Welle
nbewegung
[* 1]
(Undulation) nennt man die
Fortpflanzung einer schwingenden
Bewegung von Teilchen zu Teilchen, wobei jedes
in der Fortpflanzungsrichtung folgende Teilchen seine
Schwingung
[* 2] etwas später beginnt als das vorhergehende. Ein anschauliches
Bild von den Vorgängen bei der Welle
nbewegung bietet ein wogendes Ährenfeld. Jede
Ähre wird von dem
Wind hinabgebogen,
richtet sich aber vermöge der
Elastizität des
Halms wieder empor, biegt sich wieder hinab etc. und vollführt in dieser
Weise
regelmäß sich wiederholende
Bewegungen oder
Schwingungen.
Die folgenden
Ähren werden durch den Windstoß, der die erste zu schwingen zwang, um so später in
Schwingungen versetzt,
je weiter sie in der
Reihe der
Ähren von der ersten entfernt sind. Infolge der regelmäßigen Abwechselung
von niedergebogenen und wieder aufgerichteten Ährenreihen zeigt die Oberfläche des
Feldes in jedem
Augenblick die Form von
abwechselnden Vertiefungen und
Erhöhungen; diese Welle
nform sehen wir mit der
Geschwindigkeit des
Windes das
Feld entlang eilen,
während jede
Ähre, an ihrem
Ort festgewurzelt, ihre schwingende
Bewegung macht.
Wirft man einen Stein in ein ruhig stehendes Gewässer, so wird das an dieser Stelle hinabgedrückte Wasser durch den Druck des umgebenden Wassers wieder emporzusteigen genötigt, kommt aber, nachdem es den ursprünglichen Wasserspiegel erreicht hat, hier nicht plötzlich zur Ruhe, sondern setzt seine Bewegung nach aufwärts fort, bis die entgegenwirkende Schwerkraft es wieder zum Herabsinken zwingt; so vollführt das durch den Stein zuerst aus seiner Ruhelage gebrachte Wasserteilchen eine Reihe auf- und abwärts gehender Schwingungen. Es kann aber das Gleichgewicht [* 3] des Wasserspiegels nicht an einer Stelle gestört werden, ohne daß sich die Störung wegen der allseitigen Fortpflanzung des Wasserdrucks auch auf die ringsum benachbarten Wasserteilchen überträgt und diese veranlaßt, in gleichem Takt wie das zuerst gestörte Teilchen auf- und abzuschwingen, wobei jedes weiter entfernte Teilchen seine schwingende Bewegung etwas später beginnt als das ihm unmittelbar vorhergehende.
Jede
Hebung
[* 4] des zuerst gestörten Teilchens gibt zu einer
Hebung der rings benachbarten Teilchen
Anlaß,
welche, indem sie nach allen
Richtungen fortschreitet, einen ringförmigen
Wall um den Erregungsmittelpunkt bildet; die darauf
folgende
Senkung erzeugt ebenso eine kreisförmige Rinne, welche als Welle
nthal dem vorausgegangenen Wellenberg unmittelbar
sich anschließt. Während also das zuerst erregte Teilchen eine ganze aus
Hebung und
Senkung bestehende
Schwingung vollendet, erzeugt es eine vollständige aus Welle
nberg und Wellenthal gebildete
Welle, und indem es fortfährt
zu schwingen, scheinen aus ihm immer neue Welle
nringe hervorzuwachsen, welche sich erweiternd mit gleichförmiger
Geschwindigkeit
nach außenhin fortschreiten. Es ist aber nur die Gestalt der Wasserfläche, welche fortschreitet, nicht aber
das
Wasser selbst; die Wasserteilchen verlassen dabei ebensowenig ihren
Ort als die
Halme eines wogenden Ährenfeldes, sondern
schwanken nur auf und ab, wie man an einem auf dem
Wasser schwimmenden kleinen Holzstückchen, das diese schwingende
Bewegung
mitmacht, leicht beobachten kann. Die Gesamtheit aller von demselben Erregungspunkt ausgehenden Welle
nringe bildet ein
Welle
nsystem. Jede vom
Mittelpunkt des Wellensystems auf der wagerecht gedachten Wasserfläche gezogene
Gerade heißt ein Wellenstrahl.
Alle Wasserteilchen, welche im Ruhezustand auf dieser
Geraden (A B,
[* 1]
Fig. 1) lagen, befinden sich während der Wellenbewegung
teils darüber,
teils darunter, je nachdem sie augenblicklich einem Wellenberg oder einem Wellenthal angehören, und bilden
daher in ihrer Aufeinanderfolge eine auf- und abgewundene Wellenlinie.
Eine Strecke auf dem Strahl, welche von einer vollständigen Welle, nämlich einem Wellenberg und einem Wellenthal, eingenommen wird, nennt man eine Wellenlänge. Betrachten wir die beiden Teilchen, welche augenblicklich die Gipfel zweier aufeinander folgender Wellenberge einnehmen, so finden wir beide gerade im Begriff, aus dieser ihrer höchsten Lage nach abwärts zu gehen; diese beiden Teilchen, welche offenbar um eine ganze Wellenlänge voneinander abstehen, befinden sich also in dem nämlichen Schwingungszustand.
Dasselbe gilt überhaupt von je zwei Teilchen, welche um eine oder mehrere ganze Wellenlängen voneinander entfernt sind, ihre Bewegungen erfolgen in völliger Übereinstimmung. Nehmen wir dagegen zwei Teilchen, welche um eine halbe Wellenlänge voneinander abstehen, von denen z. B. das eine auf dem Gipfel eines Wellenbergs, das andre in der Tiefe des benachbarten Wellenthals liegt, so sind dieselben in gerade entgegengesetzten Schwingungszuständen. Während nämlich jenes aus seiner höchsten Lage nach abwärts zu gehen beginnt, ist dieses im Begriff, aus seiner tiefsten Lage nach aufwärts zu gehen. Überhaupt sieht man ein, daß die Bewegungen zweier
[* 1] ^[Abb.: Fig. 1. Wellenstrahl.] ¶
mehr
Teilchen, deren Abstand voneinander eine halbe Wellenlänge oder ein ungerades Vielfaches einer halben Wellenlänge beträgt, zu einander in vollkommenem Gegensatz stehen.
Wirft man zwei Steine in einiger Entfernung voneinander in ruhiges Wasser, so entstehen zwei Wellensysteme, welche bei ihrer
weitern Ausbreitung sich durchkreuzen; wo dies geschieht, sehen wir die Oberfläche von einem zierlichen
Netzwerk
[* 6] kleiner Erhöhungen und Vertiefungen bedeckt, welche durch das Zusammenwirken oder durch die Interferenz der beiden
Wellensysteme entstehen. An allen Stellen nämlich, wo zwei Wellenberge zusammentreffen, erhebt sich das Wasser zu doppelter
Höhe, und wo zwei Wellenthäler sich durchkreuzen, senkt es sich zu doppelter Tiefe. An jenen Stellen
dagegen, wo ein Wellenberg mit einem Wellenthal zusammentrifft, wird das Wasser auf seine ursprüngliche Höhe, die es im Ruhezustand
einnimmt, zurückgeführt, d. h. hier heben sich die beiden Wellenbewe
gungen gegenseitig auf.
Überhaupt erleidet in einem Mittel, welches von zweien oder beliebig vielen, gleichen oder ungleichen Wellensystemen bewegt wird, jedes Teilchen eine Verschiebung, welche die Summe ist aus allen ihm durch die einzelnen Wellensysteme in dem nämlichen Augenblick mitgeteilten Verschiebungen. Um diese Summe zu bilden, muß man alle Hebungen zusammenzählen, alle Senkungen abziehen; die wirklich stattfindende Bewegung des Teilchens ist sozusagen die Bilanz aus allen auf dasselbe einwirkenden Teilbewegungen.
Man nennt diesen Satz das Prinzip der Übereinanderlagerung (Superposition) der Schwingungen, weil er in der That nichts andres aussagt, als daß jedes Wellensystem sich genau so über eine bereits von Wellen [* 7] bewegte Oberfläche legt, wie es sich, wenn es allein vorhanden wäre, über die ruhende Oberfläche gelegt haben würde. Jedes Wellensystem bildet sich aus und behauptet sein besonderes Dasein im Durcheinanderwogen mit den andern und schreitet, nachdem es diese durchkreuzt und mit ihnen zusammengewirkt (interferiert) hat, auf der noch ruhigen Wasserfläche weiter, als ob es nie eine Störung erlitten hätte. Wir sehen z. B. die von den fallenden Regentropfen erregten zarten Wellenringe auf den großen, durch ein Dampfboot aufgewühlten Wogen ebensogut zu stande kommen wie im ruhigen See; wir sehen, wie diese Wogen, wenn sie eine vom Wind gekräuselte Stelle durchsetzen, die kleinen Kräuselwellen auf ihren Rücken nehmen, jenseits aber, die gekräuselte Fläche gleichsam unberührt zurücklassend, in ihrer ursprünglichen Gestalt weiterschreiten.
Während eine Wellenbewegung
sich durch irgend ein Mittel fortpflanzt, ahmt jedes Teilchen die schwingende Bewegung
des ursprünglich erregten Teilchens nach. Da nun jedes Teilchen zu den ihm benachbarten in derselben Beziehung steht wie
das erste Teilchen zu seinen Nachbarteilchen, so muß es auf seine Umgebung genau die nämliche Wirkung hervorbringen wie
das zuerst erregte, also ebensogut wie dieses der Ausgangspunkt eines Wellensystems sein. Die unzählig
vielen gleichzeitig vorhandenen Teilwellensysteme, welche von sämtlichen in Bewegung befindlichen Teilchen ausgehen, bringen
aber durch ihr Zusammenwirken (ihre Übereinanderlagerung) genau das Hauptwellensystem hervor, welches, rings um den Erregungsmittelpunkt
sich ausbreitend, thatsächlich vorhanden ist.
Dieser wichtige Satz, welchen man das Huygenssche Prinzip nennt, enthüllt den wahren Vorgang bei der Fortpflanzung der Wellen in einem allseitig ausgebreiteten Mittel, indem er den gegenseitigen Wirkungen der Teilchen, welche rings um jedes Teilchen in gleicher Weise stattfinden, gebührende Rechnung trägt. In einem solchen Mittel kann eine Fortpflanzung der schwingenden Bewegung längs einer einzigen geraden Linie offenbar nicht stattfinden; immer wird es sich um die Fortpflanzung einer Welle oder eines Wellenstücks handeln. Zu jedem Wellenstück aber, wie klein man sich dasselbe auch vorstellen mag, gehören unzählig viele Strahlen, welche zusammen ein Strahlenbündel ausmachen.
In der Natur kommen niemals vereinzelte Strahlen, sondern nur Strahlenbündel vor. Da in einem nach allen Richtungen gleich beschaffenen Mittel die Wellen, z. B. die Schallwellen in der Luft, sich um den Erregungsmittelpunkt als Kugelschalen ausbreiten, so steht jeder Strahl als Kugelhalbmesser auf dem zugehörigen Wellenstückchen senkrecht. Denkt man sich dieses Wellenstückchen sehr klein oder sehr weit vom Erregungspunkt entfernt, so können die auf ihm senkrechten Strahlen als unter sich parallel und das Wellenstückchen selbst als eine ebene Fläche betrachtet werden. Überhaupt gehört zu einem Bündel paralleler Strahlen stets eine ebene Welle, welche zur Richtung der Strahlen senkrecht steht.
Sehen [* 8] wir nun zu, was geschieht, wenn ein Bündel paralleler Strahlen a m a'' k auf eine ebene Wand m k, z. B. auf die ebene Trennungsfläche zweier verschiedenartiger Mittel, trifft [* 5] (Fig. 2). Indem die zu dem Strahlenbündel gehörige ebene Welle m n gegen die Wand fortschreitet, setzt sie nach und nach die an der Wand liegenden Teilchen m, m', k in schwingende Bewegung, und jedes derselben entsendet (dem Huygensschen Prinzip gemäß) sein eignes Wellensystem in das erste Mittel zurück.
In dem Augenblick, in welchem der Punkt k der Fläche von der einfallenden Welle erreicht wird, hat der zuerst getroffene Punkt m eine kreis- oder kugelförmige Teilwelle hervorgerufen, welche sich rings um m ebenso weit ausgebreitet hat, als die Hauptwelle mittlerweile fortgeschritten ist, deren Halbmesser m o sonach gleich der Strecke n k ist. Die zwischen m und k gelegenen Punkte haben inzwischen ebenfalls Teilwellen (Elementarwellen) erzeugt, deren Halbmesser um so kleiner sind, je näher sie dem augenblicklich noch in Ruhe befindlichen Punkt k liegen, der Punkt m' z. B. eine Welle, deren Halbmesser m' o' gleich k n' ist.
Die gemeinschaftliche Berührungslinie k o sämtlicher Teilwellen, an welcher alle Bewegungen mit gleichen Schwingungszuständen eintreffen, stellt nun wieder eine Hauptwelle dar, welche von der Trennungsfläche in das erste Mittel zurückgeht oder, wie man sagt, an dieser Fläche zurückgeworfen wurde. Wie man sieht, ist die zurückgeworfene Welle k o gegen die zurückwerfende Fläche m k unter dem nämlichen Winkel [* 9] geneigt wie die einfallende. Das zugehörige zurückgeworfene Strahlenbündel m l k r, dessen Strahlen m l, m' s, k r zu der Welle k o senkrecht stehen, bildet mithin ebenfalls mit der Fläche m k und folglich auch mit einer auf ihr errichteten Senkrechten, dem Einfallslot, den nämlichen Winkel wie das einfallende Strahlenbündel.
Von den durch die ankommende Welle erschütterten Punkten der Trennungsfläche aus müssen aber
[* 5] ^[Abb.: Fig. 2. Erklärung der Zurückwerfung.] ¶
mehr
auch Wellen in dem zweiten Mittel erregt werden, welche sich jedoch mit einer andern Geschwindigkeit fortpflanzen als im ersten Mittel. Die von dem Punkt a [* 10] (Fig. 3), welcher von der auf M N einfallenden Welle a b zuerst getroffen wird, ausgehende Teilwelle wird daher in dem Augenblick, in welchem die einfallende Welle den Punkt b' erreicht, einen Halbmesser a e besitzen, welcher zu der gleichzeitig im ersten Mittel zurückgelegten Strecke b b' in demselben Verhältnis steht wie die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im zweiten zu derjenigen im ersten Mittel. Da die von b' aus an diese erste Teilwelle gezogene Berührungslinie b' c auch alle übrigen bis jetzt gebildeten Teilwellen berührt und sonach ihre Bewegungen zusammenfaßt, so stellt sie die ins zweite Mittel eindringende Hauptwelle vor.
Wie man sieht, hat die Welle beim Übertritt in das andre Mittel eine Schwenkung gemacht; ihre Fronte rückt in andrer Richtung vor als diejenige der einfallenden Welle. Das zu ihr gehörige Strahlenbündel a E b' F bildet daher mit dem Einfallslot l a l' einen andern Winkel als das einfallende Strahlenbündel, es hat, wie man sagt, eine Brechung [* 11] erlitten. Wenn, wie in der [* 10] Figur, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im zweiten Mittel kleiner ist als im ersten, so ist der Brechungswinkel r kleiner als der Einfallswinkel i, das Strahlenbündel wird durch die Brechung dem Lot genähert oder zum Lot gebrochen. Das Verhältnis der Fortpflanzungsgeschwindigkeiten im ersten u. zweiten Mittel, d. h. das Verhältnis der Strecken b b' und a e, heißt der Brechungsindex (vgl. Brechung, S. 375).
Vgl. Ernst Heinrich und Eduard Wilhelm Weber, Wellenlehre, auf Experimente gegründet (Lpz. 1825);
Emy, Bewegung der Wellen (deutsch von Wiesenfeld, Wien [* 12] 1839).