Vivisektion
(lat.), ein Experiment am lebendigen Tier (Frosch, [* 2] Kaninchen, [* 3] Hund, Katze), [* 4] welches mit einer Verwundung desselben verbunden ist und vom Physiologen zur Erforschung von Lebenserscheinungen vorgenommen wird. Die höchst verwickelten Vorgänge im Organismus können durch bloße Beobachtung nicht verstanden werden, und die Physiologie ist daher zur Erklärung der das Leben bedingenden Prozesse im gesunden und kranken Organismus auf das Experiment angewiesen.
Die Bezeichnung des letztern als Vivisektion
ist eine wenig glückliche, insofern sie in ferner stehenden
Kreisen den
Schein erweckt,
als gleiche die hier übliche
Technik der bei der
Sektion der
Leiche gebräuchlichen. In der That übt der
Physiolog bei seinen sehr subtilen Untersuchungen die größte
Schonung, er operiert an normalen
Organen, deren
Bau er genau
kennt, und vermeidet sorgfältig die
Verletzung sensibler
Nerven,
[* 5] die ja allein
Schmerz erzeugt. Außerdem werden, wenn irgend
möglich,
Chloroform, Chloralhydrat und
Äther angewandt, und nach Beendigung des
Experiments wird das
Tier
sanft und schnell getötet.
Galenos hat bereits durch eine Vivisektion
am
Schweine
[* 6] nachgewiesen, daß der
Nervus recurrens mit der
Stimmbildung in innigstem Zusammenhang
steht, in der neuesten Zeit hat die Vivisektion
ungemein an Bedeutung gewonnen, aber auch heute ist sie nicht
Unterrichtsgegenstand für
Studenten. Sie wird nur zu wissenschaftlichen
Zwecken vorgenommen, und kein Physiolog läßt durch
seine
Schüler sichergestellte
Beobachtungen wiederholen, sondern strebt stets dahin, daß bei Erlernung der schwierigen
Technik
die
Wissenschaft gefördert wird.
Alle Vivisektionen
geschehen in
Deutschland
[* 7] unter der Verantwortung der vom
Staat autorisierten Vorstände der wissenschaftlichen
Institute, und somit ist jede mögliche
Bürgschaft gegen
Mißbrauch der Vivisektion
gegeben. Es gibt keinen Teil
der
Physiologie und der
Heilkunde, der aus der Vivisektion
nicht schon Nutzen gezogen hätte. Die
Lehre
[* 8] vom
Blutkreislauf
[* 9] und der
Verdauung,
vom
Stoffwechsel und den Gehirnfunktionen sind wesentlich durch Vivisektion
gefördert worden, die
Unterbindung der
Blutgefäße, die
Transfusion des
Bluts, die Deutung der
Herztöne, die Benutzung der
Magenfistel zur
Ernährung, die Ausschneidung
einer
Niere, die subperiosteale
Resektion, die
Elektrotherapie, die antiseptische
Wundbehandlung etc. verdankt die
Heilkunde der
Vivisektion
, ohne welche diese Fortschritte unmöglich gewesen wären.
Gegen die Vivisektion
hat sich in
England seitens eines zu diesem
Zweck gegründeten internationalen
Vereins eine
Agitation erhoben, welche die Unterdrückung der Vivisektion
verlangt. Da die medizinischen
Institute ausnahmslos Privatinstitute sind,
so ordnete der
Staat eine Untersuchung an, und obwohl diese nichts Belastendes ergab, kam doch 1874 ein
Gesetz zu stande, welches
die Vivisektion
unter die
Aufsicht des
Ministeriums stellte. Dies
Gesetz hat zur Beruhigung einer auf Unwissenheit
und falscher
Sentimentalität beruhenden
Agitation nichts beigetragen, dieselbe wurde vielmehr auch nach
Deutschland verpflanzt
(Iatros, Die Vivisektion
, ihr wissenschaftlicher Wert etc., Leipz.
1877; v.
Weber, Die Folterkammern der
Wissenschaft, das. 1879), fand hier aber gegenüber einer 1879 von 18 medizinischen
Fakultäten
abgegebenen
Erklärung und der
Haltung der
Regierung nur in sehr engen
Kreisen Beachtung.
Vgl.
Hermann, Die
Vivisektion
sfrage (Leipz. 1877);
Ludwig, Die wissenschaftliche Thätigkeit in den physiologischen Instituten (das. 1879);
Heidenhain,
Die Vivisektion
im
Dienste
[* 10] der
Heilkunde (das. 1879:
Gutachten, 1885);