Walther
von
der
Vogelweide, mittelhochdeutscher Dichter, wurde um 1165‒70 geboren, wahrscheinlich in
Österreich
[* 2] (nach
anderer
Ansicht in der
Gegend von
Bozen),
[* 3] aus niederm
Adelsgeschlecht, lernte in
Österreich, wo Reinmar der
Alte gefeierter
Modedichter war, «singen und sagen». Als sein junger
Gönner,
Herzog
Friedrich der
Katholische, auf
einer Kreuzfahrt starb, verlor Walther von
der Vogelweide
seine bis dahin sehr günstige
Stellung in
Wien
[* 4] und begann ein Wanderleben, das ihn von
der
Seine bis zur Mur, vom Po bis zur
Trave brachte. Im Dienste
[* 5] König Philipps besang er im Sept. 1198 dessen Krönung; im nächsten
Jahre erscheint er in seinem oder im Gefolge
Hermanns von
Thüringen auf dem Weihnachtsfest zu
Magdeburg.
[* 6]
Damals etwa wird er am
Thüringer
Hofe
Wolfram von
Eschenbach, später in Meißen
[* 7]
Heinrich von
Morungen kennen gelernt haben.
Schon im Mai 1200 und nach urkundlichem Zeugnis im Nov. 1203 war er wieder in
Österreich und machte vergebliche
Versuche in
Wien, bei
Herzog
Leopold dem Glorreichen dauernde
Aufnahme zu finden. Von
neuem bot ihm der
Thüringer und zeitweise
der meißnische
Hof
[* 8] eine Zuflucht (etwa 1203 bis
Sommer 1211). Als der Papst den einst begünstigten
Kaiser
Otto Ⅳ., der nach
Philipps
Tode allgemein anerkannt war, in den
Bann that
(Frühling 1211), loderte W.s Zorn gegen
Roms treulose
Politik auf; für
Otto sang er seine mächtigsten, leidenschaftlichsten, polit.
Sprüche, die nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen Tausende dem Papste abwendig machten. Aber schon im Herbst 1213 ging
Walther
von der Vogelweide
, dessen innerste Neigung immer den
Staufern gehörte, mit der egoistischen Sorglosigkeit des Fahrenden
von dem geizigen
Welfen zu
Friedrich Ⅱ. über, der ihn durch ein kleines
Lehn belohnte.
Neue Wanderungen führten ihn nach
Kärnten,
Aquileja,
Mödling,
Tegernsee, besonders nach
Österreich (Anfang 1217), wo er bis etwa 1220 blieb und den vom Kreuzzug
heimkehrenden
Herzog begrüßte. Im
Auftrage
Friedrichs Ⅱ. und seines nächsten
Rates, des Erzbischofs
von Köln,
[* 9] spätern Reichsverwesers Engelbert, dem Walther
von der Vogelweide
sehr nahe stand, war er dann für die
Wahl
Heinrichs Ⅶ. und für den Kreuzzug thätig; dagegen ist er wohl nicht der Erzieher des jungen Königs
Heinrich gewesen.
Nach 1220 ward ihm zum Dank ein neues reicheres Lehn zu Würzburg [* 10] zu teil, das dem armen Sänger endlich gesicherte Existenz gab. Engelberts Ermordung beklagte er in zorniger Trauer auf dem Nürnberger Tage (Nov. 1225). Noch einmal erhob er grollend seine Stimme, als wiederum Rom [* 11] seinen Kaiser bannte (Nov. 1227); aber sein Pathos mischt sich mit elegischen müden Tönen. Den Kreuzzug von 1228 hat er nicht mitgemacht. Er starb um 1230, wahrscheinlich in Würzburg, wo er im neuen Münster [* 12] begraben sein soll.
Walther
von der Vogelweide
dichtete Lieder und
Sprüche. Er begann im
Geschmack Reinmars des Alten mit modischen, reflektierenden Liebesliedern; als
er aber genötigt war, sich an den
Höfen und auf der
Straße sein
Brot
[* 13] zu ersingen, da überwand er das
adlige Vorurteil, dem nur das höfische Minnelied und der Ritterroman standesgemäß schien. Dadurch, daß er die vollendete
Kunstform der höfischen Dichter mit der erquickenden Frische des
Volksliedes, mit dem ausgelassenen
Humor der Vagantenlyrik
verband, schuf er unerreichte
Perlen des
Minnesanges, so das berühmte Lied «Unter der
Linde».
Deutschlands
[* 14] Lob sang er
¶
mehr
in dem Liede «Ihr sollt heißen willekommen» mit demselben glühenden Patriotismus, der ihn in seiner polit. Dichtung zum Kampf
gegen das welsche Rom trieb. Die demagogische Macht seiner polit. Sprüche, die er mit allen Künsten rücksichtslos leidenschaftlicher
Rhetorik ausstattete, machte den armen Dichter zu einem begehrten Bundesgenossen des Kaisertums in seinem
Weltkampfe. Daß Walther
von der Vogelweide
, obwohl Gegner Roms, nicht unfromm war, beweist sein kunstvoller, farbenprächtiger Leich; freilich fehlt
es sonst nicht ganz an frivolen und trotzigen Äußerungen. Auch in seinen Klagen über persönliche Not, seinen Lob- und
Scheltsprüchen, seinen Bitten und Drohungen an Gönner tritt eine sichere, des eigenen Wertes bewußte
Männlichkeit hervor. Lehrhaften Betrachtungen über Minne und Zucht widmet er geistvolle, belebte Lieder; schwächer ist
die allgemeine Sittenlehre seiner Sprüche.
Ohne große Schule zu machen, galt er doch der Zeit, wie uns das Urteil Gottfrieds von Straßburg
[* 16] beweist, als erster Meister
der Lyrik. Im Wartburgkrieg (s. d.) spielt er eine Rolle,
die Meistersinger nahmen ihn unter ihre zwölf alten Meister auf, und Hugo von Trimberg rief ihm nach: «Herr Walther
von der Vogelweide
von der Vogelweide,
wer des vergäß, der thät’ mir leide.» Im 16. Jahrh. hat Goldast manches von ihm veröffentlicht; im 18. Jahrh. verfaßte
Gleim «Gedichte nach Walther
von der Vogelweide
von der Vogelweide» (Halberst. 1779); dauernd wurde sein Andenken neu
belebt durch Uhlands schönes Buch «Walther
von der Vogelweide
von der Vogelweide, ein altdeutscher Dichter» (Stuttg. 1822; neu gedruckt in Uhlands «Schriften
zur Geschichte der Dichtung und Sage» und im 1. Bd. der Uhland-Ausgabe von Friedrich Brandes) und durch Lachmanns meisterhafte
kritische Ausgabe (Berl. 1827 u. ö.). Denkmäler wurden ihm errichtet in Würzburg, Innsbruck
[* 17] und Bozen
Neben Lachmanns Ausgabe sind zu nennen die vortreffliche von Wilmanns (2. Aufl., Halle
[* 18] 1883), von Pfeiffer (Lpz. 1864 u. ö.)
und von H. Paul (Halle 1882 u. ö.). Die beste Übersetzung ist noch immer die von Simrock (Berl. 1833 u. ö.); andere
von Pannier (in Reclams «Universalbibliothek») und von Adalbert Schröter (Jena
[* 19] 1881); einzelne Gedichte in Samhabers «Walther
von der Vogelweide
von
der Vogelweide» (Laibach
[* 20] 1882). Die umfängliche Litteratur stellte zusammen Leo (Wien 1880). Von Biographien vgl. außer Uhlands
Buch: Menzel, Leben W.s von der Vogelweide (Lpz. 1865);
Wilmanns, Leben und Dichten W.s von der Vogelweide (Bonn [* 21] 1882);
Burdach, Reinmar der Alte und Walther
von der Vogelweide
von der Vogelweide (Lpz. 1880);
Schönbach, Walther
von der Vogelweide
von der Vogelweide (2. Aufl., Berl.
1895).