Titel
Westpreußen
,
[* 2] preuß.
Provinz (1824-78 mit
Ostpreußen zur
Provinz
Preußen
[* 3] verbunden), umfaßt mit Ausnahme der beiden
südwestlichen
Kreise
[* 4]
Deutsch-Krone und
Flatow, die zu der polnischen
Landschaft
Kujavien gehörten, nur Gebiete,
die längere oder kürzere Zeit dem
Deutschen
Ritterorden unterworfen waren, nämlich:
Pomerellen (das Kassubenland) auf der
linken,
Kulmer Land und
Pomesanien (nördlich von der
Ossa) auf der rechten Seite der
Weichsel. Westpreußen
grenzt im N. an die
Ostsee,
im O. an
Ostpreußen, im
S. an Rußland
(Polen) und die
Provinz
Posen,
[* 5] im
Westen an
Brandenburg
[* 6] und
Pommern
[* 7] und
umfaßt 25,508,74 qkm (463,26 QM.).
[Bodenbeschaffenheit. Klima.]
Die Provinz liegt im Norddeutschen Tiefland und wird von Westen nach O. von dem Norddeutschen Landrücken durchzogen, den die Weichsel in einem tiefen Thal [* 8] durchbricht, das von der südlichen Grenze bis zur Montauer Spitze, wo Weichsel und Nogat sich trennen, fast durchgehend 7-8 km breit ist, unterhalb aber sich zu dem Mündungsdelta der Weichsel, den Weichselwerdern, erweitert. Letztere haben einen außerordentlich fruchtbaren Boden; sie liegen sehr tief, an einigen Punkten im O. sogar unter dem Meeresspiegel, und werden gegen die Stromfluten durch große Dämme, gegen den Andrang des Meers aber durch die Dünen der Nehrung (der nördlichsten Niederung, welche von der Elbinger und Danziger Weichsel im S. begrenzt wird) geschützt. Im Westen von der Weichsel nähert sich der Landrücken der Ostsee. Den höchsten Teil desselben bildet hier die Platte von Karthaus (s. d.) mit dem 335 m hohen Turmberg, die sich im S. zu einer ¶
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weiten, 120-180 m hohen Ebene senkt, in welcher am Schwarzwasser und an der Brahe die 112 m lange Tuchelsche Heide sich befindet. Im O. von der Weichsel tritt der Landrücken gleichfalls in großer Breite [* 10] auf, indem er den ganzen Raum zwischen den Weichselwerdern und der untern Drewenz ausfüllt, mit einer durchschnittlichen Meereshöhe von 80-120 m. Mit dem Landrücken von Ostpreußen her in loser Verbindung stehen die Trunzer Berge bei Elbing, [* 11] bis 198 m hoch. Die Ostsee bildet an der Küste einen Meerbusen, die Danziger Bucht, von der die durch die Halbinsel Hela gebildete Putziger Wiek ein Teil ist.
Von dem Frischen Haff und der Frischen Nehrung gehört der südwestliche Teil hierher. Der Hauptfluß ist die Weichsel (s. d.), die an der Montauer Spitze sich in die Weichsel und Nogat, am Danziger Haupt in die Danziger und Elbinger Weichsel teilt. Auf der rechten Seite empfängt die Weichsel in der Provinz die Drewenz und die Ossa, auf der linken das Schwarzwasser, die Montau, die Ferse und die Mottlau mit der Radaune. Andre Flüsse [* 12] sind: die Liebe (Alte Nogat), welche in die Nogat, der Elbing, welcher in das Frische Haff mündet, die Rheda, welche in die Putziger Wiek fließt, die Leba und Stolpe, welche in Pommern zur Ostsee gehen, und endlich die Küddow, welche aus Pommern kommt und südwärts zur Netze (in Posen) strömt, sowie die Brahe, die in Posen in die Weichsel mündet.
Unter den Kanälen gehört der Elbing-Oberländische Kanal
[* 13] (s. d.) insofern hierher, als die beiden bedeutendsten Seen in seinem
Bereich (der Drausen- und Geserichsee) nach Westpreußen
hinüberreichen. Die Landseen sind zahlreich, aber weniger
groß als in Ostpreußen. Die bedeutendsten sind außer dem Drausen- und Geserichsee der Sorgensee unweit Riesenburg, der Zarnowitzer
See auf der pommerschen Grenze unweit der Ostsee, der Radaunesee und der kleine, aber schöne Mariensee auf der Platte von Karthaus,
der inselreiche Weitsee am Schwarzwasser, der Groß-Ziethener und der Müskendorfer See an der Brahe und der Groß-Böttinsee
westlich von Deutsch-Krone. Das Klima
[* 14] ist gesund, auf der Höhe des Landrückens aber rauh (Durchschnittstemperatur in Danzig
[* 15] 7,6, Hela 7,52, Schönberg auf der Platte von Karthaus 5,69, Konitz
[* 16] 6,65° C.). Die jährliche Regenmenge
beträgt etwa 50 cm.
[Bevölkerung, Nahrungszweige.]
Die Bevölkerung belief sich 1885 auf 1,408,229 Seelen gegen 1,405,898 im J. 1880. Unter den Einwohnern befanden sich 1885: 668,255 Evangelische, 701,842 Katholische, 13,438 sonstige Christen und 24,654 Juden. Die Mehrzahl sind Deutsche; [* 17] die Zahl der Einwohner polnischer Zunge beträgt aber immer noch über 400,000. Auf die Städte kamen 394,802, auf das platte Land 1,013,427 Einw. Auf 1 qkm kamen im Regierungsbezirk Danzig fast 73, im Regierungsbezirk Marienwerder [* 18] über 47 Einw. Von der Gesamtfläche der Provinz entfallen auf Ackerland, Gärten und Weinberge 54,7, auf Wiesen 6,5, auf Weiden 11, und auf Holzungen 21 Proz. In den Weichselwerdern, im Kreise Stuhm und im Kulmer Land findet vielfach Weizenbau statt, während sonst in der Provinz Roggen und Kartoffeln die Hauptfrüchte des Feldbaues sind.
Auch Garten- und Obstbau blühen in den Weichselwerdern; in der Umgegend von Danzig hat sich auch eine nicht unbedeutende Blumenzucht entwickelt. In den höher gelegenen Teilen der Werder, zwischen Marienburg [* 19] und Dirschau, [* 20] ist auch der Bau der Zuckerrübe eingeführt worden. Im größten Gegensatz zu den fruchtbaren Werdern stehen die Kreise Schlochau, Konitz, Berent und Karthaus, vorzüglich in den Teilen, die an Pommern stoßen. Die Waldungen (besonders Kiefern) sind an der Brahe und dem Schwarzwasser und im Kreis [* 21] Deutsch-Krone am bedeutendsten.
Nach der Viehzählung von 1883 hatte die Provinz 202,602 Pferde, [* 22] 454,834 Stück Rindvieh, 1,349,253 Schafe, [* 23] 369,803 Schweine [* 24] und 57,523 Ziegen. Die Pferdezucht, [* 25] gefördert durch das westpreußische Landgestüt zu Marienwerder, erreicht in den Weichselwerdern den höchsten Standpunkt im preußischen Staat (Kreis Marienburg 26 Pferde auf 1 qkm); außerdem ist dieselbe noch im Kreise Stuhm von Bedeutung. In diesen Gegenden blüht auch die Rindviehzucht. Für die Zucht der Schafe und namentlich der Merinos bilden die Kreise Graudenz, [* 26] Rosenberg und Kulm den Mittelpunkt.
Der Edelhirsch ist selten; häufiger sind Rehe, Hasen und Füchse. Wölfe finden sich noch in der Tuchelschen Heide. Von Wichtigkeit sind die Zucht des Geflügels und die Fischerei. [* 27] Aus dem Mineralreich gibt es Bernstein, [* 28] Torf, Thon, auch einige Braunkohlenlager. Die Hauptbeschäftigungen der Bevölkerung [* 29] sind: Landwirtschaft, die gewöhnlichen bürgerlichen Gewerbe, Handel, Schiffahrt und Schiffbau. Die Industrie ist nur in einigen Orten (Danzig, Elbing, Dirschau, Thorn) [* 30] von Bedeutung; daselbst gibt es auch einige größere Eisenwerke.
Ferner sind vorhanden: zahlreiche Sägemühlen, mehrere Glashütten, Bierbrauereien, Branntweinbrennereien etc. Die Leinweberei als Nebenbeschäftigung wird auf dem Land stark betrieben. Der Handel ist nur in den Seestädten Danzig und Elbing von Bedeutung. Die Reederei der Provinz zählte 1888: 90 Seeschiffe, fast sämtlich zu Danzig gehörig. Den Binnenverkehr unterstützen die schiffbaren Gewässer und Eisenbahnen. Von den letztern ist nur die Linie Marienburg-Mlawka Privatbahn, die andern sind Staatsbahnen. [* 31]
Von letztern sind am wichtigsten die Linien: Berlin-Schneidemühl, Schneidemühl-Dirschau, Dirschau-Seepothen, Posen-Neustettin,
Ruhnow-Konitz-Laskowitz-Jablonowo-Straßburg i. Westpreuße
n-Soldau, Thorn-Allenstein, Thorn-Marienburg, Bromberg-Dirschau, Hohenstein-Berent,
Dirschau-Danzig, Praust-Karthaus, Danzig-Stargard i. P. Für die geistige Bildung sorgen 13 Gymnasien, 4 Realgymnasien, 4 Progymnasien, 4 Realprogymnasien,
eine Landwirtschaftsschule, eine Handelsakademie, 6 Lehrerseminare, 4 Taubstummenanstalten, eine Blindenanstalt etc. Die Provinz,
deren Hauptstadt Danzig ist, wird in 2 Regierungsbezirke geteilt: Danzig mit 12 und Marienwerder mit 15 Greifen.
Für die Justiz besteht ein Oberlandesgericht zu Marienwerder mit den 5 Landgerichten zu Danzig, Elbing, Graudenz,
Konitz, Thorn. In Bromberg
[* 32] befinden sich eine Generalkommission und eine Eisenbahndirektion, in Danzig und Bromberg Oberpostdirektionen.
Militärisch gehört Westpreußen
mit der östlichen Weichselseite und Danzig zum Bezirk des 1., mit dem Rest zu dem des 2. Armeekorps.
In den deutschen Reichstag entsendet die Provinz 13, in das preußische Abgeordnetenhaus 22 Mitglieder.
Die Landesfarben der Provinz sind Schwarz, Weiß, Schwarz. S. Karte »Ost- und
[* 2] Westpreußen«
.
Über die älteste Geschichte Westpreußens
s. Ostpreußen, Geschichte, S. 543-545. Nachdem Westpreußen
durch den zweiten Frieden von
Thorn 1466 unter die Hoheit Polens gekommen, genossen die westpreußischen Stände, durch deren Verrat besonders
der Orden
[* 33] besiegt worden war, namentlich Danzig, zwar wichtige Privilegien; gleichwohl nahm die Polonisierung der Landbevölkerung
und des kleinen Adels schon im 16. Jahrh. bedeutend zu, ebenso wurde die Reformation vom flachen Land fern gehalten, und
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die im polnischen Reich zunehmende Anarchie machte sich auch in Westpreußen
geltend durch Verwahrlosung des Ackerbaues, der Straßen und
der Schulbildung. Nur die Städte bewahrten ihre deutsche Kultur und ihre Selbständigkeit, wenn auch mitunter rohe Gewaltthaten
Polens, wie das Thorner Blutbad (s. Thorn), vorfielen; Danzigs Handel kamen sogar die wirtschaftlichen Zustände
des polnischen Hinterlandes, das von Danzig rücksichtslos ausgebeutet ward, in gewissem Sinn zu gute.
Dennoch war das Land von seiner frühern Blüte
[* 35] unter der Ordensherrschaft gänzlich herabgekommen, als es 1772 durch die
erste polnische Teilung an Preußen fiel; nur Danzig und Thorn blieben damals polnisch, wurden zwar 1793 auch preußisch,
waren aber 1807-13 wieder von Westpreußen
getrennt. Westpreußen
ward von Friedrich d. Gr. in mehrere Kammerdepartements geteilt und in wenigen
Jahren durch Regulierung der Weichselniederung, Anpflanzungen und Errichtung von Schulen bedeutend gehoben. 1824 ward Westpreußen
mit
Ostpreußen zu Einer Provinz, dem Königreich Preußen, vereinigt und in zwei Regierungsbezirke geteilt.
Doch vermochte diese Vereinigung auch unter einem so trefflichen Oberpräsidenten wie v. Schön die durch
die lange Trennung bewirkten Gegensätze in politischer und wirtschaftlicher Beziehung nicht auszugleichen. Westpreußen
glaubte sich
stets hinter Ostpreußen, welches der führende Teil schien, zurückgesetzt und wünschte die Trennung, welche auch trotz
des Widerspruchs Ostpreußens durch Gesetz vom erfolgte und ins Leben trat.
Vgl. Pawlowski,
Die Provinz Westpreußen
in ihrer geschichtlichen etc. Entwickelung (Danz. 1878);
Schmitt, Die Provinz Westpreußen
(Thorn 1879);
Lohmeyer, Geschichte
von Ost- und Westpreußen
(2. Aufl., Gotha
[* 36] 1884).