Vagabund
(Vagánt, lat., «ein Umherstreifender»),
Landstreicher, nach der Definition des frühern Preuß. Strafgesetzbuchs ein solcher, welcher geschäftslos und arbeitslos umherzieht, ohne sich darüber ausweisen zu können, daß er die Mittel zu seinem Unterhalte besitze, oder doch eine Gelegenheit zu demselben aufsuche. Das Reichsstrafgesetzbuch (§.361, Nr. 3) straft, ohne den Begriff zu definieren, den Landstreicher mit Haft bis zu 6 Wochen. Zugleich darf der Verurteilte zu angemessenen Arbeiten in- und außerhalb der Strafanstalt angehalten werden.
Auch kann gegen den Vagabund
auf
Überweisung (s. d.) an die Landespolizeibehörde erkannt werden. Nach dem
österr. Gesetz vom wird der Vagabund
mit strengem
Arrest von 1 bis zu 3
Monaten bestraft. Dieser
Arrest kann geschärft
werden durch Fasten, schwere
Arbeit,
Anweisung eines harten Lagers, Einzelhaft, Dunkelzelle. Das Vagabund
enwesen,
die Landstreicherei, Vagabondage, ist eine mit dem
Bettelwesen auftretende sociale Erscheinung. In
Deutschland,
[* 2]
Österreich
[* 3] und der
Schweiz
[* 4] hat es seit den siebziger Jahren außerordentlich zugenommen. Im Königreich
Sachsen,
[* 5] wo die Bettler- und Vagabund
enstatistik
für die Zeit von 1880 bis 1892 sehr eingehend bearbeitet worden ist, hat sich 1880 eine Zahlvon 22 337 Bestrafungsfällen
ergeben, die jedoch nur 14 066
Personen betrafen, worunter also viele Rückfällige.
Bis 1885 waren die Bestrafungsfälle auf 18 340 und bis 1888 auf 12 868 herabgegangen, waren aber bis 1891 wieder auf 15 251 und 1892 auf 18 296 gestiegen. Dagegen betrug die Zahl der bestraften Personen 1880: 14 066, 1885: 10 868, 1888: 8458, 1891: 10 075 und 1892: 12 174 Personen (11 652 männliche und 522 weibliche). Es hat mithin nach 1888 wieder eine bedeutende Steigerung der Bestrafungen stattgefunden. Die sächs. Statistik beweist, daß die besonders seit 1880 überall eingeführten Vereine gegen Bettelei und die Verpflegungsstationen (s. d.), Arbeiterkolonien (s. d.) und andere gemeinnützige Anstalten für Volkswohl und gegen den Mißbrauch geistiger Getränke ihre günstige Wirkung nicht verfehlt hatten, daß jedoch nach 1888 wohl hauptsächlich infolge der an vielen Orten eingetretenen Arbeitslosigkeit, vielleicht aber auch wegen des Nachlassens einer mit Strenge gegen unbekannte Bettler gepaarten Fürsorge für bekannte Bedürftige, das Bettel- und ¶
mehr
Vagabund
enwesen wieder zunimmt. Es zeigt sich daher in neuerer Zeit wieder eine beachtenswerte Bewegung, freiwillige Arbeitsstätten,
Arbeitsvermittelungsstellen, Arbeitsnachweisungsbureaus (s. d.) und Arbeitslosigkeitsversicherungen (s. d.) zu errichten. -
Vgl. Rud. Elvers, Zur Vagabund
enfrage,12 Thesen und ein Entwurf zu einem Reichsgesetz (Berl. 1882);
C. J. R. Turner, A history of vagrants and vagrancy and beggars and begging (Lond. 1887);
E. Robin, Hospitalité et travail on les préventifs de combattre la mendicité et la vagabondage (Par. 1887);
H. Stursberg, Die Vagabund
enfrage (Düsseld. 1882);
Münsterberg, [* 7] Die deutsche Armengesetzgebung und das Material zu ihrer Reform (Lpz. 1887);
Köhne, Die Arbeiten des Internationalen Gefängniskongresses in Rom [* 8] (in von Liszts «Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft», Bd. 9, 1889);
Hippel, Die strafrechtliche Bekämpfung von Bettel, Landstreicherei und Arbeitsscheu (Berl. 1895);
Artikel Landstreicherei im «Österr. Staatswörterbuch», Bd. 2 (Wien [* 9] 1896).