Varnhagen
von
Ense
,
Karl Aug., Schriftsteller, geb. zu
Düsseldorf,
[* 2] kam 1794 mit seinem
Vater nach
Hamburg
[* 3] und studierte seit 1800 in
Berlin
[* 4] Arzneiwissenschaft, zugleich aber auch
Philosophie und alte Litteratur. A. W. von
Schlegels
Vorlesungen und
Fichtes Bekanntschaft befestigten ihn in diesen
Studien, die er später in
Halle,
[* 5]
Berlin
und
Tübingen
[* 6] fortsetzte. 1809 trat er in die österr.
Armee, wurde nach der
Schlacht bei
Aspern
[* 7] zum Offizier befördert, bei
Wagram
[* 8] verwundet und darauf nach
Wien
[* 9]
gebracht.
Nach seiner Genesung begleitete er den Obersten Prinzen
Bentheim als
Adjutant auf mehrern
Reisen, so auch 1810 nach
Paris
[* 10] an den
Hof
[* 11] Napoleons. Als die
Österreicher 1812 am russ. Feldzug teilnahmen, verließ E. deren Dienst und begab sich
nach
Berlin, trat 1813 als Hauptmann und
Adjutant des
Generals
Tettenborn in russ. Dienste
[* 12] und nahm an den Kriegszügen in Norddeutschland
und
Frankreich teil. Noch während des
Krieges gab er die «Geschichte der
Hamburger Ereignisse» (Lond. 1813)
und darauf die «Geschichte der Kriegszüge
Tettenborns» (Stuttg. 1814) in Druck. In
Paris
empfing er von
Preußen
[* 13] die
Berufung
in den diplomat.
Dienst, worauf er 1814 dem Staatskanzler Hardenberg zum Kongreß nach Wien, 1815 nach Paris folgte und dann Ministerresident in Karlsruhe [* 14] wurde. Nachdem er thätig an der Einführung der ständischen Verfassung in Baden [* 15] mitgewirkt hatte, wurde er im Sommer 1819 abberufen und lebte seitdem mit dem Titel eines Geh. Legationsrats meist in Berlin seiner schriftstellerischen Thätigkeit; 1829 ging er in außerordentlicher Sendung nach Cassel und war überhaupt in polit. Geschäften vielfach thätig. Er starb zu Berlin.
In seinen Gedichten ohne Selbständigkeit, hat sich E. in seinen histor., meist biogr.
Arbeiten, in denen er das Hauptgewicht
freilich nur auf nebensächlichen Klatsch und pikante Anekdoten legt, als gewandten Prosaiker erwiesen. Seine zahlreichen
Schriften gehörten anfangs der romantischen Dichtweise, später der
Biographie und litterar. Kritik an.
Schon 1804 gab er mit
A. von
Chamisso einen «Musenalmanach» heraus. Seine Hauptwerke sind: «Deutsche
[* 16] Erzählungen» (Stuttg.
1815; 3. Aufl. 1879),
«Vermischte Gedichte» (Frankf. 1816),
«Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden» (1. Sammlung, anonym, Berl. 1824),
«Biogr. Denkmale» (5 Bde., ebd. 1824‒30; 3. vermehrte Aufl., Lpz. 1872‒74),
«Zur Geschichtschreibung und Litteratur» (Hamb. 1833),
«Leben des Generals Seydlitz» (Berl. 1834),
«Leben des Generals Winterfeld» (ebd. 1836),
«Leben der Königin von
Preußen,
Sophie Charlotte» (ebd. 1837),
«Leben des Feldmarschalls
Grafen von
Schwerin»
[* 17] (ebd. 1841),
«Leben des Feldmarschalls Keith» (ebd. 1844),
«Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften» (7 Bde., ebd. 1837‒46),
«Karl Müllers Leben und kleine Schriften» (Berl. 1847),
«Leben des
Generals
Bülow von
Dennewitz» (ebd. 1853). E. stand mit
den hervorragendsten seiner Zeitgenossen in Briefwechsel. Einen großen Einfluß auf seine Thätigkeit übte seine Gattin.
Bald nach seinem
Tode erschienen, herausgegeben durch seine Nichte Ludmilla
Assing (s. d.), noch zwei
Bände
seiner
«Denkwürdigkeiten», Bd. 8
u. 9 (Lpz. 1859),
die «Briefe von A. von Humboldt an E. aus den J. 1827‒58» (1. bis 5. Aufl., ebd. 1860); ferner die «Briefe an eine Freundin» [Amely Bölte] (Hamb. 1860),
«Briefwechsel zwischen E. und Ölsner» (3 Bde., Stuttg. 1865),
«Briefe von Stägemann, Metternich, Heine und Bettina von Arnim» (Lpz. 1865) und «Briefe von Chamisso, Gneisenau u. s. w.» (2 Bde., ebd. 1867),
dann «Tagebücher von F. von Gentz» (ebd. 1861) sowie «Tagebücher» (Bd. 1‒6, ebd. 1861‒62; 2. Aufl., Bd. 1‒4, 1863; Bd. 7‒8, Zür. 1865; Bd. 9‒14, Hamb. 1868‒70) und «Blätter aus der preuß. Geschichte» (5 Bde., Lpz. 1868‒69),
welche Enthüllungen über die neuere preuß. Geschichte enthalten; «Lettres du ¶
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Marquis A. de Custine à Varnhagen
d’Ense
et Rahel Varnhagen d’Ense etc.» (Brüss.
1870),
«Biogr. Porträte» [* 19] (Lpz. 1871). Seine «Ausgewählten Schriften» erschienen gesammelt (3. Aufl. in neuer Ausg., 19 Bde., Lpz. 1887).
Seine Gattin Rahel, geborene Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert bekannt, Schwester des Dichters Ludw. Robert, geb. zu Berlin, sammelte hier wie in Paris, Holland, Prag [* 20] einen Kreis [* 21] von Gelehrten und Künstlern um sich. 1808 lernte sie ihr nachheriger Gatte kennen, doch erst 1814 vermählte sie sich mit ihm, nachdem sie zum Christentum übergetreten war. Während der Freiheitskriege war sie eifrig für die Verwundeten, zur Zeit der Cholera 1831 hilfreich für die Kranken thätig. Sie starb zu Berlin. Eine reiche Auswahl aus ihrem Nachlaß gab ihr Gatte u. d. T. «Rahel, ein Buch des Andenkens für ihre Freunde» (3 Bde., Berl. 1831) heraus, der dann die «Galerie von Bildnissen aus Rahels Umgang» (2 Bde., Lpz. 1836) folgte. Später erschien aus ihres Gatten Nachlaß «Briefwechsel zwischen Rahel und David Veit» (2 Tle., Lpz. 1861),
ferner «Briefwechsel zwischen E. und Rahel» (6 Bde., ebd. 1874-75) und «Aus Rahels Herzensleben. Briefe und Tagebuchblätter» (hg. von Ludmilla Assing, ebd. 1877). –
Vgl. Schmidt-Weißenfels, Rahel und ihre Zeit (Lpz. 1857).