Vereinswesen.
Das
Recht der
Staatsbürger, zu gemeinsamen
Zwecken sich zu vereinigen und gemeinsame
Ziele gemeinsam anzustreben
(Vereinsrecht,
Recht der Assoziation), und ebenso das
Recht der freien Versammlung
(Versammlungsrecht) gehören
zu denjenigen
Rechten, welche unmittelbar aus der persönlichen
Freiheit abzuleiten sind. Gleichwohl ging das
Streben der
Gesetzgebung
in den einzelnen deutschen
Staaten bis zum Jahr 1848 dahin,
Vereine mit politischer
Tendenz zu verbieten und die Abhaltung von
Volksversammlungen schlechthin von der
Genehmigung der Behörden abhängig zu machen.
Nach dem Vorgang
Frankreichs machte sich aber seit 1848 eine entgegengesetzte Strömung geltend; die deutschen
Grundrechte (s. d.) statuierten das freie
Vereins- und
Versammlungsrecht
(Vereins- und Versammlun
gsfreiheit), und obgleich ein
Bundesbeschluß von die Ausübung dieses
Rechts thatsächlich von dem Ermessen der einzelnen
Bundesregierungen abhängig
zu machen suchte, war und blieb dasselbe doch in den seit 1848 zu stande gekommenen Verfassungsurkunden
ausdrücklich anerkannt.
Gleichzeitig ist allerdings in den letztern ausgesprochen, daß dieses Recht in seiner Ausübung der Regelung durch besondere Gesetze (Vereins- und Versammlungsrecht im objektiven Sinn) bedürfe, und so ist denn auch z. B. das Vereins- und Versammlungsrecht in Preußen [* 2] durch Gesetz vom in Bayern [* 3] durch Gesetz vom in Sachsen [* 4] durch Gesetz vom in Württemberg [* 5] durch Gesetz vom in Baden [* 6] durch Gesetz vom und in Hessen [* 7] durch Verordnung vom normiert worden.
Hiernach gelten im wesentlichen folgende
Grundsätze: Das Vereinswesen
steht unter obrigkeitlicher
Kontrolle (Vereinspolizei).
Politische
Vereine müssen
Statuten und Vorsteher haben, welche, ebenso wie die Mitglieder, der Behörde anzuzeigen sind. Minderjährige
sind von der
Teilnahme ausgeschlossen. Dasselbe gilt in
Preußen bei politischen
Vereinen auch von den
Frauen.
Ferner soll nach
dem preußischen Vereinsgesetz ein politischer
Verein nur als örtlicher
Verein geduldet werden, und ebendarum
darf er nicht mit andern politischen
Vereinen in
Verbindung treten.
Sitzungen und Vereinsversammlungen
müssen der Obrigkeit angezeigt werden; die
Polizei darf zu jeder Versammlung
Beamte oder
andre
Bevollmächtigte abordnen. Bei ausgesprochener
Auflösung durch die Polizeiorgane haben alle Anwesenden
sich sogleich zu entfernen.
Öffentliche
Volksversammlungen müssen 24
Stunden vor ihrem Beginn der Behörde angemeldet werden,
und diese ist so berechtigt als verpflichtet, die Versammlung
zu verbieten, wenn
Gefahr für das öffentliche
Wohl oder die
öffentliche Sicherheit obwaltet. Zu Versammlungen unter freiem
Himmel
[* 8] und zu öffentlichen
Aufzügen ist polizeiliche Erlaubnis
erforderlich.
Sollen Vereine aus bloßen Gesellschaften zu juristischen Personen (Korporationen) werden, so ist zur Erlangung der korporativen Rechte ein besonderer Regierungsakt erforderlich. Der Art. 4 der deutschen Reichsverfassung zieht das in den Kompetenzkreis der Reichsgesetzgebung; gleichwohl fehlt es noch an einem Reichsvereinsgesetz. Das Reichswahlgesetz gestattet aber die Bildung von Vereinen zum Betrieb der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten, doch ist nach dem Reichsmilitärgesetz den zum aktiven Heer gehörigen Militärpersonen die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen untersagt.
Für die nichtpolitischen
Erwerbs- u.
Wirtschaftsgenossenschaften ist eine Regelung des Vereinswesens
im Weg der Reichsgesetzgebung
erfolgt.
Ferner ist nach der deutschen
Gewerbeordnung (§ 152 f.) für alle gewerblichen
Arbeiter das Verbot
der Vereinigung zur Erlangung günstigerer Lohnbedingungen aufgehoben (s.
Koalition); doch darf der
Beitritt nicht durch
Zwang
oder
Drohung herbeigeführt werden.
Vereine, deren Dasein,
Verfassung oder
Zweck
vor der Staatsregierung geheimgehalten werden
sollen, oder in welchen gegen unbekannte Obere
Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter
Gehorsam
versprochen wird, sind nach dem deutschen
Strafgesetzbuch (§ 128) verboten.
Dasselbe gilt von Vereinen zu unerlaubten Zwecken (§ 129). Besondere Beschränkungen der Vereins- und Versammlungsfreiheit sind durch das Sozialistengesetz herbeigeführt (s. Sozialdemokratie). Nach dem österreichischen Vereinsgesetz vom ist von jeder Vereinsversammlung wenigstens 24 Stunden vorher der Behörde durch den Vorstand Anzeige zu erstatten. Soll die Versammlung öffentlich sein, so ist auch hiervon Anzeige zu machen. Ausländer, Frauenspersonen und Minderjährige können nicht Mitglieder von politischen Vereinen sein.
Auch ist es nach dem österreichischen Vereinsgesetz politischen Vereinen nicht gestattet, Zweigvereine zu gründen und Vereinsabzeichen zu tragen. International wird ein Verein genannt, wenn seine Mitglieder verschiedenen Ländern und Staaten angehören, wie z. B. der Internationale Schriftstellerverein. Doch versteht man unter internationalen Vereinen auch Vereinigungen (Konventionen) der Staaten selbst, wie z. B. den Weltpostverein.
Vgl. Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht (Berl. 1868-81, 3 Bde.);
Freund, Österreichisches Vereins- und Versammlungsgesetz (Wien [* 9] 1885);
Mascher, Versammlungs- und Vereinsrecht Deutschlands [* 10] (Berl. 1888).