Vermessung
(Erdmessung,
Geodäsie), Teil der praktischen
Geometrie, die Ausführung örtlicher und räumlicher Bestimmungen
an der Erdoberfläche; höchster
Zweck der Vermessung
skunst ist die Erforschung der Gestaltung der Erdoberfläche für das
rein wissenschaftliche, geographische oder für das kartographische
Bedürfnis. Die
Notwendigkeit der örtlichen geologischen
oder geognostische Untersuchung von Raumverhältnissen innerhalb der
Erdkruste führt zur
Markscheidekunst
(s. d.), die hydrologische oder hydrographische Untersuchung der Raumverhältnisse
der Wasserläufe und Wassergefäße der Erdoberfläche zur
Hydrometrie (s. d.), die
Notwendigkeit der Kenntnis der
Höhen- und
Tiefenunterschiede des
Landes im speziellen zur Nivellierkunst (s.
Nivellieren).
Für staatswirtschaftliche, ökonomische, bürgerliche
Zwecke erscheint die Vermessung
skunst als (geometrische)
Feldmeßkunst
(s. d.) mit der Aufgabe der Spezialvermessung
selbst kleinster
Erdstücke. Die »geometrische« Vermessung
unterscheidet sich dem
Resultat nach von der »topographischen« (ortsbeschreibenden, die Örtlichkeit
darstellenden, s.
Aufnahme, topographische) dadurch, daß der erstern Ergebnisse prinzipiell in
Zahlen, der letztern in der
an die Messung sich unmittelbar anschließenden
Darstellung im
Feld selbst (Planaufnahme, Planzeichnung) erscheinen; doch können
auf
Grund der Geometertabellen auch im
Zimmer
Zeichnungen
(»Risse«) angefertigt werden. Je nachdem die feinsten
Hilfsmittel der
Mathematik und
Mechanik unter Berücksichtigung und Untersuchung der speziellen Sondergestalt unsrer Erdoberfläche
in Anwendung kommen oder nicht, unterscheiden wir höhere
Geodäsie und niedere.
Insofern
Längen,
Höhen und Tiefen und
Winkel
[* 2]
(Horizontal-,
Vertikal-, schiefe
Winkel, je nach der
Lage der
Winkelebene) die
Elemente aller Raumgrößen sind, muß die Vermessung
skunst sich auf die elementaren
Operationen der
Längen-,
Höhen-,
Tiefenmessung
[* 3] und der Winkelmessung stützen. Die Eigenart der verwendeten
Instrumente gibt der Vermessung
das spezielle Gepräge
als Maßstabmessung
(Bakulometrie),
Kettenmessung, Absteckung,
Meßtisch-,
Kippregel-,
Bussolen-, Theodolitaufnahme oder -Vermessung
,
Nivellement,
Barometer-, Aneroidmessung, Peilung, Lotmessung.
Den
Chinesen, Ägyptern und von letztern her den
Juden, Griechen lange bekannt, mußte die Vermessung
skunst ihre Vervollkommnung
auf die fortschreitende
Entwickelung der
Mathematik und der physikalischen Hilfsmittel stützen. Eigentliche Kartierungsarbeiten,
Aufnahmen und geometrische Vermessungen
kamen erst im 16. Jahrh. zur Ausführung. Die
Kartierung
Roms durch Vipsanius
Agrippa zu
Theodosius'
Zeiten, die sogen. Peutingerschen Tafeln, die
Karten
Karls d. Gr. sowie die genuesischen, venezianischen
Karten des 14. Jahrh., die
Karten des
Ptolemäos (im 16. Jahrh., nicht
Atlanten,
sondern Ptolemäen genannt) und die hieran sich anschließenden
Arbeiten der Niederländer noch im 17. Jahrh. haben
¶
mehr
als Vermessung
sresultate keine Bedeutung, sind vielmehr nur mangelhafte geographische Darstellungen. Die Instrumente, die im 15. Jahrh.
zu Messungszwecken verwendet werden, sind außer den elementaren Längenmessern Latte und Schnur für Horizontalwinkel die
unvollkommenen Winkelmesser, wie Winkelscheibe u. dgl., und die Bussole, welche 1471 in Nürnberg
[* 5] (zur Zeit Regiomontans) von
Etzlaub und Hartmann gut gefertigt wurden. Eine Höhenmessung
[* 6] im heutigen Sinn kannte man nicht, die wenigen
einigermaßen brauchbaren Vertikalwinkelmeßinstrumente beschränkten sich auf das Astrolabium
[* 7] (von dem Tycho Brahe sich rühmte,
⅙ Grad, also 20 Minuten, abzulesen, während heute 1/100 Sekunde gemessen werden kann) und den Kreuzstab (arbalestrilla, cross
staff, Jakobsstab).
[* 8]
Die alten Instrumente finden sich beschrieben in Rob. Dudleys »Arcano del mare« (Flor. 1661, Bd. 5). 1525 gebrauchte
Fernel ein Meßrad behufs genauer Längenmessung (s. Gradmessungen) und scheint in den Resultaten viel Glück gehabt zu haben.
Der erste wesentliche Fortschritt zu einer zuverlässigen Landesvermessung
smethode wurde durch, Snellius angebahnt, welcher
bei seinen Erdbogenmessungen das noch heute maßgebende Verfahren der Triangulation
[* 9] einführte (1617).
Die in das 16. Jahrh. fallenden umfangreichen Arbeiten Kaufmanns (Mercator) und Bienewitz' (Apianus) sind von verhältnismäßig
zweifelhaftem geometrischen Wert.
Mercator und sein Sohn Johann waren vom Landgrafen Wilhelm von Hessen
[* 10] zur Vermessung
seines Landes im Maßstab
[* 11] 1 Meile gleich ½ Fuß
herangezogen und stellten die Karte auch 1592 fertig; Apianus mußte auf Befehl des Herzogs Albert von Bayern
[* 12] dessen Herzogtum
in Grund legen; die Arbeit dauerte 6 Jahre, und Apian gab dann 1566 eine Karte in 24 Tafeln heraus. Im 17. und 18. Jahrh. gewinnt
das Vermessung
swesen neuen mathematischen und instrumentalen Zuzug. Die Newtonschen Lehren
[* 13] mußten auf
die Ausbildung der Meßkunst von besonderm Einfluß sein; hierzu kam die Erfindung des Nonius,
[* 14] eigentlich Vernier, als Hilfsinstrument
für die Feinmessung, die des Sextanten durch Newton und Hadley, die Verbesserung des Keplerschen astronomischen Fernrohrs durch
Huygens, die Benutzbarmachung desselben für die Vermessung
skunst als Fixierinstrument durch Gascoigne
mittels Einsetzung des Fadenkreuzes in das Okular des Fernrohrs, die allmähliche Ausbildung auch des Astrolabiums schließlich
bis zu dem wahrscheinlich von Dollond konstruierten ersten Theodolit,
[* 15] die Erfindung der Hookeschen Wasserwage oder Libelle, die
allmähliche Verbesserung der Bussole zum geodätischen Apparat, endlich auch die Erfindung des Meßtisches (der Mensula)
durch Prätorius in Bayern.
So war denn für Cassini schon manche Vorbedingung gegeben, um seine berühmte und bis 1823 in Frankreich kurrent gehaltene
topographische Aufnahme des französischen Staatsgebiets vorzunehmen. Ludwig XIV. hatte schon vorher durch Louvois das Depot de la guerre
gründen lassen und durch Colbert eine allgemeine Vermessung
sämtlicher Straßenzüge angeordnet. 1750 begann
Cassini de Thury seine Vermessung
, die 1789 sein dritter Sohn, J. D. ^[Jean Dominique, = Cassini 4)] Cassini, vollendete.
Die Cassinische
[* 16] Aufnahme- und Darstellungsmethode (Berge schief beleuchtet von W. her) war dann für Deutschland
[* 17] und Frankreich
lange Zeit die maßgebende. Sie entbehrte aber eines Hauptmoments für die sachgemäße Darstellung der
Erdoberfläche: der nivellitischen Höhenmessung. An deutschen Vermessungen
sind von den nach gleichen, ja teilweise noch
mangelhaftern Prinzipien ausgeführten Arbeiten erwähnenswert: die Vermessung
von Böhmen
[* 18] durch Müller bis 1720, welcher das Rad seines
Wagens als Meßrad benutzte und auch »trigonometricae interjectiones« nach den
wichtigern Punkten ausführte.
Recht gut sind bereits die Vermessungen von Motzel und Elmpt mit mehreren Generalstabsoffizieren, die 1763 Böhmen und Mähren aufnahmen, jedoch trotz Vorhandenseins einer von Liesgauig ^[richtig: Liesganig (= Joseph Liesganig, 1719-1799)] bei Wiener-Neustadt gemessenen Basis noch ohne Triangulation; auch die Ferrarische Aufnahme der Niederlande [* 19] erscheint für damalige Zeit vortrefflich. Die Aufnahmen wurden bewirkt mit Meßtisch, [* 20] Diopterlineal, Bussole, Kreuzscheibe, zum großen Teil aber durch Kroquis à la vue. In Preußen [* 21] ließ Friedrich I. 1724 eine Vermessung des Landes vornehmen, deren Resultate ängstlich in den Archiven vergraben wurden, so daß Friedrich Wilhelm I., der zwar viel Karten sammelte, dennoch seinem großen Sohne nur mangelhafte Werke dieser Art hinterlassen konnte.
Friedrich d. Gr. ließ viel in seinem Land vermessen, von seinen Kriegskarten war die Weylandtsche von Schlesien [* 22] noch die beste. Die deutschen Landeskarten waren noch im Anfang des 19. Jahrh. so mangelhaft, daß Napoleon I. (speziell durch Jomard) große Strecken neu aufnehmen ließ, so namentlich die Rheinlande und Westfalen. [* 23] Erst mit dem Auftreten J. G. ^[Johann Georg] Lehmanns (s. d.) ist ein weiterer Fortschritt in der topographischen Vermessungskunst zu verzeichnen.
Lange schon war für die Situationszeichnung und -Aufnahme die orthographische Horizontalprojektion maßgebendes Gesetz, nicht aber für die Darstellung der Reliefverhältnisse des Erdbodens. Lehmann wendete von der Cassinischen schiefen Beleuchtung [* 24] der Berge auf Karten prinzipiell die Zenithbeleuchtung an, die jeder geneigten Fläche ein mathematisch bestimmbares Lichtquantum zuwies. Um diese Darstellungsweise durchzuführen, bedurfte es einer genauen Böschungs- und Höhenvermessung. Er konstruierte daher an seinem Diopterlineal eine dies bewirkende Einrichtung und bereitete die Erfindung der Kippregel [* 25] durch Reichenbach [* 26] (gest. 1826 in München) [* 27] dadurch gewissermaßen vor.
Die Lehmannsche Vermessungsmethode erhielt sich bis zur Mitte dieses Jahrhunderts in Preußen und bis 1869 in Österreich, [* 28] zu welcher Zeitperiode die Vermessung unter Zugrundelegung des Niveauliniensystems begann (s. unten). Auch seitens der Zivilverwaltungen mußte nach den Kriegen des Anfangs dieses Jahrhunderts zu einer bis dahin mit den elementarsten Mitteln handwerksmäßig betriebenen und daher fast ganz vernachlässigten geometrischen Vermessung der Länderbezirke geschritten werden, um den Bedürfnissen der Finanzverwaltung sowie der Landwirtschaft einigermaßen nachzukommen (s. Feldmeßkunst). In Österreich begannen die Katastralvermessungen 1816, in Preußen etwas früher. Zu einer durchgreifenden Ausnutzung der höhern Geodäsie für Vermessung der Staaten war man bis dahin noch nicht gelangt.
Sie wurde vielmehr lediglich zu Gradmessungszwecken angewendet. Um die Einführung der regulären Triangulation des Landes als Grundlage für eine Aufnahme im Detail machten sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts de l'Isle in Rußland, Bonne in Bayern, Laplace in Frankreich, Krayenhof in Belgien, [* 29] das militärgeographische Institut in Österreich, Schumacher in Holstein, Gauß in Hannover, [* 30] Müffling in Preußen verdient. Fraunhofer, Ertel, Repsold, Breithaupt, Starke erwarben sich in ihren Offizinen für Anfertigung mathematisch- ¶
mehr
mechanischer Instrumente um die Verbesserung der Meßfernrohre, Theodolite, Spiegelinstrumente, Nivellierinstrumente und Menselapparate Verdienste, so daß nunmehr bald auch die Lehmannsche Vermessungsmethode verbessert werden konnte. Der Genfer Ingenieur Du Carla hatte nämlich Ende des 18. Jahrh. die Ansicht aufgestellt, daß durch Niveaulinien (s. Aufnahme) oder Höhenschichtenlinien die Höhenverhältnisse eines Landes in ziffernmäßiger Korrektheit sich darstellen lassen müßten.
Dupain-Triel und Puissant wußten dieses Prinzip weiter zu verarbeiten, und dasselbe konnte zuerst nur wegen der immerhin noch unvollkommenen Nivellierapparate nicht zur praktischen Ausführung gelangen. Erst der neuesten Zeit ist die Lösung dieser Aufgabe vorbehalten. Zunächst gingen in Deutschland Kurhessen und Hannover mit Niveaulinienvermessungen vor, dann folgte das 1816 gegründete preußische topographische Büreau, besonders auf die Hinweisungen v. Sydows, und auch Österreich beschloß 1869, diese Vermessungsmethode zu ergreifen. Über das neuere Vermessungswesen s. weiteres in den Artikeln: »Aufnahme«, »Feldmeßkunst«, »Gradmessungen«, »Landesaufnahme«, »Nivellieren«, »Triangulation«.
Vgl. Börsch, Geodätische Litteratur (Berl. 1889).