Vorarlberg
,
das kleinste Kronland der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, zu deren cisleithanischem
Teile gehörig,
mit besonderer Landesverfassung, eigenem Landtage und Landesverwaltung, in administrativer
Beziehung jedoch mit
Tirol
[* 2] vereinigt,
grenzt im N. an
Bayern,
[* 3] im O. an
Tirol, im
S. an die
Schweiz
[* 4] und im
W. an Liechtenstein,
[* 5] die
Schweiz und
Bodensee,
und hat 2602,45 qkm
Fläche. Der
Name kommt her von seiner
Lage vor dem
Arlberge. (S. Karte:
Tirol und Vorarlberg.
)
Oberflächengestaltung. Vorarlberg
, durch den
Arlberg von der übrigen Monarchie getrennt, ist ein Gebirgsland, das im südl.
Teil von
der aus krystallinischem Gestein bestehenden Rhätikonkette, Silvretta- und Fervallgruppe der Centralalpen
und im nördl.
Teil von den aus tertiären Gesteinen zusammengesetzten
Lechthaler Alpen und dem
Bregenzer
Wald (s. d.) erfüllt
wird. Die Rhätikonkette, welche die südl. Grenze gegen die
Schweiz bildet, hat eine mittlere Kammhöhe von 2492 m und zählt 25 Gipfel
von 2500 bis 3000 m, darunter der
höchste die Scesaplana (2967 m). Der höchste
Punkt von Vorarlberg
ist das Fluchthorn (3408
m) in den
Silvretta-Alpen (s. Ostalpen). Hauptthäler sind das Rheinthal von der Illmündung
bis zum
Bodensee, 63 km lang, 7 km breit, das Illthal (36 km), im obersten
Teil Fermuntthal, sodann Montafon (s. d.) und im
untern
Teil Walgau genannt, das
Thal
[* 6] der
Bregenzer
Ach (46 km) und das Lechthal.
Größere Seitenthäler des
Illthals sind links das Samina- (16 km) und Gamperton- oder Mönkbachthal (12 km), rechts das
Walser- (20 km), das bis zum
Arlberg reichende
Kloster- (24 km) und das Silberthal.
Von dem 489 km großen
Bodensee gehören 34 qkm zu
Österreich;
[* 7] außerdem besitzt Vorarlberg
zahlreiche Hochgebirgsseen,
darunter der schönste der in einem großartigen Felsenkessel tief eingebettete, 5 qkm große Lüner See (1924 m).
Das Klima ist im Verhältnis zu der bedeutenden Höhenlage sehr gemäßigt, was hauptsächlich dem öftern Auftreten
des Föhns (in
Bludenz 31
Tage im Jahre) sowie der gegen Westen offenen
Lage zuzuschreiben ist.
Bregenz
[* 8] hat
eine mittlere Jahrestemperatur von 8,4° C. Hingegen überragt Vorarlberg
hinsichtlich der Regenmenge selbst die benachbarten
Gebirgsländer, indem
Bregenz 1389,
Bludenz 1218, Dornbirn 1413
mm. jährliche Regenmenge hat (gegen
Salzburg
[* 9] 1062
mm).
Bevölkerung.
[* 10]
Die Bevölkerung betrug 1880: 107373, 1890: 116073 (56790 männl., 59283 weibl.)
E. Die Volksdichte betrug 1890 in
Tirol und Vorarlberg
32, in Vorarlberg allein 45 E. auf 1 qkm. Dem
Religionsbekenntnis nach waren 114711
Römisch-Katholische, 824
Evangelische
Augsburger und 392 helvetischer Konfession und 136 Israeliten,
der Nationalität nach 105259 Deutsche
[* 11] und 3085
Italiener. Die Zahl der
Geburten betrug 1895: 3384, der
Ehen 790, der Todesfälle 2574.
Land- und Forstwirtschaft. Von der gesamten Fläche sind 91,44 Proz. produktiv (3,02 Proz. Ackerland, 13,39 Wiesen, 34,88 Alpenweiden, 10,38 Hutweiden und 26,01 Proz. Wald). Der Ertrag an Getreide [* 12] reicht nicht zur Ernährung der Bevölkerung hin. Wein gedeiht bis 650 m, Getreide, Flachs, Hanf und Obst bis 1125 m Meereshöhe. 1894 wurden geerntet 4340 hl Weizen, 10910 Spelz, 3900 Roggen, 6550 Gerste, [* 13] 10480 Hafer, [* 14] 26320 Mais, 2030 Hülsenfrüchte, 5760 Mengfrucht, 11071 t Kartoffeln, 2140 Runkelrüben, 618 Kraut, 454 Kürbis, [* 15] 20 Hanf, 106600 t Heu, 1588 hl Wein und 2715 t Obst.
Bedeutend ist die Viehzucht. [* 16] 1890 wurden gezählt: 2763 Pferde, [* 17] 58231 Rinder, [* 18] 12204 Schafe, [* 19] 12424 Ziegen, 11556 Schweine [* 20] und 8007 Bienenstöcke. Das Rindvieh, besonders die Montavoner Rasse, ist berühmt. Auch das Molkereiwesen steht auf hoher Stufe. Die Holzgrenze reicht bis etwa 2000 m, in welcher Höhe nur die Legföhre vorkommt. In Wirtatobel bei Langen, östlich von Bregenz, werden drei 42 cm mächtige Kohlenflöze von einer bayr. Aktiengesellschaft abgebaut.
Industrie. Die Industrie ist infolge der Ausnutzung der Wasserläufe sehr entwickelt. Es bestehen 17 Baumwollspinnereien mit 179000 Spindeln und 1872 Arbeitern, 22 Webereien mit 3168 Webstühlen und 2294 Arbeitern, 14 Färbereien, Druckereien, Bleichereien und Appreturen mit 1092 Arbeitern; außerdem wird die Hand- und Maschinenstickerei als Hausindustrie betrieben. Bedeutend ist auch die Verfertigung von Holzwaren und von Alpenhütten (hölzerne Alpenhütten gehen zu Wasser nach der Schweiz), Schiffbau und Papierfabrikation. [* 21] Den ¶
mehr
Sommer bringen viele Einwohner als Maurer oder Tagelöhner in der Schweiz zu.
Der Verkehr wird durch die Linien Innsbruck-Feldkirch-Lindau, Feldkirch-Buchs und Lautrach-St. Margarethen der Österr. Staatsbahnen [* 23] (120 km) und durch sechs Bodenseedampfer sowie durch 1471 km gute Straßen vermittelt.
Für den Unterricht sorgen ein Realgymnasium in Feldkirch, eine Bürgerschule und 192 Volksschulen.
Verfassung und Verwaltung. Nach der Landesverfassung vom besteht der Vorarlberger Landtag, welcher jährlich, infolge
kaiserl. Einberufung, in Bregenz zusammentritt, aus 20 Mitgliedern, nämlich dem fürstbischöfl. Generalvikar und 19 auf
sechs Jahre gewählten Abgeordneten (4 Abgeordneten der Städte Bregenz, Feldkirch, Bludenz und des Markts Dornbirn, 1 Abgeordneten
der Handels- und Gewerbekammer in Feldkirch, 14 Abgeordneten der übrigen Gemeinden). Vorarlberg
wählt auf Grund des neuer Wahlgesetzen
(1896) 4 Abgeordnete in das österr. Abgeordnetenhaus und zwar 1 Vertreter der Städte und Märkte und der Handels- und Gewerbekammer
in Feldkirch, 2 der Landgemeinden und 1 der allgemeinen Wählerklasse (gewählt durch allgemeines Stimmrecht.
Das Land wird von dem Statthalter in Innsbruck
[* 24] verwaltet und ist in 3 Bezirkshauptmannschaften eingeteilt:
Bezirkshauptmannschaften | qkm | Häuser | Wohnparteien | Einwohner 1890 | Einw. auf 1 qkm |
---|---|---|---|---|---|
Bludenz | 1320,35 | 6806 | 5498 | 25104 | 19 |
Bregenz | 826,44 | 8849 | 9184 | 41824 | 51 |
Feldkirch | 455,66 | 8445 | 10136 | 49145 | 108 |
Die Rechtspflege besorgen das Kreisgericht in Feldkirch und sechs Bezirksgerichte. In kirchlicher Beziehung gehört das Land zu dem Sprengel des Fürstbischofs von Brixen, dessen Stellvertreter der Generalvikar in Feldkirch ist. In militär. Beziehung untersteht es dem 14. Korpskommando in Innsbruck. Hauptstadt ist Bregenz. Das Wappen ist ein Schild [* 25] mit drei Querreihen, einem Mittelschilde und einer eingepfropften Spitze. Im silbernen Mittelschild befindet sich die rote Montfortsche Kirchenfahne.
Die obere Reihe enthält drei Felder (Grafschaft Sonnenberg, Grafschaft Bregenz, Grafschaft Feldkirch). Die mittlere Reihe zeigt rechts vom Mittelschild ein silbernes Feld (Grafschaft Bludenz), links einen blauen Schild (Grafschaft Hohenems). Die untere Reihe enthält zwei Felder (Grafschaft Dornbirn, Bregenzer Wald). Die eingepfropfte silberne Spitze enthält zwei schwarze Schlüssel (Grafschaft Montafon). Auf dem Schilde ein Fürstenhut. [* 26] (S. Tafel: Wappen [* 27] der Österreichisch-Ungarischen Kronländer, [* 22] Fig. 7.) Die Landesfarbe ist Rot-Weiß.
Geschichte. Vorarlberg
ist zumeist durch Kauf an Österreich gekommen, 1363 wurde die Feste Neuenburg,
[* 28] 1375 die Grafschaft Feldkirch, 1394 Bludenz
und Montavon, 1451 und 1523 Bregenz gekauft und 1765 Hohenems nach dem Aussterben des Mannstamms der Grafen
von Hohenems eingezogen. Vorarlberg
wurde sonst zu Niederösterreich gerechnet, 1782 aber zu Tirol geschlagen. Durch den Preßburger
Frieden kam es, wie Tirol, an Bayern, 1814 aber gelangte es wieder unter Österreichs Herrschaft.
Litteratur. Bergmann, Landeskunde von Vorarlberg
(Innsbr. 1868);
Moosmann, Leitfaden der Geschichte V.s (2. Aufl., ebd. 1874);
Waltenberger, Die Rhätikonkette, Lechthaler und Vorarlberger Alpen (Ergänzungsheft Nr. 40 zu «Petermanns Geographischen Mitteilungen», Gotha [* 29] 1875);
ders., Vorarlberg
und Westtirol (8. Aufl., Innsbr. 1896);
Schindler, Vorarlberg
(4. Aufl., Breg. 1879);
Höhl, Wanderungen durch Vorarlberg
(Würzb. 1880);
Meurer, Illustrierter
Führer durch Westtirol und Vorarlberg
(Wien
[* 30] 1885);
Werkowitsch, Das Land Vorarlberg
(Innsbr. 1887);
Rapp, Topogr.-histor.
Beschreibung des
Generalvikariates Vorarlberg
(Bd. 1-3, Brixen 1892-97); Achleitner und Uhl, Tirol und Vorarlberg (Lpz. 1895).