Waldenser
(Waldesier), eine als Vorläuferin der Reformation berühmte religiöse Genossenschaft, die ihren Namen einem reichen Bürger von Lyon, [* 2] Petrus Valdez oder Waldus, verdankt. Derselbe ließ sich Übersetzungen mehrerer Stücke der Bibel [* 3] besorgen und wurde durch ihr Studium zu dem Entschluß geführt, durch Übernahme freiwilliger Armut die apostolische Reinheit der Kirche wiederherzustellen. Zu diesem Zweck zog er bald nach 1170 zur Verkündigung des Evangeliums mit Anhängern umher, welche, weil sie allem Eigentum entsagt hatten, Pauperes de Lugduno (die Armen von Lyon, daher auch Leonisten) hießen.
Die lombardischen Waldenser
(Pauperes italici) vereinigten sich in
Mailand
[* 4] mit den dort schon bestehenden
Humiliaten, so genannt wegen
ihrer
Demut. Mit der
Kirche, deren
Anerkennung sie vergeblich auf dem dritten Laterankonzil 1179 erstrebt
hatten, gerieten sie zunächst bloß wegen des freien Bibellesens und wegen der Laienpredigt in
Konflikt, späterhin auch
bezüglich der Sakramentenlehre. Sie wurden deshalb von
Lucius III. auf der
Synode zu
Verona
[* 5] 1184 und von
Innocenz III. aus dem
Laterankonzil 1215 gebannt, verbreiteten sich aber nichtsdestoweniger in
Italien,
[* 6]
Frankreich und
Böhmen.
[* 7]
Bald nach dem
Tode des
Stifters verhandelten die französischen und die italienischen Waldenser
1218 zu
Bergamo verschiedene trennende
Fragen. Von
Frankreich wanderten sie nach den Südabhängen der
Kottischen Alpen, und seither blieben die Hauptsitze der
Sekte
die
Thäler von
Piemont und
Savoyen. Hier wie überall hatten sie trotz ihrer rein evangelischen
Grundsätze
und ihres von den Vorschriften der
Bergpredigt geleiteten
Lebens bis ins 18. Jahrh. hinein zahllose Verfolgungen zu erdulden.
So ließ
Papst
Sixtus IV. 1477 sogar einen Kreuzzug gegen sie predigen.
Spätestens aus dieser Zeit stammt auch ihr bedeutendstes litterarisches
Produkt, das religiöse
Lehrgedicht »Nobla
Leyczon«. Die
Reformation drang auch bis in die Waldenser
sitze vor; 1532 fand unter
Farels (s. d.)
Teilnahme eine Waldenser
synode
statt, welche die
Ohrenbeichte und die Siebenzahl der
Sakramente abschaffte, den Cölibatszwang aufhob und sich der reformierten
Lehre
[* 8] anschloß. In der
Dauphiné wurden 1545 gegen 4000 Waldenser
ermordet, 1655 sind von einem piemontesischen
Heer, vereint mit
Banditen und fanatischen Irländern, zahllose Waldenser
unter den entsetzlichsten Qualen hingeschlachtet worden,
ja 1685 wurden durch ein französisches und italienisches
Heer etwa 3000 Waldenser
getötet, 10,000 in Gefängnisse geworfen und 3000 ihrer
Kinder in katholische
Orte verteilt.
Neuerdings verwandten sich protestantische Mächte, namentlich
Preußen,
[* 9] mit Erfolg zu ihren gunsten,
und durch
Patent des
Königs von
Sardinien
[* 10] vom erhielten sie religiöse und kirchliche
Freiheit sowie gleiche bürgerliche
Rechte mit der katholischen
Bevölkerung.
[* 11] Die Waldenser
bewohnen jetzt hauptsächlich die drei Alpenthäler
Val Martino,
Val Angrona
und
Val Lucerna, wo sie sich durch Sittenreinheit,
Gewerbfleiß und treffliche Bearbeitung der
Felder und
Weinberge vorteilhaft auszeichnen.
Ihre Zahl ist daselbst von 80,000 (um 1500) auf höchstens 25,000 zurückgegangen. Im J. 1883
gab es
in ganz
Italien nur 14,866 Waldenser.
In 15 Thalgemeinden
¶
mehr
waren 1848 thätig 18, dagegen 1885 ebendaselbst 24, außerdem im übrigen Italien noch 48 Geistliche in 43 Gemeinden und 16 Missionsstationen von den Alpen [* 13] (Turin) [* 14] bis nach Sizilien [* 15] (Palermo). [* 16] Die Prediger müssen nach der Kirchenverfassung von 1839 studiert haben und werden von den Gemeinden gewählt, von der Synode bestätigt. Diese, aus Geistlichen und Laien zusammengesetzt, versammelt sich alle fünf Jahre abwechselnd in einem der drei genannten Alpenthäler Piemonts und ist die oberste gesetzgebende Behörde. 1879 zählte die theologische Schule in Florenz [* 17] 3 Professoren und 17 Studenten.
Vgl. Dieckhoff, Die Waldenser
im Mittelalter
(Götting. 1851);
Herzog, Die romanischen Waldenser
(Halle
[* 18] 1853; dazu die Entgegnung von Dieckhoff, Götting. 1858);
Palacky, Über die Beziehungen der Waldenser
zu der ehemaligen Sekte in Böhmen (Prag
[* 19] 1869);
Preger, Beiträge zur Geschichte der Waldenser
(Münch.
1875);
Nielsen, Die Waldenser
in Italien (a. d. Dän., Gotha
[* 20] 1880);
Montet, Histoire littéraire des Vaudois de Piémont (Par. 1883);
Comba, Histoire des Vaudois d'Italie (das. 1887, Bd. 1);
K. Müller, Die Waldenser
und ihre einzelnen Gruppe bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts (Gotha 1886);
L. Keller, Die Waldenser
und die
deutschen Bibelübersetzungen (Leipz. 1886).