Verfassung
Bulgarien (Verfassung

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Seite 53.722. und
Verwaltung. B. ist eine im Mannsstamme und in direkter Linie erbliche und konstitutionelle Monarchie
im Vasallenverhältnisse zur
Hohen
Pforte. Die Verfassung
vom 16./28. April 1879 wurde 15./27. Mai 1893 revidiert. Die Fürstenwürde
ist von der Nationalversammlung in
Tirnova am 17./29. April 1879 durch Zuruf einstimmig dem Prinzen
Alexander
von
Battenberg und nach dessen Rücktritt am ebenfalls in
Tirnova einstimmig dem Prinzen Ferdinand von
Sachsen-Coburg
übertragen, der am 14. Aug. desselben Jahres nach geleistetem
Eid auf die Verfassung
als Ferdinand I. die
Regierung antrat. Der Fürst (Knjas) führt in amtlichen
Urkunden den
Titel Carsko Visočestvo, d.h. Königliche
[* 2] (nicht
Kaiserliche)
Hoheit und residiert in
Sofia. Die Nationalversammlung (Narodno sobranie) besteht
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720 aus 161 Abgeordneten, je einer auf 20000 E., durch direkte Wahlen bei allgemeinem Stimmrecht vom Volke gewählt. Die für
fünf Jahre gewählten Abgeordneten müssen 30 J. alt sein sowie lesen und schreiben können. Aktive Militärpersonen, Mönche
und Beamte im betreffenden Wahlbezirke sind nach dem Wahlgesetz vom 17./29. Dez. 1880 nicht wählbar. Die
Wähler müssen 21 J. alt sein. Die Nationalversammlung tritt nach der Verfassung jährlich einmal zusammen, und zwar vom 15. Okt. bis 15. Dez. Für
außerordentliche Fälle sind außerordentliche Sitzungen vorgesehen. In bestimmten Fällen, namentlich wenn die Verfassung
abgeändert werden soll, oder zur Wahl eines neuen Fürsten oder zur Einsetzung einer Regentschaft während
der Minderjährigkeit des Fürsten (majorenn mit 18 Jahren), muß die sog. Große Nationalversammlung (Veliko narodno sobranie)
zusammenberufen werden, die doppelt so stark ist als die der gewöhnlichen Nationalversammlung.
Alle Staatsangehörigen sind gleich vor dem Gesetze, nachdem schon die türk. Herrschaft alle Standesvorrechte (mit Ausnahme des Klerus) aufgehoben hatte; der Adel darf nicht verliehen werden. Die Minister sind dem Fürsten und der Nationalversammlung verantwortlich. An der Spitze der Verwaltung stehen 8 Ministerien: des Krieges, des Äußern (des Kultus), des Innern, der Finanzen, der Justiz, des Unterrichts, des Handels (des Ackerbaus und der Industrie) und der öffentlichen Arbeiten und Verkehrswege.
Kreisabschnitt - Kreis

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Kreise.Das Land ist in 22 Kreise [* 4] (okrug) eingeteilt; davon 16 im Fürstentum (Sofia, Trn, Köstendil, Vidin, Lom, Braca, Plevna, Loveč, Seljvi, Šistov, Tirnova, Rustschuk, Razgrad, Silistria, Schumen [türk. Schumla], Varna), 6 im ehemaligen Ostrumelien (Philippopel, Tatar-Pazardžik, Chasköi, Stara-Zagora [türk. Eski-Zagra, Slivno, Burgas). Jeder Kreis [* 5] zerfällt wiederum in mehrere Bezirke (okolija), im ganzen in 84 Bezirke. An der Spitze des Kreises steht ein Kreisdirektor (okružni upravitel) mit einem Kreisrate.
Der Kreisrat (okružni sojet) besteht aus 1 Präsidenten, 4 wirklichen und 4 Ehrenmitgliedern. Dieselben werden von den Wahlmännern des Distrikts gewählt und vom Fürsten bestätigt. An der Spitze jedes Bezirks steht ein Bezirksamtmann. Justiz. Die Justizpflege wird von einem Kassationsgerichtshofe in Sofia (1 Präsident, 1 Vicepräsident, 4 Mitglieder), 4 Appellationsgerichtshöfen (Sofia, Rustschuk, Tirnova, Philippopel mit je 6–5 Mitgliedern) und einer größern Zahl Kreisgerichte (okružni sud) mit je 6 oder 4 Mitgliedern wahrgenommen.
Für Bagatellprozesse bis zu 600 Frs. ist das Institut endgültig entscheidender Friedensgerichte (mirovi
sud) vorläufig eingeführt. Die provisorische russ. Administration der Occupation hat eine Civilprozeßordnung und eine Strafprozeßordnung
ausgearbeitet. Diese Gesetze bilden die Grundlage des heutigen Prozeßrechts B.s, ändern somit die dieses Gebiet
betreffenden
Teile der ottomanischen Gesetze ab. Die erwähnten russ. Prozeßgesetze sind von der Nationalversammlung
abgeändert worden, und diese abgeänderten Gesetze bilden jetzt die Gerichtsverfassung
und Prozeßordnung B.s.
Was das Recht und die Rechtspflege anbelangt, so gelten in allen andern als den oben angegebenen Punkten die ottomanischen Gesetze, wie sie in der Sammlung von Aristarchi-Bei enthalten sind. Somit ist z. B. der türk. Code pénal geltendes Strafgesetzbuch für das Fürstentum B. Doch wurde von der Nationalversammlung ein Strafgesetzbuch für die Friedensrichter ausgearbeitet; dasselbe enthält Bestimmungen über Übertretungen und ist eine Vervollständigung des oben genannten Code pénal.
Finanzen. Nach dem Budget für 1893 betrugen die Einnahmen und Ausgaben je 89369
334 Frs. Die direkten Steuern waren auf 41,38
Mill., die indirekten Steuern und Zölle auf 19,18 Mill., andere Einnahmen auf 28,80 Mill. Frs. veranschlagt. Die öffentliche
Schuld verzehrte 14,14 Mill., das Heer 23,24, die Finanzen 18,42, die Justiz 5,6, Kultus und Auswärtiges 6,2 Mill. Frs. Für
die innere Verwaltung des Landes werden 10,03 und für den Unterricht 9,92 Mill. aufgewendet.
Flaggen I: Internation

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Flaggen. Armee. Nach dem Gesetz vom 18./30. Dez. 1880 ist jeder Bulgare vom vollendeten 20. Jahre an für 10 Jahre dienstpflichtig,
davon 2 Jahre in der aktiven Armee und 8 Jahre in der Reserve. Die Armee bestand 1890 aus 24 Infanterieregimentern zu 2 Bataillonen, 1 Schwadron
Leibgarde-Kavallerie, 4 Regimentern Kavallerie zu 4 Schwadronen, 6 Regimentern Artillerie zu 4 Batterien, 2 Artillerie-Ersatzabteilungen, 2 Belagerungsbatterien, 1 Regiment
Genietruppen zu 3 Bataillonen, 1 Disciplinarcompagnie, zusammen mit einer Friedensstärke von 1604 Offizieren, 34203 Mann und
einer Kriegssollstärke von 2304 Offizieren, 122703 Mann. Die Flotte besteht aus 1 Jacht, 3 Dampfern, 4 Dampfschaluppen und 2 Torpedofahrzeugen,
mit 12 Offizieren und 334 Mann. Die Offiziere werden ausgebildet auf der Kriegsschule von Sofia. Die Nationalfarben B.s sind
Weiß, Grün, Rot in horizontaler Streifung. (S. Tafel: Flaggen
[* 6] der Seestaaten.)
Das Wappen des Fürstentums zeigt einen von einer Königskrone bedeckten Schild; [* 7] dieser Schild selbst zeigt in rotem Feld einen schreitenden gekrönten goldenen Löwen. [* 8] Als Schildhalter dienen zwei goldene Löwen, deren jeder mit der linken Pranke ein weiß-grün-rot quer geteiltes Bannerfähnlein hält. Das Ganze wird umschlossen von dem roten königl. Wappenzelt, das wie der Schild gekrönt und auf dem Baldachin mit goldenen Krönchen besetzt ist. Es giebt zwei vom Fürsten Alexander gestiftete Orden, [* 9] den Alexanderorden und den Militärverdienstorden, und einen vom Fürsten Ferdinand 1891 gestifteten Civilverdienstorden sowie 2 Medaillen. ¶