ital. Venezia, Landschaft (compartimento) im Königreich Italien, das Gebiet der ehemaligen Republik Venedig,
umfaßt den nordöstlichsten Teil des Landes mit folgenden Provinzen:
Provinzen
Flächenraum in qkm
Einwohner 1881
Einw. auf 1 qkm offiziell
nach Strelbitskij
Velluno
3292
3347
174140
53
Padua
195
2063
297762
203
Rovigo
1686
1665
217700
129
Treviso
2438
2467
375704
113
Udine
6515
6619
501745
77
Venedig
2198
1898
356
708
162
Verona
2748
3184
394065
107
Vicenza
2635
2785
396349
159
-----------------------------------------
Venetien
23465
24025
2844173
119
Die neue Ausmessung der Generaldirektion der Statistik ergab einen Flächenraum von 24 548 qkm, eine Berechnung
vom 3 080 153 E., d. i. 125 E. auf 1 qkm.
ehemalige Republik in Oberitalien, welche zur Zeit ihrer größten Blüte außer der Stadt Venedig ganz
Oberitalien auf dem linken Po-Ufer
Maßstab 1:22000
Zum Artikel
»Venedig«
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westlich bis zur Adda, Istrien, den größten Teil Dalmatiens und einen Teil Slawoniens sowie zeitweilig auch einen Teil Griechenlands,
Cypern, Kandia und die Ionischen Inseln mit fast 8 Mill. Einw. umfaßte. Das spätere österreichische Kronland
Venedig, der östliche Hauptteil des ehemaligen Lombardisch-Venezianischen Königreichs, begriff den größten Teil der ehemaligen
Republik, mit Ausnahme der außeritalienischen Besitzungen, und entspricht der gegenwärtigen Landschaft
Venetien (compartimento Veneto) des Königreichs Italien.
Dieselbe umfaßt die acht Provinzen: Belluno, Padua, Rovigo, Treviso, Udine, Venedig, Verona und Vicenza mit zusammen 23,464, nach Strelbitsky
24,025 qkm (436,34 QM.) und (1881)
2,814,173 Einw. und wird nördlich von Österreich, westlich vom Gardasee und der Lombardei, südlich von der
Provinz Ferrara, östlich vom Adriatischen Meer und von Österreich begrenzt (näheres s. unter den einzelnen Provinzen und Italien).
S. Karte »Italien, nördliche Hälfte«. - Die Provinz Venedig erstreckt sich längs der Küste des Adriatischen Meers vom Tagliamento
bis zur Etsch und umfaßt 2198, nach Strelbitsky nur 1898 qkm (34,47 QM.)
mit (1881) 356,708 Einw. Das Land ist eben und enthält viele Sümpfe, durch welche Kanäle fahrbaren Wassers laufen; dies sind
die Lagunen, die zum Teil durch Sanddünen (Lidi) von der offenen See getrennt sind.
Diese Lidi selbst werden teilweise durch die Murazzi (mit Marmorquadern verstärkte gewaltige Mauerdämme, 10 m
hoch und 15 m breit), welche sich längs des Strandes 18 km weit hinziehen, gegen die Meereswogen geschützt. Erwerbszweige
der Bewohner sind: Seefischerei (Hauptsitz Chioggia), Ackerbau (Mais, Weizen, Hafer, Reis, Hülsenfrüchte), Weinbau (1887: 53,230
hl), Gemüsebau, Vieh und Seidenzucht (393,245 kg Kokons), Industrie und Handel. Die Industrie erstreckt sich
hauptsächlich auf Schiffbau, Fabrikation von Asphalt und Zement, Glas und Glaswaren (Venedig und Murano), Tabak, Leder, Stearinkerzen,
Seife und chemischen Produkten, auf Färberei, Maschinenbau, Industrie in Präzisionsinstrumenten, Waffen, Messerwaren, Nägeln,
Gold- und Silberarbeiten, Seilerwaren, Segeltuch, Schafwollwaren, Spitzen, Stickereien, Seidenwaren etc. Die Provinz zerfällt
in sieben Distrikte: Chioggia, Dolo, Mestre, Murano, Portogruaro, San Donà di Piave und Venedig.
(hierzu der Stadtplan), Hauptstadt der gleichnamigen ital. Provinz (s. oben), eine der schönsten und merkwürdigsten
Städte Europas, liegt in den Lagunen, mit dem Festland durch eine 1845 vollendete 3,6 km lange Brücke mit 222 Bogen verbunden,
auf 118 kleinen Inseln, welche durch 160 Kanäle geschieden und durch 390 meist steinerne Brücken u. Stege
miteinander verbunden sind.
[Lage, Kanäle, Plätze.]
Die Lage von Venedig ist eine so überaus günstige, daß die Stadt wohl durch ungünstige politische Verhältnisse
zeitweilig sinken konnte, sich aber immer wieder erhoben hat. In dem Kampf mit den sie bedrohenden Naturkräften,
den die Lagunen verschlämmenden Flüssen, dürfte allerdings Venedig sowie seine Vorgängerinnen Adria, Aquileja und Ravenna trotz
Murazzi, Moli und Kanalisierungen einst erliegen. Dieser Kampf hat es aber zum Teil auch stark gemacht, denn um die Brenta von
den Lagunen abzuwenden, wurde es zur Ausdehnung auf dem Festland gezwungen. Es war durch die Lage in den
Lagunen gegen Angriffe vom Land wie von der See leicht zu verteidigen und konnte sich somit stetig
entwickeln und Reichtümer
aufhäufen; es war auf die See hingewiesen, und das Adriatische Meer führte seine Schiffe nach dem Orient und Ägypten,
während sich ihm das ganze Pogebiet öffnete und das Etschthal den Weg nach Deutschland und Nordeuropa zeigte, dem sich in der
Nordspitze der Adria das alte Kulturmeer am meisten nähert, wo also notwendig ein großer Vermittelungspunkt liegen muß.
Nur die Kunst moderner Wegebahnung hat Triest fähig gemacht, mit Venedig zu wetteifern. So hat sich denn in der
That nach dieser Erniedrigung (es war 180 bis auf 96,000 Einw. gesunken), namentlich seit Eröffnung des Suezkanals, wieder
gehoben, und nur die anscheinend abhanden gekommene Thatkraft seines Adels läßt es noch gegen Genua zurückstehen. Die Stadt
hat die Form eines Dreiecks, welches eine Fläche von 7,5 qkm bedeckt, und zerfällt in sechs Bezirke: Cannaregio,
Castello, Dorsoduro, San Marco, San Polo und Santa Croce.
Unter den Kanälen zeichnen sich aus der Große Kanal (Canale grande), welcher, 3470 m lang und 45-72 m breit, die Stadt von
SO. nach NW. in malerischer Doppelwindung, in der Form eines S, durchzieht, und der Kanal der Giudecca,
der von der Hauptmasse Venedigs den kleinen südlichsten Teil der Stadt scheidet. Die Kanäle vertreten die Stelle der Hauptstraßen,
deren Venedig gänzlich entbehrt; es gibt nur eine große Zahl (über 1900) sich durchkreuzender enger Gäßchen,
sogen. Calli, unter welchen die vom Markusplatz zum Ponte Rialto führende Merceria die belebteste ist.
An vielen Kanälen laufen vor den Häusern schmale Pfade für Fußgänger hin, bei den meisten aber erheben sich die Häuser
unmittelbar aus dem Wasser.
Unter den Brücken ist hervorzuheben der 1588-91 erbaute Ponte Rialto, 47 m lang und 22 m breit, aus einem
einzigen Marmorbogen von 28 m Spannung und 9,5 m Höhe bestehend, durch Kaufläden in zwei schmälere Seitenwege und einen
breitern Mittelweg geteilt. Den Verkehr vermitteln Gondeln, Barken und kleine Dampfer. Die Häuser sind meist aus Backstein erbaut
und haben einen auffallend stattlichen Typus; über den von feinen Säulchen getragenen Arkaden ruhen schwere,
imposante Massen, welche durch schöne Altane unterbrochen werden.
Treppen und Hofraum liegen bei den Kanalhäusern auf der Rückseite. Das Fundament ruht auf einem Rost von Eichenpfählen, der
3-9 m tief durch den Schlamm bis zur harten Thonmergelschicht (caranto) hinabdringt. Eigentliche Plätze gibt es nur zwei:
den Markusplatz und die Piazzetta. Die übrigen Plätze heißen Campi. Der Markusplatz bildet ein großes, längliches, auf
drei Seiten von Prachtbauten, deren Erdgeschoß aus Arkaden mit Kaufläden, Kaffeehäusern etc. besteht, auf der vierten Seite
von der Markuskirche abgeschlossenes, 176 m langes, 56-82 m breites Viereck.
Mit ihm hängt die Piazzetta zusammen, 97 m lang und 49 m breit, vom Dogenpalast und der alten Bibliothek
eingefaßt und sich bis an das Meer erstreckend. Am südlichen Ende der Piazzetta stehen zwei Granitsäulen, die eine mit einem
geflügelten Löwen (von San Marco) aus Bronze, die andre mit einer Marmorstatue des heil. Theodor (des ältern
Schutzpatrons von Venedig) gekrönt. Die Wasserseite der Piazzetta dehnt sich nach beiden Seiten in einen breiten Kai aus, der östlich
zur Riva degli Schiavoni (mit dem 1887 errichteten Viktor Emanuel-Denkmal), westlich zum Giardino reale führt. Auf dem Markusplatz,
vor der
St. Markuskirche, stehen drei große Masten (pili) mit bronzenen Fußgestellen von Al. Leopardi (1505), zur Erinnerung an die von
Venedig eroberten Reiche Cypern, Kanda und Morea, deren Banner sie einst trugen. An der Ecke des Markusplatzes und der Piazzetta erhebt
sich der 117 vollendete, aber später veränderte, 98,6 m hohe viereckige
Glockenturm (campanile di San Marco), einen Engel als Windfahne auf der Spitze tragend und eine weite Aussicht über die Stadt
und ihre Umgebung bis zu den Bergen Istriens darbietend.
Unten lehnt sich an denselben ein kleiner, zierlicher Vorbau an, die Loggetta, eine mit Bronzewerken und Reliefs reich ausgestattete
Marmorhalle (von Jac. Sansovino 1540 erbaut). Zwei Seiten des Markusplatzes und die eine der Piazzetta
sind von den Prokurazien eingeschlossen. Die Alten Prokurazien (15. Jahrh.) an der Nordseite des Marktplatzes, ehemals Wohnungen
der Prokuratoren von San Marco (jetzt Privatwohnungen), enthalten im Erdgeschoß Arkaden mit Kaufläden und Kaffeehäusern,
im zweiten und dritten Stock schöne korinthische Bogenstellungen. Hieran schließt sich östlich der 1498 erbaute, 189 restaurierte
Uhrturm (in Frührenaissance, mit Marmorfassade und interessantem Uhrwerk) an. Die auf der entgegengesetzten Seite befindlichen
Neuen Prokurazien, unten ebenfalls mit Arkaden, bestehen aus der 1536 von Sansovino mit der Fassade gegen die Piazzetta zu erbauten
alten Bibliothek von San Marco (s. Tafel »Baukunst XII«,
[* ] Fig. 3) mit zwei Geschossen, dorischen und ionischen
Säulen und Pilastern, reichgeschmücktem Fries und einer Fülle von Ornamenten sowie den 1584 von Scamozzi begonnenen eigentlichen
Procurazie nuove und dienen als königlicher Palast. An die Bibliothek schließt sich an der Seeseite das 1536 von Sansovino
ausgeführte ehemalige Münzgebäude an.
[Kirchliche Bauwerke.]
Unter den Kirchen ist die berühmteste die St. Markuskirche, 976-1071 im byzantinisch romanischen Stil
erbaut. Die Sage läßt hier den Leichnam des Evangelisten Markus ruhen, welcher 828 aus Alexandria hierher gebracht worden sein
soll. Die Kirche hat eine prächtige Hauptfassade mit fünf breiten Portalen und bunten Mosaiken auf Goldgrund,
eine Vorhalle mit Mosaiken und den Gräbern vieler Dogen, über 500 Säulen, künstlerisch ausgeführte Bronzethüren, fünf
große Halbkuppeln und ist im Innern 76,5 m lang und 52 m breit.
Der Fußboden ist von alter Marmormosaik und die Kirche reich an Statuen und andern Skulpturen, Mosaiken und
sonstigen Kostbarkeiten. Erwähnenswert ist besonders die Pala d'oro, ein goldener, mit Gemmen besetzter und mit trefflichen
Emailmalereien geschmückter Altarvorsatz aus dem 11. Jahrh. Über dem Hauptportal prangen
die vier antiken Rosse aus vergoldeter Bronze, welche 1204 aus dem eroberten Konstantinopel nach Venedig, von den Franzosen 1797 nach
Paris und 1815 wieder an ihre jetzige Stelle gebracht wurden (vgl. Ongania, La Basilica di San Marco, Vened.
1878-86, 681 Tafeln, Text von Boito u. a.). Von den übrigen Kirchen sind hervorzuheben: San Francesco della Vigna, 1534-80 von
Sansovino und Palladio (von diesem die Fassade) erbaut, mit der schönen, von den Lombardi aufgeführten
Kapelle Giustiniani, Gemälden von P. Veronese, Bellini, Skulpturen von Vittoria u. a.;
San Giacomo, die älteste, ursprünglich
um 520 erbaute Kirche Venedigs bei der Rialtobrücke;
San Giorgio Maggiore, auf der gleichnamigen Insel, eine Kuppelkirche aus
weißlichem Marmor, das Innere von Palladio, die Fassade von Jacopo Santafelice um 1600 erbaut, mit
Gemälden
von Bassano, Tintoretto u. a. und Glockenturm;
San Giovanni Crisostomo, im Renaissancestil 1489 erbaut, mit Gemälden von Bellini,
Sebastiano del Piombo u. a.;
San Giovanni e Paolo, eine imposante gotische Kirche, 1246-1430 für die Dominikaner erbaut, Gruftkirche
der Dogen, mit interessantem Renaissanceportal und zahlreichen Grabmälern der Dogen, unter welken die von
Pietro Mocenigo, Mich. Morosini, Andrea Vendramin, Marco Corner, Giov. Mocenigo u. a. als hervorragende Kunstwerke zu
erwähnen sind (auf dem Platz vor der Kirche befindet sich das eherne Reiterstandbild des Condottiere Bart. Colleoni, von Andrea
del Verrocchio 1496 errichtet);
San Giovanni Elemosinario von 1527, mit Gemälden von Tizian, Pordenone u. a.;
Santa Maria
Assunta dei Gesuiti aus dem 18. Jahrh., im Innern ganz mit Marmor ausgekleidet;
Santa Maria del Carmine von 1290, mit Gemälden
von Tintoretto u. a.;
Santa Maria della Saltue ^[richtig: Salute], eine Kuppelkirche von imposanter Wirkung (1631-87 von Longhena
erbaut, mit Gemälden von Tizian u. a.);
Madonna dell' Orto, ein seit 1850 restaurierter gotischer Bau aus
dem 15. Jahrh., mit schön dekorierter Fassade, Gemälden von Cima, Palma Vecchio, Tintoretto (der hier begraben liegt) u. a.;
Santa Maria Gloriosa al Frari, 1250-80 im frühgotischen Stil erbaut, mit den Grabmälern von Tizian (1852 auf Kosten des Kaisers
von Österreich ausgeführt), Canova, der Dogen Foscari, Nic. Tron, Giov. Pesaro, des Admirals Pesaro u. a.,
Altarbildern von Tizian, Bellini u. a.;
San Pietro di Castello, 1594-1807 Patriarchatskirche;
Il Redentore auf der Insel Giudecca,
der vorzüglichste Kirchenbau von Palladio (1577);
San Rocco aus dem 15. Jahrh., mit Gemälden von Tizian, Tintoretto u. a. und
dem daran stoßenden, 1550 ausgeführten Versammlungshaus der gleichnamigen Brüderschaft (Scuola di San
Rocco), mit prunkvoller Renaissancefassade und in den Sälen im Innern mit 56 kolossalen biblischen Gemälden von Tintoretto;
San Salvatore, vollendet 1534, mit Gemälden von Tizian, Dogendenkmälern etc.;
San Sebastiano von 1506, mit Decken und Altarbildern
sowie dem Grabmal von Paolo Veronese;
Santo Stefano aus dem 14. Jahrh., im gotischen Stil, mit schönen Grabmonumenten;
San Zaccaria, ein den Übergang von der Gotik zur Renaissance bezeichnender Bau von 1457 bis 1515 (s. Tafel »Baukunst XII«,
[* ] Fig.
2), mit dem Grabmal des Al. Vittoria, Gemälden von Bellini u. a. Auch die Griechen, Armenier (s. San Lazaro) und Evangelischen
haben je eine Kirche, die Juden sieben Synagogen.
[Paläste etc.]
Unter den weltlichen Gebäuden steht obenan der Dogenpalast (Palazzo ducale) Derselbe ist seit seiner Gründung
(809) fünfmal zerstört worden; der jetzige Bau wurde im maurisch gotischen Stil nach dem Entwurf von Filippo Calendario im 14. Jahrh.
begonnen und im 15. und 16. Jahrh. fortgesetzt. Er enthält im Erdgeschoß
eine offene Halle mit kurzen Säulen, eleganten verschiedenartigen Kapitälen und weiten Spitzbogen, darüber eine Loggia als
Zwischengeschoß mit doppelter Spitzbogenzahl, endlich den gewaltigen, von wenigen gotischen Fenstern durchbrochenen, mit
abwechselnd weißen und roten Marmorplatten bekleideten Oberbau. In dem von prächtigen Fassaden umschlossenen,
mit zwei ehernen Brunnen geschmückten Hof erhebt sich die marmorne Riesentreppe (scala dei giganti), so benannt nach den riesigen
Bildsäulen des Mars und Neptun, die sie zieren. Sie bildet den Haupteingang in das Innere des Palastes; auf ihrer obersten Stufe
mehr
wurden die Dogen gekrönt. Unter den elf ungeheuren Sälen des Palastes, die sämtlich mit Meisterstücken italienischer Maler
(P. Veronese, Tizian, Tintoretto u. a.) prangen, ist der Saal des Großen Rats, welcher gegenwärtig zur Aufbewahrung der großen
Bibliothek von St. Markus dient, der prachtvollste. Andre Säle enthalten die Antiken und die Münzsammlung.
Noch zeigt man hier aus der Zeit der Republik die Staatsgefängnisse und die sogen. Seufzerbrücke (ponte dei sospiri), die
in ein besonderes, durch den Kanal vom Dogenpalast getrenntes Staatsgefängnis führte. - Das Arsenal im südöstlichen Teil
der Stadt (1104 gegründet, 1304 umgebaut und später mehrfach erweitert) nimmt eine ganze Insel ein,
umfaßt Schiffswerften, Bassins, Magazine für Vorräte aller Art, Seiler- und Zimmerwerkstätten, Ankerschmieden, Kanonengießereien,
eine Waffensammlung, verschiedene Denkmäler, Trophäen etc. und ist mit Mauern und Festungswerken umgeben.
In der Blütezeit Venedigs war es der Stolz der Republik und beschäftigte 16,000 (jetzt gegen 2000) Arbeiter. An dem triumphbogenartigen, 1460 erbauten
Portal stehen vier antike marmorne Löwen, welche 1687 vom Piräeus bei Athen hierher kamen. Von den sechs
Theatern ist das Operntheater Fenice, 1836 umgebaut, eins der größten (es faßt 3000 Zuschauer) in Italien. Unter den sonstigen
öffentlichen Gebäuden und den zahlreichen Palästen der alten venezianischen Adelsfamilien, die meist am Canale Grande
liegen, sind hervorzuheben: der Palazzo Vendramin-Calergi, der edelste und schönste aller Paläste, von 1481;
die reichgeschmückte
Cà d'oro (s. beide Tafel »Wohnhaus II«);
[* ]
der Palazzo Emo (Treves), mit den Marmorstatuen des Hektor und Aias von Canova;
die Dogana
di Mare, von 1676;
der Palazzo Corner della Cà grande, ein Prachtbau von Sansovino (1532);
Palazzo Pisani;
Palazzo Grimani, mit klassischer Fassade (1550);
Palazzo Manin (jetzt Nationalbankfiliale), mit Renaissancefassade von Sansovino;
Palazzo Contarini-Fasan, mit ausgezeichneter Spitzbogenarchitektur;
Palazzo Dario, Foscari, Contarini delle Figure, Corner-Spinelli,
Franchetti, Pesaro;
das Rathaus, bestehend aus den Palazzi Farsetti und Loredan;
der Fondaco dei Tedeschi, ein im 13. Jahrh.
errichtetes, 1505 umgebautes Kaufhaus der Deutschen;
der Fondaco dei Turchi (10. Jahrh., im 17. Jahrh.
den türkischen Kaufleuten überlassen, 1880 im ursprünglichen Stil neugebaut, mit dem Museo civico) u. a.
[Bevölkerung, Erwerbszweige.]
Die Zahl der Einwohner (zur Zeit der Blüte der Stadt 190,000) betrug Ende 1881: 129,445 (als
Gemeinde 132,826). Die Industrie umfaßt vor allem die seit alters her berühmte, gegenwärtig aber start
reduzierte Glasindustrie (namentlich in Perlen, Email, Mosaik, verschiedenen Kurzwaren und Spiegeln), dann die Fabrikation von
Seidenwaren (Brokatstoffen u. a.), Spitzen, Kunstmöbeln, Gold- und Silberwaren, Leder und Lederarbeiten, Handschuhen, künstlichen
Blumen, Seifen und Schiffbau.
Hierzu sind in neuester Zeit eine Baumwollspinnerei u. -Weberei, Dampfmühlen, eine große Fabrik für
Waggons und Maschinen und eine Fabrik für Sprenggeschosse hinzugekommen. Der einst so blühende Handel Venedigs ist durch die
Entdeckung von Amerika und die Auffindung des Seewegs um Afrika nach Ostindien zu einem bloßen Schattenbild seiner alten Größe
herabgesunken (1420 besaß die Republik noch 330 Handelsschiffe mit 26,000 Matrosen, 1886 belief sich die
Handelsmarine des Seebezirks von Venedig auf 853 Schiffe, fast ausschließlich Segelboote, mit 31,519 Ton. Tragfähigkeit und einer
Bemannung von 11,488 Personen); aber auch in seinem Verfall hat Venedig infolge seiner günstigen Lage, seines trefflichen Hafens,
seines Fluß und Kanalsystems und seiner Eisenbahnverbindungen noch einen bedeutenden Geschäftsumsatz.
Der Landhandel geht
nach Mittel- und Westeuropa, vor allem nach dem nördlichen Italien, nach Tirol, der Schweiz und mittels
der Brennerbahn nach Süddeutschland. Der Küstenhandel unterhält einen regen Verkehr mit den Handelsplätzen beider Gestade
des Adriatischen und zum Teil auch des Mittelländischen Meers, vor allem mit Triest. Hierzu kommt der Seeverkehr
mit den britischen, den belgischen, holländischen und deutschen Häfen, mit den Häfen der Levante, des Schwarzen Meers, Ägyptens
und des übrigen Nordafrika, Ostindiens u. Chinas, Nord- und Südamerikas etc. Doch bildet der Mangel direkter überseeischer
Dampferverbindungen ein Haupthindernis eines größern Aufschwungs der Handels- und Schiffahrtsverhältnisse
Venedigs. In neuerer Zeit wurde ein Dock, dann die Stazione marittima am Westende der Stadt, zur Ermöglichung des Umladens
von den Dampfern unmittelbar auf die Eisenbahn, eröffnet, welche Anlagen freilich erhebliche Mängel aufweisen.
Neue Magazine sowie ein Freilager für den Transithandel (Punto franco) sind im Bau. Als Hafen dient der Teil
der Lagune vor der Riva degli Schiavoni, von wo die Schiffe gewöhnlich durch den Porto di Malamocco, nur weniger tief gehende
durch den nähern Porto di Lido aus-, bez. einfahren. Die Kommunikation mit dem Festland erfolgt durch die Eisenbahn, welche einerseits
über Padua nach Verona und Mailand, nach Bologna, Ancona und Florenz, nach Tirol und Süddeutschland, anderseits
über Udine nach Triest und nach Pontebba führt. Der Handel der Stadt Venedig umfaßte 1887 in der Einfuhr einen Wert von 27,2 Mill.
Lire (davon 132 zur See, 95,2 zu Land), in der Ausfuhr 186,8 Mill. Lire (54,3
zur See, 132,5 zu Land). Die Hauptartikel des Warenverkehrs von Venedig sind in der Einfuhr
und Ausfuhr (Wert in Millionen Lire):
Artikel
Einfuhr
Ausfuhr
Rohstoffe für Spinnereien
16.4
15.5
Wein u. Branntwein
17.2
8.4
Rohseide
6.1
6.2
Kolonialwaren
9.0
8.8
Brennholz u. Kohlen
11.6
6.0
Fische
3.7
2.9
Früchte
5.9
5.7
Getreide und Mehl
29.6
26.4
Glaswaren
1.6
9.6
Hanf
7.3
7.1
Häute und Felle
5.8
6.3
Bauholz
4.8
4.4
Käse
4.8
3.5
Garne und Gewebe
26.4
20.1
Medizinalien
4.5
3.3
Metalle
14.9
8.0
Öl
19.4
15.9
Farbstoffe
1.2
0.6
Papier und Bücher
2.6
1.3
Schlachtvieh
9.3
2.0
Tabak
2.2
2.3
Wachs und Wachswaren
1.1
4.1
Der Schiffsverkehr umfaßte 1887 im Einlauf 3618 beladene Schiffe mit 985,054 Ton. (darunter 1107 Dampfer mit 819,880 T.), im
Auslauf 3539 beladene Schiffe mit 953,186 T. (darunter 1078 Dampfer mit 79,516 T.). Am stärksten war die englische, hiernach
die italienische, dann die österreichisch-ungarische, deutsche und griechische Flagge vertreten. Hinsichtlich
der Richtung des Schiffsverkehrs war derselbe am stärksten mit italienischen, dann mit österreichisch-ungarischen und britischen
Häfen. Unter sämtlichen Hafenplätzen Italiens rangiert Venedig hinsichtlich des Tonnengehalts aller ein- und ausgelaufenen Schiffe
(1,984,813 Ton.) an sechster Stelle und wird hierin nur von Genua, Neapel, Livorno, Palermo und Messina überragt.
Im Seebezirk von Venedig (7 Häfen) ist nur noch der Hafen von Chioggia von Bedeutung.
mehr
An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt Venedig: ein Zivilspital mit 1600 Betten, ein Findelhaus, eine Säuglings- und 6 Kinderbewahranstalten, 2 Waisenhäuser,
mehrere Versorgungsanstalten, eine Casa d'industria, eine Casa delle penitenti für gefallene Mädchen u. a.
[Bildungsanstalten.]
Von Anstalten für Kunst und Wissenschaft hat Venedig vor allen eine Akademie der schönen Künste (1807 gegründet
und in dem 1552 von Palladio erbauten Kloster und mehreren Anbauten untergebracht) mit reichhaltiger Sammlung
von Gemälden, hauptsächlich venezianischer Meister (darunter die Himmelfahrt Mariä von Tizian, eine Madonna von Bellini, Jesus
beim Gastmahl des Zöllners von P. Veronese u. a., zusammen ca. 700 Bilder), und Lehrkursen für einzelne Kunstzweige; ferner 2 Lycealgymnasien
mit naturhistorischen Sammlungen und einem botanischen Garten, ein Patriarchalgymnasium, eine höhere
Handelsschule, Marineschule, Hebammenschule, ein Gewerbeinstitut, 2 technische Schulen, ein Priesterseminar mit Bibliothek von
40,000 Bänden, mehrere Kollegien und Institute zur Erziehung von Knaben und Mädchen;
die große Bibliothek San Marco (1536 gegründet)
mit ca. 260,000 Bänden und 8000 Manuskripten;
die Antiken- und Münzsammlung im Dogenpalast;
ein königliches
Institut der Wissenschaften und Künste (1838 gegründet), ein Athenäum zur Hebung der Wissenschaften und der Litteratur mit Bibliothek
und Lesekabinett, ein reichhaltiges Staatsarchiv (Urkunden bis 833 zurück) im ehemaligen Klostergebäude der Frari, ein Musikkonservatorium
etc. Hinsichtlich seiner Kunstschätze nimmt Venedig einen würdigen
Platz neben Rom und Florenz ein, obwohl dieselben größtenteils nicht in Sammlungen vereinigt, sondern an vielen Orten zerstreut
sind.
Hervorzuheben sind außer der Gemäldegalerie in der Akademie: das städtische Museum (Museo Correr) mit Skulpturen, Gemäldesammlung
(für die altvenezianische Schule wichtig), Handzeichnungen, alten Waffen, Münzen, Silber- und Goldarbeiten, Glassachen, Holzschnitzereien
etc.;
der Kirchenschatz in der St. Markuskirche und die vornehmlich in alten Waffen bestehenden Sammlungen
im Arsenal.
[Behörden etc.]
Venedig ist der Sitz eines katholischen Patriarchen u. eines armenischen Erzbischofs, eines Präfekten, eines obersten
Gerichtshofs, eines Appellhofs, eines Provinzialtribunals, eines Handels- und Seetribunals, einer Finanzintendanz, eines General-
und Marinekommandos, einer Handels- und Gewerbekammer, mehrerer Konsuln fremder Staaten etc. (darunter auch
eines deutschen). Venedig bildet auch eine starke Festung, welche gegen die Landseite durch das am Rande des Festlandes gelegene
Fort Malghera und 14 über die Lagunen zerstreute kleinere Werke, nach der Seeseite hin durch starke Forts an den Porti, San Niccolò
am Porto di Lido, Alberoni und San Pietro am Porto di Malamocco, und 12 kleinere Werke auf den Lidi geschützt ist.
Auch die Werke von Chioggia und das Fort von Brondolo gehören noch in das Verteidigungssystem. Zu Spaziergängen dienen die
Giardini pubblici an der Südostspitze des Stadtgebiets, der schon erwähnte Giardino Reale, der Giardino
Papadopoli und der botanische Garten, beide in der Nähe des Bahnhofs, der Garten auf der Insel San Giorgio Maggiore, der Lido mit
stark besuchten Seebädern, Anlagen, Restaurants etc.
die Reiseführer von Gsell Fels (»Oberitalien«, 4. Aufl.,
Leipz. 1888), Ohswaldt (4. Aufl., Triest 1878);
Yriarte, Venise. Histoire, art, industrie, etc. (Par. 1877);
Molinier, Venise, ses arts décoratifs, ses
musées, etc. (das.
1889).
Geschichte.
An der Nordwestseite des Venezianischen Meerbusens wohnten im Altertum die Veneter (s. d.), wahrscheinlich illyrischen Stammes,
nach denen das Land Venetia genannt wurde (s. Karte bei »Italia«).
[* ] Während der Völkerwanderung flüchteten
viele Einwohner von dem Festland auf die Inseln in den Lagunen. Die kleinen demokratischen Gemeinwesen wurden von Tribunen regiert,
die unter dem Exarchen von Ravenna als dem Vertreter des byzantinischen Reichs standen. Um sich besser gegen die Langobarden
und die dalmatischen Piraten zu schützen, wählten die Bewohner der Inseln 697 auf den Rat des Erzbischofs
von Grado Paulucius Anafestus zu ihrem ersten Dux (Dogen) auf Lebenszeit.
Die Oberhoheit des griechischen Kaisers wurde auch ferner anerkannt und erst im 11. Jahrh. mit der des römisch-deutschen
Kaiserreichs vertauscht. Im Innern bewirkte die Einsetzung des Dogen die allmähliche Verwandlung der Republik
in eine aristokratische Wahlmonarchie. Unter dem Dogen Orso entrissen die Venezianer den Langobarden Ravenna. Orso ward bald darauf
ermordet (737), und seitdem werden mehrere Jahre hintereinander Magistri militum an der Spitze Venetiens genannt, bis Orsos
Sohn Deodato 742 wieder zur Würde eines Dogen gelangte.
Während der Kämpfe mit den fränkischen Königen, namentlich mit Karls d. Gr. Sohn Pippin, drängten sich
die Einwohner mehr und mehr auf den festesten und bedeutendsten Inseln, namentlich auf Rialto (rivus altus), Malamocco und Torcello,
zusammen, und auf der erstern erhob sich nach und nach eine volkreiche Stadt, in welche 810 der Sitz der Regierung verlegt
ward. Unter dem Dogen Giustiniani (827-830) brachten venezianische Kaufleute den Körper des Apostels Markus
aus Alexandria nach Venedig, dessen Schutzherr Markus fortan wurde. Durch seinen Handel selbst mit sarazenischen Städten in Verbindung
und zwischen das oströmische und das weströmische (fränkische) Reich in die Mitte gestellt, wuchs Venedig nun rasch an Reichtum
und Selbständigkeit.
Die steigende Seemacht erweckte in den Dogen das Streben, ihre Würde in eine erbliche Gewalt umzuwandeln. Schon war sie im wechselnden
Besitz weniger Familien, welche durch Verbindungen mit auswärtigen Fürstenhäusern ihre Macht erhöhten und durch Ernennung
der Söhne zu Mitregenten ein Erbrecht schaffen wollten. Daher ward 1032 ein Gesetz gegeben, daß kein Doge
mehr sich seinen Sohn oder Bruder als Mitregenten (condux) zur Seite stellen, dagegen seine Gewalt durch zwei ihm beigesetzte
Räte beschränkt sein sollte. An die Stelle der Tribunen traten allmählich eigentliche Richter (judices), deren Urteile der
Doge jedoch zu bestätigen hatte.
Dem Dogen Vitale Falieri (Faledrus, 1084-96), trat der griechische Kaiser, um an den Venezianern eine Stütze
gegen die Normannen zu haben, die Städte Dalmatiens und des griechischen Istrien ab. Besonders aber vermehrten die Kreuzzüge,
an welchen die venezianischen Schiffe im Wetteifer mit denen Genuas und Pisas einen hervorragenden Anteil nahmen, Venedigs Handel
und Seemacht. Nicht nur bereicherten sich die Kaufleute bei der Versorgung der Kreuzheere mit Lebensmitteln
und Kriegsmaterial und bei dem freien Handel mit der Levante, sondern auch der Staat gewann in den christlichen Gebieten des
Orients feste Stützen für die spätere Ausbreitung seiner Macht. Aber während die Macht der Republik nach außen
wuchs, kämpfte im Innern die Aristokratie mit dem Volk und suchte der Doge seine Macht
mehr
zu erweitern. Nachdem in einem der hierdurch veranlaßten Aufstände der 38. Doge, Vitale Michiele, 1172 ermordet worden war,
ward nun die Verfassung dahin abgeändert, daß man die höchste Gewalt einer jährlich aus den sechs Quartieren der Stadt erwählten
Vertretung der Bürgerschaft, 480 Notabeln (nobili), übertrug, die als Großer Rat (consiglio maggiore)
dem Dogen und seinem Regierungskollegium von sechs Räten, der Signoria, zur Seite trat; nur in seltenen Fällen wurde noch die
Volksgemeinde (arengo) berufen, die durch Akklamation ihre Zustimmung zu wichtigen Beschlüssen zu geben hatte.
Ein mehr richterliches Kollegium bildeten die Vierziger (quarantia), ursprünglich ein Kriminalgericht, das aber allmählich
eine politische Korporation ward, die zwischen der Signoria und dem Großen Rat stand und alle Vorschläge
der Signoria zum Vortrag in dem letztern zu beraten hatte. An der Spitze der Quarantia standen drei Capi, die später beständige
Mitglieder der Signoria wurden. 1177 war Venedig Schauplatz der weltgeschichtlich bedeutenden Zusammenkunft Papst Alexanders
III. und Kaiser Friedrichs I. (Friede von Venedig).
Die Handelsmacht der Republik erhielt ihre weiteste Ausdehnung unter dem 41. Dogen, Enrico Dandolo (s. d.). Derselbe eroberte
an der Spitze der venezianischen Flotte im vierten Kreuzzug 1203. Konstantinopel, half das lateinische Kaiserreich errichten,
welches die Venezianer zu Herren und Meistern des Ostens machte, und erwarb der Republik vornehmlich den Besitz
von Kandia und mehreren Inseln des Ägeischen und Ionischen Meers. Die Eifersucht Genuas auf Venedigs Machtentwickelung rief einen
langen Seekrieg zwischen beiden Republiken hervor, in welchem Korfu den Venezianern in die Hände fiel und Modon und Koron erobert
wurden.
Sehr nachteilig wurde dagegen den Venezianern die Wiederherstellung des byzantinischen Kaisertums (1261),
da ihre Rivalen, die Genuesen, die wesentlich zum Sturz des lateinischen Kaisertums beigetragen hatten, im Gebiet des griechischen
Kaisers besondern Schutz fanden und namentlich den Handel auf dem Schwarzen Meer in ihre Hand bekamen. Die Venezianer mußten nun
Verbindungen mit den arabischen Reichen anknüpfen, um die ostindischen Waren über Alexandria beziehen zu
können.
Der Krieg zwischen den beiden Handelsrepubliken entbrannte daher mit neuer Heftigkeit. Nach wechselndem Waffenglück ward
die venezianische Flotte von 95 Galeeren unter Andrea Dandolo von den Genuesen 1298 fast gänzlich aufgerieben, worauf 1299 zu
Mailand der Friede zu stande kam. Unter dem Dogen Pietro Gradenigo (1297) wurde die aristokratisch-oligarchische
Konstitution mittels der sogen. Schließung des Großen Rats (il serrar del maggior consiglio) durchgeführt, indem das alte,
bisher jährlich neugewählte große Kollegium von mitregierenden Großen sich in eine geschlossene Gesellschaft von Erbaristokraten
verwandelte, worunter man die im Goldenen Buch eingezeichneten Familien der Nobili verstand.
Infolge mehrerer Verschwörungen der zurückgesetzten Adelsfamilien und der Popolaren gegen diese Verfassung (so die des Tiepolo
1310) ward 1335 der Rat der Zehn (Consiglio dei Dieci) oder der Staatsinquisitoren, ein Polizeigericht mit ausgedehntester
Vollmacht, welches anfangs nur für zwei Monate eingesetzt, aber immer wieder verlängert ward, zu einem
organischen Institut der Republik erklärt. Hierdurch und durch Teilung der Gewalten unter die herrschenden Adelsgeschlechter
und strenge Überwachung nach allen Seiten wurde das aristokratische
Regiment gegen alle Umsturzversuche, sowohl monarchische
als demokratische, gesichert.
Der Doge Marino Falieri mußte 1355 einen solchen Versuch auf dem Blutgerüst büßen. Unter Francesco Dandolo
(1328-39) ward das Landgebiet der Republik in einem Krieg mit Mastino della Scala durch die Erwerbung der Landschaft Treviso vergrößert.
Ein Krieg mit Ungarn kostete Venedig 1358 die dalmatische Küste. Glücklicher war die Republik in einem unter Andrea Contarini (1367-82)
geführten Krieg mit Padua. Auch Genua unterlag nach 130jährigem Kampf, indem die Flotte Genuas bei
Chioggia vernichtet und das Heer im Juni 1380 zur Kapitulation gezwungen wurde, worauf Genua 1381 den Frieden von Turin schloß,
der Venedigs Seeherrschaft anerkannte. Bald darauf (1387) begab sich Korfu aus neapolitanischer Herrschaft unter venezianische.
Nach dem Frieden mit Genua begann die glücklichste Periode der Geschichte Venedigs. Vicenza, Verona, Bassano,
Feltre, Belluno und Padua mit ihren Gebieten wurden 1404 und 1405, Friaul 1421, Brescia und Bergamo 1428, Crema 1448, die Inseln
Zante und Kephalonia 1483 Bestandteile des venezianischen Gebiets, und 1489 trat die Witwe des letzten Königs von Cypern, Catarina
Cornaro, auch diese Insel an die Republik ab. Reich, mächtig und gefürchtet, das durch Wissenschaft u. Kunst gebildetste Volk
in sich fassend, so trat in das 16. Jahrhundert.
Handel und Gewerbfleiß blühten, die Abgaben waren gering, die Regierung war mild, solange es sich nicht um Politik handelte;
das streng aristokratische Staatssystem verurteilte zwar die Masse des Volkes zu politischer Unmündigkeit
und Teilnahmlosigkeit, steigerte aber die Vaterlandsliebe und die Staatsmännische Klugheit und Thätigkeit des herrschenden
Adels. Durch die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien (1498) verlor Venedig den ostindischen Handel, und die Osmanen entrissen der
Republik seit der Eroberung Konstantinopels alles, was sie im Archipel und auf Morea besessen, auch Albanien
und Negroponte.
Die Republik suchte diese Verluste durch Erweiterung des festländischen Gebiets und Verstärkung ihres Einflusses in Italien
auszugleichen. Sie errang auch wichtige Erfolge. Indes erweckte sie durch ihre aggressive Politik, ihren Übermut und ihre
Anmaßung auch den aktiven Widerstand andrer Mächte, welche um 1500 um den Besitz Italiens kämpften. Die geschlossene
Liga zu Cambrai zwischen dem Papste, dem Kaiser und den Königen von Frankreich und Aragonien bezweckte nichts Geringeres als die
Vernichtung des Freistaats. Es gelang jedoch der Republik, ihre Gegner zu trennen, indem sie die
Heilige Liga und ein Bündnis mit Frankreich zu stande brachte. In dem endlich abgeschlossenen Frieden
erhielt Venedig das verlorne Verona zurück, büßte aber Cremona, die Ufer der Adda und die Romagna ein; auch blieben Roveredo, Riva
und Gradisca noch in den Händen des Kaisers.
Seine Teilnahme an einem Krieg des Papstes und Karls Venedig gegen die Türken kostete in dem Frieden vom Mai 1540 die Abtretung der
Inseln Skio, Palmosa, Cesina, Nio und Paros, der Städte Malvasia und Nauplia und eine Kontribution von 300,000 Dukaten. Die hierauf
folgende Zeit der Ruhe kam der Pflege der Künste sehr zu statten. Da 1571 die Osmanen die Insel Cypern eroberten,
trat Venedig der vom Papst betriebenen Liga gegen die Pforte bei, und seine Flotte focht mit in der Schlacht bei Lepanto 1645 entbrannte
mehr
ein neuer Krieg mit der Pforte um Kreta, der erst 1669 trotz einiger glänzender Siege des venezianischen Feldherrn Francesco Morosini
mit dem Verlust dieser Insel für Venedig endete. Erst die Niederlage der Türken vor Wien 1683 gab der Republik wieder den Mut, ein
Bündnis mit Österreich, Polen und Rußland gegen den Sultan zu schließen. Francesco Morosini machte viele
Eroberungen; doch behielt Venedig von denselben im Karlowitzer Frieden von 1699 nur Morea, die Inseln Ägina und Santa Maura, dann Castelnuovo
am Kanal von Cattaro und einige Plätze in Dalmatien. An dem spanischen Erbfolgekrieg nahm Venedig keinen Teil, dennoch durchzogen
die Österreicher und Franzosen verwüstend sein Gebiet. Nach einem neuen Krieg mit der Türkei verlor es
im Passarowitzer Frieden (Juli 1718) Morea, wogegen es Korfu und Dalmatien behauptete.
Seitdem nahm die Republik an den Welthändeln keinen weitern Anteil mehr. Die Zahl der Einwohner, die das Gebiet der Republik
bewohnten, belief sich 1722 auf 2½ Mill. Seelen; die Einkünfte betrugen 6 Mill. Dukaten, die Staatsschulden 28 Mill.
Dukaten. Während des Kriegs, den Kaiser Karl VI. von 1736 bis 1739 mit den Türken führte, war Venedig bloß bemüht, seinen Handel
gegen die Seeräubereien der Barbaresken zu schützen, sah sich aber dennoch in fortdauernde Händel mit
den Türken verwickelt; von den Barbareskenstaaten mußte es überdies die Sicherheit seiner Flagge durch Tributzahlung erkaufen.
In der europäischen Politik schwang sich Venedig nie wieder zu einer selbständigen Politik empor; seine schwankende Haltung während
der Stürme, welche Italien nach der französischen Revolution durchtobten, führte auch seinen Untergang herbei. Die
Neutralität Venedigs war eine schwächliche und zweideutige. Ein ihm 1796 von der französischen Republik angebotenes Bündnis
lehnte der Senat ab, weil in diesem Augenblick neue österreichische Streitkräfte gegen Italien vorrückten, begünstigte dagegen
den bewaffneten Aufstand des Volkes auf der Terra ferma, als Bonaparte in Steiermark eindrang.
Als nun dieser im Mai 1797 an die Republik den Krieg erklärte, suchte man den Sieger dadurch zu beschwichtigen,
daß der Große Rat den erblichen Rechten der Aristokratie entsagte, die Souveränität niederlegte und dieselbe dem Verein der
Bürger übergab, somit die aristokratische Verfassung nach 500jährigem Bestehen in eine demokratische verwandelte. Der letzte
Doge, Ludovico Manin, dankte ab; am 16. rückten 3000 Franzosen in Venedig ein, das noch nie feindliche
Truppen betreten hatten, eine provisorische Regierung von 60 Mitgliedern trat an die Stelle des Großen Rats, und 4. Juni ward am
Fuß des errichteten Freiheitsbaums das Goldene Buch verbrannt. Im Frieden vom Campo Formio wurde das ganze
Gebiet diesseit der Etsch mit Dalmatien und Cattaro an Österreich, das jenseit der Etsch aber an die Cisalpinische Republik, das
nachmalige Königreich Italien, gegeben, welchem durch den Frieden von Preßburg auch das österreichische Venedig mit
Dalmatien zufiel. Nach dem Wiener Frieden (1809) wurden die beiden Departements Passerino (Hauptstadt Udine)
und Istrien (Hauptstadt Capo d'Istria) zu den illyrischen Provinzen Frankreichs geschlagen. Durch den ersten Frieden von Paris
(1814) ward Venedig mit seinem Gebiet wieder Österreich übergeben, das nun alle italienischen Provinzen zu dem Lombardisch-Venezianischen
Königreich (s. Lombardei) verband. 1830 erhielt Venedig einen Freihafen.
Die
Reformbewegungen in Italien 1847 fanden auch in Venedig begeisterten Anklang. Der Advokat Daniel Manin und Tommaseo überreichten
der Regierung Petitionen, in welchen auf die vielfachen Gebrechen in der Administration aufmerksam gemacht und Verbesserungen
vorgeschlagen wurden. Man antwortete mit der Verhaftung der kühnen Antragsteller und der Verkündigung
des Standrechts. Dennoch kam es zu wiederholten Volksdemonstrationen und zu blutigen Konflikten zwischen Militär und Volk; 22. März erstürmte
das Volk das Arsenal und nötigte den Stadtkommandanten Grafen Zichy zum Abschluß einer Konvention, wonach ohne Schwertstreich
die Stadt mit allem Kriegsmaterial den Aufständischen überliefert ward.
Gleichzeitig bildete sich eine provisorische Regierung, und 23. März erfolgte die feierliche Proklamation
der Republik San Marco, an deren Spitze Manin als Ministerpräsident trat. Die von der Regierung berufene Assemblea beschloß den
Anschluß an Sardinien. Nach der Niederlage der Sardinier erhob sich aber 11. Aug. ein neuer Aufstand, infolge dessen die Regierung
abdankte, die piemontesischen Truppen entfernt und Manin die Diktatur übertragen wurde. Im März 1849 wurde
er zum Präsidenten der Republik ernannt.
Nach der abermaligen Niederlage der Piemontesen bei Novara (23. März) wurde Venedig vom österreichischen General Haynau belagert. Nach
einem furchtbaren Bombardement mußten die Belagerten 26. Mai das Fort Malghera den Österreichern überlassen.
Mangel und die wachsende Cholera zwangen Manin zur Einleitung von Unterhandlungen, und 23. Aug. ergab sich die Stadt auf sehr milde
Bedingungen hin. Am hielt Radetzky seinen Einzug. Venedig verlor sein Freihafenprivilegium und erhielt es erst wieder.
Der Belagerungszustand ward erst aufgehoben. Im italienischen Krieg von 1859 lag die Absicht
vor, auch Venedig den Österreichern zu entreißen; doch beließ der Friede von Villafranca Venetien unter Österreichs Zepter, welches
sich trotz seiner finanziellen Bedrängnis weigerte, das Anerbieten Italiens, Venedig um eine hohe Summe zu kaufen, anzunehmen,
und es dann im Krieg von 1866 durch den Sieg bei Custozza auch behauptete. Erst nach der Schlacht bei Königgrätz
verzichtete Österreich (4. Juli) auf den Besitz Venetiens, indem es dasselbe an den Kaiser Napoleon III. abtrat; dieser überließ
es dem Königreich Italien, dem es, nachdem 8. Okt. die Österreicher Venedig geräumt und 22. Okt. das Volk in einer
allgemeinen Abstimmung sich mit allen gegen 69 Stimmen für den Anschluß an Italien erklärt hatte, einverleibt wurde. Am hielt
König Viktor Emanuel seinen feierlichen Einzug in Venedig.
Vgl. außer den ältern Geschichtswerken von Laugier, Tentori, Barzoni u. a. Daru, Histoire de la république de Venise
(4. Aufl., Par. 1853, 9 Bde.;
deutsch, Leipz. 1859, 4 Bde.);
Philippi, Geschichte des Freistaats Venedig (Dresd. 1828);
Romanini, Storia di Venezia (Vened. 1854-61, 10 Bde.;
Flor. 1875, 2 Bde.);
Molmenti, Die Venezianer (deutsch von Bernardi, Hamb. 1886);
Lamansky, Secrets d'État de Venise (Petersb.
1884);
Hain, Der Doge von Venedig 1032-1172 (Königsb. 1883);
Zwiedineck-Südenhorst, Die Politik Venedigs während
des Dreißigjährigen Kriegs (Stuttg. 1882-85, 2 Bde.);
Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig (das. 1887, 2 Bde.);
Dandolo, la caduta della repubblica di Venezia (Vened. 1855);
Bonnal, Chute d'une république.
Venise (Par. 1885);
Cicogna,
mehr
Delle iscrizioni veneziane (Vened. 1824-53, 7 Bde.);
»Archivio Veneto« (das. 1871 ff.,
bis jetzt 37 Bde.);
»I libri commemoriali della repubblica di Venezia« (ein Regestenwerk, das.).