum oder ollula, B), den
Blättermagen oder
Psalter (omasus oder psalterium, C) und den
Labmagen (abomasus,
D).
Beim Fressen gelangt das
Futter zunächst in den
Pansen, von dort in den nach innen zu mit netzartigen Vorsprüngen versehenen
Netzmagen, wird hier erweicht und mittels einer Art
Erbrechen durch die
Speiseröhre in den
Mund zurückgeschafft;
hier wird es nun gründlich gekaut und geht dann nach Verschluß der
Verbindung der
Speiseröhre mit dem
Pansen direkt in
den
Blättermagen oder, wo dieser fehlt (wie bei den
Kamelen, Moschushirschen etc.), in den
Labmagen. In letzterm
findet die
Absonderung des verdauenden
Magensaftes statt. Bei jungen, noch säugenden
Tieren ist der
Pansen sehr klein, übertrifft
aber später den
Labmagen wohl um das Zehnfache. Der
Blättermagen hat seinen
Namen von den wie die
Blätter eines
Buches reihenweise
nebeneinander stehenden Falten der Schleimhaut. Der
Darmkanal ist wie bei allen Pflanzenfressern ungemein
lang und erreicht z. B. beim
Schafe
[* 4] fast die 30fache
Länge des
Körpers; auch der
Blinddarm ist lang und geräumig. -
Fast alle
Wiederkäuer
sind mittelgroße oder große
Tiere.
Ihre Haut [* 5] ist mit glattem oder gekräuseltem Haar [* 6] dicht bedeckt. Die Kiefer sind langgestreckt. Auf der breiten Stirn finden sich oft Hörner oder Geweihe [* 7] vor. Die Ohren sind aufgerichtet und groß, die Lippen zum Erfassen des Futters sehr beweglich. Die Beine sind hoch und bei manchen Arten von äußerster Schlankheit. Oberarm, resp. Oberschenkel sind kürzer als der folgende Abschnitt des Beins; die sehr rückgebildete Elle ist mit der Speiche fest verwachsen; dasselbe gilt von dem Waden- und Schienbein.
Die beiden
Knochen
[* 8] des Mittelfußes verschmelzen gleichfalls miteinander. Die lebenden Wiederkäuer
trennt
man in die
Familien der
Kamele,
[* 9] Zwergmoschustiere,
Moschustiere,
Hirsche,
[* 10]
Giraffen u.
Horntiere (s. d. und
Huftiere); zu ihnen kommen dann noch einige ausgestorbene
Formen aus der
Familie der
Selenodonten (s.
Huftiere) hinzu. Im übrigen stammen diese von andern
Gattungen
ab, die, soweit man aus dem
Bau des
Gebisses schließen kann, noch nicht wiederkäuten. Anderseits kennt man eine besondere,
gleichfalls ausgestorbene
Gruppe, die Oreodontiden aus
Amerika,
[* 11] welche gegenwärtig als wiederkäuende
Schweine
[* 12] aufgefaßt werden.
[* 1] ^[Abb.: Magen des Rindes (aufgeschnitten). A Wanst, a starke Züge der Muskelhaut (Pfeiler), b Papillen, c Schlundöffnung. BB Haube, aa Zellen, b Schlundrinne. CC Blättermagen, a Papillen, b Falte an der Laböffnung, cdef Blätter. D Labmagen, aa Blätter, b Pförtner, c Zwölffingerdarm.]