Weinsäure
,
Dioxybernsteinsäure, Bezeichnung für mehrere organische Säuren von der Zusammensetzung C4H6O6
= COOH ‧ CHOH ‧ CHOH ‧ COOH. Es sind vier isomere Säuren bekannt, denen allen dieselbe Formel zukommt. Diese sind:
die gewöhnliche Weinsäure
oder Rechtsweinsäure, die Linksweinsäure oder Antiweinsäure, die
Traubensäure und die inaktive Weinsäure
, Paraweinsäure
oder
Mesoweinsäure. Die beiden ersten Säuren sind sich sehr ähnlich und drehen die Polarisationsebene
des Lichts gleich stark, aber in entgegengesetzter
Richtung.
Die Traubensäure besteht aus einer Verbindung beider, ist daher optisch inaktiv, kann aber in die beiden entgegengesetzten Modifikationen gespalten werden. Die letzte Säure ist gleichfalls optisch inaktiv, kann aber nicht in verschiedene Säuren zerlegt werden und wird durch Erhitzen mit Wasser in Traubensäure verwandelt. Der Grund dieser Isomerieverschiedenheiten liegt nach Le [* 2] Bel und van 't Hoff in der Anwesenheit zweier asymmetrischer Kohlenstoffatome (s. Asymmetrisches Kohlenstoffatom). [* 3]
Die gewöhnliche Weinsäure
oder Rechtsweinsäure, auch
Weinsteinsäure genannt
(Acidum tartaricum), findet sich neben der
Traubensäure
häufig im
Pflanzenreich, und insbesondere im Traubensaft, aus dem sie sich bei der Gärung als saures
weinsaures Kalium
(Weinstein) ausscheidet. Zur
Darstellung der Weinsäure
dient außer dem
Weinstein noch die
Weinhefe. Man führt deren
Weinsäure
in unlöslichen weinsauren Kalk über, zerlegt diesen durch Schwefelsäure
[* 4] in
Gips
[* 5] und
in freie Weinsäure
, deren Lösung durch
Eindampfen und Krystallisierenlassen in krystallisierte Weinsäure
übergeführt wird.
Die Weinsäure
krystallisiert in weißen, harten, monoklinen Prismen, ist in Wasser leicht löslich, schwerer in
Alkohol, nicht in
Äther. Die Lösungen drehen die Polarisationsebene des Lichts nach rechts und schmecken stark sauer. Der Schmelzpunkt
der Weinsäure
liegt bei 170°, wobei sie in ein
Anhydrid übergebt. Bei höherm Erhitzen verkohlt sie unter
Verbreitung
eines charakteristischen
Geruchs und unter
Bildung von
Brenztraubensäure und
Brenzweinsäure. Durch
Oxydation wird sie in
Kohlensäure
und
Ameisensäure übergeführt.
Man verwendet die Weinsäure
, außer zu
Brausepulver und moussierenden Getränken, in der
Technik in größten Mengen zu
Back- und
Hefenpulver,
ferner in der Färberei und Zeugdruckerei als Ätzbeize. Im
Großhandel kosten (1895) 100 kg 240 M. Mit
den
Basen bildet die Weinsäure
die weinsauren
Salze oder
Tartrate, die sich zum großen
Teil durch ihr Krystallisationsvermögen auszeichnen.
Das Kaliumtartrat oder neutrale Kaliumsalz, C4H4O6K2+½H2O bildet monokline, in Wasser leicht lösliche Prismen.
Das Kaliumbitartrat, das saure Kaliumsalz, der Weinstein (s. d.), C4H5O6K, ist in Wasser sehr schwer löslich. Kaliumnatriumtartrat, C4H4O6KNa+4H2O, das Seignette- oder Rochellesalz (Sal polychrestum Seignetti, Tartarus natronatus), wird durch Sättigen von Weinstein mit Soda erhalten und bildet große, rhombische Krystalle. Calciumtartrat, C4H4O6Ca+4H2O, ist ein in Wasser unlösliches Pulver. Es löst sich in Natronlauge, wird aber daraus beim Kochen als Gallerte wieder gefällt. Essigweinsaure Thonerde ist ein Doppelsalz, das als ungiftiges, sicher wirkendes Adstringens und Antiseptikum verwendet wird. Der Brechweinstein (s. d.) ist Kaliumantimonyltartrat, C4H4O6(SbO)K+½H2O.
Die Linksweinsäure
oder Antiweinsäure stimmt ihren Eigenschaften nach vollkommen mit der Rechtsweinsäure überein und
zeigt nur das entgegengesetzte Drehungsvermögen. Man erhält sie aus der
Traubensäure, deren Natrium-Ammoniumsalz beim
Auskrystallisieren aus Lösungen unter 28° sich in
Krystalle des rechts- und linksweinsauren
Salzes trennt. Die
Krystalle zeigen
hemiëdrische
Flächen, die bei den beiden
Salzen entgegengesetzte
Lage, wie bei Spiegelbildern, haben. Es ist hierdurch möglich,
die
Krystalle des rechtsdrehenden
Salzes von denen des linksdrehenden zu unterscheiden und durch Aussuchen zu trennen.
Die
Traubensäure, C4H6O6+H2O
(Acidum racemicum), kommt in geringen Mengen als saures Kaliumsalz im
Weinstein vor
und wird bei der Fabrikation der Weinsäure
aus den letzten
Mutterlaugen gewonnen. Sie kann auch auf synthetischem Wege erhalten werden,
so bei der
Oxydation von Fumarsäure durch Kaliumpermanganat, und bildet sich unter Erwärmung, wenn man
Lösungen von
Rechts- und Linksweinsäure
vermengt. Von der gewöhnlichen Weinsäure unterscheidet sie sich dadurch, daß ihre
Krystalle rhombisch sind,
Krystallwasser enthalten und an der
¶
mehr
Luft verwittern. Sie ist ferner weniger leicht löslich in Wasser, vermag in freiem Zustande Chlorcalciumlösung zu fällen
und ist optisch inaktiv. Auch in dem Krystallwassergehalt und der Löslichkeit der Salze (Racemate) zeigen sich Verschiedenheiten.
Die Spaltung der Traubensäure durch das Natrium-Ammoniumsalz ist oben bei der Linksweinsäure
erwähnt worden. Auch durch
das Cinchoninsalz wird die Spaltung erreicht. Ferner wird bei der Aussaat von Schimmelpilz (Penicillium glaucum Link) in Traubensäurelösungen
die Rechtsweinsäure zerstört, während Linksweinsäure übrigbleibt. Beim Erhitzen auf 170° wird die Traubensäure zum Teil
in die inaktive Weinsäure umgewandelt, während umgekehrt die letztere beim Erhitzen zum Teil in Traubensäure übergeht. Wasserfreie
Traubensäure schmilzt bei 206°.
Die inaktive Weinsäure, Mesoweinsäure oder Paraweinsäure entsteht durch Oxydation von Sorbin und Erythrit, durch Oxydation von Maleïnsäure und beim Erhitzen von gewöhnlicher Weinsäure mit Wasser auf 170°. Sie bildet verwitternde rechtwinklige Tafeln, die bei 143° schmelzen. Sie ist optisch inaktiv, kann aber nicht in die aktiven Weinsäure zerlegt werden. Das saure Kaliumsalz dieser Säure ist in Wasser leicht löslich. Praktische Bedeutung besitzt von allen Isomeren nur die Rechtsweinsäure. -
Vgl. Rasch, Die Fabrikation der Weinsäure (Berl. 1897).