(hierzu der Stadtplan), Hauptstadt der gleichnamigen ital.
Provinz (s.
oben), eine der schönsten und merkwürdigsten
StädteEuropas, liegt in den
Lagunen, mit dem
Festland durch eine 1845 vollendete 3,6 km lange
Brücke
[* 15] mit 222
Bogen
[* 16] verbunden,
auf 118 kleinen
Inseln, welche durch 160
Kanäle geschieden und durch 390 meist steinerne
Brücken
[* 17] u.
Stege
miteinander verbunden sind.
Die
Lage von Venedig ist eine so überaus günstige, daß die Stadt wohl durch ungünstige politische Verhältnisse
zeitweilig sinken konnte, sich aber immer wieder erhoben hat.
In demKampf mit den sie bedrohenden
Naturkräften,
den die
Lagunen verschlämmenden
Flüssen, dürfte allerdings Venedig sowie seine Vorgängerinnen
Adria,
Aquileja und
Ravenna trotz
Murazzi,
Moli und Kanalisierungen einst erliegen. Dieser
Kampf hat es aber zum Teil auch stark gemacht, denn um die
Brenta von
den
Lagunen abzuwenden, wurde es zurAusdehnung
[* 18] auf dem
Festland gezwungen. Es war durch die
Lage in den
Lagunen gegen
Angriffe vom Land wie von der
See leicht zu verteidigen und konnte sich somit stetig
entwickeln und
Reichtümer
aufhäufen; es war auf die
See hingewiesen, und das
Adriatische Meer führte seine
Schiffe
[* 19] nach dem
Orient undÄgypten,
[* 20] während sich ihm das ganze Pogebiet öffnete und das Etschthal den Weg nach
Deutschland
[* 21] und Nordeuropa zeigte, dem sich in der
Nordspitze der
Adria das alte Kulturmeer am meisten nähert, wo also notwendig ein großer Vermittelungspunkt liegen muß.
Nur die
Kunst moderner Wegebahnung hat
Triest
[* 22] fähig gemacht, mit Venedig zu wetteifern. So hat sich denn in der
That nach dieser
Erniedrigung (es war 180 bis auf 96,000 Einw. gesunken), namentlich seit
Eröffnung desSuezkanals, wieder
gehoben, und nur die anscheinend abhanden gekommene Thatkraft seines
Adels läßt es noch gegen
Genua
[* 23] zurückstehen. Die Stadt
hat die Form eines
Dreiecks, welches eine
Fläche von 7,5 qkm bedeckt, und zerfällt in sechs
Bezirke: Cannaregio,
Castello, Dorsoduro,
San Marco,
SanPolo und
Santa Croce.
Unter den
Kanälen zeichnen sich aus der
GroßeKanal
[* 24]
(Canale grande), welcher, 3470 m lang und 45-72 m breit, die Stadt von
SO. nach
NW. in malerischer Doppelwindung, in der Form eines S, durchzieht, und der
Kanal der
Giudecca,
der von der Hauptmasse Venedigs den kleinen südlichsten Teil der Stadt scheidet. Die
Kanäle vertreten die
Stelle der Hauptstraßen,
deren Venedig gänzlich entbehrt; es gibt nur eine große Zahl (über 1900) sich durchkreuzender enger Gäßchen,
sogen. Calli, unter welchen die vom Markusplatz zum
PonteRialto führende Merceria die belebteste ist.
An vielen
Kanälen laufen vor den
Häusern schmale Pfade für Fußgänger hin, bei den meisten aber erheben sich die
Häuser
unmittelbar aus dem
Wasser.
Unter den
Brücken ist hervorzuheben der 1588-91 erbaute
PonteRialto, 47 m lang und 22 m breit, aus einem
einzigen Marmorbogen von 28 m
Spannung und 9,5 m
Höhe bestehend, durch Kaufläden in zwei schmälere Seitenwege und einen
breitern Mittelweg geteilt. Den
Verkehr vermitteln
Gondeln,
Barken und kleine
Dampfer. Die
Häuser sind meist aus
Backstein erbaut
und haben einen auffallend stattlichen
Typus; über den von feinen Säulchen getragenen
Arkaden ruhen schwere,
imposante
Massen, welche durch schöne
Altane unterbrochen werden.
Treppen
[* 25] und Hofraum liegen bei den Kanalhäusern auf der Rückseite. Das
Fundament ruht auf einem
Rost von Eichenpfählen, der
3-9 m tief durch den Schlamm bis zur harten Thonmergelschicht (caranto) hinabdringt. Eigentliche
Plätze gibt es nur zwei:
den Markusplatz und die
Piazzetta. Die übrigen
Plätze heißen
Campi. Der Markusplatz bildet ein großes, längliches, auf
drei Seiten von Prachtbauten, deren Erdgeschoß aus
Arkaden mit Kaufläden, Kaffeehäusern etc. besteht, auf der vierten Seite
von der
Markuskirche abgeschlossenes, 176 m langes, 56-82 m breites
Viereck.
[* 26]
Mit ihm hängt diePiazzetta zusammen, 97 m lang und 49 m breit, vom Dogenpalast und der alten
Bibliothek
eingefaßt und sich bis an das
Meer erstreckend. Am südlichen Ende der
Piazzetta stehen zwei Granitsäulen, die eine mit einem
geflügelten
Löwen
[* 27] (von
San Marco) aus
Bronze,
[* 28] die andre mit einer Marmorstatue des heil.
Theodor (des ältern
Schutzpatrons von Venedig) gekrönt. Die Wasserseite der
Piazzetta dehnt sich nach beiden Seiten in einen breiten
Kai aus, der östlich
zur
Riva degli Schiavoni (mit dem 1887 errichteten
ViktorEmanuel-Denkmal), westlich zum Giardino reale führt. Auf dem Markusplatz,
vor der
Unten lehnt sich an denselben ein kleiner, zierlicher Vorbau an, die Loggetta, eine mit Bronzewerken und Reliefs reich ausgestattete
Marmorhalle (von Jac. Sansovino 1540 erbaut). Zwei Seiten des Markusplatzes und die eine der Piazzetta
sind von den Prokurazien eingeschlossen. Die Alten Prokurazien (15. Jahrh.) an der Nordseite des Marktplatzes, ehemals Wohnungen
der Prokuratoren von San Marco (jetzt Privatwohnungen), enthalten im Erdgeschoß Arkaden mit Kaufläden und Kaffeehäusern,
im zweiten und dritten Stock schöne korinthische Bogenstellungen. Hieran schließt sich östlich der 1498 erbaute, 189 restaurierte
Uhrturm (in Frührenaissance, mit Marmorfassade und interessantem Uhrwerk) an. Die auf der entgegengesetzten Seite befindlichen
NeuenProkurazien, unten ebenfalls mit Arkaden, bestehen aus der 1536 von Sansovino mit der Fassade gegen die Piazzetta zu erbauten
alten Bibliothek von San Marco (s. Tafel »Baukunst
[* 32] XII«,
[* 33] Fig. 3) mit zwei Geschossen, dorischen und ionischen
Säulen
[* 34] und Pilastern, reichgeschmücktemFries und einer Fülle von Ornamenten sowie den 1584 von Scamozzi begonnenen eigentlichen
Procurazie nuove und dienen als königlicher Palast. An die Bibliothek schließt sich an der Seeseite das 1536 von Sansovino
ausgeführte ehemalige Münzgebäude an.
[Kirchliche Bauwerke.]
Unter den Kirchen ist die berühmteste die St. Markuskirche, 976-1071 im byzantinisch romanischen Stil
erbaut. Die Sage läßt hier den Leichnam des EvangelistenMarkus ruhen, welcher 828 aus Alexandria hierher gebracht worden sein
soll. Die Kirche hat eine prächtige Hauptfassade mit fünf breiten Portalen und bunten Mosaiken auf Goldgrund,
eine Vorhalle mit Mosaiken und den Gräbern vieler Dogen, über 500 Säulen, künstlerisch ausgeführte Bronzethüren, fünf
große Halbkuppeln und ist im Innern 76,5 m lang und 52 m breit.
San Giovanni Crisostomo, im Renaissancestil 1489 erbaut, mit Gemälden von Bellini,
Sebastiano del Piombo u. a.;
San Giovanni e Paolo, eine imposante gotische Kirche, 1246-1430 für die Dominikaner erbaut, Gruftkirche
der Dogen, mit interessantem Renaissanceportal und zahlreichen Grabmälern der Dogen, unter welken die von
Pietro Mocenigo,Mich. Morosini, Andrea Vendramin, MarcoCorner, Giov. Mocenigo u. a. als hervorragende Kunstwerke zu
erwähnen sind (auf dem Platz vor derKirche befindet sich das eherne Reiterstandbild des Condottiere Bart. Colleoni, von Andrea
del Verrocchio 1496 errichtet);
Madonna dell' Orto, ein seit 1850 restaurierter gotischer Bau aus
dem 15. Jahrh., mit schön dekorierter Fassade, Gemälden von Cima, Palma Vecchio, Tintoretto (der hier begraben liegt) u. a.;
Il Redentore auf der InselGiudecca,
der vorzüglichste Kirchenbau von Palladio (1577);
San Rocco aus dem 15. Jahrh., mit Gemälden von Tizian, Tintoretto u. a. und
dem daran stoßenden, 1550 ausgeführten Versammlungshaus der gleichnamigen Brüderschaft (Scuola di San
Rocco), mit prunkvoller Renaissancefassade und in den Sälen im Innern mit 56 kolossalen biblischen Gemälden von Tintoretto;
SanSalvatore, vollendet 1534, mit Gemälden von Tizian, Dogendenkmälern etc.;
Unter den weltlichen Gebäuden steht obenan der Dogenpalast (Palazzo ducale) Derselbe ist seit seiner Gründung
(809) fünfmal zerstört worden; der jetzige Bau wurde im maurisch gotischen Stil nach dem Entwurf von Filippo Calendario im 14. Jahrh.
begonnen und im 15. und 16. Jahrh. fortgesetzt. Er enthält im Erdgeschoß
eine offene Halle
[* 39] mit kurzen Säulen, eleganten verschiedenartigen Kapitälen und weiten Spitzbogen, darüber eine Loggia als
Zwischengeschoß mit doppelter Spitzbogenzahl, endlich den gewaltigen, von wenigen gotischen Fenstern durchbrochenen, mit
abwechselnd weißen und roten Marmorplatten bekleideten Oberbau. In dem von prächtigen Fassaden umschlossenen,
mit zwei ehernen Brunnen
[* 40] geschmückten Hof
[* 41] erhebt sich die marmorne Riesentreppe (scala dei giganti), so benannt nach den riesigen
Bildsäulen des Mars
[* 42] und Neptun, die sie zieren. Sie bildet den Haupteingang in das Innere des Palastes; auf ihrer obersten Stufe¶
mehr
wurden die Dogen gekrönt. Unter den elf ungeheuren Sälen des Palastes, die sämtlich mit Meisterstücken italienischer Maler
(P. Veronese, Tizian, Tintoretto u. a.) prangen, ist der Saal des GroßenRats, welcher gegenwärtig zur Aufbewahrung der großen
Bibliothek von St. Markus dient, der prachtvollste. AndreSäle enthalten die Antiken und die Münzsammlung.
Noch zeigt man hier aus der Zeit der Republik die Staatsgefängnisse und die sogen. Seufzerbrücke (ponte dei sospiri), die
in ein besonderes, durch den Kanal vom Dogenpalast getrenntes Staatsgefängnis führte. - Das Arsenal im südöstlichen Teil
der Stadt (1104 gegründet, 1304 umgebaut und später mehrfach erweitert) nimmt eine ganze Insel ein,
umfaßt Schiffswerften, Bassins, Magazine für Vorräte aller Art, Seiler- und Zimmerwerkstätten, Ankerschmieden, Kanonengießereien,
eine Waffensammlung, verschiedene Denkmäler, Trophäen etc. und ist mit Mauern und Festungswerken umgeben.
In der Blütezeit Venedigs war es der Stolz der Republik und beschäftigte 16,000 (jetzt gegen 2000) Arbeiter. An dem triumphbogenartigen, 1460 erbauten
Portal stehen vier antike marmorne Löwen, welche 1687 vom Piräeus bei Athen
[* 44] hierher kamen. Von den sechs
Theatern ist das Operntheater Fenice, 1836 umgebaut, eins der größten (es faßt 3000 Zuschauer) in Italien. Unter den sonstigen
öffentlichen Gebäuden und den zahlreichen Palästen der alten venezianischen Adelsfamilien, die meist am CanaleGrande
liegen, sind hervorzuheben: der Palazzo Vendramin-Calergi, der edelste und schönste aller Paläste, von 1481;
die reichgeschmückte
Cà d'oro (s. beide Tafel »Wohnhaus
[* 45] II«);
[* 46]
der Fondaco dei Turchi (10. Jahrh., im 17. Jahrh.
den türkischen Kaufleuten überlassen, 1880 im ursprünglichen Stil neugebaut, mit dem Museo civico) u. a.
Die Zahl der Einwohner (zur Zeit der Blüte
[* 47] der Stadt 190,000) betrug Ende 1881: 129,445 (als
Gemeinde 132,826). Die Industrie umfaßt vor allem die seit alters her berühmte, gegenwärtig aber start
reduzierte Glasindustrie (namentlich in Perlen, Email, Mosaik, verschiedenen Kurzwaren und Spiegeln), dann die Fabrikation von
Seidenwaren (Brokatstoffen u. a.), Spitzen, Kunstmöbeln, Gold- und Silberwaren, Leder und Lederarbeiten, Handschuhen, künstlichen
Blumen, Seifen und Schiffbau.
Hierzu sind in neuester Zeit eine Baumwollspinnerei u. -Weberei, Dampfmühlen, eine große Fabrik für
Waggons und Maschinen und eine Fabrik für Sprenggeschosse hinzugekommen. Der einst so blühende Handel Venedigs ist durch die
Entdeckung von Amerika
[* 48] und die Auffindung des Seewegs um Afrika
[* 49] nach Ostindien
[* 50] zu einem bloßen Schattenbild seiner alten Größe
herabgesunken (1420 besaß die Republik noch 330 Handelsschiffe mit 26,000 Matrosen, 1886 belief sich die
Handelsmarine des Seebezirks von Venedig auf 853 Schiffe, fast ausschließlich Segelboote, mit 31,519 Ton. Tragfähigkeit und einer
Bemannung von 11,488 Personen); aber auch in seinem Verfall hat Venedig infolge seiner günstigen Lage, seines trefflichen Hafens,
seines Fluß und Kanalsystems und seiner Eisenbahnverbindungen noch einen bedeutenden Geschäftsumsatz.
Der Landhandel geht
nach Mittel- und Westeuropa, vor allem nach dem nördlichen Italien, nach Tirol,
[* 51] der Schweiz
[* 52] und mittels
der Brennerbahn nach Süddeutschland. Der Küstenhandel unterhält einen regen Verkehr mit den Handelsplätzen beider Gestade
des Adriatischen und zum Teil auch des MittelländischenMeers, vor allem mit Triest. Hierzu kommt der Seeverkehr
mit den britischen, den belgischen, holländischen und deutschen Häfen, mit den Häfen der Levante, des SchwarzenMeers, Ägyptens
und des übrigen Nordafrika, Ostindiens u. Chinas, Nord- und Südamerikas etc. Doch bildet der Mangel direkter überseeischer
Dampferverbindungen ein Haupthindernis eines größern Aufschwungs der Handels- und Schiffahrtsverhältnisse
Venedigs. In neuerer Zeit wurde ein Dock,
[* 53] dann die Stazione marittima am Westende der Stadt, zur Ermöglichung des Umladens
von den Dampfern unmittelbar auf die Eisenbahn, eröffnet, welche Anlagen freilich erhebliche Mängel aufweisen.
NeueMagazine sowie ein Freilager für den Transithandel (Punto franco) sind im Bau. Als Hafen dient der Teil
der Lagunevor derRiva degli Schiavoni, von wo die Schiffe gewöhnlich durch den Porto diMalamocco, nur weniger tief gehende
durch den nähern Porto diLido aus-, bez. einfahren. Die Kommunikation mit dem Festland erfolgt durch die Eisenbahn, welche einerseits
über Padua nach Verona und Mailand,
[* 54] nach Bologna, Ancona
[* 55] und Florenz,
[* 56] nach Tirol und Süddeutschland, anderseits
über Udine nach Triest und nach Pontebba führt. Der Handel der Stadt Venedig umfaßte 1887 in der Einfuhr einen Wert von 27,2 Mill.
Lire (davon 132 zur See, 95,2 zu Land), in der Ausfuhr 186,8 Mill. Lire (54,3
zur See, 132,5 zu Land). Die Hauptartikel des Warenverkehrs von Venedig sind in der Einfuhr
und Ausfuhr (Wert in Millionen Lire):
Der Schiffsverkehr umfaßte 1887 im Einlauf 3618 beladene Schiffe mit 985,054 Ton. (darunter 1107 Dampfer mit 819,880 T.), im
Auslauf 3539 beladene Schiffe mit 953,186 T. (darunter 1078 Dampfer mit 79,516 T.). Am stärksten war die englische, hiernach
die italienische, dann die österreichisch-ungarische, deutsche und griechische Flagge vertreten. Hinsichtlich
der Richtung des Schiffsverkehrs war derselbe am stärksten mit italienischen, dann mit österreichisch-ungarischen und britischen
Häfen. Unter sämtlichen Hafenplätzen Italiens
[* 57] rangiert Venedig hinsichtlich des Tonnengehalts aller ein- und ausgelaufenen Schiffe
(1,984,813 Ton.) an sechster Stelle und wird hierin nur von Genua, Neapel,
[* 58] Livorno,
[* 59] Palermo
[* 60] und Messina
[* 61] überragt.
Im Seebezirk von Venedig (7 Häfen) ist nur noch der Hafen von Chioggia von Bedeutung.
¶