Der
Ackerbau bringt auch in ungünstigen
Jahren mehr ein, als die
Bevölkerung
[* 16] braucht. Der Viehstand repräsentiert
ein
Kapital von fast 18 Mill.
Rubel und setzt sich zusammen aus 81,224
Pferden, 324,790
Stück Hornvieh, 592,793
Schafen, 130,396
Stück Borstenvieh. Auf
Milchwirtschaft wird wenig
Gewicht gelegt. Die
Industrie ist sehr entwickelt; man zählte 1884: 1575 industrielle
Etablissements mit 35,406 Arbeitern und einer Jahresproduktion von 54,695,000
Rub. Der
KreisKutno ist der
industriellste. Besonders hervorragend sind: Zuckerfabriken (9,3 Mill.
Rub.; in der
Kampagne 1886/87 wurden in 19
Fabriken 285,000
Doppelzentner raffinierter
Zucker
[* 17] und 108,000 Doppelzentner weißer Sandzucker produziert), Flachsspinnerei und
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[* 2] Hauptstadt des gleichnamigen russisch-poln. Gouvernements, ehedem Hauptstadt der RepublikPolen sowie später
des Herzogtums Warschau und zuletzt des KönigreichsPolen, liegt halbmondförmig am linken Weichselufer, 30 m über dem Strom,
Knotenpunkt der EisenbahnenWarschau-Wien, Warschau-Bromberg, Kowel-Mlawa (Weichselbahn), Warschau-Terespol und Warschau-St.Petersburg. Gegenwärtig wird Warschau in eine große Lagerfestung umgewandelt, da auf dem linken Weichselufer
die Citadelle mit den 6 umliegenden Forts durch 2 Linien von Forts (zusammen 11) verstärkt wird, während auf dem rechten UferPraga, das nur ein Fort gegenüber der Citadelle besaß, 4 vorgeschobene Werke erhalten soll.
Nähert man sich der Stadt auf dem rechten Weichselufer, so gelangt man zunächst nach der Vorstadt Praga, die vorzugsweise
von Juden und kleinen Leuten bewohnt und sehr schmutzig ist. Hier befinden sich die Bahnhöfe
[* 23] der Petersburger, der Terespoler
und der Weichselbahn, ferner die 1867 erbaute griechisch-kath. Kirche und der meist mit Weiden bepflanzte
Alexanderpark. Die Verbindung von Praga mit Warschau wird durch zwei große eiserne Brücken vermittelt, von denen die eine, auf fünf
Pfeilern ruhend und 507 m lang, für den Verkehr des Publikums bestimmt ist, während die andre (1873 erbaut) nur
zur Verbindung der Bahnhöfe dient. In weitem Bogen
[* 24] umsäumt das eigentliche Warschau das gegenüberliegende Ufer, auf dem sich unmittelbar
an der Brücke
[* 25] das frühere königliche Schloß aus terrassenartig angelegten Gärten erhebt, ein stattlicher Bau von bedeutender
Ausdehnung. Es wurde von Siegmund III. erbaut, von August II. vergrößert, von StanislausPoniatowski beendigt
und enthält große Säle, schöne Gemälde und Skulpturen, eine Bibliothek und das polnische Archiv.
Eine dritte große Verkehrsader geht vom Schloßplatz aus durch die Senatorenstraße über den Theater- und Bankplatz durch
die Elektoral- und KühleStraße bis zum Thor von Wola, von dem aus noch eine mehrere Kilometer lange Vorstadt fortläuft. Auf
diesem Zug
liegen: das große Theater
[* 28] mit seinen Musik- und Ballsälen, das Rathaus (nach dem Brand von 1863 neu
erbaut), der Palast der FamilieZamojski (von August II. für seine natürliche Tochter, die Gräfin Orzelska, gebaut), die kaufmännische
Ressource, die PolnischeBank, mehrere Kirchen (die Reformatenkirche, 1623 von Siegmund III. gebaut; die Borromeuskirche, im italienischen
Stil der Renaissance 1841-49 gebaut).
Eine vierte Verkehrslinie läuft von der vorigen im rechten Winkel
[* 29] durch die Methstraße über den Krasinskischen Platz und
Garten
[* 30] in das von langen Straßen durchschnittene Judenviertel. In vielen Häusern dieser Straßen sind große Niederlagen, deren
Waren bis tief nach Rußland hinein versandt werden. GroßeHotels und Restaurationen, fast nur von Juden
frequentiert, bieten einen originellen Anblick. Wie der SächsischeGarten, mitten in der Stadt gelegen, der besser gekleideten
Gesellschaft zu Promenaden dient, so der Krasinskische der weniger eleganten jüdischen, die von jenem Park polizeilich zurückgewiesen
wird.
Außer den erwähnten Stadtteilen sind noch besonders hervorzuheben: die Königs- und die Marschallsstraße,
die JerusalemerAllee, der evangelische Kirchenplatz, der des Kindlein Jesu-Hospitals. In diesem Teil haben ihren Sitz: die
PolnischeLandwirtschaftlicheKreditbank, in einem prächtigen (1854 errichteten) Gebäude, die Stadtkreditbank, die Feuerversicherungen,
die Verwaltungen der Eisenbahnen. Von den öffentlichen Gebäuden verdienen Erwähnung die evangelische Kirche und das Hospital
des Kindleins Jesu (seit 1754). An den SächsischenGarten grenzt der Haupt-
produktenmarkt Warschaus mit dem Bazar und einer Menge kleiner Läden (das sogen. Eiserne Thor). Nach der Weichsel zu liegen große
Fabriken: eine Eisenfabrik, eine Dampfmühle, Gasfabrik, chemische Fabriken, Sägemühlen, Asphaltfabriken etc. Von der schon
erwähnten, mit schönen Villen gezierten Ujasdower Allee gelangt man zur Sternwarte
[* 33] und zum botanischen Garten, ausgezeichnet
durch schöne Anlagen (berühmte Orchideensammlung). An ihn stoßen die kaiserlichen Parke von Lazienki und Belvedere, jener
auf einer Insel in einem kleinen, durch Kunst geschaffenen See (einst AsylLudwigs XVIII. zur Zeit seines Exils), dieser auf einer
Anhöhe malerisch gelegen.
Eine schöne Orangerie, die KaiserAlexander II. vom FürstenRadziwill für 80,000 Rubel angekauft hat, ziert
denPark. Jenseit desselben liegen vor der Stadt noch mehrere Schlösser von Privatleuten (Marcellin, Wierzbno, Willanowa).
Warschau hat etwa 85 Kirchen und Kapellen, darunter 6 griechisch-katholische, eine lutherische und eine reform. Kirche, sowie mehrere
Synagogen. Die Stadt zählt 1882: 3658 Grundstücke, welche der Herdsteuer und den damit zusammenhängenden
Stadtabgaben unterliegen.
Die Einnahmen aus der Besteuerung derselben ergeben 13¼ Mill. Rubel. Die Bevölkerung beträgt (1885) 454,298 Seelen, darunter
mehr als ⅓ Katholiken und ⅓ Juden. Die industrielle Thätigkeit ist sehr ansehnlich. Maschinenbau, Tabaksindustrie, Leder-,
Metallverarbeitung, Zuckerfabrikation werden in großem Maßstab
[* 34]
betrieben. An Unterrichtsanstalten sind folgende
vorhanden: eine Universität (mit Bibliothek von 200,000 Bänden, botanischem Garten, Sternwarte, speziellen Kabinetten und Sammlungen), 6 Gymnasien,
ein Realgymnasium, das kaiserliche Marieninstitut (Töchterschule), 4 weibliche Gymnasien, 2 männliche Progymnasien, 3 weibliche
Progymnasien, ein Lehrerseminar und 147 Privatschulen, eine Tierarzneischule, Zeichenschule, ein Taubstummen- und Blindeninstitut,
eine Sonntags-Handelsschule, Handelsschule, einige Handwerkerschulen.
Von Wohlthätigkeitsanstalten sind besonders die Große Wohlthätigkeitsgesellschaft (1814 gegründet,
mit 80,000 Rub. jährlichen Einkünften), das Findelhaus und die Spitäler hervorzuheben. Warschau ist jetzt der Sitz eines Generalgouverneurs
(zugleich Kommandeur des 4. Militärbezirks), des 5. und 6. Armeekorpskommandos, eines griechisch-orthodoxen Erzbischofs und
eines römisch-katholischen Bischofs, eines Zivilgouverneurs, des Kurators des Warschauer Lehrbezirks, einer
Oberrechnungs- und einer Gerichtskammer sowie eines deutschen Berufskonsuls.
Geschichte. Die Stadt Warschau wird 1224 zuerst urkundlich erwähnt. Die Herzöge von Masovien residierten meist hier; mit ihrem
Aussterben 1526 fiel Masovien und mit ihm an Polen zurück. Bereits um 1550 von König Siegmund II. August
zur Residenz erhoben, war es seit der Zeit faktisch die
"Acta grodzkie" liegt der 14. Band vor. Wichtige neue Quellen eröffnet die von dem Universitätsprofessor Pawinski in Warschau herausgegebene Sammlung "Zródla"