allgemeine Bezeichnung aller Gebilde des Seelenlebens, vorzüglich aber derjenigen, welche
Bilder wirklicher
Gegenstände oder aus solchen Bildern entstanden sind. Nach der ältesten und verbreitetsten
Ansicht sind die VorstellungenBilder und
Abdrücke der äußern Gegenstände, wie der schon bei
Demokrat hervortretende psychologische
Realismus lehrt, der
durch
Locke namentlich bei den französischen
Philosophen des 18. Jahrh. wieder in
Aufnahme gekommen ist.
Dieser
Erklärung, die für diejenigen Vorstellungen, für welche ein entsprechender Gegenstand in der Sinnenwelt nicht vorhanden
ist, offenbar nicht ausreicht, tritt die
Ansicht entgegen, nach welcher die
Seele die Vorstellungen ganz aus sich selbst hervorbringen
soll, wie z. B.Berkeley die einzelnen Vorstellungen unmittelbar durch Gott hervorgebracht werden läßt,
oder wie
Leibniz die Reihenfolge derselben aus einer ursprünglichen
Tendenz der
Seele ableitet, welcher in jedem
Augenblick
in dem
Wechsel derVorstellungen Genüge geschehe, und mit welcher der
Lauf der äußern Begebenheiten ohne ursachlichen Zusammenhang
vermöge der prästabilierten
Harmonie zusammentreffe.
Die
Annahme, daß die
Seele ihre Vorstellungen von innen her auf gewisse Anreize erzeuge, nicht aber von
außen her als fertige empfange, hat vieles für sich, mag man nun mit dem
Realismus unsre
Erkenntnis der
Außenwelt mit den
Dingen selbst genau übereinstimmen oder mit dem
Idealismus diese Übereinstimmung nur bedingt oder gar
nicht stattfinden lassen. Einen wichtigen
Punkt in der
Lehre
[* 2] vom Vorstellen bilden die dunkeln oder unbewußten Vorstellungen,
welche in der
Seele vorhanden sind und wirken, ohne zur
Wahrnehmung zu gelangen, wohin z. B. die einem zukünftigen Erinnern
zu
Gebote stehenden Gedächtnisspuren vergangener
Eindrücke gehören sowie die Vorstellungen, welche beimLesen,
Sprechen,
Gehen und bei allen mit Fertigkeit und
Geschick ausgeübten
Künsten unbewußterweise mitwirken, u. dgl.
in der Psychologie das in unserm Bewußtsein erzeugte Bild eines Gegenstandes. Bezieht sich die Vorstellung auf einen
wirklichen Gegenstand, so heißt sie Wahrnehmung oder Anschauung; ist ihr Objekt ein bloß gedachtes, so
wird sie Phantasievorstellung oder Vorstellung im engern Sinne genannt. Zwischen Wahrnehmung und Vorstellung bestehen beim gesunden Menschen scharfe
Grenzen
[* 3] und sowohl qualitative als quantitative Unterschiede, gleichwie auf dem Gebiet innerer Erfahrung das wirkliche Erlebnis
(Freude, Schreck) von der künstlichen Nachbildung
(etwa seitens des Schauspielers) sich nicht nur der Gefühlsstärke,
sondern auch der Gefühlsbeschaffenheit nach unterscheidet.
Aber jede Vorstellung führt auf eine Wahrnehmung zurück. Entweder ist sie ganz eine Wiederholung früherer Wahrnehmung, oder ihre
einfachen Bestandteile sind Abbilder früherer einfacher Empfindungen (s. d.); denn selbst die ausschweifendste Phantasie vermag
keine Vorstellung zu ersinnen, die nicht entweder als Ganzes in der Wirklichkeit existiere oder wenigstens in ihren Teilen thatsächlich
gegeben sei. Am nächsten stehen der Wahrnehmung die Vorstellungen, welche sich unmittelbar an sie anschließen, wie die Vorstellung
des Schmerzes an die Wahrnehmung einer chirurgischen Operation (Erinnerungsnachbilder, apperzeptive Vorstellungsbilder). Je mehr
andre Vorstellungen sich zwischen einen Sinneseindruck und seine Reproduktion einschieben, desto mehr verblaßt die Reproduktion,
d. h. die betreffende Vorstellung. Im allgemeinen nun unterscheiden sich einfache Vorstellungen von Empfindungen, bez. Vorstellungskomplexe
von Wahrnehmungen in folgenden vier Punkten:
1) Vorstellungsbilder sind für gewöhnlich schwächer, undeutlicher als die entsprechenden Empfindungen. Ein bloß vorgestellter
Ton ist eine zweifellos schwächere seelische Zuständlichkeit als derselbe Ton, wenn er wirklich gehört wird. Indessen ist
dieser Intensitätsunterschied bei Individuen mit lebhafter Vorstellungsthätigkeit, also etwa bei Kindern, Frauen, Künstlern,
ein nicht sehr erheblicher, während er bei Menschen mit vorwiegend abstrakter Geistesthätigkeit einen ziemlich hohen Grad
erreicht. Abgesehen von solchen individuellen Verschiedenheiten hängt die Stärke
[* 4] der Vorstellungen von
zwei Umständen ab. Es ist a) eine Vorstellung um so intensiver, mit je größerm Interesse der Gegenstand der ihr zu Grunde liegenden
Sinneswahrnehmung erfaßt wurde, und b) je öfter diese Sinneswahrnehmung auftrat.
2) Jede Vorstellung ist von einem Gefühl der Spontaneität, jede Empfindung von einem Gefühl des Zwanges begleitet.
So oft eine in das Phantasiespiel oder in die Denkthätigkeit eingreift, scheint sie aus dem eignen Innern spontan emporzusteigen
und sich willig der psychischen Aktivität zu unterwerfen. Empfindungen werden uns von außen aufgedrungen und fügen sich
nicht unsern Wünschen: das Rot, das ich sehe, zwingt sich mir als etwas Unveränderliches auf. Vorstellungen
fühle ich als mein Eigentum, das in mir erzeugt und von mir zu beherrschen ist; fehlt das erste Merkmal, d. h.
wird eine Vorstellung auf einen andern Urheber als die eigne Person bezogen, so nennt man das psychische oder Pseudo-Halluzination, fehlt
das zweite Merkmal, d. h. ist die Vorstellung nicht nach Belieben abzuändern und zu
verscheuchen, so spricht man von Zwangsvorstellungen.
4) Den Vorstellungen fehlt die begleitende Muskelempfindung, die mit der Thätigkeit eines jeden Sinnesapparates, demnach
mit allen Empfindungen verbunden ist. Jede Sinnesempfindung wird von Nebenempfindungen begleitet, die
in den Bewegungen des betreffenden Organs (z. B. in Augenbewegungen) ihren Grund haben und ebendorthin von dem Bewußtsein lokalisiert
werden; hingegen ergänzt sich die Vorstellungsthätigkeit durch allgemeine Spannungen der Kopfmuskulatur, die sich nicht
auf den Ort eines besondern Sinnesapparats konzentrieren.
Vorstellung (Erregungs
* 5 Seite 18.984.
So viel von dem, was die innere Erfahrung über das Wesen der Vorstellungen aussagt. Es entsteht nunmehr
die Aufgabe, den Zusammenhang der
¶
mehr
Vorstellungsthätigkeit mit den Erregungsvorgängen im Gehirn
[* 6] in ähnlicher Weise durchsichtig zu machen, wie das für die
Empfindungen möglich ist. Da jede Vorstellung aus einer Wahrnehmung entstanden ist, so muß angenommen werden, daß die Wahrnehmung
irgend einen Eindruck zurückgelassen hat, der in der Vorstellung wieder auflebt. Nun kann jedoch zwischen dem Augenblick
der Wahrnehmung und dem des Auftretens der aus ihr entstandenen Vorstellung eine geraume Zeit liegen, und es fragt
sich, von welcher Art der inzwischen notwendigerweise verbliebene Eindruck ist, daß er, ohne sich bemerkbar zu machen, den
Zeitraum von manchmal vielen Jahren überdauert.
Nach Wundt handelt es sich bei einem solchen Wahrnehmungsresiduum nicht um eine zurückbleibende Spur,
sondern nur um eine funktionelle Disposition, wie überhaupt nach seiner Anschauung die Vorstellungen nicht Wesen, sondern Funktionen
sind, welche gelernt, geübt und gelegentlich auch verlernt werden können. Indessen widerstreitet dem 1) die Thatsache, daß
in pathologischen FällenVorstellungen, die zur Zeit ihrer Entstehung keineswegs besonders eingeübt und
während eines ganzen Lebens nie wieder in der bewußten Seelenthätigkeit verwertet worden waren, durch irgend einen Zufall
wieder wach werden können. Es ist 2) einzuwenden, daß der Ausdruck psychische oder funktionelle Disposition keinen recht
durchdenkbaren Begriffsinhalt besitzt, vielmehr bloß das Geständnis des Nichtwissens enthält.
4) Die dargelegte Theorie erklärt nicht das beständige Hineinwirken des im Hintergrund befindlichen Vorstellungsmaterials
in den vollbewußten Gedankenablauf. Sie vermag endlich 5) keine Grenze festzustellen zwischen den bei jeder Geistesthätigkeit
leise mitschwingenden, noch eben merklichen Vorstellungen und jenen dicht daneben liegenden funktionellen Dispositionen. Will
man sich daher die Wahrnehmungsresiduen psychologisch verständlich machen, so muß man sie sich schon nach
Analogie der Vorstellungen denken und etwa als unbewußte Vorstellungen bezeichnen, wenngleich der Ausdruck schief ist (vgl.
Bewußtsein).
Mit dieser Einsicht ist zugleich eine Auffassung von dem Wesen der Wahrnehmungsresiduen ausgeschlossen, welche man die physiologische
nennt. Ihr zufolge sollen die nicht im Bewußtseinsvordergrund thätigen Vorstellungen gar keine psychische Seite besitzen,
sie sollen einfache Nervenerregungen sein, denen im Unterschied von andern Hirnvorgängen das entsprechende
seelische Korrelat fehlt. Außer den angeführten Punkten spricht hiergegen einmal die Erwägung, daß ein solches Überspringen
der Theorie von der psychischen zur physischen Kausalkette eine unausfüllbare und unerklärliche Lücke in jener entstehen
läßt, alsdann die Unmöglichkeit, die Mechanik der Großhirnthätigkeit als Ursache psychischer Prozesse
nachzuweisen (s. Psychologie). Ebensowenig jedoch genügt die psychologische Auffassung, die in den Spuren oder Dispositionen
ausschließlich seelische Zuständlichkeiten erblickt. Folgende Thatsachen nämlich beweisen augenscheinlich die ausnahmslose
Korrespondenz zwischen Vorstellungsreproduktion und Erregungsvorgang im Gehirn.
1) Vorstellungsbilder von außergewöhnlicher Lebhaftigkeit unterscheiden sich in nichts von Sinnesempfindungen,
denn sie können
Reflexbewegungen und Nachbilder zur Folge haben. Wenn daher Empfindungen als zweifellos physiologisch bedingt
anzusehen sind, so läßt sich die Folgerung kaum abweisen, daß auch Vorstellungen es seien.
2) Dasselbe folgt aus dem Umstande, daß Halluzinationen (s. Sinnestäuschung) ohne peripherischen Reiz durch bloße Hirnerregung
eintreten, und 3) daraus, daß mit zunehmender (abnehmender) Reizbarkeit des Großhirns die Lebhaftigkeit
der Vorstellungen wächst (abnimmt). Ferner lehren hirnphysiologische Untersuchungen die Abhängigkeit einzelner psychischer
Leistungen von einzelnen Regionen der Großhirnrinde, ganz abgesehen von dem freilich nur allgemein bestätigten Abhängigkeitsverhältnis
der seelischen Entwickelung von der Gehirnentwickelung.
Zur Feststellung dieser Beziehungen haben sich anatomisch-histologischer Methoden bedient Steiner, Gudden,
Flechsig, v. Monakow, Gaskell, Golgi, Forel; der speziell-physiologischen Forschungsweise mit Ausfalls- und Reizversuchen Munk,
Ferrier u. a. Es ergibt sich aus ihnen, daß z. B. die
Leistungen optischer oder akustischer Vorstellungsbilder an bestimmte Regionen der Rinde gebunden sind; man muß sich jedoch
hüten, einerseits diese Regionen als Zentren zu bezeichnen, anderseits zwischen sensorischen und motorischen
Sphären scharf zu scheiden, denn jede sensorische Vorstellung enthält zugleich ein motorisches Element, und jede Bewegungsvorstellung
wurzelt in einer Empfindung.
Über die Bedeutung dieser Lokalisationen bestehen zwei Theorien. Die Projektionstheorie nimmt an, daß die Gliederung unsrer
Körperperipherie in Sinnesorgane und Muskelgruppen gewissermaßen auf das Nervenzentrum projiziert sei
und sich dort in besondern Großhirnrindenfeldern widerspiegele, deren Abgrenzung voneinander der Abgrenzung der Sinnesapparate
und der verschiedenen Muskelzüge voneinander entspreche. Die andre Theorie sieht das Prinzip der Lokalisation in der praktischen
Zusammengehörigkeit der verschiedenen Vorstellungsklassen, wie z. B. die motorische Sprachsphäre
neben der Region der Klangbilder liegt, weil die Leistungen beider Felder associativ miteinander verbunden
sind.
Fragt man nun, wie in jeder solchen Sphäre die einzelnen Wahrnehmungsresiduen aufbewahrt werden, so liegt die Antwort am
nächsten, daß in jeder der unzähligen Nervenzellen der Großhirnrinde eine bestimmte Vorstellung sitzt, die bei Erregung der betreffenden
Zelle
[* 7] in Thätigkeit tritt, d. h. bewußt wird. Diese Vermutung beruht indessen auf der falschen Voraussetzung,
als seien die Vorstellungen starre Größen, die stets unverändert in ein mechanisches Spiel eingriffen. In Wirklichkeit hat
die Vorstellung während der Zelt, wo sie unthätig in einer Zelle gelagert haben soll, Veränderungen erlitten, denn so oft ich auch
eine Vorstellung, etwa die von dem Aussehen eines Freundes, reproduziere, so oft trägt sie, man möchte sagen
eine andre Färbung. - Zu den psychologischen und physiologischen Gründen für die Korrespondenz zwischen Vorstellungsthätigkeit
und Gehirnerregung treten Gründe, die sich auf pathologische Erfahrungen stützen.
Vorstellung (Reprodukt
* 9 Seite 18.985.
Bei Verletzung einer bestimmten Region der Großhirnwindungen wird eine scharf abgegrenzte Fähigkeit der
Vorstellungsreproduktion gestört, z. B. die Fähigkeit, Worte zu lesen (Alexin) oder zu schreiben (Agraphie). Von besonderer
Wichtigkeit ist die amnestische Aphasie (Agraphie): der Kranke vermag nicht ein Wortbild spontan in Sprache
[* 8] (Schrift) zu produzieren,
obwohl er es nachsprechen (schreiben) kann, wenn es ihm vorgesprochen (geschrieben) wird. Dabei sind alle
andern
¶
mehr
Vorstellungsthätigkeiten nicht im mindesten gestört. Ebenso bei der amnestischen Paraphasie (Paragraphie), wo der sprechende
(schreibende) Patient verkehrte Worte zum Ausdruck seiner Gedanken wählt, und bei der Worttaubheit (Wortblindheit), wo der Kranke
wohl die Wörter als Klangzusammensetzungen hören (lesen) kann, aber ihrem Sinne nach nicht mehr versteht. Hierher gehören
endlich die Fälle von sogen. Seelenblindheit (Seelentaubheit), in denen bei sonst unverletzter Intelligenz
und Erinnerung die Reproduzierbarkeit aller Gesichts- (Gehörs-) Vorstellungen u. die Wirksamkeit der zwischen ihnen bestehenden
Associationen stark beeinträchtigt ist (vgl. Gedächtnis).
Ebenso wie das Auftreten von Vorstellungen an physiologische Vorgänge geknüpft ist, ebenso ist es an psychologische Gesetze
gebunden. Man bezeichnet diese Gesetze als Reproduktionsgesetze, nach denen vergangene Empfindungen oder
Vorstellungen reproduziert werden, d. h. als Vorstellungsbilder in unserm Bewußtsein wieder auftauchen. Während sie physiologisch
sich alle auf das Prinzip der Übung zurückführen lassen, müssen sie für die psychologische Betrachtung getrennt behandelt
werden.
2) Gesetz der Succession: Von zwei unmittelbar aufeinander gefolgten Vorstellungen hat die erste bei ihrem Wiedereintreten meist
auch die Reproduktion der zweiten zur Folge (Blitz - Donner). Nicht jedoch zieht umgekehrt das Wiederauftauchen der zweiten Vorstellung das
der ersten nach sich; bei der Reproduktion von Vorstellungsresten erkennt man am leichtesten, daß wohl
a die darauf folgende Vorstellung b etc. ins Gedächtnis zurückruft, aber nicht z x und so rückwärts bis zu a. Von Vorstellungen,
welche im Verhältnis der Koexistenz oder Succession stehen, sagt man, sie seien miteinander associiert (s. Ideenassociation,
Bd. 8). Die Festigkeit
[* 11] dieser Associationen unterliegt gleichfalls bestimmten Regeln.
Ihr Stärkegrad ist abhängig a) von der Häufigkeit, mit der zwei Vorstellungen associativ verbunden reproduziert worden sind,
b) von der Zeitdauer, die seit ihrer letzten gemeinsamen Reproduktion verflossen ist, c) von dem Aufmerksamkeits- und Interesseaufwand,
der sie bei ihrer gemeinsamen Reproduktion zu begleiten pflegt, d) von der Entfernung, die zwischen zwei
Vorstellungen liegt, sofern sie einer größern Vorstellungsreihe angehören, und e) von der Länge eben dieser Reihe.
3) Gesetz der Elimination: Wenn von drei aufeinander folgenden Vorstellungen bei wiederholter gemeinsamer Reproduktion die mittlere
vernachlässigt zu werden pflegt, so kann sie schließlich ganz fortfallen und die dritte Vorstellung sich
unmittelbar an die erste associieren. Dem Anfänger im Geigenspiel ruft die Note d'' zunächst die Vorstellung »dritte Lage« und dann
die Vorstellung »vierter Finger« wach; bei fortschreitender Übung aber wird das Mittelglied ausgeschaltet und an die d'' sofort die
Vorstellung »vierter Finger« associiert. Man spricht in diesem Sinne wohl auch von »lückenhaften Associationen«.
4) Gesetz der Synthese: Von den aufeinander folgenden Vorstellungen einer Reihea b c d besitzt nicht nur die letzte die Tendenz,
die an sie sich anschließende Vorstellung e wachzurufen, sondern auch der Vorstellungskomplex a b c d, zu einem
reproduktionsfähigen Ganzen verschmolzen, kann als eine Synthese solcher Art die Angliederung von e zur Folge haben. Wenn
demnach in andern Zusammenhängen sehr verschiedene Vorstellungen sich an d associiert haben, so wird doch beim Auftreten von
d in der Synthese
a b c d immer nur e reproduziert werden. Hieraus ergibt sich die praktische Regel, beim
Auswendiglernen nicht die Gesamtheit der Worte nacheinander zu wiederholen, sondern kleinere Ganze herzustellen, an deren
letzten Faktor sich dann stets der thatsächlich folgende als erster einer neuen Synthese mit Leichtigkeit associieren wird.
5) Gesetz der Substitution. A. Substitution durch Ähnlichkeit:
[* 12] Wenn im allgemeinen durch das Auftreten von
a Vorstellung b reproduziert wird, so kann doch schon durch Auftreten der a nur ähnlichen Vorstellung α das
Vorstellungsbild b wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden. Angenommen, es sei mit dem Anblick einer bestimmten Person
zugleich die Vorstellung von seinen Bewegungs- und Spracheigentümlichkeiten verbunden, so wird bereits der Anblick
des jener Person nur ähnlichen Porträts diese Vorstellung von seinen sonstigen Eigentümlichkeiten erwecken: »das
Bild ist sprechend ähnlich« sagt man dann wohl. Im einzelnen sind zwei Fälle möglich. I. Der eben als Beispiel benutzte Fall:
die a ähnliche Vorstellung α läßt die mit a verbundenen Vorstellungen b c... und so eventuell auch indirekt
die a reproduziert werden. An α (das Porträt) wird d c... (Spracheigentümlichkeiten, Name ... des Dargestellten) vorstellungsmäßig
angegliedert und so in α (dem Porträt) a (das Original) »wiedererkannt«.
II. Die a ähnliche Vorstellung α läßt die den Vorstellungen b c... ähnlichen Vorstellungen β γ... reproduziert
werden. Dann »erinnert« α an a. B. Substitution durch Kontrast: Wenn im allgemeinen durch das Auftreten von a Vorstellung b reproduziert
wird, so kann doch auch durch Auftreten der a gerade entgegengesetzten a¹ das Vorstellungsbild b wieder ins Gedächtnis zurückgerufen
werden. Während für gewöhnlich nur durch komische Vorgänge (a) die Vorstellung des Lachens (b) geweckt wird,
kann manchmal durch gerade entgegengesetzte Vorgänge, z. B. durch eine Leichenfeier (a¹),
die Vorstellung vom und der Reiz zum Lachen (b) entstehen. Die witzigen Impromptus beruhen meist auf der augenblicklichen Association
kontrastierender Vorstellungen.
Abgesehen von den beiden letzten Unterfällen (5 A und B), ist es für die Bewährung der Reproduktionsgesetze
gleichgültig, von welcher Beschaffenheit die dabei in Betracht kommenden Vorstellungen sind. Auch thut es den genannten Bestimmungen
keinen Eintrag, ob die Reproduktion dieser oder jener Art willkürlich vorgenommen wird (»ich besinne
mich«) oder Unwillkürlich erfolgt (»es fällt mir ein«, »es
kommt mir in den Kopf«). Immerhin erschöpfen die Gesetze nicht die Mannigfaltigkeit des Vorstellungslebens,
denn es ereignet sich auch, daß Vorstellungen ohne sichtbare Hilfe andrer Vorstellungen im Bewußtsein auftauchen (frei steigende
Vorstellungen), und anderseits sind die Gesetze nicht bloß auf Vorstellungen beschränkt, sondern gelten gleicherweise für
Empfindungen, Gefühle, Triebe in ihrem Verhältnis untereinander (ein Lustgefühl reproduziert leicht ein
zweites), zu einander (ein Lustgefühl führt einen Trieb ins Bewußtsein zurück) und zu den Vorstellungen (die aktuelle Empfindung
ruft eine verwandte Vorstellung wach). Dazu kommt, daß infolge der sogen. Enge des Bewußtseins (s. d.) die Befolgung der aufgezählten
Prinzipien gewissen quantitativen Beschränkungen unterliegt. So entstehen folgende Vereinfachungen der
Reproduktionsgesetze:
im weitesten Sinne ein auf etwas Gegenständliches sich beziehender Seelenvorgang. Man kann sich
Gegenden, Personen, Gefühle, Absichten vorstellen. Man unterscheidet dem Sprachgebrauch gemäß zwischen dem «Vorstellen»,
der subjektiven Funktion, dem «Inhalt» der Vorstellung und ihrem «Gegenstand». Wenn
ich mir eine Person vorstelle, so ist sie in ihrer Selbständigkeit als Wesen für sich gedacht, der Gegenstand, irgend eine
Erscheinungsweise derselben, etwa ihr Gesicht
[* 13] oder ihre Gestalt, dagegen der Inhalt meiner Vorstellung. Als ein besonderes
¶
mehr
psychisches Phänomen hat Brentano das Vorstellen betrachtet. Dagegen ist die große Mehrzahl der Psychologen der Ansicht, daß
man von dem Gegenstande einer Vorstellung, im Unterschiede von deren Inhalt, nur reden könne, insofern man noch ein besonderes Wissen
davon habe, und daß eine besondere vorstellende Thätigkeit als ein eigentümliches psychisches Phänomen
nicht existiere. Danach wäre der Inhalt das in der Vorstellung thatsächlich allein Vorhandene. Mit Rücksicht auf die Bedeutung der
Vorstellung für die Erkenntnis redet man von Wahrnehmungs -, Erinnerungs- und Phantasievorstellung.
Die erstern, auch einfach Wahrnehmungen genannt, beziehen sich auf einen gegenwärtigen, also die Sinne des Wahrnehmenden
affizierenden Gegenstand. Die Erinnerungsvorstellung richtet sich auf ein Vergangenes; die Phantasievorstellung
besteht in einer freien und neuen Kombination bekannter Vorstellungselemente und kann sich auf etwas Zukünftiges beziehen.
Zwischen Wahrnehmung und Anschauung macht man, wenn überhaupt, den Unterschied, daß man den letztern Begriff auf die räumlich-zeitlich
bestimmten Wahrnehmungen einschränkt.
Die nicht weiter zerlegbaren Bestandteile einer Vorstellung nennt man Empfindungen. Über dieReproduktion und Association der
s. Ideenassociation. Die Unterscheidung von Einzel- und Allgemeinvorstellungen, die früher besonders zu logischen Zwecken
stattfand, indem man die letztern als die Vorstellungsäquivalente der Begriffe ansah, hat seit Berkeleys scharfer Kritik dieser
«realistischen» Meinung ihre Bedeutung verloren. Dagegen hat
sich noch immer die Annahme unbewußter Vorstellung bei denen erhalten, die das Bewußtsein nur als eine Seite oder Eigenschaft des
psychischen Seins betrachteten.
Zumeist wird gegenwärtig das Unbewußte nur insofern anerkannt, als es mit dem Unbemerkten sich deckt. So ist in der Vorstellung eines
Klanges irgend ein bestimmter mitwirkender Oberton eine unbewußte Empfindung, sofern er nicht als
solcher herausgehört wird. Auch die angeborenen Vorstellung, von denen seit Platon in den Kreisen rationalistischer Metaphysiker viel
geredet wurde, und die in der modernen Biologie wieder Verwendung gefunden haben, sind unbewußte Vorstellung. Die Ansicht, daß in der
Vorstellung die Grundfunktion des Seelenlebens zu erkennen sei, wird Intellektualismus genannt. Leibniz und Herbart
sind die Hauptvertreter dieses Standpunktes. Im Gegensatz dazu sind Schopenhauer, Wundt u. a.
der Meinung, daß der Wille die wesentliche ursprüngliche Funktion sei, und bekennen sich demnach zum Voluntarismus. –