Verdampfung
(Dampfbildung), der Übergang einer Flüssigkeit oder eines festen Körpers in den gasförmigen Zustand. Stellt man in einer flachen Schale Wasser an die freie Luft, so nimmt die Menge desselben fortwährend ab, bis es endlich ganz verschwunden ist. Diese Dampfbildung, welche ganz ruhig nur an der Oberfläche der Flüssigkeit vor sich geht, nennt man Verdunstung. Durch Erwärmung wird sie befördert, sie hört aber auch in der Kälte nicht auf; selbst Eis [* 2] und Schnee [* 3] sieht man bei trocknem, kaltem Wetter [* 4] durch Verdunstung allmählich verschwinden. In ruhiger Luft geht die Verdunstung nur sehr langsam vor sich, weil die mit der Flüssigkeitsoberfläche in unmittelbarer Berührung stehende Luftschicht sich mit Dampf [* 5] sättigt, welchen sie nur sehr langsam durch allmählichen Austausch (Diffusion) [* 6] an die darüber befindlichen Luftschichten abgibt und sonach die Verdunstung hemmt; durch Luftzug, welcher die gesättigte Luft rasch entführt und ungesättigte an ihre Stelle bringt, wird daher die Verdunstung sehr befördert.
Erhitzt man Wasser in einem Glaskölbchen mit Thermometer, [* 7] so steigt dieses, bis das Wasser zu sieden beginnt; nun aber bleibt es, solange das Sieden dauert, bei 100° stehen, mag nun die Kugel des Thermometers in das siedende Wasser tauchen oder nur von Dampf umspült sein. Der Dampf hat also dieselbe Temperatur wie das verdampfende Wasser selbst. Die von der heizenden Flamme [* 8] unausgesetzt zugeführte Wärme [* 9] bringt demnach keine Erwärmung hervor, sie wirkt nicht auf das Thermometer; aber sie unterhält das Kochen, indem sie nebst dem auf der Flüssigkeit lastenden äußern Druck die zwischen den Wasserteilchen stattfindende Anziehung (Kohäsion) überwindet und das flüssige Wasser in den gasförmigen Zustand umarbeitet.
Man nennt die zu dieser
Arbeit verbrauchte Wärmemenge die Verdampfun
gswärme oder auch, da sie für das
Gefühl und das
Thermometer
verschwindet und sich in dem
Dampf gleichsam als
Bestandteil desselben verborgen zu haben scheint, gebundene oder latente
Wärme.
Leitet man den
Dampf durch ein
von kaltem
Wasser umgebenes, schlangenförmig gewundenes Metallrohr, so
schlägt er sich in diesem als
Wasser nieder, während er seine sämtliche gebundene
Wärme an das umgebende
Wasser wieder abgibt.
Man findet auf diese
Weise, daß 1 kg
Dampf von 100°, indem er sich zu 1 kg
Wasser von 100° verdichtet, 10 kg
Wasser um 54°
oder, was dasselbe ist, 540 kg
Wasser um 1° zu erwärmen vermag, und daß sonach 540 Wärmeeinheiten
erforderlich sind, um 1 kg
Wasser von 100° in
Dampf von 100° überzuführen. Auch bei der
Verdunstung wird
Wärme zur Trennung
der Flüssigkeitsteilchen voneinander verbraucht oder »gebunden«. Findet
keine Wärmezufuhr von außen statt, so muß die nötige Verdampfun
gswärme aus der
Flüssigkeit selbst
oder von andern
Körpern, mit denen die verdunstende
Flüssigkeit in Berührung ist, entnommen werden; diese werden daher abgekühlt
(Verdunstungskälte).
Gießt man eine leicht verdampfbare (»flüchtige«)
Flüssigkeit, z. B.
Äther, auf die
Hand,
[* 10] so fühlt man eine beträchtliche
Erkaltung, weil der
Äther bei seiner
Verdunstung der
Hand die Verdampfun
gswärme entnimmt. Wird
Wasser unter
die
Glocke der
Luftpumpe
[* 11] gebracht bei Gegenwart von konzentrierter
Schwefelsäure,
[* 12] welche die entstehenden Wasserdämpfe aufnimmt
und dadurch die Sättigung des
Raums mit
Dampf verhindert, so wird durch die unter so geringem
Druck äußerst lebhaft vor sich
gehende Verdampfung
so viel
Wärme verbraucht, daß das
Wasser infolge seiner eignen
Verdunstung gefriert.
Läßt man flüssige
Kohlensäure aus der Eisenflasche, in welcher sie dargestellt wurde, in eine Blechbüchse ausströmen,
so wird durch die rasche
Verdunstung eines Teils derselben eine solche
Kälte erzeugt, daß die noch übrige
Menge zu einer
schneeähnlichen
Masse erstarrt. Flüssiges
Stickstoffoxydul erstarrt durch seine
Verdunstung zu einer
Masse,
deren
Schmelzpunkt bei -105° liegt. Durch beschleunigte Verdampfung
von flüssiger
Kohlensäure hat
Pictet eine
Kälte von -130°, von
flüssigem
Stickstoffoxydul eine solche von -140° erzielt. In einem luftleeren
Raum erfolgt die
Dampfbildung bis zur Sättigung
fast augenblicklich; in einem mit
Luft oder andern
Gasen erfüllten
Raum geht die Verdampfung
nur langsam vor sich,
schließlich erreicht aber der
Dampf denselben
Grad der Sättigung oder dieselbe
Spannkraft, als wenn keine
Luft oder kein andres
Gas vorhanden wäre, und sein
Druck fügt sich dem
Druck der bereits vorhandenen
Gase
[* 13] oder
Dämpfe hinzu
(Daltons
Gesetz).