Titel
Vincke
,
1) Friedrich Ludwig Wilhelm Philipp, Freiherr von, preuß. Staatsbeamter, geb. zu Minden, [* 2] studierte in Marburg, [* 3] Erlangen [* 4] und Göttingen, [* 5] trat 1795 in die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer und in das Manufakturkollegium zu Berlin, [* 6] ward 1798 Landrat des Kreises Minden, 1803 Präsident der Kammer zu Aurich [* 7] und 1804 zu Münster [* 8] und Hamm. [* 9] Nach dem Einmarsch der Franzosen 1806 begab er sich nach England, um dort das vaterländische Interesse zu fördern. Nach dem Frieden von Tilsit [* 10] wurde er Präsident der Regierung zu Potsdam, [* 11] nahm aber 1810 seine Entlassung und kehrte in seine Heimat zurück, wo er das klassische Werk »Über die Verwaltung Großbritanniens« (hrsg. von Niebuhr, Berl. 1816) schrieb.
Den französischen Behörden verdächtig, wurde er auf das linke Rheinufer verwiesen. 1813 zum Zivilgouverneur Westfalens ernannt, entwickelte er eine rege Thätigkeit, namentlich bei der Organisierung der Landwehr und des Landsturms. 1815 wurde er zum Oberpräsidenten der neu zu organisierenden Provinz Westfalen, [* 12] 1817 zum Mitglied des Staatsrats und 1825 zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt. Er schuf eine Menge Kunststraßen, machte die Lippe [* 13] bis Hamm schiffbar, richtete den Rheinhafen bei Ruhrort [* 14] ein, regelte das Verhältnis zwischen Gutsherren u. Bauern, beförderte die Landeskultur durch die Gemeinheits- und Heideteilung (vgl. seine klassische Schrift »Über die Gemeinheitsteilung«, Berl. 1825), gründete mehrere Schullehrerseminare und sorgte thätig für wissenschaftliche Institute. Er starb Am ward seinem Andenken auf Hohensyburg bei Dortmund [* 15] ein 30 m hoher Turm [* 16] geweiht.
Vgl.
Bodelschwingh,
Leben des
Oberpräsidenten
Freiherrn
v. Vincke
(Berl. 1853, nur Bd.
1, bis 1816);
»Ludw. Freih.
v. Vincke
,
Westfalens
Oberpräsident, sein
Leben und seine Zeit«
(Lemgo 1858).
2) (Vincke
-Olbendorf)
Karl
Friedrich
Ludwig,
Freiherr von, preuß.
Politiker, geb. zu
Minden, trat in die preußische
Armee,
war seit 1824 mehrere Jahre unter
Baeyer bei der
Triangulation
[* 17] in
Schlesien
[* 18] und
Posen
[* 19] thätig, ging 1838 mit
Moltke nach der Türkei
[* 20] und nahm am
Kriege gegen
Ägypten
[* 21] teil, ward 1839
Major im
Generalstab des Gardekorps, schied aber 1843 aus
dm aktiven
Dienst und widmete sich der Bewirtschaftung seines
Gutes Olbendorf bei
Strehlen.
[* 22] Er war 1849 Mitglied der Ersten
Kammer, 1850 des Unionsparlaments, seit 1858 des Abgeordnetenhauses und seit 1867 des norddeutschen
Reichstags;
er war gemäßigt liberal und suchte im Streit über die Heeresreorganisation vergeblich zu vermitteln. Er starb in
Berlin. Vincke
schrieb: Ȇber
Kommunal- und Polizeiverwaltung in den Landesgemeinden Niederschlesiens« (Berl. 1845);
»Die Patrimonial- und Polizeigerichtsbarkeit auf dem Lande« (das. 187);
»Über Reformen in der preußischen Kriegsverfassung« (das. 1860);
»Reorganisation des preußischen Heerwesens« (das. 1864).
3)
Georg
Ernst
Friedrich,
Freiherr von, preuß.
Politiker, ältester Sohn von Vincke
1), geb. auf dem
Gut
Haus
Busch bei
Hagen
[* 23] in der
Grafschaft
Mark, besuchte das
Gymnasium zu
Bielefeld,
[* 24] studierte seit 1828 in
Göttingen und
Berlin die
Rechte und bekleidete später in
Münster und
Minden Richterstellen. 1837 wählten ihn die Kreisstände des
Kreises
Hagen zum
Landrat, 1843 und 1845 war er Mitglied des westfälischen
Provinziallandtags. In weitern
Kreisen bekannt wurde er durch seine
Thätigkeit auf dem preußischen
Vereinigten
[* 25]
Landtag von 1847. Streng auf dem Rechtsboden fußend und aus
diesem
Gesichtspunkt das königliche
Patent vom beurteilend, verfocht er die streng konstitutionelle
Ansicht nach
englischem Vorbild gegenüber den feudalständischen Prinzipien.
Als Mitglied der deutschen Nationalversammlung zeigte er sich, seinen Platz auf der Rechten nehmend, entschieden antirevolutionär, bewies sich aber als einen der bedeutendsten Führer der konstitutionellen und erbkaiserlichen Partei. Ende Februar 1849 trat er in die preußische Zweite Kammer, wo er die Politik des Ministeriums ebenso lebhaft bekämpfte wie die demokratischen Prinzipien. Als Mitglied des Erfurter Parlaments war er eifriger Anhänger der Unionspolitik und half die Partei der Gothaer begründen. Im preußischen Landtag 1850-55 trat er entschieden und energisch gegen die kirchliche und feudale Reaktion des Ministeriums Manteuffel auf.
Familienverhältnisse bestimmten ihn, für die nächsten Jahre kein
Mandat anzunehmen; erst 1858 erschien er wieder im Abgeordnetenhaus
und ward durch seine hervorragenden
Verdienste um die nationale und liberale
Sache und durch seine vorzügliche Rednergabe
Führer der freisinnigen
Majorität, welche das
Ministerium der neuen
Ära unterstützte, aber mit diesem infolge der unentschiedenen
Haltung in der Heeresreorganisationsfrage fiel. 1863 ward er nicht wieder gewählt, und erst im
Sommer 1866 nahm er wieder
ein
Mandat vom
Kreis
[* 26]
Hagen an und bildete im Abgeordnetenhaus eine besondere, die sogen.
altliberale,
Fraktion. Im
Februar 1867 in den
Reichstag des Norddeutschen
Bundes gewählt, war er hier der bedeutendste Redner
der Altliberalen. Vincke
besaß den rücksichtslosen
Mut der Überzeugung und die scharfe, schlagende
Waffe des
Wortes. Er sprach
stets frei und überaus schnell, dabei klar, anregend, überzeugend und witzig, ohne
Phrasen. Selten verteidigte
er sich, in der
Regel ging er angreifend vor, und keine Blöße des Gegners entging seinem Scharfblick. Aus seinen amtlichen
Verhältnissen längst geschieden, lebte er meist
¶
mehr
auf dem Stammgut Ostenwalde im Hannöverschen, das ihm 1846 durch den Tod seines Vetters, des Geschichtsforschers Ernst Ludwig
von Vincke
, zufiel. Er starb in Bad
[* 28] Oeynhausen.
4) Gisbert, Freiherr von, Dichter, Bruder des vorigen, geb. auf dem Gut Haus-Busch bei Hagen, studierte in Heidelberg [* 29] und Berlin die Rechte, war, nachdem er verschiedene Stellungen bekleidet, 1846-60 bei der Regierung in Münster thätig, ließ sich dann zu Freiburg [* 30] i. Br. nieder, wo er, litterarisch beschäftigt, noch gegenwärtig lebt. Außer Übertragungen aus dem Englischen (»Rose und Distel«, 2. Aufl., Weim. 1865) und Bearbeitungen Shakespearescher (»Ende gut, alles gut«, »Maß für Maß«, »Cymbeline«, »Antonius und Kleopatra« etc.) sowie Calderonscher Dramen (»Tochter der Luft«, 1875; »Das Leben ein Traum«, 1883) veröffentlichte er: »Gedichte« (2. Aufl., Iserl. 1863);
»Sagen und Bilder aus Westfalen« (Berl. 1857);
»Im Bann der Jungfrau«, Novellen (2. Aufl., Hannov. 1873, 3 Bde.);
»Lustspiele« (Münst. 1869; neue Folge, Freiburg 1881);
»Reisegeschichten, Novellen in Versen« (Münst. 1869);
»ABC für Haus und Welt« (3. Aufl., das. 1880);
»Ein kleines Sündenregister« (3. Aufl., Freiburg 1884) u. »Alte Geschichten« (Münst. 1887, 2 Bde.).