Wahlverwan
dtschaft,
s.
Chemische Verwandtschaft.
[* 2] - Auf menschliche Beziehungen
übertragen, was unter ausdrücklicher
Beziehung auf das chemische Affinitätsgesetz zuerst
Goethe gethan hat, bezeichnet Wahlverwan
dtschaft diejenige Form wechselseitiger
Zusammengehörigkeit zwischen
Personen (desselben oder verschiedenen
Geschlechts), welche weder, wie die (angeborne)
Blutsverwandtschaft,
auf gemeinsamer Abkunft
(Einheit des
Bluts) noch, wie die (gesetzlich, z. B. durch Eheschließung erworbene) bürgerliche
Verwandtschaft, auf der
Sanktion des (kirchlichen oder staatlichen)
Gesetzes
(Einheit vor dem
Gesetz), sondern, wie die (frei
und bewußt wählende)
Freundschaft und
(Geschlechts-)
Liebe, auf der (im Unterschied von letztern beiden
unwillkürlich und bewußtlos wirksamen) Anziehungskraft des gegenseitig sympathisierenden (physischen und psychischen) Gesamtnaturells
der Verbundenen
(Einheit des
Wesens) beruht.
Dieselbe schließt die beiden erstangeführten Verwandtschaftsformen zwar nicht aus, aber auch nicht ein (Gleichgültigkeit
und Entfremdung zwischen Blutsverwandten;
sogen.
Vernunft- [besser Unvernunft-]
Ehen); vielmehr kann die
(um Herkunft,
Rang,
Stand und
Gesetz unbekümmerte) Wahlverwan
dtschaft sowohl mit der einen (z. B. Romeos und
Juliens Herzensbund mit der Blutsfeindschaft ihrer Elternhäuser) als mit der andern Form (z. B.
Eduards und Ottiliens Seelenbund, in
Goethes klassischem
Roman »Wahlverwan
dtschaften«, mit des erstern legitimem Eheverhältnis
zu
Charlotten) in unvereinbarem
Widerspruch stehen. In letzterm
Fall erscheint, da die Anziehungskraft der
Wahlverwan
dtschaft einerseits von dem Gesamtnaturell ausgeht, also nicht leicht eine Ablenkung erleiden kann, anderseits
ohne
Bewußtsein ausgeübt wird, also wie ein (unwiderstehliches)
Naturgesetz wirkt, der tragische
Ausgang des
Konflikts (in
den beiden angeführten
Beispielen der
Untergang des Liebespaars, der
Tod Ottiliens) kausal ebenso unvermeidlich,
wie die sühnende
Genugthuung, welche im ersten
Fall die
Verletzung der
Stimme des
Bluts, im zweiten die Nichtachtung der
Stimme
des
Gesetzes durch denselben erfährt, ethisch gerechtfertigt. Von beiden
Gesichtspunkten aus ist
Goethes Meisterwerk musterhaft.