Verdauung
(Digestio), in der
Physiologie derjenige Prozeß, durch den die genossenen Nahrungsmittel
[* 2] zur Anfnahme in
die Säftemasse des Körpers geschickt gemacht werden. Viele und darunter die wichtigsten Nahrungsmittel werden in fester
Form genossen, in der sie nicht in die Ernährungsflüssigteiten des Körpers
(Blut,
Chylus) übergehen
können, sondern zuvor verdaut werden müssen. Die Verdauung
beruht im wesentlichen auf der Verflüssigung und chem.
Umwandlung der Nahrungsmittel, die mit ihrer mechan. Verkleinerung in der Mundhöhle
[* 3] beginnt
und durch die verschiedenartigen Verdauungs
flüssigkeiten: den Mundspeichel, den
Magensaft, Darmspeichel,
Darmsaft und die
Galle bewirkt wird.
Die bei der Verdauung
beteiligten Organe werden als
Verdauungsorgane, ihre Gesamtheit als Verdauungs
apparat bezeichnet. Der Mundspeichel,
der sich den
Speisen bereits beim
Kauen beimischt, durchfeuchtet den
Bissen und bewirkt zugleich durch sein eigentümliches
Ferment, das
Ptyalin, die Umwandlung des
Stärkemehls in Dextrin und weiterhin in Zucker.
[* 4] Im
Magen
[* 5] (s. d.) setzt
sich die Wirkung des
Speichels auf das
Stärkemehl noch fort. Der
Magensaft ist eine stark saure Flüssigkeit, die eine eigentümliche
fermentartige
Substanz
(Pepsin, s. d.) enthält, durch deren Einwirkung, bei Gegenwart von Säure,
die Eiweißkörper, Leimsubstanzen und leimgebenden Gewebe
[* 6] in flüssige
Substanzen
(Peptone) verwandelt werden.
Weiterhin ist im Magensaft auch ein Labferment enthalten, welches das Casein der Milch auch in neutraler oder alkalischer Lösung niederschlägt, sowie ein Ferment, das den Milchzucker in Milchsäure überführt. Auf die Fette, die dritte Klasse der Nahrungsbestandteile, übt weder der Speichel noch der Magensaft eine Veränderung aus. Aus dem Magen gelangt dann der Speisebrei (Chymus) in den Darmkanal und kommt hier zunächst mit dem Bauchspeichel und der Galle sowie mit dem Darmsaft in Berührung, durch die alle in ihm enthaltene freie Säure abgestumpft wird.
Der Bauchspeichel, das stark alkalische Sekret der
Bauchspeicheldrüse (s. d.), teilt mit dem
Darmsaft die Eigenschaft, Eiweißkörper
in
Peptone,
Stärkemehl in Zucker überzuführen und die Fette in feine Verteilung zu bringen (zu emulgieren),
zeichnet sich aber vor allen andern Verdauungs
säften noch dadurch aus, daß er die neutralen Fette in ihre nächsten
Bestandteile,
in
Fettsäure und
Glycerin, zerlegt. Wäre dies nicht der Fall, so würde die
Aufsaugung der Fette durch die wässerig-feuchte
Darmschleimhaut viel schwieriger.
Die Fettsäuren aber, die sich im Darm [* 7] mit den vorhandenen Alkalien verbinden, bilden so in Wasser lösliche Seifen und gelangen dadurch leichter in das Blut und den Chylus. Unterstützt wird die Aufsaugung der Fette durch die Galle (s. d.), weil diese wässerig-feuchte Häute für Fette benetzbar macht. Weiterhin wirkt die Galle anregend auf die Muskulatur des Darms, schränkt die faulige Zersetzung des Darminhalts ein und bewirkt durch ihre reichliche Ergießung den hinreichenden Wassergehalt der Fäces, so daß diese leicht entleert werden können. Die nicht verdauten und nicht aufgesaugten Speisereste gelangen weiter in den Dickdarm, ¶
mehr
woselbst sie festere Form annehmen, in der sie dann als Exkremente (s. d.) den Körper verlassen. Der Dünndarm hat aber noch
eine weitere wichtige Bedeutung für die Verdauung
als die, die Stätte für die Auflösung der Nahrungsmittel abzugeben. Namentlich
in seinem obern Abschnitt ist seine Schleimhaut in viele Falten ausgestülpt, die alle mit fast mikroskopisch
kleinen zapfenformigcn Anhängen (Zotten) besetzt sind: man schätzt die Zahl dieser Zotten auf etwa 4 Millionen.
Dadurch gewinnt der enge Dünndarm eine viel größere Oberfläche, als er sonst haben würde (gegen 2,5 qm, also fast das Doppelte der äußern Leibesoberfläche), und diese Oberfläche ist allseitig mit verdauter Substanz umspült. Die blutreichen Zotten nehmen nun die verdaute (löslich gewordene) Substanz in sich auf, wobei sie durch eine besondere mechan. Vorrichtung unterstützt werden, daß sie die Flüssigkeit, ähnlich wie eine Spritze, in sich saugen. Jede einzelne Zotte enthält den Anfang eines Chylusgefäßes, und diese Wurzeln setzen sich weiterhin in der Darmschleimhaut zu Stämmchen, diese endlich zu Stämmen zusammen, die durch die Bauch- und Brusthöhle, von vielen Lymphdrüsen unterbrochen, ihren Verlauf nehmen, um zunächst ihren Inhalt in der Nähe des Herzens in das Blut zu ergießen. (S. Chylus.) Die Blutgefäße der Darmschleimhaut aber sammeln sich in der Pfortader, die ihr Blut der Leber zuführt, wo also zunächst eine weitere Verarbeitung der verdauten Nahrung statthat.
Nicht zu jeder Zeit sind übrigens die Verdauungsorgane imstande, zu verdauen. Der Bauchspeichel wird es erst, nachdem der
Magen schon eine lange Zeit in Thätigkeit war; der Magen sondert erst Verdauungs
flüssigkeit ab, wenn Speise in
ihn gelangt; die Leber endlich liefert erst Galle, wenn ihr bereits verdaute Substanz zugeführt wurde. Es ist weiterhin leicht
begreiflich, daß die Verdauungsorgane im kranken Zustande ihre Thätigkeit einschränken müssen. Der Magen übt z. B. seine
volle Thätigkeit nicht bei Magenkatarrh, und bei Darmkatarrh ist sowohl die Verdauung
als die Aufsaugung gestört.
Auch vermögen die Verdauungsorgane nicht jedwede Substanz aufzulösen, die Verdaulichkeit der Nahrungsmittel, ihre Eigenschaft,
mehr oder minder rasch und leicht die Umwandlungen im Verdauungs
apparat durchzumachen und die verwertbaren Nährstoffe an den
Körper abzugeben, ist verschieden. Leicht verdaulich sind gut zerkleinerte, fett- und cellulosearme Nahrungsmittel; schwerverdaulich
sind fettreiche, feste Speisen, die die Nährstoffe in sehr großer Konzentration enthalten, wie z. B.
Käse, oder welche, teils grob mechanisch (schweres Brot),
[* 9] teils durch Gärungen (ranzige Butter) die Verdauungs
apparate übermäßig
reizen.
Weich gekochte Nahrungsmittel verdauen sich leichter als harte, gequollenes Stärkemehl leichter als rohes. (S. Ernährung, Nahrungsmittel, Stoffwechsel.) –
Vgl. Ewald, Klinik der Verdauungs
krankheiten (3. Aufl., 2 Bde.,
Berl. 1890–93);
Graham, Physiologie der Verdauung
und Ernährung (deutsch bearbeitet von Hahn,
[* 10] 5. Aufl., Cöthen
[* 11] 1893);
Rosenheim,
Pathologie und Therapie der Krankheiten des Verdauung
sapparates (2 Tle., Wien
[* 12] 1891–93; Tl. 1, 2. Aufl. 1896);
Fleiner, Lehrbuch der Krankheiten der Verdauungsorgane (Stuttg. 1890);
Gamgee, Die physiol. Chemie der Verdauung
mit Einschluß der
pathol.