Union
(lat.), Vereinigung,
Verbindung, namentlich der
Bund mehrerer
Staaten. Geschichtlich merkwürdig
sind namentlich die Kalmarische Union
vom (s.
Kalmar), die
Utrechter Union
vom (s.
Niederlande,
[* 3] Geschichte,
S. 149) und die Union
protestantischer
Fürsten und
Städte von 1608 zum
Schutz ihrer gemeinsamen Religionsinteressen (s.
Dreißigjähriger Krieg,
S. 132). In
Deutschland
[* 4] versuchte ferner
Preußen
[* 5] 1850 eine Union
der
Klein und Mittelstaaten unter preußischer
Führung, zu welchem
Zweck das
Erfurter Union
sparlament berufen ward (s.
Preußen, S. 374). Im staatsrechtlichen
Sinn versteht
man unter Union
die
Verbindung zweier
Staaten, welche unter einem und demselben
Souverän stehen (s.
Staat, S. 196).
Auf kirchlichem Gebiet bezeichnet Union
die Vereinigung verschiedener
Religions- oder Konfessionsparteien
zu Einer
Gemeinde oder
Kirche. Der
Trieb nach Beseitigung der kirchlichen
Spaltungen zieht sich (unter stetiger
Berufung auf
Joh.
10, 16;. 17, 21-23;
Eph. 4, 3-6). durch die ganze Geschichte der
Kirche hindurch. Während aber die
katholische Kirche bei ihren
Attributen der
Einheit, Allgemeinheit und Untrüglichkeit eine Union
nur durch das Aufgehen aller andern Kirchenparteien in ihrer
Gemeinschaft erstreben kann, erlaubt die evangelische
Kirche bei ihrer prinzipiell freiern
Stellung zum
Dogma, zu der kirchlichen
Verfassung und zu den gottesdienstlichen Einrichtungen eine Vereinigung zweier oder mehrerer Kirchenparteien innerhalb
eines gewissen gemeinsamen
Rahmens von Glaubensanschauungen und Kultuseinrichtungen unter einheitlichem
Kirchenregiment.
Die ältesten Unionsversuche bezweckten Vereinigung der griechisch- und römisch-katholischen Kirchen und sind meist von den griechischen Kaisern aus politischen Rücksichten ausgegangen. Schon die Verhandlungen auf der Synode zu Lyon [* 6] 1274 führten dazu, daß die Griechen den Primat des römischen Bischofs anerkannten; die Kirchenversammlung von Konstantinopel [* 7] 1285 nahm aber alle Konzessionen wieder zurück. Denselben Mißerfolg erntete seit 1439 das Florentiner Konzil [* 8] (s. d.), so daß die Zahl der »unierten Griechen« (s. d.) eine sehr geringe blieb. Dagegen gelang die Union der Katholiken mit den Maroniten (s. d.) und einem Teil der armenischen Kirche (s. d.). Neuerdings haben die sogen. Altkatholiken (s. d.) wieder den Gedanken einer Union der christlichen Kirchen, zunächst der beiden großen katholischen, ins Auge [* 9] gefaßt, und etliche Gelehrte vereinigten sich im August 1875 zu Bonn [* 10] über das Dogma vom Ausgang des Heiligen Geistes. - Noch entschiedener scheiterten die Unionsversuche mit den Protestanten zunächst auf allen Reichstagen im Reformationszeitalter, dann bei verschiedenen Religionsgesprächen (s. d.) zwischen den Katholiken und Evangelischen. Ebenso erfolglos blieben auch die Unionsvorschläge von Staphylus, Wicel ¶
mehr
und Cassander unter Kaiser Ferdinand I., wiewohl auch protestantische Gelehrte, wie Hugo Grotius (s. d.) und Georg Calixtus (s. d.), den Gedanken aufnahmen. Was 1660 der Kurfürst von Mainz, [* 12] Johann Philipp von Schönborn, mehreren evangelischen Fürsten als Unionsgrundlage anbot, lief auf Akkommodation an die katholischen Unterscheidungslehren hinaus. Ernstlicher waren die Vorschläge des von den Höfen begünstigten Rojas de Spinola (s. d.) gemeint, welchem lutherischerseits Molanus (s. d.) und Leibniz (s. d.) entgegenkamen. Diese verhandelten mit Bossuet (s. d.), welcher aber gleichfalls nur auf Nachgiebigkeit der Protestanten rechnete. Das Thorner Blutbad, die Bedrängung der Protestanten in Frankreich und in der Pfalz, welche Friedrich Wilhelm I. von Preußen und andre evangelische Reichsstände zu Repressalien veranlaßten, und die Salzburger Protestantenverfolgung zerstörten vollends jede Hoffnung auf das Gelingen künftiger Versuche. - Im Jahrhundert der Reformation versuchten Wittenberger und Tübinger Theologen vergeblich eine Union mit der griechisch-katholischen Kirche; nicht minder erfolglos waren im folgenden Jahrhundert die Bemühungen des Patriarchen Cyrillus Lukaris (s. d.) um eine Union mit der reformierten Kirche.
Aussichten auf Erfolg hatten von Anfang an nur die Versuche einer Union zwischen Lutheranern und Reformierten, da diese zwar über nicht wenige dogmatische Punkte, namentlich über den Sinn der Einsetzungsworte des Abendmahls und über die Gnadenwahl, voneinander abwichen, dafür aber durch die Gemeinsamkeit des über allen Dogmatismus hinausgreifenden protestantischen Prinzips verbunden waren. Schon 1529 veranstaltete der Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen [* 13] das Religionsgespräch zu Marburg [* 14] (s. Luther).
Aber die von Zwingli dargereichte Bruderhand stieß Luther von sich, und als nachher Melanchthon und seine Schüler an der Vereinigung fortarbeiteten, unterlagen sie dem Vorwurf des Kryptocalvinismus (s. d.). Nur vorübergehend hielt der 1570 geschlossene Vertrag von Sendomir vor (s. Dissidenten). Das zwischen sächsischen, hessischen und brandenburgischen Theologen 1631 zu Leipzig [* 15] gehaltene Religionsgespräch sowie auch das zu Kassel [* 16] 1661, welches der Landgraf Wilhelm V. zwischen den reformierten Theologen der Universität Marburg und den lutherischen zu Rinteln angeordnet hatte, bewiesen zwar die Möglichkeit einer Ausgleichung, und hervorragende Theologen, wie lutherischerseits Calixtus und reformierterseits Duräus, setzten die ganze Arbeit ihres Lebens für eine solche ein.
Aber der dogmatische Zelotismus zerstörte beständig die gemachten Ansätze. Aus Gründen der Politik sahen sich die reformierten, aber über ein lutherisches Volk herrschenden Hohenzollern [* 17] auf den Gedanken der Union der beiden evangelischen Konfessionen [* 18] hingewiesen. Friedrich I. von Preußen veranstaltete 1703 eine Unterredung lutherischer und reformierter Theologen in Berlin [* 19] (Collegium caritativum), allein die Errichtung einiger Unionskirchen und der Waisenhäuser zu Berlin und Königsberg, [* 20] in welchen sowohl ein lutherischer als auch ein reformierter Geistlicher unterrichten und das Abendmahl zugleich austeilen mußten, hatte ebensowenig den Fortgang der Vereinigung zur Folge als der zur Einführung der englischen Liturgie 1706 promulgierte Entwurf.
Als später König Friedrich Wilhelm I. sich bemühte, durch das Corpus Evangelicorum 1719 eine Union zu stande zu bringen, fanden die von den Tübinger Theologen Klemm und Pfaff proponierten 15 Unionsartikel so wenig Beifall, daß die Konsistorien zu Dresden [* 21] und Gotha [* 22] bei dem Reichstag zu Regensburg [* 23] nachdrücklich dagegen protestierten. Zwar wurde hierauf von Friedrich Wilhelm I. die Union wenigstens in seinem Reich realisiert, indem er selbst der calvinistischen Prädestinationslehre entsagte, dagegen die Annahme des reformierten Kultus forderte; aber schon Friedrich II. gab 1740 seinem Lande die alte Freiheit mit dem alten Kultus wieder zurück.
Das Reformationsjubiläum von 1817 gab der Union einen neuen Anlaß. In Preußen, wo Konsistorien und Universitäten schon seit Jahren beiden Konfessionen gemein waren, konnte die kirchenregimentliche Union ohne Schwierigkeiten vollzogen werden. Der König erließ eine die Übereinstimmung der Lutheraner und Reformierten im wesentlichen der Lehre [* 24] voraussetzende Aufforderung an die Geistlichkeit, die Union zu fördern. Dieselbe wurde nunmehr auch 30. und 31. Okt. zu Berlin und Potsdam [* 25] durch gemeinschaftliche Abendmahlsfeier vollzogen.
Ferner wurde die Union zu stande gebracht 1817 in Nassau, 1818 in Rheinbayern, 1819 in Anhalt-Bernburg, 1821 in Waldeck-Pyrmont und Baden, [* 26] 1822 in Rhein- und Oberhessen, 1823 auch in Darmstadt, [* 27] 1824 in Hildburghausen, [* 28] 1825 in Lichtenberg, 1827 in Anhalt-Dessau. Eine mächtige Reaktion erhob sich dagegen besonders in Preußen, als Friedrich Wilhelm III. 1822 eine neue Kirchenagende (s. Agendenstreit) den Widerstrebenden aufdringen wollte. Es entstand unter der Führung des Professors Scheibel (s. d.) zu Breslau [* 29] eine Partei, welche den Kampf gegen den Rationalismus in der Landeskirche einem Kampf gegen Union und Agende steigerte und die Annahme beider als Verrat betrachtete (s. Lutherische Kirche).
Friedrich Wilhelm IV. gestattete nicht bloß diesen Altlutheranern, selbständige Gemeinden zu bilden, sondern machte auch den lutherischen Sonderbestrebungen innerhalb der Landeskirche die weitgehendsten Zugeständnisse. Ein Erlaß von 1852 stellte die Zusammensetzung des Oberkirchenrats zu Berlin aus lutherischen, reformierten und unierten Mitgliedern fest sowie den Modus der Entscheidung durch Separation der Mitglieder (itio in partes) bei rein konfessionellen Fragen.
Gleichwohl lehnte ein Erlaß von 1853 ausdrücklich jede Absicht einer Störung der Union ab und ordnete zugleich an, daß der altlutherische Ritus beim Abendmahl nur auf gemeinschaftlichen Antrag des Geistlichen und der Gemeinde gestattet sein sollte; 1857 ward derselbe noch von der Genehmigung der Konsistorien abhängig gemacht. Eine 1856 auf Befehl des Königs zusammen tretende, aus 40 Vertrauensmännern bestehende Konferenz sprach sich gegen eine bekenntnislose Union aus.
Der Name der Union selbst aber ward durch einen königlichen Erlaß vom für die alten Provinzen Preußens [* 30] festgehalten.
Vgl. Hering, Geschichte der kirchlichen Unionsversuche (Leipz. 1836-1838, 2 Bde.);
Nitzsch, Urkundenbuch der evangelischen Union (Bonn 1853);
Julius Müller, Die evangelische Union (Halle [* 31] 1854);
Schenkel, Der Unionsberuf des evangelischen Protestantismus (Heidelb. 1855);
Wangemann, Sieben Bücher preußischer Kirchengeschichte (Berl. 1859-60, 3 Bde.);
Nagel, Die Kämpfe der evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen seit Einführung der Union (Stuttg. 1869);
Brandes, Geschichte der evangelischen Union in Preußen (Gotha 1872 bis 1873, 2 Bde.);
Finscher, Union und Konfession (Kassel 1873, 2 Bde.);
Mücke, Preußens landeskirchliche Unionsentwickelung (Brandenb. 1879).