Der ontologische (metaphysische)
Beweis leitet sie ab von dem
Begriff der
Immaterialität, Einfachheit und Unteilbarkeit der
Seele, der teleologische dagegen aus der Bestimmung des
Menschen, sich von den äußerlichen, räumlich
zeitlichen
Bedingungen seines Geisteslebens immer unabhängiger zu machen und sämtliche
Anlagen zur
Entwickelung zu bringen,
eine Aufgabe, zu deren
Lösung die Verhältnisse dieser
Erde unzulänglich befunden werden. Der theologische
Beweis stützt
sich auf die
Weisheit,
Gerechtigkeit und
GüteGottes, die es mit sich bringen, daß den Absichten, mit welchen
er persönliche Geschöpfe ins Dasein gerufen, auch ihre Realisierung verbürgt sein müsse, was auf dieser
Erde keineswegs
der
Fall. Der moralische
Beweis kommt auf das in diesem
Leben niemals befriedigte, aber mit unverjährbaren
Rechten ausgestattete
Bedürfnis nach einer Ausgleichung von innerm Wert und äußerm Befinden zurück.
Zuletzt gehen alle diese
Beweise auf das echt menschlicheBewußtsein zurück, als sittliche Persönlichkeit
der materiellen
Natur überlegen zu sein, in einer
Welt der
Freiheit höhern
Gesetzen des Daseins zu folgen als die materielle
Natur. Der diesen Anspruch als eine Täuschung der
Eigenliebe bekämpfende
Materialismus ist daher in alter und neuer Zeit der
erfolgreichste Gegner auch jeglichen
Glaubens anUnsterblichkeit gewesen. Aber auch vom idealistischen Standpunkt aus
ist derselbe bekämpft worden.
Als ein Lieblingskind der Aufklärungszeit und des
Rationalismus fand er besonders innerhalb der
SchuleHegels Beanstandung,
indem die pantheistische
Richtung derselben die Fortdauer des
Individuums aufheben zu müssen und
nur für eine Rückkehr des
individuellen
Geistes in das Allgemeine Platz zu haben schien. Ausdrücklich wurde diese Meinung ausgesprochen
von
Richter
(»Lehre
[* 3] von den letzten
Dingen«, Berl. 1833). Dagegen suchte
Göschel in den
Schriften: »Von den
Beweisen für die
Unsterblichkeit der menschlichen
Seele imLichte der
spekulativen
Philosophie« (Berl. 1835) und »Die siebenfältige
Osterfrage« (das. 1836) die Hegelsche
Philosophie gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Eine tiefere Begründung
fand die
Idee der Unsterblichkeit bei den Anhängern des sogen. spekulativen
Theismus, insonderheit bei
Weiße (»Die philosophische
Geheimlehre
von der Unsterblichkeit des
Individuums«,
Dresd. 1834) und I. H.
^[ImmanuelHermann]
Fichte
[* 4] (»Die
Idee der Persönlichkeit und der individuellen
Fortdauer«, Elberf. 1834; 2. Aufl., Leipz.
1855; »Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des
Menschen«, das. 1867). Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus besprach
die
SacheFechner in seinem »Büchlein vom
Leben nach dem
Tod« (Leipz. 1836, 2. Aufl. 1866) und im 3. Teil seines
»Zendavesta« (das. 1851).
die Fortdauer der menschlichen Persönlichkeit nach dem Tode. Der Glaube an eine
persönliche Fortdauer beruht auf dem Triebe des Menschengeistes, sein im Selbstbewußtsein als unter allem Wechsel beharrend
erlebtes Dasein auch die mit dem Tode eintretende Veränderung überdauern zu sehen; insbesondere nachdem er es als ein von
allem unbewußtem oder nur animalischem Leben verschiedenes und eigentümlich wertvolles erkannt und
genossen hat; daher ihm seine Vernichtung als unnatürlich und widersinnig erscheint.
Die älteste Form dieses Glaubens ist die Manenverehrung oder die Vorstellung, daß der Tote auf geheimnisvolle Weise seine bisherige
Thätigkeit fortsetze. (S. Manen.) Ein fortgeschrittenerer Standpunkt ist es, wenn, wie dies ebenfalls bei vielen Naturvölkern
der Fall ist, der Zustand und das Thun des Toten als von seinem bisherigen verschieden vorgestellt wird. Dieser Stufe gehört
die Auffassung der abgeschiedenen «Seelen» als Schatten
[* 7] (grch.
eidola),
als «Geister», «Gespenster»
oder «Dämonen» an. Auch auf dieser Stufe sind die Seelen keineswegs rein geistig gedacht;
es kommt ihnen eine schattenhafte, gespenstige Leiblichkeit, gleichsam eine körperlose Leiblichkeit
zu.
Wesentlich derselben Entwicklungsstufe gehört die Annahme an, daß die Seelen der Toten ihren bisherigen Körper verlassen
und wieder in ihn zurückkehren, oder auch in andere Körper fahren können. Der sog. Totemismus
(s. Totem) der Indianer beruht auf der Anschauung, daß die Seelen der Vorfahren in Tierkörper gefahren
sind. Verwandt ist die Lehre von der Seelenwanderung (s. d.), die bei den Indiern zu einer philos.
Theorie über einen wiederholten Reinigungsprozeß der sündigen Seele ausgebildet ist.
Dem gegenüber gründet sich die bei den Griechen und den alten Hebräern verbreitete Vorstellung von einem Schattenreiche
(Hades, hebr. Scheol) auf eine Erweiterung der Vorstellung vom Grabe als dem Aufenthaltsort der Toten, das
ihnen zugeschriebene schattenhafte Dasein, das als körperlos, bewußtlos, fühllos dargestellt wird, auf eine sinnliche Veranschaulichung
ihres Nichtdaseins. Ein Wiedererwachen zu wirklichem Leben betrachtete das spätere Judentum als bedingt durch eine Wiedererweckung
des gestorbenen Leibes (s. Auferstehung), während die griech. Philosophie seit Plato die Idee der im Sinne
einer leiblosen Seelenfortdauer ausbildete.
Hinter diese Vorstellung trat auch die aus dem Judentum ins Christentum übergegangene kirchliche Auferstehungslehre, namentlich
unter dem Einflusse der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrh., wieder zurück. In Verbindung hiermit stand die Verdrängung
der Vergeltungslehre durch die Idee einer künftigen Vervollkommnung des Menschengeistes oder einer höhern
Ausbildung der geistigen Anlagen in einem zukünftigen und jenseitigen Zustande, zu dem der gegenwärtige den Vorbereitungszustand
oder die Prüfungszeit bilde. In diesem Sinne ist der Unsterblichkeitsglaube in der Neuzeit sowohl bei Dichtern (Gellert,
Klopstock, Novalis, Byron) als bei Philosophen (Kant und Fichte) aufgefaßt. Da diese Vorstellung auf der Voraussetzung
beruht, daß das geistige Sein entweder ein vom materiellen verschiedenes, oder im Gegensatz zu diesem als bloßer Erscheinung,
das allein wahre Sein sei, so trat ihr schon im 18. Jahrh. im franz.
Materialismus die Leugnung des Unsterblichkeitsglaubens in jeder Gestalt gegenüber.
Der neuere deutsche Materialismus meint sogar den naturwissenschaftlichen Beweis dafür antreten zu können, daß das geistige
Leben des Menschen nichts anderes sei als eine Funktion seiner körperlichen Organe, mit deren Zerstörung natürlich auch
die «Seele» und ihre Thätigkeit verschwinden müsse. Dem gegenüber wurde
von einzelnen Naturforschern und Philosophen wieder die PlatonischeVorstellung einer eigenen «Seelensubstanz»
geltend gemacht, die mit dem Leibe nur in vorübergehende Verbindung getreten sei. In anderer Weise suchten Leibniz und Herbart
durch ihre Monadenlehre für die der Seele Raum zu schaffen.
Die konsequente Aufhebung der dualistischen Anschauung in der Hegelschen Philosophie führte zwar wieder zu der
Lehre, daß der Geist die innerste Substanz alles Daseins sei, schien aber die Fortdauer des Individuums aufzuheben und eine
Rückkehr des individuellen Geistes in das Allgemeine zu fordern. Ausdrücklich wurde diese Meinung als diejenige
¶
mehr
Hegels vertreten in Richters«Lehre von den letzten Dingen», Bd. 1 (Bresl.
1833). Göschel dagegen, in den Schriften «Von den Beweisen für die der menschlichen Seele im Lichte der spekulativen Philosophie»
(Berl. 1335) und «Die siebenfältige Osterfrage»
(ebd. 1836),
suchte die Hegelsche Philosophie gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Auch C. H. Weiße («Die
philos. Geheimlehre von der des menschlichen Individuums», Dresd. 1831) und J. H. Fichte («Die Idee der Persönlichkeit und
der individuellen Fortdauer», Elberf. 1834: 2. Aufl., Lpz.
1856) versuchten eine philos. Begründung der Unsterblichkeitslehre, und Fechner unternahm einen ähnlichen Nachweis auf Grund
einer poetisch-phantasievollen Naturanschauung in seinem «Büchlein vom Leben nach dem Tode» (3. Aufl.,
Hamb. 1887) und im dritten Teile seines «Zendavesta, oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits»
(Lpz. 1851). Auf dem heutigen Stande der Forschung wird sich kaum verkennen lassen, daß ein philos. Beweis ebensowenig für
als gegen die geführt werden kann und daß auch die materialistische Bestreitung der keine wissenschaftlich
zwingende ist.
Vgl. Flügge, Geschichte des Glaubens an Auferstehung u. s. w. (3 Bde.,
Lpz. 1794-99);
Mitteilungen aus den merkwürdigsten Schriften der verflossenen Jahrhunderte über den Zustand der Seele nach
dem Tode, hg. von Hub.
Beckers (2 Hefte, Augsb. 1835-36); Jürg. BonaMeyer, Die Idee der Seelenwanderung
(Hamb. 1861): Schelling, Clara, oder Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt (2. Aufl., Stuttg.
1865): Alberti, Über die der Seele als persönliche Fortdauer des Menschen nach dem Tode (2. Ausg., Stett. 1865);
H. Ritter,
Unsterblichkeit (2. Aufl., Lpz. 1866): J. H. Fichte, Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen
(ebd. 1867);
Spieß, Entwicklungsgeschichte der Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode (Jena
1877): Schmick, Ist der Tod ein Ende oder nicht? (7. Aufl., Lpz. 1891):
ders., Die nachirdische Fortdauer der Persönlichkeit (ebd. 1891);
ders., Die der Seele naturwissenschaftlich und philosophisch
begründet (4. Aufl., ebd. 1892);
H. Sommer, Der christl. Unsterblichkeitsglaube (2. Aufl., Braunschw.
1891): E. Petavel-Olliff, Le
[* 9] problème de l'immortalité (2 Bde.,
Par. 1891 fg.; englisch von Freer in 1 Band,
[* 10] Lond. 1892): O. Riemann, Was wissen wir über die Existenz
und der Seele (4. Aufl., Magdeb. 1892);
G. Runze, und Auferstehung, Tl. 1: Die Psychologie des Unsterblichkeitsglaubens und
der Unsterblichkeitsleugnung (Berl. 1893);
Kaufmann, Die Jenseitshoffnungen der Griechen und Römer
[* 11] nach den Sepulcralinschriften
(Freib. i. Br. 1897).