Weinbau
,
der im großen betriebene Anbau des
Weinstocks (s.
Wein). Er geschieht zur Gewinnung von Tafeltrauben
in Gärten, zur Erzeugung von
Wein in
Weinbergen. Eine durchschnittliche Jahrestemperatur von 12 bis 18° C., wie sie häufig
als
Bedingung des Weinbau
angesehen wird, kann nicht als Maßstab
[* 2] dienen, da es hauptsächlich auf die Wärmemenge
im
Sommer und auf die Verteilung derselben über die einzelnen
Monate ankommt. Fehlen von Frühjahrsfrosten,
trockne Witterung zur Blütezeit und hohe Wärme
[* 3] nach derselben sind ausschlaggebend.
Feuchter und undurchlässiger Boden sollte ausgeschlossen sein. Die geeignetsten Bodenarten sind verwitterter Thonschiefer, Sandboden, verwitterter Porphyr und Granit und besonders in Deutschland [* 4] Kalkboden, die einen süßen Wein erzeugen sollen. Kali, Kalk, Phosphorsäure und Eisenoxyd müssen in gutem Weinboden reichlich enthalten sein. Am empfehlenswertesten ist die Anpflanzung in umgesetzten Reihen, mit einer Pflanzenweite von 1,75 bis 2 m, in der gemäßigten Zone auch weniger.
Die in südl. Ländern beliebte gemischte Anlage, wobei die Rebstöcke in bunter Abwechselung mit Oliven, Korkeichen u. s. w. stehen, ist durchaus verwerflich. Als Pflänzlinge können Sämlinge, Schnittlinge und Absenker benutzt werden, die ihrerseits wieder veredelt werden können. Bei Anwendung von Sämlingen hat der Weinpflanzer einen Zeitverlust von mindestens einem Jahre; deshalb wird diese Art der Fortpflanzung fast nur angewandt, um durch Kreuzungen neue Spielarten zu erhalten.
Weitaus vorherrschend ist die Fortpflanzung durch Schnittlinge (Setzlinge, Steckholz, Blindholz, Blindrebe), sie ist bei der europ. Rebe sehr leicht, billig, rasch und bewahrt die Eigenschaften der Mutterpflanze. Für Spielarten, die sich schwer bewurzeln, oder wo nur wertvolle oder wenige Mutterpflanzen zur Verfügung stehen, eignet sich die Fortpflanzung durch Absenker (Ableger oder Fechser), wobei die Rebe sich bewurzelt, bevor sie von der Mutterpflanze getrennt wird. Nachteile sind große Umständlichkeit und größeres Raumbedürfnis. Die Veredelung kann im Weinberge selbst oder besser in der Werkstätte geschehen (s. Veredelung). Am gebräuchlichsten ist das Spaltpfropfen. Um die ¶
mehr
Berührungsflächen zu vergrößern und so die Verwachsung zu erleichtern, wird das englische Spaltpfropfen und das Champinpfropfen angewandt, wobei an Unterlage und Edelreis je eine beim Champinpfropfen längere Zunge geschnitten wird, die beide ineinander passen, denselben Zweck verfolgt das umständliche dreispaltige Pfropfen. [* 6] Zur exakten Herstellung der Schnitte bei den letztern drei Pfropfarten wurden in Frankreich eigene Pfropfmaschinen erfunden, von denen die Petitsche am verbreitetsten ist.
Als bester Zeitpunkt wird der Beginn des Saftflusses, am Rhein z. B. der Mai gewählt. Als Verbandmaterial hat sich Raffiafaser und Baumwachs oder Kautschukpapier am besten bewährt. Der wichtigste Teil der auf die Veredelung folgenden Pflege des Rebstockes ist die Beschneidung. Sie kann während der ganzenWachstumsperiode, also bis die Reben anfangen zu «weinen», erfolgen, außer bei sehr kalter Witterung. Da der Rebstock seine Früchte an Reben trägt, die aus Augen an Reben des vorhergehenden Jahres hervorgegangen sind, müssen von den letztern mehrere geschont werden.
Besitzt der verbleibende «Sporn» drei oder weniger Augen, so spricht man von kurzer, im andern Falle von langer Beschneidung. Die meisten Spielarten der europ. Rebe müssen kurz beschnitten werden, während z. B. fast alle Sorten von Vitis aestivalis Mchx. lange Beschneidung erfordern. Als Tragreben wählt man gesunde, gut ausgereifte Reben von mittlerer Stärke. [* 7] Die Form des Rebstockes ist sehr verschieden. In Gärten wird der Rebstock durch mehrfachen kurzen Rückschnitt der Leitzweige in Fächerform gezogen, oder man formiert ihn als Spalier und an Mauern in Herzstammform (s. Tafel: Obstbaumformen, [* 5] Fig. 20) oder in Thomeryform;
die seitlichen Reben der beiden letzten Formen werden alljährlich im Herbst auf zwei bis vier Augen zurückgeschnitten und stets wieder auf den untersten Trieb verjüngt;
es ist dieser sog. Zapfenschnitt, welcher vorzügliche Trauben liefert;
die Herzstammform wird auf 1 m Entfernung gepflanzt;
den Thomeryformen giebt man eine Armlänge von 1½ bis 2 m;
der senkrechte Abstand zwischen zwei Armen beträgt 50 cm. Die Fruchtreben, welche die 4-10 Leitzweige der Fächerform tragen, schneidet man abwechselnd kurz (auf 1 Auge) [* 8] und lang (auf 10-20 Augen);
die letztern tragen Früchte und werden nach der Ernte [* 9] auf 1 Auge wieder zurückgeschnitten, die erstern geben die fruchttragenden Neben für das nächste Jahr. Im Weinberg erzieht man den Wein niedrig an Pfählen (Weinbergschnitt, [* 5] Fig. 19), Guirlanden und Strecken, als Vertikal- und Schlangencordon [* 5] (Fig. 21), einfache und doppelte Bogenrebe [* 5] (Fig. 22 u. 18), oder in Lauben namentlich im Süden, auch an hohen Wänden und Bäumen.
Die Behandlung des Fruchtholzes ist auch entweder reiner Zapfenschnitt oder Schnitt auf Zapfen [* 10] und Fruchtrebe. Für die wärmern Gegenden des Anbaugebietes, die frei von Rauhfrost sind, sind am passendsten und am gebräuchlichsten die Becher- und Chaintreform, letztere eine wagerechte Spalierform.
Zur weitern Pflege gehört die Bodenbearbeitung. In der gemäßigten Zone muß der Boden mindestens dreimal bearbeitet werden, am besten mittels Pflug, [* 11] Kultivator und Egge, [* 12] steiler Boden mit Spaten; es giebt eine große Menge Wingertpflüge. Als Düngemittel wird in Deutschland fast ausschließlich Stallmist verwandt, der am besten mit Handelsdünger, besonders phosphorsaurem Kali oder Thomasschlacke vermischt wird. Von den Laubarbeiten hielt man früher das Ausbrechen der Geize, der aus den Blattwinkeln tretenden Sommerschößlinge, für nötig.
Seit man aber weiß, daß in den Blättern der Zuckerstoff bereitet wird, unterläßt man es oder spitzt die Geize höchstens, wenn sie zu üppig wachsen, früh auf 3 oder 4 Blätter ein. Von Krankheiten ist am verbreitetsten besonders bei den amerik. Arten die Chlorose, das Entfärben der Blätter. Schnell wirkende Dünger, besonders schwefelsaures Eisen, [* 13] helfen häufig. Die schwarzen Knoten, Fäulnisstellen an der Rebe, bekämpft man durch Abstellen der sehr verschiedenen Ursachen.
Der Blütenfall vor Fruchtansatz entsteht meist durch ungünstige Witterung und besonders bei alten schlecht gedüngten Reben; es wird ein Bestreuen der Blüten, kurz bevor sie sich öffnen wollen, mit gepulvertem Schwefel empfohlen. Der Sonnenbrand der Trauben, deren Beeren dadurch einschrumpfen, wird vermieden, indem man ihnen ihren natürlichen Schutz, die Blätter, erhält. Die Traubenfäule entsteht bei feuchter und niedriger Lage; Entwässerung des Bodens und höhere Zuchtformen helfen sicher.
Die Anthraknose (Brenner, schwarzer Brand, Pech) erzeugt ein Pilz, [* 14] Sphaceloma ampelinum De By.; es erscheinen an den grünen Teilen braune Flecken oder Beulen; ein Wachstumsstillstand der Rebe und Welken der Blätter ist die Folge. Sehr gut bewährt hat sich das Bespritzen mit einer heißen Lösung von 1½ kg Eisenvitriol nebst 60 g Kupfervitriol in 4 l Wasser. In Nordamerika [* 15] und seit 1884 in Frankreich ist sehr verheerend die schwarze Fäule (Black rot), hervorgerufen ebenfalls durch einen Pilz, Physalospora Bodwellii Sacc. (Phoma uvicola Bert. et Curt.); die Beeren werden faulig und auf der Oberfläche entwickeln sich schwarze Bläschen; später werden sie hart, trocken und runzelig.
Ein Gegenmittel ist nicht bekannt. Da der Pilz in den kranken Beeren und in den jungen Schößlingen überwintert,
sind diese sorgfältig zu vernichten. Noch gefährlicher sind der Meltau (s. d.) und die Traubenkrankheit (s. d.). In neuester
Zeit tritt als weiterer furchtbarer Feind die Gummose auf (s. Wein, Bd. 17). Zu den tierischen Schädlingen gehört der
gefährlichste Feind der Weinrebe, die Reblaus
[* 16] (s. d.). Gegen
unter der Rinde lebende Schädlinge, wie die Pyraleraupe, die besonders in Südfrankreich die Blätter angreift, und die Weinmotte,
Conchylis ambiguella Hübn. oder uvana, ein europ. Insekt, dessen erste Generation im Juni als Heuwurm die Blüten und Seitenruten,
dessen zweite Generation im Juli als Sauerwurm die Kerne der Beeren ausfrißt (s. Traubenwickler), empfiehlt
sich das Bürsten der Rebstöcke während ihrer Wachstumsruhe mit einer Flüssigkeit aus 6 Teilen Steinkohlenteer auf 100 Teile
Kuhjauche. Für die Interessen des deutschen Weinbau
und Weinhandels besteht außer vielen Landesvereinen der Deutsche
[* 17] Weinbau
verein, der jährliche Weinbaukongresse veranstaltet. In rechtlicher Beziehung unterliegt der Weinbau
in
Deutschland, wie die Landwirtschaft überhaupt und alle Urproduktion, nicht der Reichs-, sondern der Landesgesetzgebung. Das
Reblausgesetz vom (s. Reblaus) beruht also auf einer Kompetenzüberschreitung des Reichs.
Litteratur. Ratbay, Die Geschlechtsverhältnisse der Reben und ihre Bedeutung für den Weinbau
(2 Tle., Wien
[* 18] 1888-89);
ders., Der Black-Rot (Klosterneuburg 1891);
Sahut, Die amerik. Reben, ihr ¶
mehr
Schnitt und ihre Veredelung (deutsch von von Thümen, Hannov. 1891);
von Thümen, Die Blackrot-Krankheit der Weinreben (Wien 1891);
Semler, Die tropische Agrikultur, 4. Bd. (Wism. 1892);
Babo und Mach, Handbuch des Weinbau
und der Kellerwirtschaft (1. Bd.:
Weinbau
, 2. Aufl., Berl. 1893);
Vetter, Die Kultur der amerik.
Reben (1. Tl., Ödenb. 1894); Dochnahl,
Katechismus des Weinbau
, der Rebenkultur und der Weinbereitung (Lpz. 1896); Mitteilungen über Weinbau
und Kellerwirtschaft (hg. von
Goethe, 9. Jahrg., Wiesb. 1897), «Der Winzer.»
Zeitschrift für alle Interessen der Winzer (hg. von Hegner, 2. Jahrg., Trier
[* 20] 1897).