Weichsel
(poln. Wisla, lat.
Vistula),
Fluß, entsteht in Österreichisch-Schlesien, Bezirkshauptmannschaft
Teschen, auf
der nördlichen
Abdachung der
Bieskiden, aus der Vereinigung der
Weißen,
Kleinen und
Schwarzen Weichsel
(Biala, Molinka und Czorna)
in dem
Dorf Weichsel
oder Wisla, bildet hier einen 58 m hohen
Wasserfall und fließt in einem felsigen
Thal
[* 2] bis
zur Stadt
Schwarzwasser, wo er das Gebirgsland verläßt. Er scheidet nun
Preußisch-Schlesien von
Österreichisch-Schlesien
und
Galizien, dann nach
Aufnahme der
Premsza in nordöstlichem
Lauf
Polen von
Galizien und tritt unterhalb
Sandomir nach
Aufnahme des
San ganz nach
Polen über.
Dieses Land durchfließt die Weichsel
in einem weiten, gegen
Westen geöffneten
Bogen.
[* 3] Bei
Pulawy verläßt sie
das südpolnische
Plateau, fließt aber noch bis zur Einmündung der
Piliza in einem bis auf 4 km eingeengten
Thal zwischen
steilen, bewaldeten Rändern. Von
Pulawy an durchfließt sie, 250-450 m breit, eine weite
Ebene zwischen niedrigen
Ufern, berührt
Warschau
[* 4] und
Nowogeorgiewsk
(Modlin), wendet sich nach Einmündung des
Bug, der in seinem untersten
Lauf auch
nach seinem Hauptzufluß
Narew genannt wird, nach
Westen und
NW., rechts wieder von hohen, steilen Uferrändern eingefaßt,
berührt
Plonsk und
Wlozlawsk und tritt, 850 m breit, 15 km oberhalb
Thorn
[* 5] auf preußisches Gebiet über.
Unterhalb der Mündung der Brahe und des Bromberger Kanals durchbricht sie in nordnordöstlicher Richtung, Kulm, Schwetz und Graudenz [* 6] berührend und zuletzt nach N. sich wendend, den Preußischen Landrücken, und zwar fließt sie hier, oft in Arme sich teilend und bewaldete Inseln und Sandwerder bildend, durch ein tief eingeschnittenes Thal, das von Thorn bis zur Montauer Spitze im Durchschnitt 8 km breit ist, bald längs des westlichen, bald längs des östlichen Höhenrandes, so daß in der Regel auf der einen Seite des Stroms Niederung und auf der andern Seite hohes Ufer ist.
Östlich von der Weichsel
liegen die
Thorner, Althausener,
Kulmer und Marienwerdersche, westlich die
Schwetzer,
Neuenburger und Mewer
Niederung. An der Montauer
Spitze teilt sich die Weichsel
in zwei
Arme: die Weichsel
und die
Nogat. Der letztere
Arm
war vorzeiten unbedeutend, vergrößerte sich aber durch
Ausgrabung und starkes
Gefälle so sehr, daß er im
Lauf der Zeit mehr
Wasser als die Weichsel
führte, wodurch große Streitigkeiten zwischen
Danzig
[* 7] und
Elbing
[* 8] veranlaßt wurden. 1845-57
ist der alte Eingang zur
Nogat verstopft worden und in derselben Zeit 4 km unterhalb ein
Kanal
[* 9] (Weichsel
-Nogatkanal) aus der Weichsel
in
die
Nogat geleitet worden.
Die
Nogat, 57 km lang, hat seitdem an
Wasser viel verloren, ist in ihrem obern Teil kaum noch schiffbar,
geht an
Marienburg
[* 10] vorbei und mit vielen Mündungen ins
Frische Haff; durch den
Kraffohlkanal (5,5 km lang) steht sie mit dem
Elbingfluß in
Verbindung.
Nogat und Weichsel
durchströmen ein sehr fruchtbares
Delta,
[* 11] das zwischen
Danzig und
Elbing 53 km breit ist,
nur eine geringe Meereshöhe hat, in einzelnen Teilen selbst noch unter dem
Spiegel
[* 12] der
Ostsee liegt und
Werder genannt wird
(Danziger Werder westlich von der Weichsel
,.
Großer
Marienburger Werder zwischen Weichsel
und
Nogat,
Kleiner
Marienburger Werder
östlich von der
Nogat).
Durch das
Delta strömt die an
Dirschau
[* 13] vorbei in nördlicher
Richtung zum
Danziger
Haupt, woselbst auf der
rechten Seite die
Elbinger Weichsel
vom Hauptstrom sich abzweigt, welche gleichfalls mit zahlreichen
Armen ins
Frische Haff mündet,
bei normalem Wasserstand aber kein
Wasser mehr aus der Weichsel
empfängt. Der Hauptstrom wendet sich nun nach
NW. und mündet seit
dem Dünenbruch in der
Nacht vom 1. zum bei Neufähr in die
Ostsee. Diese Mündung, sehr versandet,
ist für die
Schiffahrt nicht geeignet, die dem alten
Lauf der Weichsel
, welcher an
Danzig
¶
mehr
vorüberführt, erhalten worden ist. Durch die Groß-Plehnendorfer Schleuse am Durchbruch bei Neufähr von der Weichsel
abgesperrt,
befindet sich die Höhenlage des Wassers in diesem Arm fast im Niveau des Ostseespiegels; in die Ostsee geht er bei Neufahrwasser,
wo die alte Mündung (die Norderfahrt) jetzt abgedämmt ist u. die See durch einen Kanal (die Westerfahrt
oder das Neufahrwasser) erreicht wird.
Die Quelle [* 15] des Stroms, dessen Gebiet 191,406 qkm (3476 QM.) umfaßt, sein Eintritt in Preußen [* 16] und seine Mündung liegen fast unter demselben Meridian (18° 50' östl. v. Gr.). Die Stromlänge beträgt 1050 km (nach Strelbitsky nur 960 km), davon kommen auf Westpreußen [* 17] mit Einschluß der Grenzstrecke gegen Posen [* 18] 251 km. Der Wasserspiegel des Stroms liegt an der Mündung der Premsza 245, bei Thorn 35, bei Dirschau 3 m ü. M. Die Tiefe, im untern Lauf zwischen 2 und 6 m schwankend, im Danziger Hafen 5,6 m betragend, wechselt in den einzelnen Jahren durch die Veränderlichkeit der riesigen Sandmassen ganz bedeutend.
An der Mündung der Premsza wird die Weichsel
für kleine, bei Krakau
[* 19] für mittlere, bei Sawichost, unterhalb der Mündung des San,
für größere Fahrzeuge schiffbar; Seeschiffe gehen bis Danzig hinauf. Am Hafenplatz in Thorn kamen 1887 an 1088 Schiffe
[* 20] und
44,986 Flöße mit 97,665 Ton. Ladung inkl. Floßholz; es gingen ab 500 Schiffe mit 12,879 T. Ladung. Die
Zollgrenze bei Thorn passierten zu Berg 849 Schiffe mit 31,395 T. Ladung, zu Thal 1453 Schiffe und 688,764 Flöße mit 785,278 T.
Ladung inkl. Floßholz.
Die Groß-Plehnendorfer Schleuse bei Danzig passierten zu Berg 9803 Schiffe und 1111 Flöße mit 171,806 T.
Ladung inkl. Floßholz, zu Thal 9732 Schiffe u. 167,708 Flöße mit 296,588 T. Ladung inkl. Floßholz. Haupttransportartikel sind
von Thorn aufwärts rohe Baumwolle,
[* 21] Steinkohlen, Roh- und Brucheisen und Steine. Im Thalverkehr sind Getreide
[* 22] nebst Hülsenfrüchten,
Zucker,
[* 23] Steine und Holz
[* 24] die hauptsächlich zur Verschiffung gelangten Güter. Durch den Bromberger (Netze-)
Kanal ist die Weichsel
mittelbar mit der Oder in schiffbare Verbindung gesetzt.
Die bedeutendsten Nebenflüsse der Weichsel
sind, links: die Premsza, Piliza, Bzura, Brahe, das Schwarzwasser, die Montau, Ferse und
die Mottlau mit der Radaune;
rechts: die Sola, Skawa, Raba, der Dunajec, die Wysloka, der San, Wieprz, Bug mit dem Narew und mehreren aus dem südlichen Ostpreußen kommenden Zuflüssen, die Drewenz, Ossa und Liebe oder Alte Nogat.
Die Weichsel bildet eine Menge mehr oder weniger zu Tage liegender Sandbänke, welche sich fast nach jeder Anschwellung des Flusses verändern und die Fahrt sehr beschwerlich machen. Indessen wird an der Regulierung des Stroms eifrig gearbeitet. Zunächst sind durch Gesetz vom eine Reihe von Anlagen, insbesondere die Herstellung eines Durchstichs der Danziger Binnennehrung, angeordnet, deren Kosten auf 20 Mill. Mk. veranschlagt sind. Ferner sind in Rußland Regulierungsarbeiten von Warschau bis zur Bugmündung, von Wlozlawsk bis zur preußischen Grenze und von der österreichischen Grenze bis Pulawy in Angriff genommen, deren Kosten auf 5 Mill. Rub. veranschlagt sind.
Überschwemmungen, am größten an den Mündungen der Nebenflüsse, treten jährlich dreimal ein: die erste und gefährlichste im April, welche zwei Wochen und länger andauert, die zweite um Johannis, die dritte vier Wochen später. Die mittlere Zeit des Zufrierens der Weichsel ist um Warschau der 24. Dez., die der Befreiung vom Eis der [* 25] 7. März. Infolge des Eisganges erfolgten im Dezember 1876 und März 1888 verheerende Durchbrüche, welche die Niederung zwischen der Nogat, dem Elbingfluß und der Fahrstraße nach Marienburg der Überflutung preisgaben. An Fahrzeugen auf der Weichsel unterscheidet man: Schunen (350 Doppelztr. tragend), Dubassen (300 Doppelztr.) und Galeeren (225 Doppelztr.), Patelken und Wittinnen, die alle flach und ohne Masten sind und in der Regel nach ihrer Ausladung zerschlagen und verkauft werden;
ferner in Preußen einmastige Berlinen oder Berlinken und Baidaken (von Pulawy bis Thorn fahrend) und zahlreiche Flöße (Tratwen);
Dampfboote bugsieren die flachbodigen eisernen Gabaren.
Der Strom führt einen fetten thonig-lehmigen Schlamm mit sich, der die überschwemmten Striche reichlich düngt und durch eine auf mehrere Jahre bewirkte Fruchtbarkeit in der Regel den Schaden ersetzt, der durch die Überschwemmung verursacht ist, wenn sie nicht zu groß und zerstörend war. Die Weichsel liefert viele und gute Fische. [* 26] Der größte Vorteil aber, den sie Polen gewährt, ist die bequeme Ausfuhr der Landeserzeugnisse an Getreide, Holz etc., die jährlich nach Danzig gebracht und von da ausgeführt werden. Krakau, Iwangorod, Nowogeorgiewsk, Warschau, Thorn und Danzig beherrschen als feste Punkte den Strom; stehende Brücken [* 27] führen in Preußen bei Thorn, Graudenz und Dirschau über die Weichsel, bei Marienburg über die Nogat.
Vgl. Brandstäter, Die Weichsel, historisch, topographisch und malerisch (Marienwerd. 1855);