Titel
Vendée
1) 75 km langer franz.
Fluß in Poitou im Departement Vendée
, entspringt an der Südwestseite der Hauteurs de la Gatine, geht
in südwestl. Lauf an Fontaney-le-Comte vorüber und mündet, zuletzt schiffbar, oberhalb
Marans rechts in die
Sèvre-Niortaise. - 2)
Franz. Departement, besteht aus dem westl. (Nieder-)Poitou, liegt zwischen den Depart.
Loire-Inférieure im N.,
Deux-Sèvres im O.,
Charente-Inférieure im
S. und dem Atlantischen Ocean im W., hat auf 6707,75 nach
Berechnung 6971) qkm (1896) 441 735 E (620 weniger als 1891), darunter 198 Fremde, also 66 E. auf 1 qkm,
zerfällt in 3
Arrondissements
(Fontenay-le Comte, La Roche-sur Yon, Les Sables d'Olonne) und 30 Kantone mit 303 Gemeinden
und hat La Roche-sur-Yon (früher Napoléon Vendée
genannt) zur Hauptstadt.
Das Land wird von der Sèvre-Nantaise an der Nordostgrenze sowie der ihr zufließenden Maine, von der Sèvre-Niortaise (mit der an der Südgrenze, den Küstenflüssen Vie, Jaunay, Ausance und dem 104 km langen, 22 km schiffbaren Lav (mit Yon) sowie von der links zur Loiremündung gehenden Boulogne bewässert, hat eine einförmige Küste mit wenig Vorgebirgen (Pointe de l'Aiguille), Häfen (Beauvoir, St. Gilles-sur-Vie, Sables d'Olonne) und den vorgelagerten Inseln Bouin 45 qkm), mit Fischerei [* 2] und Salzgewinnung, [* 3] Noirmoutier und Yeu. Es enthält verschiedenartige Gebiete, wie Le [* 4] Marais (Morastland) im S., südlich von Luçon und Fontenay, dem Meere abgerungener Alluvialboden mit Salzsümpfen, Weide- und Ackerland, wo Hanf, Getreide, [* 5] Gemüse und guter Wein gedeihen, aber ungesund und ohne Trinkwasser;
sodann Le Bocage (Buschland) im O., Hügelland mit Wald und Heide sowie mittels der vielen Wasserläufe urbar gemachtem Boden, der Obst, Gemüse und guten Wein trägt;
die Hauteurs de la Gatine steigen im Mont-Malchus 285 m empor;
ferner La Plaine (Ebene) im S., ein aus Jurakalk bestehendes dürres Gebiet.
Das Klima ist feucht, aber gesund. 1020 qkm sind Wiesen und 4616 qkm Ackerland, wo Weizen (1895: ¶
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3000 920 hl), Gerste
[* 7] (228000), Roggen (51000), Hafer
[* 8] (850 500), Buchweizen (139 020 hl), Gemüse, Kartoffeln, Raps und Wein
(1895: 352 480, 1885-94 durchschnittlich jährlich 388 447 hl) gebaut werden. Sonst bietet das Land auch Steinkohlen bei Chantonnay
und Vouvant im O. (1896 im ganzen 23 472 t), Eisen,
[* 9] Blei,
[* 10] Antimon, Granit, hydraulischen Kalk, Mühlsteine,
[* 11] Pierres de Chamberteaud (oder Diamants de la Vendée
), Thon, Torf und Mineralquellen. Die Bevölkerung, die viel Matrosen liefert,
treibt besonders Ackerbau und Viehzucht
[* 12] (1895: 333 891 Rinder,
[* 13] 24 835 Pferde,
[* 14] 154 118 Schafe,
[* 15] 60 740 Schweine),
[* 16] Fischerei,
Salzgewinnung 1896: 23 923 t); unerhebliche Industrie, als Herstellung von Pottasche, Hausleinwand, Segeltuch,
Seilerwaren, grobe Wollstoffe, Papier, Glas,
[* 17] Topfwaren, ferner Spinnereien, Gerbereien, Brauereien, Ziegeleien, Kalköfen und
Küstenhandel. An Eisenbahnen besitzt das Departement 398,6 km, an Nationalstraßen (1895) 539,4 km und an höhern Unterrichtsanstalten
ein Lyceum und zwei Collèges. -
Vgl. Loudun, La Vendée
, le pays, les mœurs etc. (2. Aufl.,
Par. 1873);
Aubert, Côtes vendéennes
(ebd. 1887).
Geschichte. Die Vendée
ist berühmt durch die Bürgerkriege während der Französischen Revolution. In diesem Sinne aber versteht
man unter Vendée
nicht bloß das Departement dieses Namens, sondern rechnet dazu auch noch den größern Teil des alten Poitou
und Teile von Anjou und der Bretagne. Die sociale Kluft, die in Frankreich vor 1789 den dritten Stand vom
Adel und Klerus trennte, bestand dort nicht; vielmehr bildete die Vendée
mit ihrer kelt.
Bevölkerung,
[* 18] ihren religiösen und gesellscbaftlichen Verhältnissen, ihrem Mangel an städtischer Kultur einen sehr scharfen
Gegensatz gegen die meisten übrigen Landesteile.
Die Revolution fand darum hier nur geringen Anklang. Schon 1790 war das Land in Gärung, und die Streifzüge
der Chouans (s. d.) bildeten die Vorboten eines allgemeinen Aufstandes, zu dem eine große Rekrutenaushebung den
Anstoß gab. Zu St. Florent wurde Cathelineau (s. d.), in Niederpoitou Charette (s. d.)
zum Führer gewählt. Ehe ein Monat verging, zeigten sich in allen Gegenden bewaffnete Scharen unter Stofflet,
Elbée und andern Führern. Mitte Mai gab Henri de Larochejacquelein (s. d.) im Verein mit andern der Erhebung durch die Siege
bei Fontenay-le-Comte bei Thouars, bei Saumur (10. Juni) einen größern Aufschwung. Man machte Saumur
zum Mittelpunkt des ganzen Unternehmens, setzte einen Obern Rat ein und wählte Cathelineau zum Oberanführer. Die versprochene
Unterstützung Englands blieb jedoch aus, weshalb die Armee der Vendéer
die Loire überschritt, um die reichern Mittel jener
Gegend auszunutzen. Ein unternommener Angriff auf Nantes
[* 19] fiel so unglücklich aus, daß die
Royalisten sich fast ganz zerstreuen mußten. Diese Lage hielt der Konvent für geeignet, die Erhebung zu unterdrücken. Zwei
große Armeen, die eine von La Rochelle aus unter Rossignol, die andere von Brest aus unter Canclaux, sollten das Küstenland
unterwerfen. Dagegen rüsteten auch die Vendéer
ein Heer unter d'Elbée an Stelle des 11. Juli gestorbenen
Cathelineau, und nur sehr allmählich gelang es, mit Übermacht die Aufständischen zu erdrücken. Die brit.
Flotte vermochte nicht zu landen, und Larochejacqueleins Zug
nach der Küste, wo er die Hilfe erwarten wollte, brachte den Vendéern
große Verluste. Auf dem Rückzüge siegte
er zwar 21. Nov. in dem blutigen Gefecht bei Dol; aber 12. Dez. wurde
er unweit Le Mans
[* 20] von Westermann uud Marceau angegriffen und nach verzweifelter Gegenwehr zurückgeworfen. Gegen 10000 gefangene
Vendéer
, von jedem Alter und Geschlecht, mußten zu Le Mans sterben. Am 23. Dez. vernichtete Westermann die Reste der Royalisten,
die in Unordnung der Loire zueilten, bei Savenay; nur Larochejacquelein und Stofflet entkamen mit wenigen
Gefährten. Die Gefangenen, Männer, Weiber, Kinder, schaffte man nach Nantes, und hier ließ sie Carrier (s. d.) in Masse durch
Kartätschen niederschmettern und ertränken.
Doch blieb noch immer Charette übrig, der sein Korps wieder verstärkte und den Republikanern harte Schläge versetzte. Der Konvent schien jetzt das Land veröden zu wollen. Die «infernalen Kolonnen» des Obergenerals Turreau hätten aber schwerlich den Widerstand besiegt, wäre nicht, zumal seit Larocbejacqueleins Tode die Uneinigkeit unter den Royalisten selbst ihnen zu Hilfe gekommen. Im Mai wurde Turreau abgerufen, und seine Nachfolger schlugen ein milderes System ein, das namentlich nach Robespierres Sturze auch vom Konvent angenommen ward.
Auf Carnots Vorschlag wurde durch öffentlichen Aufruf den Vendéern
Frieden und Verzeihung angeboten. Zugleich traten
die Konventsabgeordneten mit den Häuptern des Aufstandes in Unterhandlung und bewogen Charette zu La
Jaunaye zu einem Vertrage, dem 2. Mai Stofflet und andere beitraten. Als im Juni 1795 eine brit. Flotte das
franz. Emigrantenheer zu Quiberon (s. d.) ans
Land setzte, begann jedoch Charette aufs neue den Kampf. Die Uneinigkeit der Führer, das Schicksal des Emigrantenheers und
die Maßregeln Hoches (s. d.) ließen indes die Erhebung nicht aufkommen.
Charette und Stofflet wurden im Frühjahr 1796 gefangen und erschossen. Der Aufstand drohte seitdem mehrmals wieder auszubrechen;
die Politik Hoches und später die geschickte Hand
[* 21] Bonapartes erstickten indes diese Versuche im Keime. Eine völlige Unterwerfung
der Vendée
brachte erst der durch Bonaparte abgeschickte General Hedouville im Jan. und Febr. 1800 zu stande.
Trotz des Friedens behandelte Napoleon die Vendée
immer mit Mißtrauen. Schon nach dem Ausgange des russ. Feldzuges von 1812 verweigerten
die Vendéer
Abgaben und Rekruten, und im Feldzuge von 1814 erhoben sich 80000 Bauern, gingen aber nach Napoleons I. Abdankung
wieder auseinander.
Während der Hundert Tage griffen die Vendéer
unter Sapinaud und Suzannet abermals zu den Waffen.
[* 22] Napoleon
schickte den General Lamarque gegen sie, der die Ruhe in dem Augenblicke völlig herstellte, als die Kaiserherrschaft durch
die Schlacht von Waterloo
[* 23] zum zweitenmal zusammensank. Die Bourbons überhäuften die Häupter der Vendée mit Gnaden und Ämtern.
Nach der Julirevolution von 1830 erhob sich unter dem Adel der Vendée eine zahlreiche Partei, die das Land
zu Gunsten der alten Dynastie wieder in Aufstand zu versetzen suchte. Im April 1832 schlich sich sogar die Herzogin von Berry
(s. d.) in das Land ein, um einer Erhebung Nachdruck zu geben. Allein ihre Gefangennahme und die Entdeckung
ihrer Schwangerschaft brachten das Volk zur Besinnung.
Vgl. Beauchamp, Histoire de la guerre de la Vendée (4. Aufl., 4 Bde., Par. 1820);
La guerre des Vendéens et des Chonans contre la République française (6 Bde., ebd. 1824-27);
Crétineau-Joly, ¶
0200a ¶
0200b ¶
mehr
Histoire de la Vendée militaire (5. Aufl., ebd. 1865);
Deniau, Histoire de la Vendée (2 Bde., Augers 1879);
Chassin, La preparation de la guerre de Vendée 1789-93 (3 Bde., Par. 1890);
ders., La Vendée patriote, 1793-94 (4 Bde., ebd. 1896);
von Boguslawski, Der Krieg der Vendée gegen die franz. Republik 1793-96 (Berl. 1894).