Walpole
(spr. ŭóllpol), 1) Robert, Graf von Orford, engl. Staatsmann, geb. 26. Aug. 1676 zu Houghton in Norfolk, studierte zu Cambridge und trat schon 1701 ins Unterhaus, wo er bald zu den angesehensten und eifrigsten Führern der Whigpartei gehörte. Seit 1708 war er als Kriegssekretär, seit 1709 als Schatzmeister der Marine der thätigste Gehilfe der Politik Marlboroughs. Dessen Sturz zog ihm 1711 eine Anklage zu; er wurde auf kurze Zeit in den Tower gebracht und aus dem Unterhaus gestoßen, aber bald wieder gewählt. Zur Belohnung für seine eifrige Thätigkeit für die hannöversche Succession erhob ihn 1714 König Georg I. zum Geheimrat und Kriegszahlmeister. Als Mitglied und Berichterstatter der Kommission, welche die Untersuchung gegen die abgetretenen Toryminister führte, übte Walpole die härteste Wiedervergeltung und setzte die Verurteilung Bolingbrokes und Ormonds durch. Bald darauf ward er erster Lord der Schatzkammer, legte aber, von seinen Gegnern nicht mit Unrecht der Bestechung von Parlamentsmitgliedern beschuldigt, im April 1717 dies Amt wieder nieder und schloß sich der Opposition an. Bald aber näherte er sich der Regierung wieder und wurde 1721 nach dem Zusammenbruch der Südsee-Aktiengesellschaft zum ersten Lord des Schatzes und Kanzler der Schatzkammer ernannt. In dieser Stellung gelang es ihm, ohne durchgreifende finanzielle Reformen, durch eine geschickte Verwaltung und die größte Sparsamkeit im Staatshaushalt binnen 18 Jahren die Schuld um 7 Millionen und die Zinsen um die Hälfte zu vermindern. Auch suchte er die auswärtigen Verwickelungen auf diplomatischem Weg zu ordnen, unterstützte Industrie und Handel und beförderte die Entwickelung der amerikanischen Kolonien. Dagegen erkaufte Walpole der Regierung die Stimmen des Unterhauses durch ein förmliches Korruptionssystem und soll geäußert haben, daß er den Preis eines jeden kenne. Dessenungeachtet blieb er in der Gunst des Hofs; Georg I. ernannte ihn 1723, als er nach Hannover reiste, zum Mitglied der Regentschaft. Auch Georg II. bewahrte ihm seine Gunst. Als er 1738 von Sandy im Parlament der Korruption, Veruntreuung und andrer Vergehen angeklagt wurde, verteidigte er sich zwar mit Geschick, entging indessen der Verurteilung nur durch die Intervention des Hofs. Unwillig entschloß er sich 1739 zur Kriegserklärung gegen Spanien und 1741 gegen Frankreich; durch die Begünstigung der hannöverschen Politik des Königs wuchs seine Unpopularität; zuletzt verstärkte sogar der Prinz von Wales die Opposition, und Walpole legt daher im Februar 1742 seine Ämter nieder. Der König ernannte ihn gleichzeitig zum Peer mit dem Titel eines Grafen von Orford und bewilligte ihm ein Jahrgeld von 4000 Pfd. Sterl. Als dessenungeachtet das Unterhaus Walpole mit einer Untersuchung drohte, wurde das Parlament vertagt. Er starb 29. März 1745; 1855 wurde ihm in Westminster Hall ein Denkmal errichtet. Sein »Testament politique« erschien in Paris und Amsterdam 1767, 2 Bde.; seine
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Geschichte behandelt der vielgelesene Roman »Narzanes, ein persischer Minister« (zuerst engl., Lond. 1755). Vgl. Coxe, Memoirs of the life and administration of Sir Rob. Walpole (Lond. 1789, 3 Bde.); Ewald, Sir R. Walpole, a political biography (das. 1877).
2) Horace, einer der geistreichsten und witzigsten Brief- und Memoirenschriftsteller Englands, Sohn des vorigen, geb. 5. Okt. 1717, studierte zu Cambridge und bereiste sodann den Kontinent. Nach England zurückgekehrt, erhielt er Sitz und Stimme im Parlament und nach dem Tod seines Vaters im Oberhaus, nahm aber keinen Teil an den Verhandlungen und zog sich 1758 auf sein Gut Strawberry Hill bei Twickenham zurück, dem er ganz das Ansehen einer mittelalterlichen Burg gab, und wo er kostbare Sammlungen von Kunstwerken, Büchern und Raritäten anlegte. 1791 ward er durch den Tod seines Neffen Graf von Orford. Er starb 2. März 1797 unverheiratet. Von seinen Arbeiten sind hervorzuheben der »Catalogue of engravers, who have been born or resided in England« (1763) und »Catalogue of the royal and noble authors of England, Scotland and Ireland« (1758). Sein Geisterroman »The castle of Otranto« (1764, neueste Ausg. 1886; deutsch, Berl. 1794) ward das Urbild einer zahlreichen Familie ähnlicher Werke und darf als erster erfolgreicher Versuch, die Feudalzeiten für den Roman zu verwerten, angesehen werden, wenn auch die Behandlungsart noch phantastisch und unnatürlich ist. Die »Aedes Walpolianae« (Lond. 1747) enthalten ein Verzeichnis aller im Besitz seiner Familie zu Houghton in Norfolk befindlichen Kunstschätze, welche später die Kaiserin Katharina ankaufte (1752). Am berühmtesten ward Walpole aber durch seine Briefe und Memoiren. Die erstern, 1840 in 6 Bänden gesammelt und 1851 durch 2 Bände seiner Korrespondenz mit dem Dichter Mason ergänzt (vollständige Ausgabe von Cunningham 1857-59, 9 Bde., neue Ausg. 1880; Auswahl von Seeley, 1883), zeichnen sich durch glänzende Darstellung und einen oft schonungslosen Witz aus und geben über Persönlichkeiten und Zustände der damaligen Zeit die interessantesten Aufschlüsse. Seine Memoiren, die 1751 anfangen und fast bis zu seinem Tod fortgesetzt sind (neue Ausg., Lond. 1846 ff., 12 Bde.; deutsch, Stuttg. 1846, 3 Bde.), sind zwar inkonsequent im Urteil, enthalten aber nicht unwichtige Beiträge zur Geschichte der Regierung Georgs II. und Georgs III. Vgl. Warburton, Memoirs of H. Walpole and his contemporaries (Lond. 1851, 2 Bde.).
3) Spencer Horatio, brit. Staatsmann, ein Verwandter von Walpole 1), geb. 11. Sept. 1806 in Surrey, studierte zu Cambridge und widmete sich seit 1831 mit Erfolg der Rechtspraxis. Durch seine Verheiratung mit einer Tochter des Premierministers Perceval kam er mit den Tories in Verbindung und wurde 1846 für Midhurst ins Parlament gewählt, wo er sich namentlich in der Debatte über die Geistliche-Titelbill 1851 hervorthat, indem er trotz des Widerstrebens des Whigministeriums die Verschärfung der gegen die katholische Geistlichkeit verhängten Maßregeln durchsetzte. Infolge davon erhielt er in dem Torykabinett unter Lord Derby 1852 das Ministerium des Innern und brachte in dieser Eigenschaft die Milizbill durchs Parlament, erlangte aber für seinen Vorschlag, allen zur Miliz einberufenen Individuen das Wahlrecht zu erteilen, nicht die Zustimmung des Premierministers. Er trat beim Sturz des Toryministeriums im Dezember 1852 von seinem Posten zurück, erhielt denselben aber in dem im Februar 1858 wieder ans Ruder gekommenen Toryministerium von neuem und bekleidete ihn bis 18. Juni 1859. Zum drittenmal übernahm er das Portefeuille des Innern im Juni 1866, mußte dasselbe aber schon im Mai 1867 an Gathorne Hardy abtreten, da er sich den von der Reformliga ausgeschriebenen Volksversammlungen gegenüber schwächlich gezeigt hatte. Er blieb noch bis Januar 1868 Mitglied des Kabinetts ohne Portefeuille und dann noch längere Jahre Parlamentsmitglied. Sein Sohn Spencer Walpole, geb. 1839, ist als Geschichtsforscher aufgetreten und veröffentlichte 1874 eine Biographie seines Großvaters, des Ministers Perceval (s. d.), und eine »History of England from 1815« (Lond. 1878-86, 5 Bde).