Verstand
(Intellectus) wird sowohl zur Bezeichnung eines gewissen
Grades von Einsicht als einer gewissen technischen
Fähigkeit gebraucht. In ersterer Hinsicht wird demjenigen Verstand
beigelegt, welcher fähig ist, den
Inhalt eines ihm Vorgestellten
zu verstehen, d. h. denselben richtig, ohne Entstellung und (subjektive) Färbung, so wie
er wirklich ist, aufzufassen (Verständnis); in letzterer Hinsicht heißt derjenige verständig, dessen Verhalten (im
Denken
und
Handeln) durch dessen Verstand
, dessen
Denken (Begriffebilden,
Urteilen und Schließen) insbesondere durch sein Verständnis des
Inhalts des Gedachten (logisches
Denken, s.
Logik), dessen
Handeln (Behandeln, Bearbeiten) insbesondere durch seine richtige
Auffassung (des
Wesens und
Zwecks; zweckmäßiges
Handeln, s.
Technik) des Gegenstandes bestimmt wird. in
ersterer Bedeutung ist einer achromatischen
Lupe
[* 2] zu vergleichen, die den beobachteten Gegenstand dem
Auge
[* 3] näher und schärfer
und zugleich ohne störende Farbenbrechung zeigt, daher der Verstand
, da
er den
Inhalt der sinnlichen
Vorstellungen
(Sensationen),
wie jene den
Inhalt der vorgestellten (äußern)
Objekte, zum Gegenstand hat, auch wohl (im
Gegensatz zum
äußern) als inneres Wahrnehmungsvermögen (innerer
Sinn,
Reflexion)
[* 4] bezeichnet wird.
Derselbe setzt, da er Verständnis eines Vorstellungsinhalts sein soll, einen vorhandenen Vorrat, sei es ursprünglich (durch
die
Sinne) gegebener
Anschauungen (empirischer Verstand
), sei es aus solchen (durch Verknüpfung oder
Aussonderung)
gewonnener
(Abstraktionen, abstrakter Verstand
),
Vorstellungen, voraus, wie er seinerseits von der
Vernunft (s. d.) vorausgesetzt
wird.
Wer (wie der Schwachsinnige und Ungebildete) nur einen engen Vorstellungskreis besitzt, ist auch nur eines mäßigen,
wer (wie der von
Leidenschaft Unterjochte) der sittlichen
Freiheit und Selbstbestimmung beraubt ist, dessenungeachtet noch
des Verstand
esgebrauchs (kühl berechnenden
Handelns) fähig.
Wie die das
Gesicht
[* 5] schärfende
Lupe als
Seh-, so hat der als Erkenntnisinstrument lediglich formalen
Charakter; er verdeutlicht
den
Inhalt des Gedachten und zieht die notwendigen Folgerungen daraus, ohne (wie die
Vernunft) über
Wahrheit oder
Falschheit,
Löblichkeit oder Verwerflichkeit,
Schönheit oder Häßlichkeit desselben zu entscheiden. Wird bei der
Verdeutlichung des
Inhalts des Gedachten nur eine (mehr oder weniger hinreichende) Verständigung (durch Veranschaulichung,
Beschreibung,
Erläuterung etc.) angestrebt, und werden nur (mehr oder weniger) in die
Augen springende Folgerungen daraus gezogen,
so heißt er populärer (sogen. gesunder
Menschen-) Verstand
und sein
Verfahren (verständige) Auseinandersetzung
(Diskurs); wird
dagegen eine (logisch genaue)
Erklärung
(Definition, s. dadurch Zerlegung des
Inhalts in seine elementaren
Bestandteile) angestrebt,
und werden die (logisch) notwendigen Folgerungen daraus gezogen, so heißt er wissenschaftlicher
(logischer) Verstand
und sein
Verfahren (logische) Denkkunst
(Diskussion).
Letztere als vollkommenste Form des Verstandes
wird wohl auch vorzugsweise Verstand und die
Logik (s. d.) als
Wissenschaft
von den
Normen des (richtigen)
Denkens vorzugsweise Verstand
eswissenschaft genannt.
Gegensatz des Verstandes
ist der Unverstand,
wenn (der
Inhalt des Gedachten) nicht, der Mißverstand
, wenn (er mit oder ohne Absicht) falsch verstanden wird.
Gegensatz
des Verständigen ist der Thörichte, dessen
Denken und
Handeln nicht durch den Verstand
, sondern durch
Laune und
Zufall
(Willkür im
Denken,
Einfalt im
Handeln) gelenkt wird. Da sich gewissen
Tieren weder Verständnis noch anpassende
Bewegung
für ihre
Zwecke
(Kunsttrieb) absprechen läßt, so kann denselben der Verstand
auch nicht streitig gemacht werden.