Waisenhäuser.
In den ältern
Zeiten finden wir von eigentlichen Waisenhäusern
nur wenige und unbestimmte
Spuren. Erst die römischen
Kaiser Trajan, die beiden Antonine und
Alexander
Severus nahmen sich der Waisen durch mehrere wohlthätige
Stiftungen an. Das
Christentum empfahl die Waisenpflege als eins der wichtigsten Werke der Nächstenliebe.
Daher entstanden
bald auch christliche Waisenhäuser.
Doch nahmen die Klöster seit deren Aufkommen zumeist diesen
Zweig der
Wohlthätigkeit neben andern wahr, und auch in den besondern »Gasthäusern«
(Hospitälern, Xenodocheia) wurde nicht streng zwischen verwaisten, kranken und verwahrlosten
Kindern geschieden.
Eigentliche Waisenhäuser
entstanden während des spätern
Mittelalters und namentlich im 16. Jahrh. in den reichen niederländischen
und deutschen Handelsstädten
(Amsterdam
[* 2] 1520,
Augsburg
[* 3] 1572,
Hamburg
[* 4] 1604). Ebenfalls im 16. Jahrh. gab
Karl
Borromeo,
Erzbischof von
Mailand,
[* 5] im 17. Jahrh.
Vincentius von
Paula Anregung zu reger Liebesthätigkeit verschiedener
Mönchs-
und Nonnenorden auf diesem Gebiet. 1698 gründete A. H.
Francke das berühmte Waisenhaus in
Halle,
[* 6] welches im Gebiet der evangelischen
Kirche vielfache
Nachahmung erweckte.
Namentlich schlossen seinem Vorbild sich die großen Waisenhäuser
Friedrichs I. und
Friedrich
Wilhelms I. von
Preußen
[* 7] zu
Königsberg,
[* 8]
Potsdam
[* 9] (Militärwaisenhaus), die ähnlichen
Gründungen Steinbarts zu
Züllichau (1719), Schinmeiers zu
Stettin
[* 10] (1730),
Zahns zu
Bunzlau
[* 11] (1754) an. Das philanthropische
Zeitalter, welches das pietistische ablöste, regte die
Frage an, ob nicht
die
Erziehung der Waisen in rechtschaffenen
Familien der Anhäufung solcher unglücklichen
Kinder in geschlossenen Anstalten
vorzuziehen wäre.
Manches läßt sich dafür sagen, aber schwerlich wird jener Weg dem
Bedürfnis je ganz genügen können. Auch verursacht die
unterrichtliche Versorgung zerstreuter Waisen unverhältnismäßig höhere
Kosten. Überdies ist ein großer Teil der
seit 1779 (Preisaufgabe der
Hamburger Patriotischen
Gesellschaft) gegen die Anstaltserziehung der Waisen erhobenen Bedenken
dadurch erledigt, daß im
Lauf des 19. Jahrh. und namentlich seit
Erlaß des deutschen
Strafgesetzbuchs von 1871 die
Fürsorge für
die sittlich verwahrloste oder gefährdete
Jugend grundsätzlich von der Waisenpflege getrennt und eignen
Rettungshäusern
(s. d.) überwiesen worden ist, während anderseits der
Franckesche
Gedanke, die Waisenhäuser
mit Lehranstalten zu
verbinden, die auch
Kindern aus ungetrübten häuslichen Verhältnissen
Unterricht und
Erziehung gewähren, immer mehr
Boden
gewann. 1885 bestanden in
Preußen 396 Waisenhäuser
mit 18,827
Insassen, von denen 12,344 völlig verwaist waren, darunter 4140 unter
u. 8204 über 10 Jahre alt. Reichs-Waisenhäuser
, s.
Reichsfechtschule.