Vormundschaft
(Tutel,
Kuratel, Pflegschaft), die unter öffentlicher
Autorität stehende privatrechtliche
Fürsorge für
schutzbedürftige
Personen (Bevormundete,
Mündel) durch einen nicht selbst gewählten
Beistand (Vormund,
Tutor,
Kurator,
Pfleger).
Der Inbegriff der Rechtssatzungen über das Vormundsch
aftswesen heißt Vormundschaft
srecht.
Letzteres
wird in der
Regel als Teil des
Familienrechts betrachtet, so auch in dem
Entwurf eines deutschen bürgerlichen
Gesetzbuchs (§ 1633 ff.).
Unter den Verhältnissen, durch welche eine Vormundschaft
veranlaßt wird, steht die
Jugend obenan, indem die Vormundschaft
ergänzend eingreifen
soll, wenn und soweit der hausväterliche
Schutz nicht ausreicht oder ganz fehlt.
Geschichtskarten von D

* 2
Deutschland.
Das
römische Recht unterschied dabei zwischen der tutela und der cura. Die
Tutel bezog sich auf
Unmündige bis zum 14., resp. 12. Jahr,
während Minderjährige von dieser Altersgrenze ab bis zum Volljährigkeitstermin unter
Kuratel standen. Nach heutigem
Recht
sind der Altersvormundschaft
alle Minderjährigen unterworfen, in
Deutschland
[* 2] also nach dem
Reichsgesetz
vom alle
Personen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr, sofern sie nicht unter väterlicher
Gewalt stehen. Im
Gegensatz
zur Altersvormundschaft
werden die übrigen
Fälle der als
Zustandsvormundschaft bezeichnet.
Eine solche wird nach vorgängiger Entmündigung (s. d.) infolge von Geisteskrankheit, Verschwendung und sogen. Bresthaftigkeit angeordnet, unter welch letzterer man den Zustand solcher Personen (personal debiles) versteht, welche wegen körperlicher Gebrechen, z. B. Blindheit, Taubheit, oder wegen langwieriger Krankheit ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen können. Daneben kommen auch bloße Vermögenskuratelen oder Pflegschaften (curae bonorum) vor, so die Kuratel über das Vermögen eines Verschollenen, über eine ruhende Erbschaft und über das Vermögen, welches für das noch nicht geborne Kind einer Schwangern reserviert wird (cura ventris).
Vorort - Vorparlament

* 3
Seite 16.286.
Der Vormund wird in solchen
Fällen
Pfleger
(Kurator) genannt. Die namentlich im deutschen
Recht begründete Geschlechtsvormundschaft
,
welcher früher jede nicht unter väterlicher
Gewalt stehende unverheiratete und volljährige Frauensperson unterworfen
war, ist jetzt beseitigt. Die eheliche Vormundschaft
des Ehemanns über die Ehefrau, welch letztere sich regelmäßig
nicht ohne des erster Zustimmung rechtsgültig verpflichten kann, ist dagegen praktisch geblieben. Auch der
Entwurf eines
deutschen bürgerlichen
Gesetzbuchs (§ 1300 ff.) hält an dem
Grundsatz fest, daß die Zustimmung des Ehemanns zur Gültigkeit
von
Rechtsgeschäften der Ehefrau unter
Lebenden erforderlich ist. Nur wenn die Ehefrau mit
Wissen
¶
mehr
und ohne Widerspruch oder mit Einwilligung des Ehemanns ein Erwerbsgeschäft betreibt, so ist die Zustimmung des Ehemanns
zu denjenigen Rechtsgeschäften nicht erforderlich, welche ebendieser Geschäftsbetrieb mit sich bringt; ein Grundsatz, der
nach dem deutschen Handelsgesetzbuch bereits für die Handelsfrau in Geltung ist. In vielen Staaten ist das Vormundschaft
swesen
durch ausführliche Vormundschaft
sordnungen normiert, so in Preußen
[* 4] durch die Vormundschaft
sordnung vom Im
Anschluß an das gemeine Recht unterscheidet die letztere zwischen gesetzlichen, berufenen und gewählten Vormündern.
Gesetzliche Vormünder sind der Vater in Ansehung der aus seiner väterlichen Gewalt geschiedenen minderjährigen Kinder, der
mütterliche Großvater unehelicher Kinder und der Vorstand der unter Verwaltung des Staats oder einer Gemeindebehörde
stehenden Verpflegungsanstalten über die darin aufgenommenen Mündel bis zu deren Großjährigkeit. Berufen zur Vormundschaft
sind der
Adoptivvater, die Mutter in Ansehung ihrer ehelichen Kinder, die Großeltern, die vom Vater oder von der Mutter im letzten Willen
oder in einer gerichtlich oder notariell beglaubigten oder in einer eigenhändig ge- und unterschriebenen
Urkunde ernannten Vormünder. Im Mangel berufener Vormünder sind Wahlvormünder zu bestellen.
Diese sowie die berufenen Vormünder bedürfen einer richterlichen Bestallung, die für die gesetzlichen Vormünder nicht
erforderlich ist. In der Regel fungiert nämlich der ordentliche Richter (Vormundschaft
srichter), unter welchem der zu Bevormundende
steht, als Obervormundschaft
sbehörde (s. Obervormundschaft). Durch diese Behörde wird das staatliche Oberaufsichtsrecht
über das gesamte Vormundschaftswesen ausgeübt; sie hat die Verpflichtung des Vormundes zu bewirken und dessen Bestallungsurkunde
(Tutorium) auszufertigen, sie entscheidet über die Entfernung (Remotion) eines untauglichen oder unredlichen Vormundes und
über die etwanige Unfähigkeit eines solchen oder über die Ablehnung eines designierten Vormundes.
Als Ablehnungsgründe (Exkusationsgründe) werden namentlich folgende anerkannt: die Übernahme einer Vormundschaft kann ablehnen, wer das 60. Lebensjahr zurückgelegt hat;
wer fünf oder mehr minderjährige Kinder hat;
wer an einer hindernden Krankheit oder an einem Gebrechen leidet;
wer im Bezirk des Vormundschaftsgerichts nicht seinen Wohnsitz hat.
Nach dem Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs ist auch eine Frau, soweit sie überhaupt zur Übernahme einer Vormundschaft fähig, zur Ablehnung berechtigt. Unfähig zur Übernahme einer Vormundschaft ist jeder, der selbst der Vormundschaft bedarf, also namentlich Minderjährige, ferner Frauen, die eheliche Mutter und Großmutter und nach dem Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs auch die berufene Vormünderin ausgenommen, desgleichen der Gemeinschuldner während der Dauer des Konkurses.
Die Rechnungslegung seitens des Vormundes geschieht unter Kontrolle der Obervormundschaft. Außerdem hat die preußische Vormundschaftsordnung noch das französische Institut des Familienrats (s. d.) adoptiert, der dem Vormundschaftsrichter zur Seite steht. Ferner soll in jeder Gemeinde ein sogen. Waisenrat bestellt und den Vormündern für das Erziehungswesen der Mündel beigeordnet werden. Familienrat und Waisenrat sind auch in den Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs übergegangen.
Für die Vermögensverwaltung endlich ist dem Vormund ein Gegenvormund beizugeben, soweit dies nicht vom Vater oder von der Mutter ausdrücklich untersagt ist. Auch kann die Bestellung eines Gegenvormundes unterbleiben, wenn das Mündelvermögen nur ein geringfügiges ist.
Vgl. Kraut, Die Vormundschaft (Götting. 1835 bis 1859, 3 Bde.);
Rive, Geschichte der deutschen Vormundschaft (Braunschw. 1862-74, 2 Bde.);
Dernburg, Vormundschaftsrecht der preußischen Monarchie (3. Aufl., Berl. 1886);
Christiani, Das Amt des Vormundes (3. Aufl., das. 1886);
Wachler, Die preußische Vormundschaftsordnung (2. Aufl., Bresl. 189).