Titel
Walpole
(spr. ŭóllpol), 1) Robert, Graf von Orford, engl. Staatsmann, geb. zu Houghton in Norfolk, studierte zu Cambridge und trat schon 1701 ins Unterhaus, wo er bald zu den angesehensten und eifrigsten Führern der Whigpartei gehörte. Seit 1708 war er als Kriegssekretär, seit 1709 als Schatzmeister der Marine der thätigste Gehilfe der Politik Marlboroughs. Dessen Sturz zog ihm 1711 eine Anklage zu; er wurde auf kurze Zeit in den Tower gebracht und aus dem Unterhaus gestoßen, aber bald wieder gewählt.
Zur Belohnung für seine eifrige Thätigkeit für die hannöversche
Succession erhob ihn 1714 König
Georg I. zum Geheimrat
und
Kriegszahlmeister. Als Mitglied und
Berichterstatter der
Kommission, welche die Untersuchung gegen die abgetretenen Toryminister
führte, übte Walpole
die härteste Wiedervergeltung und setzte die
Verurteilung
Bolingbrokes und Ormonds durch.
Bald darauf ward er erster
Lord der Schatzkammer, legte aber, von seinen Gegnern nicht mit Unrecht der
Bestechung von Parlamentsmitgliedern
beschuldigt, im April 1717 dies
Amt wieder nieder und schloß sich der
Opposition an.
Bald aber näherte er sich der
Regierung
wieder und wurde 1721 nach dem Zusammenbruch der
Südsee-Aktiengesellschaft zum ersten
Lord des
Schatzes
und
Kanzler der Schatzkammer ernannt. In dieser
Stellung gelang es ihm, ohne durchgreifende finanzielle
Reformen, durch eine
geschickte
Verwaltung und die größte Sparsamkeit im
Staatshaushalt binnen 18
Jahren die
Schuld um 7
Millionen und die
Zinsen
um die Hälfte zu vermindern.
Hannover und Umgebung

* 2
Hannover.
Auch suchte er die auswärtigen Verwickelungen auf diplomatischem Weg zu ordnen, unterstützte
Industrie
und
Handel und beförderte die
Entwickelung der amerikanischen
Kolonien. Dagegen erkaufte Walpole
der
Regierung die
Stimmen des
Unterhauses
durch ein förmliches Korruptionssystem und soll geäußert haben, daß
er den
Preis eines jeden kenne. Dessenungeachtet blieb
er in der
Gunst des
Hofs;
Georg I. ernannte ihn 1723, als er nach
Hannover
[* 2] reiste, zum Mitglied der
Regentschaft.
Walporzheimer - Walroß

* 7
Seite 16.372.
Auch
Georg II. bewahrte ihm seine
Gunst.
Als er 1738 von
Sandy im
Parlament der
Korruption,
Veruntreuung und andrer
Vergehen angeklagt
wurde, verteidigte er sich zwar mit
Geschick, entging indessen der
Verurteilung nur durch die
Intervention
des
Hofs. Unwillig entschloß er sich 1739 zur
Kriegserklärung gegen
Spanien
[* 3] und 1741 gegen
Frankreich; durch die
Begünstigung
der hannöverschen
Politik des
Königs wuchs seine Unpopularität; zuletzt verstärkte sogar der
Prinz von Wales die
Opposition,
und Walpole
legt daher im
Februar 1742 seine
Ämter nieder. Der König ernannte ihn gleichzeitig zum
Peer mit
dem
Titel eines
Grafen von
Orford und bewilligte ihm ein Jahrgeld von 4000 Pfd. Sterl. Als dessenungeachtet das
Unterhaus Walpole
mit einer Untersuchung drohte, wurde das
Parlament vertagt. Er starb 1855 wurde ihm in
Westminster
Hall ein
[* 4] Denkmal errichtet.
Sein
»Testament politique« erschien in
Paris
[* 5] und
Amsterdam
[* 6] 1767, 2 Bde.; seine
¶
mehr
Geschichte behandelt der vielgelesene Roman »Narzanes, ein persischer Minister« (zuerst engl., Lond. 1755).
Vgl. Coxe, Memoirs
of the life and administration of Sir Rob. Walpole
(Lond. 1789, 3 Bde.);
Ewald, Sir R. Walpole
, a political biography (das. 1877).
2) Horace, einer der geistreichsten und witzigsten Brief- und Memoirenschriftsteller Englands, Sohn des
vorigen, geb. studierte zu Cambridge und bereiste sodann den Kontinent. Nach England zurückgekehrt, erhielt er Sitz
und Stimme im Parlament und nach dem Tod seines Vaters im Oberhaus, nahm aber keinen Teil an den Verhandlungen und zog sich 1758 auf
sein Gut Strawberry Hill bei Twickenham zurück, dem er ganz das Ansehen einer mittelalterlichen Burg gab,
und wo er kostbare Sammlungen von Kunstwerken, Büchern und Raritäten anlegte. 1791 ward er durch den Tod seines Neffen Graf
von Orford. Er starb unverheiratet. Von seinen Arbeiten sind hervorzuheben der »Catalogue of engravers, who have
been born or resided in England« (1763) und »Catalogue of the royal and noble authors of England, Scotland
and Ireland« (1758). Sein Geisterroman »The castle of Otranto« (1764, neueste Ausg. 1886; deutsch, Berl. 1794)
ward das Urbild einer zahlreichen Familie ähnlicher Werke und darf als erster erfolgreicher Versuch, die Feudalzeiten für
den Roman zu verwerten, angesehen werden, wenn auch die Behandlungsart noch phantastisch und unnatürlich ist. Die »Aedes
Walpolianae« (Lond. 1747) enthalten ein Verzeichnis aller im Besitz seiner Familie zu Houghton in Norfolk befindlichen Kunstschätze,
welche später die Kaiserin Katharina ankaufte (1752). Am berühmtesten ward Walpole
aber durch seine Briefe und
Memoiren.
Die erstern, 1840 in 6 Bänden gesammelt und 1851 durch 2 Bände seiner Korrespondenz mit dem Dichter Mason ergänzt (vollständige Ausgabe von Cunningham 1857-59, 9 Bde., neue Ausg. 1880; Auswahl von Seeley, 1883), zeichnen sich durch glänzende Darstellung und einen oft schonungslosen Witz aus und geben über Persönlichkeiten und Zustände der damaligen Zeit die interessantesten Aufschlüsse. Seine Memoiren, die 1751 anfangen und fast bis zu seinem Tod fortgesetzt sind (neue Ausg., Lond. 1846 ff., 12 Bde.; deutsch, Stuttg. 1846, 3 Bde.), sind zwar inkonsequent im Urteil, enthalten aber nicht unwichtige Beiträge zur Geschichte der Regierung Georgs II. und Georgs III.
Vgl. Warburton, Memoirs of H. Walpole
and his contemporaries (Lond. 1851, 2 Bde.).
3) Spencer Horatio, brit. Staatsmann, ein Verwandter von Walpole
1), geb. in
Surrey, studierte zu Cambridge und widmete sich seit 1831 mit Erfolg der Rechtspraxis. Durch seine Verheiratung mit einer Tochter
des Premierministers Perceval kam er mit den Tories in Verbindung und wurde 1846 für Midhurst ins Parlament
gewählt, wo er sich namentlich in der Debatte über die Geistliche-Titelbill 1851 hervorthat, indem er trotz des Widerstrebens
des Whigministeriums die Verschärfung der gegen die katholische Geistlichkeit verhängten Maßregeln durchsetzte.
Infolge davon erhielt er in dem Torykabinett unter Lord Derby 1852 das Ministerium des Innern und brachte
in dieser Eigenschaft die Milizbill durchs Parlament, erlangte aber für seinen Vorschlag, allen zur Miliz einberufenen Individuen
das Wahlrecht zu erteilen, nicht die Zustimmung des Premierministers. Er trat beim Sturz des Toryministeriums im Dezember 1852 von
seinem Posten zurück, erhielt denselben aber in dem im Februar 1858 wieder ans Ruder gekommenen Toryministerium
von neuem und bekleidete ihn
bis Zum drittenmal übernahm er das Portefeuille des Innern im Juni 1866, mußte
dasselbe aber schon im Mai 1867 an Gathorne Hardy abtreten, da er sich den von der Reformliga ausgeschriebenen
Volksversammlungen gegenüber schwächlich gezeigt hatte. Er blieb noch bis Januar 1868 Mitglied des Kabinetts ohne Portefeuille
und dann noch längere Jahre Parlamentsmitglied. Sein Sohn Spencer Walpole
, geb. 1839, ist als Geschichtsforscher aufgetreten und
veröffentlichte 1874 eine Biographie seines Großvaters, des Ministers Perceval (s. d.), und eine »History
of England from 1815« (Lond. 1878-86, 5 Bde).