Volksfeste
,
Feste, an deren
Feier sich das
Volk in irgend einer
Weise selbstthätig beteiligt und ihnen dadurch einen
volkstümlichen
Charakter verleiht. Zu den lokalen Volksfesten
, deren
Feier auf einzelne
Landschaften oder Ortschaften beschränkt
ist, kann man auch solche
Feste der verschiedenen
Genossenschaften und
Stände rechnen, in denen sich die
Eigentümlichkeit des
Volkes in irgend einer
Weise ausspricht, und die deshalb auch allgemeinere
Teilnahme außerhalb des
Kreises
der eigentlichen Festgeber gefunden haben.
Die verbreitetsten Volksfeste
haben sich besonders an regelmäßig wiederkehrende Ereignisse und
Erscheinungen in der äußern
Natur
angeknüpft. So gab bei den verschiedensten Völkern der
Wechsel der
Jahreszeiten,
[* 3] das Ende des
Winters
und der Anbruch des
Frühlings, der Sonnenlauf (s.
Maifest,
Johannisfest und
Julfest), die
Saat, die
Ernte,
[* 4] die Weinlese u. dgl.
zu
Festen Veranlassung.
Mehr auf einzelne
Völker, ja auf Teile derselben beschränkt sind die Volksfeste
oder Nationalfeste, welche
zum Andenken an bedeutende geschichtliche Ereignisse begangen werden, wie der
Guy
Fawkes' Day in
England,
das Gedächtnisfest der
Schlacht bei
Leipzig,
[* 5] die Sedanfeier, die verschiedenen
Konstitutions- und Unabhängigkeitsfeste
, ferner
diejenigen
Feste, welche aus der
Neigung des
Volkes zu gewissen Thätigkeiten und Übungen hervorgegangen sind, wie die
Kampfspiele
der Alten, die
Schwingfeste der
Schweizer, die
Stiergefechte der
Spanier, die
Wettrennen der
Engländer, oder
endlich auf gesellschaftlichen Einrichtungen beruhen, wie die
Jahrmärkte, die
Feste einzelner
Zünfte und die aus dem Waffendienst
der
Bürger sich herschreibenden
Vogel- und Scheibenschießen etc. Einen bedeutenden Einfluß hat auch die
Religion auf die
Volksfeste
geäußert, und dieser war um so größer, je sinnlicher der
Charakter der
Religion war, je mehr sie
das weltliche
Leben des
Volkes in ihr Gebiet zog, und je mehr sie durch bestimmte
Satzungen oder auch durch ihre Geschichte
und namentlich durch ihre
Mythen Anhaltspunkte für festliche
Feier bot.
Dies ist der
Grund, warum vornehmlich die heidnischen
Religionen so reich an
Festen waren, und warum die
Volksfeste
der christlichen
Welt, die in mehr oder minder naher Beziehung zur
Religion stehen, vornehmlich der katholischen und griechischen
Kirche angehören, während die protestantische mehr bei einzelnen weltlichen
Festen, um ihnen gleichsam die höhere
Weihe zu
erteilen, mitzuwirken pflegt. Am volkstümlichsten sind die
Feste geworden, welche, aus heidnischer Zeit
herrührend, von der
Kirche bloß christliche Bedeutung erhielten, wie die ehemaligen
Sonnenwend-,
Herbst- und Frühlingsfeste,
deren
Gebräuche so tief im
Volk wurzelten, daß sie sich bis jetzt erhalten haben.
Bei mehreren christlichen
Festen, wie
Weihnachten und
Ostern, ward sogar der
Name früherer heidnischer
Hoch-
oder Festzeiten beibehalten, und manche Gedächtnistage von
Heiligen und
Kirchweihen, die wahre Volksfeste
geworden sind, mögen absichtlich
in
Zeiten verlegt worden sein, welche schon vorher zu religiösen Feierlichkeiten bestimmt waren. Bei wenigen Völkern hat
das Festwesen, das mit der
Religion in inniger
Verbindung stand, so das ganze Volksleben durchdrungen und
ist zugleich
Sache des
Staats geworden wie bei den alten Griechen, wo es in den großen Nationalfesten der
Olympischen,
Pythischen,
Isthmischen und Nemeischen
Spiele seinen Gipfel erreichte. In gegenwärtiger Zeit haben viele frühere Volksfeste
sich teils ganz verloren,
weil
der
Anlaß, der sie hervorrief, weggefallen ist, teils sind sie farbloser und unbelebter geworden,
namentlich bei solchen Völkern, bei denen eine gewisse konventionelle
Scheu der
Höhern und Gebildeten, mit ihrer Lebenslust
öffentlich hervorzutreten, herrschend geworden ist.
Zum Teil aber liegt auch die
Ursache in einem mißverstandenen
Eifer der
Geistlichkeit und
Polizei, Volksbelustigungen zu verbieten,
weil sie hin und wieder zu Ausschreitungen führen, ohne zu bedenken, daß gerade Volksfeste
das
fruchtreichste Förderungsmittel der geselligen
Tugenden und der sittlichen
Bildung eines
Volkes und ein mächtiger
Hebel
[* 6] der
Vaterlandsliebe sind. Mit
Recht haben die
Deutschen daher in neuerer Zeit eine Wiederbelebung der alten
Schützen-,
Sänger- und
Turnerfeste angestrebt, um eine
Annäherung der stammverwandten deutschen, österreichischen und schweizerischen
Stämme zu befördern.
Vgl.
Reimann, Deutsche
[* 7] Volksfeste
im 19.
Jahrhundert (Weim. 1839);
Brand, Popular antiquities (Lond. 1849, 3 Bde.);
Montanus, Die deutschen Volksfeste
etc. (Iserl. 1854-58, 2 Bde.);
v. Reinsberg-Düringsfeld, Das festliche Jahr (Leipz. 1863);
Lippert, Deutsche Festbräuche (Prag [* 8] 1884).
Vgl. Zunftgebräuche.