Verfälschu
ngen.
Verfälschungen
der Nahrungs- und Genußmittel sind keineswegs neu, sondern lassen sich bis
weit in das Mittelalter zurück verfolgen: schon
Kaiser
Friedrich III. erließ 1475
Edikte gegen die Weinfälscher. Indessen
hat sich erst in der neuern Zeit der
Kreis
[* 2] derjenigen Nahrungs- und Genußmittel, welche in gewinnsüchtiger
Absicht zum Zweck der Täuschung im
Handel und Verkehr nachgemacht oder dadurch verfälscht werden, daß man dieselben mittels
Entnehmens oder Zusetzens von
Stoffen verschlechtert oder den bestehenden
Handels- und Geschäftsgebräuchen zuwider mit dem
Schein einer bessern Beschaffenheit versieht, außerordentlich erweitert. Auch die Methoden der Verfälschungen
sowie
die Verfälschu
ngsmittel haben sich bedeutend vermehrt und die Anwendung derselben ist von Jahr zu Jahr häufiger geworden.
Die wichtigsten Nahrungs- und Genußmittel, welche der Verfälschung
unterliegen, sind
Butter,
Bier,
Wein,
Milch, Mehl,
[* 3] Konditoreiwaren,
Zucker,
[* 4] Wurst,
Gewürze,
Kaffee,
Thee u. s. w.
Bei der Butter wird sehr oft das Gewicht durch Beimischung von minderwertigen Stoffen erhöht oder ihr äußeres Ansehen verbessert. Das gebräuchlichste der hierzu angewandten Mittel ist das Einkneten von Wasser oder auch das Zurückhalten einer gewissen Menge von Buttermilch. Zu gleichem Zwecke wird die Beimengung von weißem Käse, Kartoffelmehl, Weizenmehl, Schwerspat, Gips, [* 5] Borax, [* 6] Salicylsäure, Alaun, [* 7] auch eines Gemisches von Talg und Schweinefett, von Palmfett, Kokosfett, Oleomargarin in Anwendung gebracht. Allein auch diese Anwendungen lassen nur eine beschränkte Anwendung zu, da sie sich durch mehrfache Merkmale leicht erkennen lassen; so läßt z. B. stark mit Wasser ¶
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versetzte Butter dieses, wenn man mit dem Finger stark auf die Butter drückt, sofort in kleinen Tröpfchen zu Tage treten. Mit Kreide, [* 9] Kartoffelmehl u. s. w. versetzte Butter hat ihren glatten Strich verloren und zergeht nicht auf der Zunge, ohne die zurückbleibende körnige Masse durchfühlen zu lassen. Nichtsdestoweniger kommen diese Fälschungen vor, zu deren Verdeckung schlaue Fälscher das gefälschte Butterstück mit einer Hülle von guter Butter plattieren.
Zum Färben der Butter wendet man Mohrrübensaft, Curcume, Safran, ferner die Calendulablüten und bisweilen Orlean an. Alle diese Manipulationen sind nicht direkt gesundheitsschädlich, jedoch im hohen Grade verwerflich, infofern sie eine gute Ware minderwertig machen oder eine geringe Ware zum Preise von normaler Butter zu verkaufen bestimmt sind. Das jetzt als Margarine (s. d.) und Kunstbutter (s.d.) in großer Menge auf den Markt kommende Buttersurrogat ist, wenn sorgfältig bereitet und als solche bezeichnet, eher als eine nützliche Vermehrung, denn als eine Fälschung von Nahrungsmitteln zu betrachten. An Nährwert steht sie der Naturbutter ganz gleich; auch wird sie nicht leicht ranzig.
Für den Nachweis der stattgehabten Ersetzung der Butter durch andere tierische Fette bietet die chem. Untersuchung genügenden
Anhalt.
[* 10] Für den Gehalt an Wasser gilt als Maximalgrenze 10–12 Proz.; wo gesalzene Butter üblich ist, darf der Salzgehalt 5 Proz.
nicht übersteigen. Beim Bier sind alle Surrogate und Färbemittel (s. Bier und Bierbrauerei)
[* 11] als Verfälschungen
zu betrachten. Als Surrogate
für Malz wendet man Stärke,
[* 12] Stärkezucker, Sirup und Glycerin, auch Rübenmelasse an. Letztere liefert als Gärungsprodukt
auch Amylalkohol (Fuselöl), welcher zweifellos gesundbeitsschädliche Folgen nach sich ziehen kann; auch das
Glycerin, obgleich es in der Menge von einigen Promille in dem Bier sich findet, ist in größern Quantitäten dem Organismus
gegenüber nicht ganz indifferent.
Stärke und Stärkezucker drücken als stickstofffreie Substanzen den relativen Gehalt an Eiweißkörpern im Bier herab und stören so die der Gesundheit zuträgliche Mischung des Biers. Hopfensurrogate, wie Quassia, Aloe, Wermut, Bitterklee, Tausendgüldenkraut, Enzianwurzel u. s. w. können weder in chem., noch in physiol. Hinsicht den Hopfen [* 13] ersetzen und sind durchaus unstatthaft. Was dagegen Krähenaugen (Nux vomica), Herbstzeitlosesamen (Semen colchici), Belladonna, Pikrinsäure, Pikrotorin,Koloquinten u.s.w. anbelangt, welche gewissenlose Brauer anstatt eines Teils des Hopfens angewendet haben, so sind diese Körper als Gifte von nachhaltigstem Einfluß auf die Gesundheit der Konsumenten, und diejenigen, die sie anwenden, dem Strafgesetzbuch verfallen. Übrigens werden, wie die neuesten genauern Untersuchungen ergeben haben, die Brauereien oft mit Unrecht beschuldigt, diese Ingredienzien beim Brauen hinzuzufügen. Übereifer Nichtsachverständiger hat hier oft des Guten zu viel gethan. Als Klärungsmittel ist gegen Haselnuß- und Buchenspäne, gegen Haufenblase, Gelatine und Tannin nichts einzuwenden, sehr verwerflich ist aber das Calciumbisulfit.
Über die Verfälschung
von Kaffee, Milch, Thee, Zucker s. diese Artikel; über diejenige von Wein s. Weinbereitung; über die von
Mehl s. Mehlfabrikation. Bei den Konditoreiwaren findet nicht selten ein Zusatz von Gips oder Schwerspat
statt; an Stelle des Honigs werden der billige Kartoffelzucker, statt der
echten Fruchtsäfte und Limonaden künstliche Äther
und Essenzen, statt der Mandeln das schädliche rohe Bittermandelöl oder Nitrobenzol verwendet. Zur Färbung werden nicht selten
giftige Farbstoffe benutzt, obwohl unschädliche zur Verfügung stehen.
Auch die Gewürze sind vielfachen Verfälschungen
ausgesetzt, und zwar besonders häufig im gepulverten
Zustande. Die fremden Beimengungen bestehen in Zusätzen von bereits benutzten Gewürzen, von gerösteter Brotrinde, Leinsamenmehl,
Holzpulver, Preßrückständen, Thon, Ziegelmehl, Kreide, Ocker, Schwerspat u. dgl. Die meisten Verfälschungen
lassen sich durch das Mikroskop
[* 14] leicht nachweisen: der beste Schutz vor Gewürzverfälschung besteht darin, daß man die Gewürze niemals
in zerkleinertem Zustande kauft.
Unter den Fleischwaren sind am häufigsten die Würste Gegenstand betrügerischer Manipulationen. Abgesehen davon, daß zu ihrer Darstellung oft minderwertiges, verdorbenes, selbst ganz ungenießbares Fleisch Verwendung findet, dessen fauler Geruch und Geschmack durch starke Zusätze von Pfeffer, Nelken, Zwiebeln, Knoblauch und andern scharfen Gewürzen verdeckt wird, finden auch häufig noch übermäßiger Wasserzusatz und reichliche Beimengung von Stärkemehl, Mehl oder Semmelmehl und Färbung mit Fuchsin statt. Man genieße daher keine Wurst, die fleckige, weichere Stellen unter der Darmhaut hat und süßlich oder sauer riecht.
Um dem großen Unfug mit der Verfälschung der Nahrungsmittel [* 15] zu steuern, bedroht das Nahrungsmittelgesetz (s. d.) vom in §. 10 mit Gefängnis bis zu 6 Monaten und mit Geld bis zu 1500 M. oder mit einer dieser Strafen das Nachmachen sowie das Verfälschen von Nahrungs- oder Genußmitteln zum Zwecke der Täuschung im Handel; ebenso wird bestraft, wer wissentlich verdorbene, nachgemachte, verfälschte Nahrungsmittel unter Verschweigung dieses Umstandes verkauft oder unter einer zur Täuschung geeigneten Bezeichnung feilhält.
Nach §. 12 wird mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft, wer vorsätzlich Nahrungs- oder Genußmittel, Bekleidungsgegenstände, Spielwaren, Tapeten, Eß-, Trink- oder Kochgeschirre oder Petroleum, welche die menschliche Gesundheit zu schädigen geeignet sind, herstellt oder wissentlich solche Gegenstände verkauft oder feilhält, wenn schwere Körperverletzung oder der Tod erfolgte, mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren; nach §.13 mit Zuchthaus bis zu 10 Jahren, wenn der Genuß oder Gebrauch der Gegenstände die Gesundheit zu zerstören geeignet und dies dem Thäter bekannt war; mit Zuchthausstrafe nicht unter 10 Jahren oder lebenslänglicher Strafe, wenn durch die Handlung der Tod eines Menschen verursacht ist. Zugleich kann auf Polizeiaufsicht erkannt werden. Diese Bestimmungen werden ergänzt durch ähnliche des Reichsgesetzes
1) vom über den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen, 2) vom über die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben, 3) vom betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken (Kunstwein), 4) vom (früher betreffend den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmittel (sog. Margarinegesetz). Dem Gesetz vom ist nachgebildet das österreichische vom betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und einigen Gebrauchsgegenständen. ¶
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Litteratur. Fleck, Die Chemie im Dienste [* 17] der öffentlichen Gesundheitspflege (Dresd. 1882);
Dietzsch, Die wichtigsten Nahrungsmittel
und Getränke, deren Verunreinigungen und Verfälschungen
(4. Aufl., Zür.
1884);
Hilger, Die wichtigsten Nahrungs-und Genußmittel, deren Verfälschung nebst Prüfung (Erlangen [* 18] 1879);
König, Die Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genußmittel (3. Aufl., 2 Bde., Berl. 1889–93);
Klencke, Illustriertes Lexikon der Verfälschungen
(2. Aufl., Lpz.
1879);
Flügge, Lehrbuch der hygieinischen Untersuchungsmethoden (ebd. 1881);
Grießmayer, Die Verfälschuug der wichtigsten Nahrungs- und Genußmittel vom chem. Standpunkte (2. Aufl., Augsb. 1882);
Meyer und Finkelnburg, Gesetz, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom Mit Erläuterungen herausgegeben (Berl. 1880; 2. Aufl. 1885);
Dammer, Illustriertes Lexikon der Verfälschungen
und Verunreinigungen der Nahrungs- und Genußmittel (Lpz.
1887);
Stutzer, Nahrungs- und Genußmittel (Jena [* 19] 1894);
Vereinbarungen zur einheitlichen Untersuchung und Beurteilung von Nahrungs- und Genußmitteln sowie Gebrauchsgegenständen für das Deutsche Reich [* 20] (Berl. 1897).