deutsch
Neustadt (Kt. Waadt,
Bez. Aigle).
378 m. Gem. und altertümliche kleine Stadt, Hauptort des Verwaltungskreises dieses
Namens, am O.-Ende des
Genfersees vor der Ausmündung des Thälchens der
Tinière, ö. der Rhonemündung und 10 km sö.
Vevey.
Station der Simplonbahn; Dampfschiffstation; Endstation der elektrischen Strassenbahn
Chillon-Villeneuve.
Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen
Villeneuve-Noville-Vionnaz. Gemeinde, mit
Arvel,
Crêt,
Clos du Moulin,
Plancudrey,
La
Rivaz und
Valeyre: 238
Häuser, 1751 Ew. (wovon 352 Katholiken der Pfarrei
Montreux); Stadt: 184
Häuser, 1350 Ew. Reformierte
Pfarrei.
Das am Eingang ins
Rhonethal erbaute Städtchen wird im SO. von den bewaldeten Steilhängen des
Mont Arvel
überragt, die von zahlreichen Wilbachrunsen durchfurcht sind. Deren bedeutendste ist die des
Pissot.
Die den Fuss des Mont
d'Arvel bildenden Schichten des mittlern und untern Lias liefern einen sehr gesuchten Kalkstein von rotbrauner, oft auch
rosaroter oder violetter
Farbe und zuckerkörnigemBruch, der sich auch sehr gut zu Marmorarbeiten eignet.
Darüber folgt ein Kalkstein, der nicht in grossen Blöcken losgelöst werden kann und daher bloss zu Mauerarbeiten und als
Schottermaterial für
Strassen verwendet wird. In unmittelbarer Nähe (z. B. an den
Crêts und bei Collice) findet sich toniger
Kalk, der von der Zement- und Kalkfabrik
Les Crêts abgebaut und verwendet wird.
Gips gewinnt man in
Valeyre bei Villeneuve, um ihn dann in der
Fabrik von
Grandchamp zu verarbeiten. Die
Rebberge von Villeneuve
liefern einen sehr geschätzten Wein. Acker-,
Wiesen- und Obstbau, Viehzucht. Waldwirtschaft. Fremdenverkehr und Hotelwesen
(Grand Hôtel Byron). Gegenüber Villeneuve liegt im
See, 800 m vom Ufer entfernt, die kleine
Ile de la
Paix, eine künstliche Schöpfung, die von Ausflüglern mit Ruderschiffchen sehr oft Besuch erhält. Gegenüber dem Hôtel
Byron entspringt eine Schwefelquelle, die sich in den
See ergiesst. Ihr
Wasser, das man vermittels eines jetzt noch zugänglichen
Schachtes zu fassen versucht hatte, wird von Zeit zu Zeit etwa zu Heilzwecken verwendet.
Villeneuve von Südosten.
An der Stelle von Villeneuve befand sich schon zur Römerzeit und ohne Zweifel noch viel früher eine Siedelung. Es scheint
hier auch eine Pfahlbaustation bestanden zu haben. Südl. vom
Châtelard hat man Spuren von Höhlenbewohnern und Skelette
aus der Zeit des Rentieres aufgefunden, ebenso im Schuttkegel der
Tinière Gegenstände aus der neolithischen
Periode und
im Schutt des
Pissot solche aus Bronze. Zur römischen Zeit trug die Siedelung den Namen Pennilucus, den man vom
keltischen herleitet und als «Seeshaupt» deutet.
Das Itinerar Antonins fixiert den
Ort als 13 oder 14
Meilen von Tarnada
(Saint Maurice) und 9
Meilen von
Viviscum
(Vevey) entfernt an der Strasse vom Grossen
St. Bernhard nach
Avenches gelegen. In der Umgebung des heutigen Villeneuve
hat man eine grosse Anzahl von römischen Altertümern wie Gräber, Inschriften etc., sowie in den
Rebbergen bei
Muraz Reste
von Badeeinrichtungen aufgefunden. Nachdem dann das alte Pennilucus durch die ins Land eingefallenen
Barbaren oder vielleicht auch durch die vom
Bergsturz von
Tauretunum erzeugte Flutwelle zerstört worden war, erhob sich auf
den Ruinen eine neue Siedelung, die 1005 zum erstenmal urkundlich so genannte villa Compeniacum auf Gebiet der
Bischöfe von
Sitten undGenf.
1166 vergabt
Bischof Landry von
Lausanne die Kirche zu «Compengiez» der Abtei
Haut Crêt.
Villeret - Villette
* 2 Seite 46.411.
Die später durch die Niederlassung eines Teiles der Bewohner von
Chillon beträchtlich angewachsene Ortschaft erhielt als
erste des Landes vom
Grafen Thomas von Savoyen Stadtrecht und
Freiheiten (1214) und nannte sich von nun an Villanova Chillonis
oder auch kurzweg Villanova. Dank der günstigen geographischen Lage und dem starken Transitverkehr kam das neue Gemeinwesen
bald zur Blüte und entwickelte sich zum Stapelplatz der auf dem Land- und Wasserweg ankommenden
Güter aus England, Flandern,
Frankreich, Gent und Italien. Zahlreiche lombardische Wechsler liessen sich hier nieder, und die Zollstätte
ward zu einer der einträglichsten in Savoyischen Landen. Als Beispiel für den damaligen Verkehr sei angeführt, dass hier
im Jahr 1286 in der Zeit von 213 Tagen 2211½ Ballen
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französisches und lombardisches Tuch, 1448 Ballen Wolle und Häute, 2568 Ladungen Salz und 810 Ladungen Kurzwaren transitierten.
Ausser den Händlern sah Villeneuve auch eine grosse Anzahl von über den Grossen St. Bernhard wandernden Rompilgern durchziehen.
Da diese meist arm und vielfach auch krank waren, stiftete Aymon, der Sohn des Grafen Thomas von Savoyen, 1236 in
Villeneuve einen der h. Jungfrau geweihten Spital «pour recueillir et retrayre, et sustanter les poures et nécessiteux,
tant pélerins comme aultres. Et sy ly ordonna un espitalier et aultres prêtres séculliers à servir notre Seigneur et
notre DameSainte de Dieu, et y ordonna serviteurs et familiers, et leur donna rentes et vivres moult grandement».
Er gab dem Spital ferner noch umfangreichen Landbesitz und das Recht der Erbschaft auf die Habe der hier gestorbenen Fremden.
Das Spitalgut mehrte sich derart, dass der Ueberlieferung nach an gewissen Tagen mehr als 600 Pfund Brot verteilt und zeitweise
bis zu 1100 Kranke verpflegt wurden. Obwohl mit der Einführung der Reformation die Zahl der durchreisenden Pilger beträchtlich
abnahm, fuhr die Berner Regierung mit der Austeilung milder Gaben fort und gab dieser sogar durch ein eigenes Reglement seit 1640 eine
sichere Grundlage. Nachdem die Regierung des neuen Kantons Waadt
dieses System zunächst fortgesetzt hatte, beschloss
der Grosse Rat 1806 die Einverleibung des Spitalgutes von Villeneuve in den Dotationsfonds des Kantonsspitales zu Lausanne.
Eine der ersten Familien des Ortes waren die Edeln Bouvier, deren bekanntester Vorfahr François Bouvier im 16. Jahrhundert
lebte und der Reihe nach Burgvogt von Chillon, Grandson und Montagny, sowie endlich Landvogt des Chablais
war und ein grosses Vermögen ansammelte. Im Jahr 1588 spielte er in der Verschwörung des Lausanner Bürgermeisters Isbrand
Daux, die die Wiederherstellung der Herrschaft Savoyens über die Waadt
zum Ziel hatte, eine der Hauptrollen, indem er sich zur Uebergabe
des SchlossesChillon verpflichtete. Da wurde er an dem zum Losschlagen bestimmten Tag beim bernischen
Landvogt, der ihn zur Tafel geladen hatte, verhaftet.
Nachdem er als besondre Gunst die Erlaubnis hatte erwirken können, sich zur Regelung seiner privaten Angelegenheiten unter
Eskorte nach Villeneuve zu begeben, gelang es ihm dort, seine Hüter in den Keller einzuschliessen und
sich zu Pferd über die Grenze zu retten, wo ihn der Graf von Savoyen freundlich aufnahm. Seine Güter aber wurden von der
Berner Regierung konfisziert. Von in der Geschichte von Villeneuve bemerkenswerten Ereignissen sei noch des Durchzuges
der auf dem Weg über den Grossen St. Bernhard befindlichen Armee Bonapartes am gedacht. Der
Verwaltungskreis Villeneuve umfasst die Gemeinden Villeneuve, Chessel, Noville, Rennaz und Roche mit zusammen 3028 Ew.