Vaticinĭum
Lehninense (lat.), Lehninsche Weissagung, s. Lehnin.
Vaticinium
14 Wörter, 122 Zeichen
Lehninense (lat.), Lehninsche Weissagung, s. Lehnin.
(in ältern Urkunden Lenyn), Marktflecken im preuß. Regierungsbezirk Potsdam, [* 3] Kreis [* 4] Zauch-Belzig, an mehreren Seen, welche durch die schiffbare Emster zur Havel abfließen, mit Ziegelbrennerei und (1885) 2100 evang. Einwohnern, ist durch die schönen Ruinen des vom Markgrafen Otto I. 1180 gestifteten Cistercienserklosters Himmelpfort merkwürdig. Das Geschlecht der Askanier hatte hier seine Fürstengruft. Joachim II. hob 1542 das Kloster auf und entließ die Mönche mit einem Gnadengehalt von 30 Gulden; der Große Kurfürst fand Lehnin schon in Ruinen und benutzte einen Teil der Steine zum Bau eines Schlosses. Am befahl Kaiser Wilhelm den Wiederaufbau der Klosterkirche, der 1879 beendet wurde.
Vgl. Heffter, Geschichte des Klosters Lehnin (Brandenb. 1851);
Sello, Lehnin, Beiträge zur Geschichte von Kloster und Amt (Berl. 1881). -
Die allgemeine Aufmerksamkeit erregte zu verschiedenen Zeiten die angeblich um 1300 in 100 lateinischen leoninischen Versen verfaßte sogen. Lehninsche Weissagung (»Vaticinium Lehninense«),
deren Verfasser der Mönch Hermann sein soll. Der allgemeine Inhalt ist eine Klage über das Erlöschen der Askanier und das Aufkommen der Hohenzollern, [* 5] dann aber eine Charakteristik jedes einzelnen Regenten aus dem letztgenannten Haus bis auf das elfte Geschlecht. Den Schluß macht die Prophezeiung, daß nach dem Herrscher des elften Geschlechts, der Stemmatis ultimus sein werde, die Herde den Hirten und Deutschland [* 6] den König wiederempfangen werde. Die Sprache [* 7] ist etwas gekünstelt und mitunter unklar, das Versmaß korrekt.
Das Gedicht tauchte zuerst Ende des 17. Jahrh., um 1690, in Handschriften auf und wurde im geheimen verbreitet. Zum erstenmal gedruckt erschien es in dem »Gelahrten Preußen« [* 8] (Königsb. 1723). Eine 2. Ausgabe ohne Angabe des Druckorts kam 1741 heraus, eine 3. mit den Druckorten Berlin [* 9] und Wien [* 10] 1745, eine 4. in Frankfurt [* 11] und Leipzig [* 12] 1746, also alle während der ersten Regierungsjahre Friedrichs d. Gr. Zu Beginn des Siebenjährigen Kriegs wurde 1758 in Bern [* 13] abermals ein Abdruck veranstaltet.
Seitdem schien der Bruder Hermann vergessen zu sein, bis das Unglück Preußens [* 14] nach Jena [* 15] und Tilsit [* 16] sein Andenken auffrischte. Da erschien 1808 mit Angabe der Druckorte Frankfurt und Leipzig eine Schrift: »Hermann von Lehnin, der durch die alte und neueste Geschichte bewährt gefundene Prophet des Hauses Brandenburg«. [* 17] Der Verfasser dieser äußerst seltenen Schrift hielt die Prophezeiung durch den Sturz Preußens für erledigt und mithin den damaligen König Friedrich Wilhelm III. für den Stemmatis ultimus. Neues Aufsehen machte die 1827 von Bouverot herausgegebene Schrift: »Extrait d'un manuscrit relatif à la prophétie du frère de Lehnin«, die von W. v. Schütz unter dem Titel: »Weissagung des Bruders Hermann von Lehnin« (Würzb. 1847) deutsch bearbeitet wurde. Ebenfalls Parteizwecken dienten die Ausgaben des Gedichts von Boost (Augsb. 1848), Wilhelm Meinhold (Leipz. 1849), Rösch (Stuttg. 1849); vgl. die kritischen Schriften von Guhrauer (Berl. 1850), Gieseler (Erf. 1850) und M. Heffter (s. oben). Neuerdings, namentlich seit Gründung des Deutschen Reichs und Beginn des Kirchenkonflikts, haben sich die Ultramontanen wieder einmal des Vaticinium bemächtigt, um, wie die Demokraten 1848, den bevorstehenden Untergang des preußischen Königshauses und den Sieg des Papsttums daraus abzuleiten. Daß die Weissagung eine Fälschung ist, unterliegt keinem Zweifel. Während die Regenten bis zum Großen Kurfürsten richtig bezeichnet und ¶
charakterisiert werden, weiß der Verfasser von Friedrich I. schon nicht mehr, daß derselbe die Königswürde erworben hat. Die nachfolgenden Könige werden ganz verkehrt und den geschichtlichen Thatsachen widersprechend geschildert. Das elfte Stemma, mit dem das Hohenzollernhaus enden sollte, war Friedrich Wilhelm III., und nur durch die gezwungene Auslegung, daß Friedrich II. und Friedrich Wilhelm IV., weil ohne direkte Nachkommen, keine Stemmata seien, dehnen die ultramontanen Erklärer die Frist bis auf Wilhelm I. aus, nach welchem der Hirt, d. h. der Papst, die Herde, Deutschland den (katholischen habsburgischen) König wiedererhalten werde.
Die Weissagung ist augenscheinlich von einem Märker um 1690 verfaßt. Die älteste Widerlegung schrieb 1746 der Pfarrer Weiß in Lehnin. Auf Veranlassung Friedrich Wilhelms III. beschäftigte sich Wilken zuerst mit der Frage nach dem Verfasser und erklärte 1827 den 1693 verstorbenen Kammergerichtsrat Martin Friedrich Seidel dafür, Giesebrecht den Rittmeister v. Ölven, Gieseler den Abt von Huysburg, Nikolaus v. Zitzewitz. Schon Valentin Schmidt wies auf Ludwig Andreas Fromm hin, und Hilgenfeld (»Die Lehninsche Weissagung«, Leipz. 1875) begründete eingehend die Behauptung, daß Fromm der Urheber der Fälschung sei.
Dieser war Propst an der Petrikirche zu Berlin, und selbst ein eifriger orthodoxer Lutheraner, trat er gegen die Maßregeln des Großen Kurfürsten wider die lutherischen Geistlichen schroff auf und entzog sich einer Disziplinaruntersuchung 1666 durch die Flucht nach Wittenberg. [* 19] Da er hier nicht den gewünschten Empfang fand, begab er sich nach Prag, [* 20] trat hier 1668 zur katholischen Kirche über und wurde Domherr in Leitmeritz, wo er 1685 starb. Aus religiösem Fanatismus, und um sich an dem hohenzollerischen Fürstenhaus zu rächen, schrieb der Konvertit das Gedicht und verbreitete es unter der Hand [* 21] in geheimnisvoller Weise unter einflußreichen Personen. Andre (Bailleu in der »Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde«, Bd. 15, S. 368) behaupten, daß ein in der Stadt Brandenburg oder deren Umgebung wohnender katholischer Märker, der über die Ansiedelung von Schweizer Kolonisten bei Lehnin erzürnt war, 1691 das Vaticinium verfaßt habe.
Vgl. Sabell, Litteratur der sogen. Lehninschen Weissagung (Heilbr. 1879).