Volksbücher
,
im weitern Sinn alle diejenigen Bücher, welche unter allen Klassen und Ständen eines Volkes Verbreitung gefunden haben (s. Volksschriften); im engern Sinn und namentlich in litterarhistorischer Hinsicht die in Prosa abgefaßten Unterhaltungsbücher, die im 15. und 16. Jahrh. teils im ¶
mehr
Volk selbst entstanden, teils aus gebildetern Kreisen, meist mit formalen Abänderungen, in dasselbe übergingen. Ihrem Inhalt
nach sind diese Volksbücher
der deutschen Litteratur meist aus der schon vorhandenen und verbreiteten ältern Sage geschöpft, ja zum
großen Teil nur Umarbeitungen oder Übertragungen älterer Produkte. Bei diesen Umarbeitungen wählte man aber nicht
die nach Gehalt und Form vollendetsten deutschen Gedichte des 13. Jahrh. (wie etwa Wolframs »Parzival«),
denn diese standen dem Verständnis des 15. und 16. Jahrh. bereits zu fern; auch aus der deutschen Heldensage gestaltete sich nur ein ziemlich roher Teil, die Jugendgeschichte Siegfrieds, aus einer Auflösung des ältern Siegfriedliedes zu dem prosaischen Volksbuch vom »Hürnen Siegfried«. Dagegen ward unmittelbar zum Volksbuch der »Reineke Fuchs« (s. d.) in seiner damaligen poetischen Gestalt, wie überhaupt die Tiersage von jeher recht eigentlich dem Volk angehört hat.
Ferner beziehen sich auf deutsche Sage und Geschichte die gereimten Volksbücher
von »Heinrich dem Löwen«
[* 3] (aus dem 15. Jahrh.)
und vom »Ritter von Staufenberg« (um 1480) sowie das prosaische vom »Kaiser Friedrich Barbarossa« (zuerst 1519). Das Volksbuch
von »Herzog Ernst« (s. d.) schloß sich nicht an das ältere deutsche
Gedicht, sondern an eine lateinische prosaische Version an, wie auch Steinhöwels zum Volksbuch gewordener Bearbeitung des
»Königs Apollonius von Tyrland« die lateinische Erzählung des Gottfried von Viterbo zu Grunde liegt.
Beliebte Volksbücher
waren auch verschiedene Reisebeschreibungen, namentlich die Reisen Marco Polos und Maundevilles. Ansehnlich vermehrt
ward die Litteratur der deutschen Volksbücher
durch zahlreiche Übersetzungen aus dem Französischen; doch ließ man auch hier die
großen alten Epen des karolingischen Sagenkreises unbenutzt, und nur drei zu diesem gehörige Romane wurden
aus jüngern Bearbeitungen übertragen: die »Haimonskinder« (s. d.),
»Fierabras« (Simmern 1535) und »Ogier« (durch K. Egenberger von Wertheim, Frankf. 1571). Ein andrer an die Karlssage sich anlehnender Roman: »Florio und Bianceffora« (Metz [* 4] 1499),
ward dem »Filocopo« Boccaccios entnommen. Dem karolingischen Sagenkreis gehört noch an »Loher und Maller«, übersetzt durch Elisabeth von Nassau (1437; erster Druck, Straßb. 1514; neubearbeitet von Simrock, Stuttg. 1868). Die Geschichte Hugo Capets behandelt der von derselben bearbeitete »Hug Schapler« (Straßb. 1500). Weitverzweigten Sagenstoff vereinigt »Pontus und Sidonia«, übersetzt durch Eleonore von Österreich [* 5] (um 1450; erster Druck, Augsb. 1485). Weiter gehören hierher: die »Melusine« (s. d.),
übersetzt (1456) durch Thüring von Ringoltingen;
die »Magelone« (s. d.);
»Herzog Herpin« (Straßb. 1514);
»Ritter Galmy« (das. 1539);
»Kaiser Oktavian« (das. 1535) und der durch Marquard vom Stein übersetzte »Ritter vom Thurn« (Bas. 1493).
Erzählungen, deren Ursprung oft in die ältesten orientalischen Litteraturen hinaufreicht, wanderten von einem Volk zum andern und wurden wiederholt in Sammlungen vereinigt. Zwei der beliebtesten Sammlungen dieser Art sind die »Gesta Romanorum« (s. d.) und die »Sieben weisen Meister« (s. d.). Daneben entstanden auch neue Sammlungen ähnlicher Art, wie: »Der Seele Trost« (Augsb. 1478) und Joh. Paulis »Schimpf und Ernst« (Straßb. 1522; neu hrsg. von Österley, Stuttg. 1866),
denen als Nachahmungen sich anschlossen Valtin Schumanns »Nachtbüchlein« (um 1559),
Kirchhofs »Wendunmut« (Frankf. 1563; neu hrsg. von Österley, Stuttg. 1869),
Wickrams »Rollwagen« (Straßb. 1557),
Jakob Freys »Gartengesellschaft«,
Martin Montanus' »Wegkürzer« etc. Auch
aus der Fremde kamen mehrere einzelne Novellen unter unsre Volksbücher
, so aus dem Französischen die »Geduldige
Helena« (Straßb. 1508) und, durch Steinhöwel aus dem lateinischen des Petrarca übersetzt, die »Griseldis« (Augsb. 1471).
Aus lateinischer Quelle
[* 6] stammt auch das prosaische Volksbuch von »Salomon und Marcolf« (Nürnb. 1487) her, welches den Marcolf
zum Träger
[* 7] demokratischer Schalksnarrenweisheit macht. Dieser Lust an Schwanken verdanken auch einige echt deutsche
Originalwerke ihren Ursprung, wie vor allen der »Eulenspiegel« (s. d.),
die »Schildbürger« oder das »Lalenbuch« (s. d.),
zwei
gereimte Volksbücher:.
»Der Pfarrer vom Kalenberg« (von Philipp Frankfurter um 1400; erster Druck, Frankf. 1550) und »Peter Leu von Hall«,
[* 8] auch »Der andre Kalenberger« genannt (von Achilles Jason Widmann, das. 1560);
ebenso »Der Finkenritter« (Straßb. um 1559),
ein Vorläufer der Münchhauseniaden, und zwei dem Eulenspiegel verwandte Sammlungen von Schwänken: »Der Klaus Narr« von Wolfgang Büttner (Eisl. 1572) und der »Hans Clawert« von Barth. Krüger (Berl. 1587).
Mehrere deutsche Volksbücher
ernsten Inhalts
sind in Deutschland
[* 9] selbst entstanden, darunter der »Fortunatus« (s. d.) und der »Faust« (s. d.),
welch
letzterm schon im 15. Jahrh. der »Bruder Rausch« vorangegangen war, der den Bund mit dem Teufel in humoristischer Auffassung
darstellte. Einen Vertrag mit dem Teufel enthält auch die durch Georg Thym gereimte Sage von »Thedel Unverferd von Walmoden«
(Magdeb. 1550). Vielleicht das jüngste aller Volksbücher
, aber von echt deutschem
Ursprung ist die Erzählung von der Pfalzgräfin Genoveva (s. d. 2). Endlich ist noch der Sprüche und Gewohnheiten mancher Handwerkerzünfte
u. dgl. zu gedenken, die aufgezeichnet und gedruckt
auch außer der Zunftgenossenschaft im Volk Leser fanden. Im 17. Jahrh. wendeten sich die höhern Stände hochmütig von den
Volksbüchern
ab, die durch Veränderungen, namentlich Verkürzungen, sowie dadurch viel an dichterischem
Wert einbüßten, daß sie dem sich selbst ändernden Geschmack des Volkes, in welchem die Empfänglichkeit für wahre Poesie
abnahm, angepaßt wurden. So sanken sie zu den verachteten Büchlein »gedruckt
in diesem Jahr« herab. Der unvergängliche poetische Gehalt, der den meisten Volksbüchern
innewohnt und
der selbst durch die äußerste Entstellung nicht ganz vertilgt werden konnte, wurde von den Gebildeten erst in der neuern
Zeit wieder erkannt. Zuerst besprach J. ^[Joseph] Görres in seiner Schrift »Die deutschen Volksbücher«
(Heidelb.
1807) 49 derselben und wies mit überzeugender Kraft
[* 10] auf den Schatz tüchtiger und echter Poesie hin, der
hier zum Teil noch ungehoben liege. Dennoch fand v. d. Hagens »Narrenbuch« (Halle
[* 11] 1811),
das die Schildbürger, den Kalenberger
Pfaffen, Peter Leu und Salomon und Marcolf enthält, nur geringe Teilnahme. Erst G. Schwab in den »Deutschen Volksbüchern«
(Stuttg.
1836, 13. Aufl., Gütersl. 1880) und Marbach (»Deutsche
[* 12] Volksbücher«
, Leipz.
1838-47, 44 Bde.) gelang es, die alten Volksbücher
zu
allgemeinerer Kenntnis zu bringen. Die größten Verdienste aber hat sich in dieser Hinsicht Simrock durch seine auf die alten
Ausgaben gegründete »Sammlung deutscher Volksbücher«
(Frankf.
1845-67, 13 Bde.; neue Ausg. 1886 ff.;
Auswahl 1869, 2 Bde.) erworben. Eine Auswahl poetischer Volksbücher
bietet
Bobertags »Narrenbuch« (Bd. 11 von
Kürschners »Deutscher Nationallitteratur«). - Englische
[* 13] Volksbücher
hat Thoms (Lond. 1828, 3 Bde.) gesammelt;
über die französischen belehrt Nodiers »Nouvelle bibliothèque bleue« (Par. 1842).
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Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Volksbücher
,
kurze prosaische Bearbeitungen deutscher und roman. Sagenstoffe, die sich vom Ende des Mittelalters bis auf die Neuzeit in der Gunst des Volks erhalten haben. Sie wurden nicht auf dem gewöhnlichen buchhändlerischen Wege vertrieben, sondern, mit schlechten Holzschnitten ausgestattet, «gedruckt in diesem Jahre», von Hausierern und auf den Jahrmärkten feilgeboten. Zum größten Teil beruhen die Volksbücher auf deutschen Prosafassungen, die den mittelalterlichen Romanstoffen im 15. und 16. Jahrh. gegeben wurden, und die ursprünglich auch auf die vornehmsten Kreise [* 14] berechnet waren. So setzte man, mit engem Anschluß an das mittelhochdeutsche Epos Wirnts von Gravenberg, den «Wigalois» in Prosa um (1472; erster Druck, Augsb. 1493),
ebenso den «Tristan», aber nicht nach der Bearbeitung Gottfrieds von Straßburg, [* 15] sondern nach der Eilharts von Oberge (Augsb. 1484 u. ö.; neu hg. von Pfaff, Tüb. 1881); endlich den «Wilhelm von Österreich» von Johann von Würzburg [* 16] (Augsb. 1481). Von der deutschen Heldensage erschienen untergeordnete und rohe poet. Bearbeitungen einzelner Stücke wiederholt im Druck (das «Heldenbuch», s. d., 1491 u. ö.; der «Kleine Rosengarten» oder «König Laurin», 1509; «Hörnern Seyfried», um 1540; ein Lied «von Diderick von Bern", , [* 17] um 1560), während die bedeutendsten aus ihr hervorgegangenen Dichtungen, wie das Nibelungenlied, unbeachtet blieben; nur ein ziemlich gleichgültiger Teil der Nibelungensage, Siegfrieds Jugendgeschichte, gestaltete sich, und zwar erst spät, zu dem prosaischen Volksbuche vom gehörnten Siegfried (s. d.). Dagegen ward unmittelbar zum Volksbuche der Reineke Vos (s. d.) in seiner damaligen poet.
Gestalt (Lüb. 1498). Auf deutsche Sage und Geschichte beziehen sich das gereimte Volksbuch von dem Ritter von Staufenberg (um 1480; überarbeitet von Fischart, 1588), das prosaische von Kaiser Friedrich Barbarossa (zuerst 1519) und das von Herzog Ernst (Straßb., o. J.; Erfurt [* 18] 1502), das auf einer lat. prosaischen Fassung, nicht auf einem deutschen Gedicht beruht; ebenso gründet sich Heinrich Steinhöwels zum Volksbuch gewordene Bearbeitung des Apollonius von Tyrland (Augsb. 1471) nicht auf das deutsche Gedicht Heinrichs von der Neustadt, [* 19] sondern auf die ältere lat. Erzählung von unbekanntem Verfasser. Dem Inhalt nach schließen sich zunächst an die wunderbaren Reiseabenteuer dieser beiden Bücher verschiedene Reisebeschreibungen, unter denen die Marco Polos und Mandevilles als Volksbücher beliebt waren.
Dasjenige Stoffgebiet aber, das der Litteratur der deutschen Volksbücher ihr charakteristisches Gepräge giebt, waren die zahlreichen Übersetzungen aus dem Französischen, die im 15. und 16. Jahrh. die beliebteste Lektüre des Adels bildeten, nicht selten von Fürstinnen verfaßt wurden und den noch heute gelesensten Volksbücher zu Grunde liegen;
auch hier ließ man die großen alten Epen des Karolingischen Sagenkreises unberührt;
wenigstens blieb das Volksbuch vom heil. Karl (geschrieben 1551; neu hg. von Bachmann und Singer, Tüb. 1889) damals ungedruckt, und nur jüngere Auswüchse der Karlssage wurden in deutschen Drucken verbreitet;
so die Haimonskinder (Simmern 1535; nach niederländ. Quelle Köln [* 20] 1604), «Fierabras» (Simmern 1533),
«Ogier» (durch Konrad Egenberger von Wertheim, Frankf. 1571),
«Loher und Maller» (durch Elisabeth von Nassau, um 1437; erster Druck, Straßb. 1513; neue Bearbeitung von Simrock, Stuttg. 1868),
«Oliwier und Artus» und «Valentin und Orsus» (von dem Berner Wilh. Ziely, gedruckt Bas. 1521).
Die Geschichte Hugo Capets behandelt der gleichfalls von Elisabeth von Nassau bearbeitete «Hug Schapler» (Straßb. 1500); durch Heidenkämpfe und den obligaten Verräter Gendellet erinnert an Züge der Karlssage die Liebesgeschichte von «Pontus und Sidonia», übersetzt durch Eleonore von Österreich (um 1450; erster Druck, Augsb. 1498). Franz. Adels- und Lokalsage, mit einem Undinenmärchen verbunden, erzählt das Volksbuch von Melusine (s. d.),
aus Couldrettes Dichtung übersetzt (1456) durch Thuring von Ringoltingen; die ritterliche Version einer altchristl. Sage ist der «Kaiser Octavian» (Straßb. 1535),
bearbeitet von Wilhelm Salzmann; andere Ritterromane sind die «Magelone», übersetzt durch Veit Warbeck (Augsb. 1539; Neudruck von Bolte, Weim. 1894) und nach verlorener Vorlage «Herzog Herpin» (Straßb. 1514). Das Märchenmotiv von den dankbaren Tieren verbindet mit Ritterabenteuern der «Edle Ritter Brissonet» (Straßb. 1559; gedruckt erst Nürnb. 1656),
aus unbekannter Quelle. Auch die Leiden [* 21] der «Geduldigen Helena», ein Stoff, der dem Epos von Mai und Beaflor verwandt ist, wurden aus dem Französischen in ein deutsches Volksbuch verwandelt (ebd. 1508). Der durch Marquard vom Stein übersetzte «Ritter vom Turm» [* 22] (Bas. 1493) enthält eine bedeutende Anzahl lehrhafter kleiner Erzählungen, die den Kern des didaktischen Werkes bilden. Solche Erzählungen, deren Ursprung oft in die ältesten orient. Litteraturen hinaufreicht, wanderten durch das ganze Mittelalter von einem Volk zum andern und wurden auch sonst wiederholt in Sammlungen vereinigt. Die beiden verbreitetsten Sammlungen dieser Art, die Gesta Romanorum ¶
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(s. d.) und die Sieben weisen Meister (s. d.), traten gleichfalls in die Reihe der deutschen Volksbücher, daneben aber entstanden auch neue Sammlungen ähnlicher Art, wie «Der Seele Trost», eine Tugendlehre nach den Zehn Geboten (Augsb. 1478),
und, angeregt auch durch die humanistischen Facetienbücher, Joh. Paulis «Schimpf und Ernst» (Straßb. 1522 u. ö.; neue Ausg. von Österley, Stuttg. 1866; erneuert von Simrock, Heilbr. 1876),
dem sich die reichhaltige Schwankbücherlitteratur des 16. Jahrh. anschloß (s. Schwankbücher). –Aus dem ital. «Filocopo» des Boccaccio ist «Florio und Biancafiora» (Metz 1499),
aus dem Lateinischen des Petrarca die «Griseldis» durch Steinhöwel (Augsb. 1471) u. a. übersetzt u. s. w. Ebenso stammt aus lat. Quelle und nicht aus dem ältern deutschen Gedicht das prosaische Volksbuch von Salomon und Marcolf (Nürnb. 1487; s. Salman und Morolt). Marcolfs derber und schmutziger Mutterwitz, der so charakteristisch ist für die volkstümliche deutsche Litteratur des 15. und 16. Jahrh., macht sich auch in einigen originellen Volksbücher geltend. So im Eulenspiegel (s. d.), dessen ursprüngliche niederdeutsche Fassung verloren ist, dann in den «Schildbürgern» (s. d.). Verwandter Art sind auch zwei gereimte Volksbücher, welche nach Art des ältern «Pfaffen Amis» eine Reihe von Schwänken an die Namen zweier Pfarrherren knüpfen: nämlich «Der Pfarrer vom Kalenberge» (s. Kahlenberg),
verfaßt durch Philipp Frankfurter (um 1400; erster Druck um 1500),
und «Peter Leu von Hall», auch «Der andere Kalenberger» genannt, verfaßt durch Achilles Jason Widmann (gedruckt zuerst in Frankf. um 1557),
beide neu hg. in von der Hagens und in Bobertags «Narrenbuch». Im Volksbuch vom «Neidhart Fuchs» [* 24] (gedruckt um 1530) leben die Reibereien des Minnesingers Neidhart von Reuental mit den österr. Bauern fort; «Der Finkenritter» (Straßb., um 1559) ist ein Vorläufer der Münchhausenschen Lügen und Aufschneidereien; dem «Eulenspiegel» endlich sind nachgebildet zwei Schwanksammlungen, die die Späße bekannter Personen sammeln, der «Klaus Narr» des Mansfeldischen Pfarrers Wolfg.
Bütner (Eisleben [* 25] 1572) und der «Hans Clawert» des Trebbiner Stadtschreibers Barthol. Krüger (Berl. 1587). Aber auch mehrere Volksbücher ernsten Inhalts sind in Deutschland neu entstanden, darunter neben Jörg Wickrams selbsterfundenem Ritterroman «Ritter Galmy» (Straßb. 1539), der die Beliebtheit eines Volksbuchs genoß, so wertvolle und bedeutende Werke wie der Fortunatus (s. d.) und der Dr. Faust (s. d.),
die beide das Elend schildern, in das Zauberkünste den Menschen stürzen. Wie das Volksbuch vom Dr. Faust, schildert schon im 15. Jahrh. der ursprünglich niederdeutsche «Bruder Rausch» die, hier freilich unbewußte, Freundschaft mit dem Teufel, aber noch in einer heidnisch mildern und humoristischen Auffassung (gedruckt hochdeutsch zuerst Straßb. 1515). Einen Vertrag mit dem Teufel enthält auch die durch Georg Thym gereimte Sage von Thedel Unverferd von Walmoden (Magdeb. 1550; neu hg. von P. Zimmermann, Nr. 72 der «Hallischen Neudrucke», Halle 1888), die mit der Sage von Heinrich dem Löwen sich berührt. Der Bericht eines Ungenannten über das Erscheinen des Ahasverus oder des Ewigen Juden (s. d.) in Hamburg [* 26] und an andern Orten (Lpz. 1602) wuchs erst allmählich durch Zusätze aus dem kurzen und magern ernsten Kern zu dem viel gelesenen und übersetzten Volksbuche heran und kam über das zusammenhangslose Aufzählen aller möglichen Zeugnisse nicht zu einheitlicher Darstellung. Dagegen fesselt durch gelungene Abrundung die liebliche Erzählung von der Pfalzgräfin Genoveva (s. d.), in ihrer gegenwärtigen Gestalt eine Übertragung aus dem Niederländischen und vielleicht das jüngste aller Volksbücher.
Schon der junge Goethe erkannte den unverwüstlichen poet. Schatz, den die unscheinbaren Volksbücher in sich bergen: dafür zeugen sein «Faust» und sein «Ewiger Jude»;
seinem Beispiel folgte der Maler Müller in seiner «Genoveva».
Aber erst die romantische Schule nahm sich der Wiedererweckung der vergessenen Volksbücher gründlich an: Tieck zumal erneuerte «Magelone» und «Die Schildbürger», behandelte «Octavian», «Genoveva» und «Fortunat» dramatisch;
und J. ^[Joseph] Görres widmete den Volksbücher eine ausgezeichnete litterarhistor.
Würdigung («Die deutschen Volksbücher», Heidelb. 1807). Auch die schwäb. Dichter liebten die Volksbücher: Uhland griff den «Fortunat» episch an, aus den Händen G. Schwabs ging die erste größere Sammlung und Erneuerung hervor. Schon 1578 hatte der Frankfurter Buchhändler Feyerabend 13 jener Romane u. d. T. «Buch der Liebe» in eine Sammlung vereinigt; aber die neuern ähnlichen und ebenso betitelten Versuche Reichards (Lpz. 1799) und von der Hagens und Büschings (Berl. 1809) fanden noch so geringen Beifall, daß beide Unternehmungen mit dem ersten Bande abgebrochen wurden, und von der Hagens «Narrenbuch» (Halle 1811) ging es nicht viel besser.
Um so größern Erfolg erzielte Gust. Schwabs «Buch der schönsten Geschichten und Sagen» (2 Bde., Stuttg. 1836; als «Deutsche Volksbücher» in 13. Aufl., mit Illustrationen von Pletsch, Camphausen u. a., Gütersl. 1880, und 14. Ausg. 1888; auch in Reclams «Universalbibliothek»). Es bahnte den Weg für die trotz unleugbarer philol. Mängel doch durch Reichhaltigkeit und taktvollen Anschluß an die ältesten Texte ausgezeichnete Sammlung Simrocks «Deutsche Volksbücher» (Bd. 1 -13, Frankf. 1845‒67; 2. Aufl. 1876‒80; neue Aufl., Bas. 1887). Das von Bobertag für die «Deutsche Nationallitteratur» zusammengestellte «Narrenbuch» (Stuttg. 1885) enthält die beiden Kalenberger, Neidhart, Markolf und Bruder Rausch. Einige nur handschriftlich erhaltene Volksbücher veröffentlichten Bachmann und Singer im 185. Bande der «Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart». [* 27]