Titel
Venezuēla
(Vereinigte Staaten von Venezuela
),
[* 2] Föderativrepublik in
Südamerika
[* 3] (s.
Karte
»Peru etc.«),
grenzt nördlich an das Antillenmeer, nordöstlich an den Atlantischen Ozean, östlich an das britische Guayana, südlich an Brasilien [* 4] und westlich an Kolumbien und hat einen Flächeninhalt von 1,043,900 qkm. Das Land ist teils Gebirgs-, teils Tiefland. Das Gebirgsland läßt drei Systeme unterscheiden, deren erstes durch die Verzweigungen der Ostkordilleren von Kolumbien gebildet wird. Der Hauptzweig wendet sich von Pamplona aus nach ONO. und bildet die alpine Region der Republik als eine breite, kompakte Gebirgsmasse mit einigen die Schneelinie erreichenden Gipfeln.
Die höchsten
Erhebungen sind hier: die
Sierra Nevada von
Merida (4581 m), die
Paramos von Mucuchies (4230 m),
Salado (4220 m),
Conejos (4180 m). Das zweite
System, das des Küstengebirges von Venezuela
, das in seiner Längenerstreckung dem der europäischen
Alpen
[* 5] nahesteht, bildet wegen seiner vom Kordillerensystem abweichenden Streichungslinien, von W. gegen O., ein für
sich bestehendes Gebirgssystem, das die schönsten und kultiviertesten
Striche des
Landes enthält, und besteht aus einer doppelten
Kette, deren mittlere
Erhebung aber nur 1650 m, die
Breite
[* 6] 110-220 km beträgt. Der östliche Teil des
Gebirges
(das Gebirgsland von
Cumaná) hat ebenfalls die doppelten, durch ein Querjoch verbundenen
Ketten, die bis zum Pariagolf reichen.
Die nördliche Küstenkette steigt gegen ihr östliches Ende hin nahe bei
Carácas in der Silla de
Carácas bis 2665
m und in
dem Gipfel von
¶
mehr
Naiguata zu 2782 m auf. In der südlichen Kette erhebt sich im Ostteil der Turumiquiri 2048 m hoch. Parallel [* 8] den eben erwähnten beiden Ketten dieses Gebirges ist noch eine nördlichere, größtenteils submarine Kette, welche in den der Küste vorliegenden Inseln, in den felsigen Vorgebirgen der Provinz Coro und in der Sierra Aceite auf der Halbinsel Goajira westlich vom Golf von Maracaibo in ihren höchsten Spitzen hervortritt und an mehreren Punkten (Macanao, Copey, Aceite, San Luis) eine Höhe von 1000-1300 m ü. M. erreicht (vgl. Amerika, [* 9] S. 460). Das dritte, völlig isolierte System ist das der Sierra Parima (s. d.) in der südöstlichen Provinz Guayana.
Die Form der Tiefebene tritt in in eigentümlich ausgeprägtem Charakter auf in den Llanos und Sabanas. Die Llanos (s. d.) nehmen den vierten Teil des ganzen Gebiets der Republik ein und dehnen sich von dem südlichen Abfall der Küstengebirgskette und der Kordillere von Merida ununterbrochen bis zu den Urwäldern Guayanas. Eigentümlich sind dem Land niedrige Plateaus (mesas), von denen das von Guaribe im NW. des Staats Bermudez, welches sich 200-260 m ü. M. erhebt und sich von NO. nach SW. erstreckt, das bedeutendste ist. Im Zusammenhang mit diesem Plateau, auf welchem die Wasserscheiden zwischen den zahlreichen Flüssen liegen, die dem Antillenmeer, dem Orinoko und dem Golf von Paria zufließen, steht ein ganzes System weniger ausgedehnter Plateaus, die sich zwischen 225 und 390 m erheben und bis in die ehemaligen Provinzen Cumaná und Guarico reichen.
Obgleich thätige Vulkane
[* 10] und eigentliche vulkanische Eruptionsmassen in Venezuela
nicht vorkommen, so sind doch Erdbeben
[* 11] nicht selten
und mitunter höchst verderblich gewesen (z. B. für Carácas). Die Bewässerung ist sehr reich, und zwar sind acht Becken zu
unterscheiden: das Gebiet des Orinoko, des Cuyuni (Essequibo), des Rio Negro,
[* 12] des Sees von Maracaibo, des Sees von Valencia,
[* 13] der
Golfe von Cariaco und Paria und das maritime oder das der Küstenflüsse des Antillenmeers.
Bei weitem das größte und wichtigste Becken ist das des Orinoko, zu welchem fast 4/7 des ganzen Landes gehören. Die klimatischen
Verhältnisse anlangend, so nimmt die heiße Region (tierra caliente) in Venezuela
den weitaus größern Teil des Landes ein. Sie
reicht bis zu ungefähr 700 m ü. M. und hat eine Durchschnittswärme
von 26° C. Mehrere Punkte sind noch wärmer, wie La Guaira (29°), Puerto Cabello (28°) und Maracaibo (29° C.). Die gemäßigte
Region (tierra templada) liegt zwischen 700 und 2000 m; die wärmsten Monate sind April und Mai (mit selten mehr als 25° C.),
die kühlsten Dezember und Januar, in welchen die Temperatur am Morgen und Abend oft auf 15° C. sinkt.
Die kalte Region (tierra fria) endlich beginnt in einer Höhe von 2200 m und reicht bis zur Schneegrenze, welche in Venezuela
zwischen 6 und
8° nördl. Br. in einer Höhe von 4520 m liegt, jedoch in kühlern Jahren 400 m tiefer sinkt. Die mittlere
Temperatur beträgt hier 2-3° C. In den Llanos des Südens fällt die Regenzeit auf Mai bis Oktober, während im Gebirge zwar in
allen Monaten Regen fällt, aber doch eine eigentliche, auf die Monate Juni bis November sich erstreckende Regenzeit sich geltend
macht. Im allgemeinen ist das Klima
[* 14] in Venezuela
nicht ungesund zu nennen, was besonders von den höher gelegenen
Gegenden gilt.
Auch in der heißen Küstengegend tritt das gelbe Fieber nur selten auf und nie mit solcher Heftigkeit wie z. B. in manchen
Küstenstädten Brasiliens. Die Ausdehnung
[* 15] der unbewohnbaren Tierra fria ist in Venezuela
nicht bedeutend, denn
sie beschränkt sich auf die Sierra Nevada von Merida, deren höchste Gipfel sich kaum 60 m über die Schneelinie erheben. Die
Pflanzenwelt ist
infolge der klimatischen Unterschiede eine sehr reiche und mannigfaltige. In der heißen Region bietet die
wilde Vegetation dieselbe Mannigfaltigkeit und Fülle dar wie in Kolumbien und Zentralamerika,
[* 16] besonders
in den Urwäldern, die auch reich an Bau- und Nutzhölzern und offiziellen oder technisch wichtigen Gewächsen sind (Sassaparille,
Kautschuk, Sassafras, Vanille, Tonkabohnen, Fieberrinde, verschiedene Gummi- und Harzarten, Farbstoffe, Tolubalsam).
Die gemäßigte Region ist dem Gedeihen fast aller dem Menschen nützlichen Gewächse günstig und ganz besonders zur Kaffeekultur geeignet. Auch finden sich hier wie in dem angrenzenden Teil der kalten Region die besten Cinchona-Arten. Die Kultur des Weizens beginnt in einer Höhe von 540 m und reicht bis in die kalte Region hinein, indem sie erst in einer Höhe von 2925 m aufhört. Sievers unterscheidet im nordwestlichen Bergland vier Regionen: Palmenwälder oder Kakteen [* 17] bis 1000 m, Farnwälder bis 1800 und 2000 m, Hochwald mit Cinchonas bis 2400 m und Grasfluren bis zu den Berggipfeln. In der Region der Llanos beschränken sich die Wälder auf die Flußläufe. Nicht weniger reich und mannigfaltig ist die Fauna und zwar sowohl an nützlichen als an schädlichen Tieren. Unter den letztern sind namentlich die Moskitos hervorzuheben, welche in den feuchten Flußthälern eine wahre Landplage und dem Wachstum der Bevölkerung [* 18] mehr hinderlich sind als die Hitze und Fieberluft. Die Ströme und die Meeresküsten sind reich an Fischen.
Areal und Bevölkerung. Die Republik besteht seit 1881 neben dem Bundesgebiet (Caracas) aus 8 Staaten und 6 Territorien:
Staaten etc. | QKilometer | QMeilen | Einw. 1886 | Auf 1 QKil. |
---|---|---|---|---|
Bundesgebiet (Carácas) | 17 | 0.3 | 70078 | 4123 |
Staaten: | ||||
Los Andes | 41672 | 756.8 | 317195 | 7.6 |
Bermudez | 83572 | 1517.8 | 285377 | 3.4 |
Bolivár | 220000 | 3995.4 | 57169 | 0.2 |
Carabobo | 7732 | 140.4 | 167499 | 21.7 |
Falcon | 93815 | 1703.8 | 198260 | 2.1 |
Guzmán Blanco | 87881 | 1596.0 | 515418 | 5.9 |
Kolonie desgl. | 555 | 10.1 | 1599 | 2.9 |
Lara | 24085 | 437.4 | 245439 | 10.2 |
Zamora | 74984 | 1361.8 | 245457 | 3.3 |
Territorien: | ||||
Colon (kleinere Inseln) | 431 | 7.8 | 137 | 0.3 |
Goajira | 9348 | 169.8 | 36500 | 3.9 |
Delta | 65700 | 1193.2 | - | - |
Yuruari | 210200 | 3817.4 | 19852 | 0.1 |
Alto Orinoco | 310300 | 5635.3 | 38340 | 0.1 |
Amazonas | 236000 | 4286.0 | ↗ | ↗ |
Zusammen: | 1466292 | 26629.3 | 2198320 | 1.5 |
Beim Areal sind indes 381,000 qkm eingeschlossen, die von den Nachbarstaaten Kolumbien, Brasilien und England (Britisch-Guayana) beansprucht werden, und innerhalb der auf der großen Karte von Südamerika in Stielers »Handatlas« angegebenen Grenzen [* 19] mißt das Areal nur 1,043,900 qkm. Die Bevölkerung ist vorwiegend eine Mischlingsrasse, und Sambos sind zahlreicher als in andern südamerikanischen Staaten. Seit 1881 ist die Bevölkerung nur um 123,075 Seelen (5,93 Proz.) gestiegen. Es kamen damals 1064 Weiber auf 1000 Männer, und man zählte 34,916 Ausländer (11,544 Spanier, 8807 ¶
mehr
Südamerikaner, 4041 Engländer, d. h. meistens Schwarze von den westindischen Inseln, 3237 Italiener, 1171 Deutsche [* 21] etc.). In den Territorien leben noch zahlreiche unabhängige Indianer (Indios bravos), meist Kariben. Staatskirche ist die römisch-katholische, doch sind andre Religionen geduldet. Seit 1870 besteht zwar Schulzwang, aber trotzdem wurden 1884 die meist von der Bundesregierung unterhaltenen Schulen und höhern Lehranstalten erst von 98,428 Schülern besucht. Es gab damals 2 Universitäten, eine polytechnische Schule, 5 Lehrerseminare, 33 höhere Spulen (Colegios) und 1794 Volksschulen.
Die materielle Thätigkeit der Bevölkerung ist durch die physikalische Beschaffenheit des Landes bedingt, welches in eine Zone des Ackerbaues, eine Zone der Weiden (Llanos) und eine Zone der Urwälder zerfällt. Außer den für den eignen Bedarf gebauten Hauptnahrungsgewächsen in der heißen und gemäßigten Zone (Mais, Kassawa, Banane, Pisang, Weizen und Kartoffel) sind die wichtigsten Erzeugnisse: Kaffee, von vorzüglicher Qualität, Kakao, der hier einheimisch ist, und Zuckerrohr, daneben Baumwolle, [* 22] Tabak [* 23] und Indigo. [* 24]
Überhaupt waren 1884: 345,000 Hektar bebaut, deren Ertrag man auf 28 Mill. Bolivares schätzte. An Vieh zählte man 1883: 2,926,733 Rinder, [* 25] 3,490,563 Ziegen und Schafe, [* 26] 291,603 Pferde, [* 27] 906,467 Maultiere und Esel und 976,500 Schweine. [* 28] Die Mineralschätze des Landes sind bedeutend, aber abgesehen von den Goldgruben von Yuruari (s. d.) und der von einer englischen Gesellschaft bebauten Kupfermine von Aroa sind dieselben meist vernachlässigt. Dies gilt selbst von den Kohlenlagern.
Indes liefern die Salinen an der Küste (Araya) Salz
[* 29] und eine Lagune bei Luganilla auch Natron (Urao). Überhaupt hatten die Bergbauprodukte 1884 einen
Wert von 22,3 Mill. Bolivares (davon Gold
[* 30] 16,2 Mill.). Hinsichtlich der Fabrik- und Manufakturthätigkeit
steht Venezuela
weit hinter andern Ländern zurück, doch gibt es in Carácas Buchdruckereien, Maschinen- und Möbelfabriken, Seifenfabriken,
und Stickereien in Blumen aus Federn werden geliefert. Der Handel hat sich in jüngerer Zeit bedeutend gehoben, doch fehlt es
immer noch an Kunststraßen.
Die erste Eisenbahn (von Tucacas nach den Kupfergruben von Aroa) wurde 1877 eröffnet. Im J. 1886 waren 164 km Eisenbahnen im Betrieb, 434 km im Bau; die Telegraphenleitungen hatten eine Länge von 4462 km, und die 162 Postämter beförderten 2,734,573 Gegenstände. Die Handelsflotte besteht (1883) aus 2492 Schiffen von 24,924 Ton. Gehalt, darunter 20 kleine Dampfschiffe. Der auswärtige Handel wird zum größten Teil durch die Häfen La Guaira, Puerto Cabello, Ciudad Bolivar (am Orinoko) und Maracaibo vermittelt und fast ausschließlich durch Fremde, unter denen die Deutschen die erste Stelle einnehmen.
Die Einfuhr besteht vornehmlich aus Weizenmehl, Eisen- und Baumwollwaren, Modewaren, Glas [* 31] und Porzellan, Maschinen, Papier, Wein, Bier, Droguen und erreichte 1886 einen Wert von 47,168,277 Bolivares, wovon 15,3 Mill. aus den Vereinigten Staaten, [* 32] 9,7 aus England, 8,9 Mill. aus Deutschland. [* 33] Die Ausfuhr hatte im gleichen Jahr einen Wert von 82,304,289 Bolivares, u. bei derselben nimmt Deutschland die vornehmste Stelle ein. Hauptartikel derselben waren: Kaffee (35,733,423 Bolivares), Gold (20,036,043), Kakao (8,447,986), Häute (6,573,058), Silbermünzen (4,442,707), Kupfererze (2,902,150 Bolivares), ferner Sabadillsamen, Baumwolle, Zucker, [* 34] Farbstoffe u. dgl. Den Küstenhandel schätzte man 1884 auf 59,6 Mill. Bolivares. Französische Münzen, [* 35] Maße und Gewichte sind seit die gesetzlich allein gültigen, und der Bolivar ist gleich 1 Frank. Der Peso venezolano (kurz Venezolano) = 100 Centavos = 5 Frank.
Staatsverfassung. Venezuela
war nach Auflösung der vormaligen Republik Columbia
[* 36] bis zum Jahr 1863 eine in Provinzen geteilte Republik.
Nach dem Sieg der Föderalisten über die Unitarier (1863) ward in eine Bundesrepublik umgewandelt und durch die Urverfassung
vom März 1864 konsolidiert. Der zunächst siegreiche Versuch der Unitarier (1868), die Regierungsgewalt
an sich zu reißen, wurde schließlich durch den Diktator und spätern Präsidenten Guzman Blanco vereitelt. Venezuela
besteht seit
April 1881 aus acht vereinigten Staaten (s. oben) und gewissen von der Bundesregierung verwalteten Territorien.
An der Spitze der Exekutivgewalt steht ein Präsident, dessen Amtsdauer (durch die Verfassung vom auf zwei Jahre festgesetzt ist. Ihm zur Seite stehen ein Ministerium von sieben Mitgliedern und (seit 1879) ein alle zwei Jahre vom Kongreß gewählter Beirat von 16 Mitgliedern. Diesem Beirat steht die Wahl des Präsidenten aus seiner Mitte zu. Der Kongreß umfaßt einen Senat und ein Abgeordnetenhaus. Die Senatoren werden von den gesetzgebenden Körpern der einzelnen Staaten gewählt, während die Abgeordneten aus allgemeiner Volkswahl hervorgehen.
Senatoren sowohl als Abgeordnete werden auf vier Jahre gewählt. Jeder der acht Staaten hat seine eigne Exekutive, Legislative
und Gerichtsgewalt. Die Bundeseinnahmen beliefen sich 1887/88 auf 27,695,000 Bolivares (aus Zöllen 19,425,000),
die Ausgaben auf 27,695,000 Bolivares. Die Bundesschuld belief sich auf 106,301,945 Bolivares. Übrigens hat Venezuela
jahrelang
seinen Gläubigern keine Zinsen gezahlt. Die stehende Armee besteht aus 6 Bataillonen Infanterie, einem Zug
(54 Mann) Kavallerie und
einer Kompanie Artillerie, zusammen etwa 2000 Mann. Bürger sind übrigens vom 18. bis 45. Jahr verpflichtet,
in der Miliz zu dienen. An Kriegsschiffen besitzt Venezuela
3 Dampfer, eine Goelette und ein Schulschiff. Die venezolanische Flagge hat
drei Farben in horizontalen Streifen: Gelb, Blau und Rot (s. Tafel »Flaggen
[* 37] I«).
[* 38]
[Geschichte.]
Die Küste von Venezuela
ward 1498 von Kolumbus entdeckt und 1499 von Vespucci und Hojeda nach einem
auf Pfählen erbauten Dorf bei dem jetzigen Coro Venezuela
(»Kleinvenedig«) benannt. Doch hieß es auch
(im Gegensatz zu den neuentdeckten Inseln) Tierra Firma oder Castilla del Oro (»goldenes Kastilien«). 1528 ward es von Karl Venezuela
dem
reichen Augsburger Bankhaus Welser zum Pfand für seine Schulden als span. Lehen abgetreten, aber von diesem
durch rohe Landsknechte
[* 39] unter Ambrosius Alfinger schrecklich bedrückt und ausgesogen, so daß der Kaiser 1545 es wieder an sich
nahm und 1550 das spanische Generalkapitanat Carácas daraus bildete.
Bereits 1810 sagte sich Venezuela
von dem Mutterland los und proklamierte seine Unabhängigkeit
als Konföderation von Venezuela.
Zweimal, 1811 und 1814, ward es von den Spaniern wieder unterworfen, zweimal von
Bolivar (s. d.) wieder befreit und durch die Verfassung vom mit Neugranada und Quito zu dem Bundesstaat Kolumbien (s. d.)
vereinigt, von dem sich Venezuela
aber 1830 wieder losriß, um fortan einen selbständigen Staat in Form einer
in mehrere Provinzen geteilten Republik zu bilden. Der erste Präsident der neuen Republik Venezuela war José Antonio Paëz, dessen Thätigkeit
vornehmlich die Erhaltung von Ruhe und Ordnung, zuzuschreiben war. Der zweite Präsident war
¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Titel
Venezuela,
Vereinigte Staaten von. Venezuela, Föderativrepublik im N. Südamerikas, wird im N. vom Karibischen Meer, im O. vom Atlantischen Ocean und Britisch-Guayana, im S. von Brasilien, im W. von Columbia begrenzt und umfaßt mit Einschluß der streitigen Grenzgebiete 1 043 900 qkm, nach neuerer Berechnung ohne diese 972000 qkm. (S. die Karte beim Artikel Columbia.)
Oberflächengestaltung. Das Gebiet zerfällt in vier Teile:
1) Das altkrystallinische, von Sandsteinkuppen überdeckte Bergland von Guayana (s. d.), mit Höhen bis zu 2600 m (Roraima).
2) Die Llanos, nördlich vom Orinoco, eine tertiäre und quartäre Ebene mit Flußalluvionen.
3) Die Gebirgssysteme des Nordens, und 4) das Küstenland der Lagune von Maracaibo. Von der Cordillera oriental in Columbia ziehen zwei Zweige nach N. und NO., der erste die bis 3000 m hohe Sierra de Perijá (s. d.), zweitens die Cordillere von Merida, ein Faltungsgebirge mit krystallinischer Schiefer- und Granitachse sowie seitlichen Kreidesandstein- und Kalksteinanlagerungen. Diese erreicht in der Sierra Nevada de Merida 4580 m (Picacho Concha), fällt gegen NW. zum Maracaibosee und Zuliatiefland, gegen SO. zu den Llanos schroff ab und erniedrigt sich gegen NO. in das Hügelland von Barquisimeto.
Daran schließt sich nördlich das Gebirgssystem von Coro mit zwei 1500 m hohen Hauptketten. Durch die Senke des Yaracui und Cojede wird von ihm das Karibische Gebirge getrennt, das westöstlich streicht, eine höhere Nordkette aus altkrystallinischen Gesteinen, und eine niedrigere Südkette mit Kreideablagerungen hat und in zwei durch den Bruch von Barcelona [* 41] getrennte Teile zerfällt. Der westl. Teil hat die größten Höhen im Pico de Naiguatá (2801 m) und Silla (2665 m) im NO. von Caracas.
Der Osten erhebt sich nur bis zu 2050 m im Turumiquire. Auch Trinidad und Margarita gehörten dazu. Der Hauptstrom ist der Orinoco (s. d.). Im äußersten Süden gehört auch ein Teil des Amazonas-Stromgebieten zu Venezuela. Der Valenciasee (s. d.) bildet das wichtigste größere Binnengewässer. Die Küsten sind im Nordosten meist steil mit kurzem Vorland, in Coro und bei Maracaibo flach. Reichlich war bis 1893 die Ausbeute an Gold im Territorio Yuruari, seit 1850 und namentlich 1878. Außerdem ist besonders Kupfer [* 42] von Aroa in ansehnlicher Menge ausgeführt worden. Steinkohlen und Lignit kommen besonders von Barcelona, Asphalt vom Golfo Triste, Petroleum aus der Gegend des Maracaibosees und dem Tachira (s. d.), Salz wird an der Küste gewonnen. Heiße Quellen sind ebendort häufig, so die von Mundo Nuevo südlich von Carupano 96° C.) und die 92° C. heiße Quelle [* 43] von Las Trincheras bei Puerto-Cabello.
Klima, Flora, Fauna. Das Klima ist sehr warm, sowohl an der Küste wie namentlich in den Llanos, in welchen die Mitteltemperatur 30° überschreitet. Dennoch ist es nicht ungesund, obwohl hier und da gefährliche Fieber, auch Gelbes Fieber vorkommen. In den Gebirgslandschaften herrscht bis zu 600 m Höhe die Terra caliente, bis zu 2000 m Höhe die Tierra templada, das gemäßigte Land, und endlich folgt die Tierra fria, das kalte Land. Die Tierra templada hat überaus mildes Klima. Plagen sind Mosquitos, ferner für den Ackerbau Heuschrecken [* 44] (1882-86) und überall, namentlich im Karibischen Gebirge an der Küste, Erdbeben, wie das von Cumana 1797, 1853, von Caracas 1812, San Cristobal 1875, Merida 1894. - Die Vegetation ist tropisch und entspricht der des äquatorialen Brasilien.
Das Land gehört im allgemeinen zu der Region der immergrünen Dikotylen und Monokotylen, welche in Urwälder vereinigt sind. Diese bedecken die Küsten bis zu den Gebirgskämmen, ferner die Abhänge der Cordillere von Merida, das Tiefland des Maracaibosees und in den Gebirgen selbst Teile der innern Gehänge. In den höhern Gebirgen gehen die tropischen Urwälder von 1000 m Höhe an in die Bergwälder über, welche Formen gemäßigterer Klimate zeigen. Darauf folgt von 3000 m Höhe an das niedere andine Gebüsch und die kahlen Grasflächen der Paramos bis zur Schneegrenze. In den Llanos sieht man weite Grasebenen mit spärlichem Baumwuchs an den Flußufern. In trocknen Distrikten, z. B. Coro, herrscht die Kaktusvegetation, harte Sträucher, Agaven u. s. w. vor. Auch in Venezuelisch-Guayana kommen Savannen mit reichem Bestande an schönblühenden Kräutern und Stauden vor. - Die Fauna zeigt neben der Masse tropisch-amerik. Elemente auch nördlich- und besonders südlich-gemäßigte, da viele Tierformen, namentlich in den kühlern Teilen des Gebirges, die Grenze ihrer Verbreitung nach Süden oder Norden [* 45] hin finden. Ausgezeichnet reich ist besonders die Vogelwelt entwickelt, mit zahlreichen lokalisierten Arten. Im Llano leben halbwilde Herden von Pferden und Rindern. ¶
mehr
Bevölkerung. Venezuela hatte 1857: 1888 148, 1873: 1 784 194, 1881: 2 075 245, 1891: 2 323 527 meist kath. E. Die 3361 Protestanten sind fast sämtlich eingewanderte Ausländer. Nirgends in Südamerika ist die Vermischung der indian., europ. und Negerrasse so vollkommen wie in Venezuela. Weiße giebt es kaum 1 Proz., reine Neger fast gar nicht mehr, reine Indianer nur noch in den Staaten Bermudez (die Chayma und Cumanagoto), Los Andes (Reste der chibchaähnlichen Urbevölkerung) und in Guayana.
Unabhängige Indianer waren 1890 noch etwa 66000, halbcivilisierte 20000, civilisierte 240000, im ganzen 326000 vorhanden. 1891 waren 42 898 Fremde ansässig, darunter 13 223 Spanier, l0 929 Kolumbianer, 6116 brit. Unterthanen, meist von Trinidad, 3030 Italiener, fast alle kleine Handwerker und Kleingutbesitzer, 3566 Holländer von Curaçao, 2409 Franzosen, 917 Deutsche, welche den Handel fast ganz in Händen haben und daher die Seestädte und größern Städte nahe der Küste bewohnen. Die span. Sprache [* 47] herrscht vor. Seit 1856 ist die Sklaverei aufgehoben.
Erwerbszweige. Die auf etwa 350000 qkm veranschlagte Ackerbauzone ist nur zu einem Drittel kultiviert, Palmen [* 48] steigen bis über 1000 m Höhe, Zuckerrohr und Banane bis über 2000 m. Daneben kommen von 500 m Höhe an Weizen, Gerste, [* 49] Kartoffeln vor. Das wichtigste Ackerbauprodukt ist aber der Kaffee, welcher jährlich etwa 58 Mill. kg Ertrag giebt, wovon 49 Mill. kg zur Ausfuhr gelangen. Noch größer ist der Ertrag des Rohzuckers, 77 Mill. kg, wovon jedoch nur 700000 kg ausgeführt werden.
Der größte Teil wird zur Destillation [* 50] von Branntwein (Aguardiente) verwendet. Auch Tabak kommt mit 600000 kg jährlich zur Ausfuhr, besonders vom Nordosten und aus der Landschaft Yaracui im Staate Lara. Der Tabakbau von Barinas ist durch die Bürgerkriege fast völlig zerstört. Ein weiterer wichtiger Artikel ist Kakao, jährlich etwa 8 Mill. kg Ertrag, wovon 7 Mill. kg Ausfuhr. Der in den heißfeuchten Küstengegenden ist der beste der Erde. Mais und zahlreiche eßbare Wurzeln sind überall angebaut, Baumwolle nur wenig, auch Indigo ist zurückgedrängt worden.
Reis fehlt fast vollständig. Unzählig sind die Fruchtsorten. Der Viehstand war früher die wichtigste Quelle des Reichtums, ist aber in den Revolutions- und namentlich in den Bürgerkriegen 186i-70 stark vermindert worden. Jetzt hat er sich wieder gehoben und betrug 1888: 387000 Pferde, 300000 Maultiere, 858000 Esel, 1 929 700 Schweine, 5¾ Mill. Schafe und Ziegen, 8½ Mill. Rinder. Hauptsitz der Viehzucht [* 51] sind die Llanos, welche die hundertfache Zahl ernähren könnten.
Ziegen und Schafe finden sich besonders in Coro. Die Industrie ist dagegen schwach entwickelt. Die Andenstaaten fertigen Hängematten, Baumwollstoffe, Strohhüte, Thongeschirre. Gerbereien sind häufig. In den größern Städten erstehen neuerdings Fabriken, z. B. von Zündhölzern. Der Handel ist in starkem Aufschwung begriffen. Die Einfuhr kam besonders von England, Nordamerika, [* 52] Deutschland, Frankreich und bestand aus Artikeln des täglichen Gebrauchs und des Luxus; die Ausfuhr (1893/94: 107,66 Mill. Bolivares) richtete sich besonders nach Nordamerika (mehr als die Hälfte), Frankreich, Deutschland, den Antillen, England, und bestand aus 84,77 Mill. Bolivares (Frs.) Kaffee, 9,65 Mill. Kakao, 4,1 Mill. Barrengold, 2,85, Mill. Bolivares Häute; ferner aus Tonkabohnen, Dividivi (Farbstoff), Nutzholz, Vieh, letzteres hauptsächlich nach den Antillen und Guayana. Haupthäfen sind: La Guaira, Puerto-Cabello, Maracaibo, Carupano und besonders Ciudad-Bolivar. Die eigene Handelsflotte ist unbedeutend. Eisenbahnen existierten 1888: 316, 1895: 653 km. In letzter Zeit hat sich auch deutsches Kapital an Bahnbauten beteiligt. Das Telegraphennetz ist 6237 km lang.
Verwaltung. Die Einnahmen des Staates betrugen 1894/95: 48,66 Mill. Frs., darunter 32,5 Mill. Einfuhrzölle, die Ausgaben 43,89 Mill. Frs.; die Staatsschuld 2 680 848 Pfd. St. äußere und 65 Mill. Bolivares innere. Das stehende Heer besteht aus 4000 Mann in 11 Bataillonen in 20 Garnisonen, die Nationalgarde aus 250000 Mann. Im ganzen haben sich die Zustände V.s in den letzten 20 Jahren gebessert. Hauptstadt ist Caracas (s. d.). Größere Städte sind Valencia (s. d.), Maracaibo (s. d.), Barquisimeto (s. d.).
Seit 1893 zerfällt Venezuela in einen Bundesdistrikt mit der Hauptstadt, acht Staaten, acht Territorien und zwei Kolonien. In kirchlicher Beziehung wird Venezuela in das Erzbistum Caracas und die Bistümer Merida, Barquisimeto, Calabozo und Guayana eingeteilt. Jeder Staat hat einen Präsidenten, eine Senatoren- und Repräsentantenkammer, eigene Gerichte, ein eigenes Budget. Die Staaten beschicken den Kongreß mit je drei Senatoren und je einem Abgeordneten für 35000 Bewohner. Der Präsident und Vicepräsident werden auf vier Jahre gewählt.
Der Unterricht hat sich in den letzten Jahrzehnten gebessert; doch sind noch drei Viertel der Bevölkerung Analphabeten. Außer der Universität Caracas und einer Art Akademie in Merida bestanden 1891 22 Staats- und mehrere andere Kollegien und 1566 staatliche Primärschulen, letztere jedoch vielfach nur auf dem Papier. Außerdem giebt es einige Fachschulen. Das Wappen ist ein geteilter Schild. [* 53] Im ersten roten Felde der obern Hälfte ist eine Garbe, im zweiten goldenen eine Waffentrophäe; in der untern blauen Hälfte ist ein springendes silbernes Roß. Überhöht ist das Wappen von 7 goldenen Sternen und zwei Füllhörnern; das Spruchband hat die Devise: Libertad, 19 Abril 1810, 5 de Julio 1811. Die Flagge ist horizontal gestreift: Gelb mit dem Wappenschild, Blau mit sieben Sternen und Rot. (S. Tafel: Flaggen der Seestaaten, beim Artikel Flaggen.) - An Orden [* 54] besteht das Brustbild Bolivars (s. d.) in 5 Klassen und der Verdienstorden (gestiftet 1861) in 3 Klassen.
[* 46] ^[Abb.]
Geschichte. Venezuela wurde schon 1498 von Columbus auf seiner dritten Reise entdeckt; dauernde Ansiedelungen wurden von den Spaniern jedoch erst um 1520 angelegt; bald darauf übertrug Karl Venezuela der Familie Welser einen Teil des Landes als Lehn. Seit 1546 bildete Venezuela die Generalkapitanie von Caracas. Nachdem schon 1806 ein Aufstand unter ¶
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Miranda niedergeschlagen war, erhob sich Venezuela 1811 von neuem gegen die span. Herrschaft und erklärte seine Unabhängigkeit. Es war nach blutigen Kämpfen unter Miranda und Bolivar (s. d.) gegen die Spanier seit 1821 ein Bestandteil der Föderativrepublik Columbia (s. d.) bis zum wo sich diese definitiv in drei selbständige Freistaaten Venezuela, Neugranada und Ecuador auflöste. Die ersten Präsidenten waren: José Antonio Paëz (s. d.), seit 1835 Vargas, seit 1830 abermals Paëz, seit 1843 Carlos Soublette.
Unter diesem wurde eine Reform der Verfassung bewirkt und durch den Madrider Vertrag vom die Unabhängigkeit der Republik Venezuela von Spanien [* 56] anerkannt. Seit 1846 entstand ein Rassenkrieg zwischen der weißen und der farbigen Bevölkerung, infolgedessen Tadco Monágas Präsident ward. Dieser erregte durch schlechte Verwaltung große Unzufriedenheit und übergab nach Ablauf [* 57] seiner Periode die Präsidentschaft seinem Bruder José Gregorio Monágas, der sie 1855 wiederum seinem Bruder überlieferte.
Dieser brachte eine neue Staatsverfassung zu stande, die verkündigt wurde; aber bald brach eine Bewegung aus, die Monágas zur Abdankung nötigte. General Castro übernahm provisorisch die Präsidentschaft und berief einen «großen Nationalkonvent» zusammen. Aus dieser Versammlung ging die Verfassung vom hervor, die verkündet wurde. General Juliano Castro wurde zum Präsidenten gewählt, aber schon im August gestürzt und durch Pedro Gual ersetzt.
Der im April 1860 eröffnete Kongreß proklamierte Manuel Felipe Tovar zum Präsidenten. Im Aug. 1860 begannen jedoch neue Unruhen der Föderalisten, und da Tovar von seiner eigenen Partei aufgegeben wurde, übernahm der alte Paëz Ende Aug. 1801 die Präsidentschaft mit diktatorischer Gewalt, legte sie aber zu Gunsten Juan Chrisostomo Falcons nieder, den die Repräsentanten zum provisorischen Präsidenten proklamierten. Gegen diese Wahl erklärte sich General Leon de Febres Cordcro und organisierte eine Gegenregierung.
Doch behielt Falcon die Oberhand und berief zum 10. Dez. einen konstituierenden Kongreß, der eine neue föderalistische Verfassung beschloß, auf Grund deren Falcon abermals zum Präsidenten gewählt wurde. Im Okt. 1867 brachen bei Caracas ernste Unruhen aus; bemächtigten sich die Insurgenten Caracas' und schlug General Monágas die Anhänger Falcons, der schon früber aus dem Lande geflohen war, bei Puerto-Cabello. Bei der 18. Okt. stattfindenden Präsidentenwahl erhielt Monágas die Majorität, starb aber schon 18. Nov.; die Wahl fiel darauf auf seinen Sohn José Ruperto Monágas, der sich indessen als höchst unfähig erwies.
General Antonio Guzman (s. d.) Blanco setzte 1870 eine neue Revolution in Scene, nahm 27. April nach dreitägigem Kampfe Caracas und ließ sich durch einen nach Valencia einberufenen Kongreß zum provisorischen Präsidenten wählen. Im Aug. 1871 kam es in verschiedenen Staaten aufs neue zu heftigen Parteikämpfen, doch schlug Guzman Blanco die Aufrührer bei San Fernando de Apure aufs Haupt und besiegte 1872 den General Salazar. Hierdurch erlangte d!e Revolution vorläufig ihren Abschluß, und Guzman wurde 1873 auf weitere vier Jahre zum Präsidenten gewählt.
Während dieser Zeit geschah viel für Handel und Verkehr sowie für Kunst und Wissenschaft, so daß sich der Wohlstand des Landes merklich hob. Durch Dekret des Kongresses vom wurden alle Klöster des Landes aufgehoben. 1877 wurde der General Linares-Alcantara zum Präsidenten gewählt, starb aber im folgenden Jahre. Sein Tod war das Signal zu einem neuen Bürgerkriege, indem Guzman Blanco die Regierung von neuem an sich riß und 1881 eine Verfassungsänderung durchsetzte, die die Rechte der Einzelstaaten zu Gunsten der Centralgewalt wesentlich beschränkte. In dieser Stellung verharrte er bis zum Ihm folgte General Joaquin Crespo, ein Indianer, der bis zum im Amte verblieb. Zu seinem Nachfolger wurde abermals Guzman Blanco erwählt, der jedoch schon Aug. 1887 zu Gunsten Lopez' zurücktrat. Neue Parteikämpfe nötigten diesen ebenfalls schon im folgenden Jahre abzudanken, worauf Rojas Paul zum Präsidenten gewählt wurde. Ihm folgte Andueza Palacio. Dieser suchte die Dauer der Präsidentschaft von zwei ans vier Jahre zu verlängern und blieb auch, obgleich diese Frage beim Ablauf seines Termins noch nicht geregelt war, im Amte; dagegen erhob sich die Partei der sog. Legalisten, an deren Spitze der General Crespo trat.
Ein Bürgerkrieg brach aus, in dem Crespo den Präsidenten Palacio vertrieb, so daß er 6. Okt. in Caracas einziehen konnte. Er schaltete zunächst als Diktator und erließ eine neue Verfassung, auf Grund deren er auf vier Jahre zum Präsidenten gewählt wurde. Ein Grenzstreit mit Großbritannien, [* 58] der bereits mehrere Jahrzehnte schwebt, nahm im J. 1895 eine bedrohliche Gestalt für an. Die Engländer beanspruchen nämlich das ganze Stromgebiet des Essequibo als zu Britisch-Guayana gehörig und hatten schon 1840 durch den Ingenieur Schomburgk einseitig die Grenze in diesem Sinne feststellen lassen.
Dagegen erhoben die Venezuelaner, die den Essequibo selbst als Grenze angesehen wissen wollen, Protest, da ihnen auf diese Weise ein etwa 180000 qkm großes Gebiet und die Herrschaft über die Orinocomündung entzogen wurde. Mehrfache Verhandlungen führten zu keinem Resultat, England rückte vielmehr seine Grenze noch weiter nach Westen vor, und endlich griff Venezuela zur Selbsthilfe, indem Jan. 1895 venezuel. Soldaten einige engl. Posten in dem streitigen Gebiet überfielen und engl. Beamte gefangen nahmen; zwar ließen sie sie auf die energische Forderung Englands wieder frei, zu einer weitern Genugthuung und zur Anerkennung der engl. Gebietsansprüche ließ sich Venezuela trotz eines engl. Ultimatums jedoch nicht herbei, da es sich der Unterstützung der Vereinigten Staaten sicher wußte, die Aug. 1895 die Einsetzung eines Schiedsgerichts in Vorschlag brachten. Da England diesen Vorschlag ablehnte, setzten die Vereinigten Staaten aus eigener Machtvollkommenheit eine parlamentarische Kommission zur Feststellung der Grenzlinie ein. Unter diesen Umständen sah England von einem gewaltsamen Vorgehen gegen Venezuela ab und verstand sich sogar zu einem Vertrage, wonach zur Entscheidung der Grenzfrage eine aus fünf Mitgliedern bestehende Kommission eingesetzt werden soll, von denen je zwei von England und Amerika gewählt werden, während das fünfte durch Kooptation ernannt wird.
Litteratur. Spence, The land of Bolivar (2 Bde., Lond. 1878);
Jenny de Tallenay, Souvenirs de Venezuela ¶