Ungarische
Litteratur.
Die Litteratur
der
Ungarn
[* 2] ist eine verhältnismäßig sehr junge.
Ihre ununterbrochene
Existenz
und
Entwickelung erstreckt sich kaum über einen Zeitraum von 110
Jahren; sie datiert eigentlich erst vom Jahr 1772, und ihre
Geschichte bis zu diesem Jahr läßt sich in wenige Bemerkungen zusammenfassen. Als die
Magyaren um 894 aus
der südrussischen
Ebene in
Ungarn einbrachen, waren sie ein barbarisches Nomadenvolk ohne jegliche Litteratur
, mit Ausnahme
jener
Lieder und
Heldensagen, deren auch der wildeste
Stamm nicht völlig entbehrt.
Allein auch als sie in Ungarn seßhaft geworden waren, sich zum Christentum bekehrt und aus Deutschland, [* 3] Byzanz und Italien [* 4] eine ziemlich ansehnliche Kultur erhalten hatten, regte sich in ihnen noch wenig schöpferische litterarische Neigung. Alles, was von dem magyarischen Schrifttum bis zum 16. Jahrh., also binnen sieben Jahrhunderten des europäischen Daseins der Magyaren, auf uns gekommen ist, beschränkt sich auf eine »Grabrede« (»Halotti beszéd«, das älteste Sprachdenkmal der Magyaren, aus dem Ende des 12. oder dem Anfang des 13. Jahrh.),
auf ein Marienlied, auf ein
Gebet aus dem 13. Jahrh., ein
»Leben
der heil.
Margarete« (Tochter des Arpadenkönigs
Bela IV.), eine verifizierte
Biographie der heil.
Katharina von
Alexandria (mutmaßlich
eine Übersetzung) und einige fragmentarische
Bibelübersetzungen und
Schriften theologischen
Inhalts. Aus
dem Ende des 14. oder dem Anfang des 15. Jahrh. stammt das älteste historische
Lied über die »Geschichte der
Eroberung
Pannoniens
durch die
Magyaren«. Einen blühenden Aufschwung nahm die magyarische Litteratur
während der Reformationszeit. Im 16. Jahrh.
treten uns auch zum erstenmal zwei etwas deutlicher individualisierte Poetenphysiognomien entgegen: die
des
Sebastian Tinódy (Geburtsjahr unsicher, starb um 1559), eines fahrenden
Sängers, dessen
Lieder
Reimchroniken der
Kämpfe
Ungarns gegen die
Türken bilden, und des
Barons
Valentin Balassa (1551-94), der über den
Verfall
Ungarns klagte, und dessen Gedichte,
namentlich die jüngst entdeckten lyrischen »Blumengedichte«,
Feuer und
Leidenschaft,
Reichtum an
Phantasie
und Gewandtheit der
Sprache
[* 5] bekunden. In demselben
Jahrhundert gelangte die romantische
Dichtung, die
im
Westen bereits ausgelebt
hatte und gerade durch die unsterbliche
Satire des
Cervantes für ewige
Zeiten eingesargt worden war, nach
Ungarn, das so spät
eine ganze
Reihe von
Romanen und Gedichten entstehen sah, in welchen die alten
Ritter und Abenteuergeschichten
des frühen
Mittelalters zu einem wunderlich anachronistischen verspäteten Dasein wiedererwachten.
Diese Litteratur
, teils
Nachahmung, teils Übersetzung ohne jeden Wert, ohne jede Originalität und ohne das geringste nationale
Eigengepräge, war quantitativ nicht unansehnlich (»Geschichte der Gismunda«,
von
Georg Enyedi; »König
Voltér und
Griseldis« von
Peter Istvánfi; »König Argirus und die Feenjungfrau«
von
Albert Gergei;
»Schöne Geschichte von der
Freundschaft zweier edler
Jünglinge«, von
Kaspar
Veres; »Die schöne Magellone«
und
»Fortunatus«, beide von Heltai [?] und zahlreiche andre), und ihre einzelnen Werke erhielten sich zum Teil bis
in die Gegenwart als
Volksbücher, die in schlechten, billigen
Drucken auf allen
Jahrmärkten feilgeboten
werden.
Bemerkenswert ist endlich die Originaldichtung des Peter Ilosway über den halbhistorischen magyarischen Riesen und Volkshelden »Niklas Toldi« (1574) und die »Geschichte von Szilágyi und Hajmási« (1571), der ebenfalls ein historisches Faktum zu Grunde liegt. Das 17. Jahrh. produzierte den ersten namhaften Kunstdichter Ungarns, den Grafen Nikolaus Zrinyi (1616-64),
den Enkel des heldenmütigen Verteidigers von Szigetvár, dessen Hauptwerk, ein Epos in 15 Gesängen, »Obsidio Szigetiana« betitelt, die Verherrlichung der Waffenthat seines Ahns zum Gegenstand hat. Das Gedicht, das sich bemüht, Tassos »Befreites Jerusalem« [* 6] nachzuahmen, zeigt trotz seiner rohen, keiner Nüancierung fähigen Sprache dennoch an vielen Stellen Kraft [* 7] und Schwung. Zeitgenossen Zrinyis waren Baron Ladislaus Liszti (geboren um 1630, Todesjahr unbekannt),
der ein Epos: »Cladis Mohachina«, und Stephan Gyöngyösi (1620-1700),
der das Gedicht »Die
Venus von
Murány« schrieb, beides Werke, welche (wie das ihnen zum
Muster dienende
Heldengedicht
Zrinyis)
Episoden aus der ungarischen
Geschichte jener Zeit in oft banaler und handwerksmäßiger
Weise
behandeln. Neben diesen
Dichtungen brachte das 17. Jahrh. zahlreiche theologische Streitschriften hervor, unter
welchen die Werke des Gegenreformators
Pazmány (s. d.) die weitaus bedeutendsten sind. So gelangen wir ins 18. Jahrh.
Damals war es um das Geistesleben des magyarischen
Stammes traurig bestellt; die Türkenherrschaft, erst 1699 endgültig
beseitigt, hatte das Land als Einöde und in tiefster Barbarei zurückgelassen.
Die wenigen
Schulen, die diesen
Namen verdienten, waren ausschließlich in den
Händen der
Geistlichkeit. Die
Sprache der
Verwaltung,
der
Rechtspflege, des
Unterrichts war die lateinische, die Umgangssprache der höhern und mittlern
Klassen die deutsche oder
französische. Das magyarische
Idiom besaß weder eine wissenschaftliche noch eine schöngeistige Litteratur;
dennoch
gab es auch in dieser Zeit einige nennenswerte Dichter und Schriftsteller in ungarischer
Sprache.
So den namhaften
Lyriker
Franz Faludi (1704-79), den Kirchenliederdichter
Paul v. Ráday (1677-1733), den
Sänger weltlicher
Lieder
Baron
Ladislaus Amadé (1703-64) u. a. Auch blühte in dieser Zeit das magyarische
Schuldrama. Allerdings übten diese litterarischen Erzeugnisse nur geringen Einfluß auf die breitern
Schichten der
Gesellschaft.
Da erfolgte von andrer Seite ein kräftiger Reformversuch. Die
Kaiserin
Maria Theresia gründete (1760) die ungarische
adlige
Leibgarde,
¶
mehr
begabte junge Magyaren kamen als Gardisten nach Wien [* 9] und mit einer höhern Kultur in Berührung, sie lernten die Bildung und die Litteraturen des Westens kennen und empfanden erst angesichts dieser glänzenden Beispiele die tiefe geistige Erniedrigung, in die ihr Volksstamm gesunken war. Sie schämten sich ihrer Barbarei und beschlossen, die Regeneratoren ihres Volkes zu werden. Die Gardisten thaten sich zusammen und schufen in klarer, bestimmter Absicht eine magyarische Schriftsprache und eine magyarische Nationallitteratur.
Allerdings gab es unter diesen Gardisten keine wahren poetischen Talente; sie schrieben nicht, um einem dichterischen, sondern
um einem patriotisch-politischen Drang zu genügen, und sie beschränkten sich der Mehrzahl nach darauf,
die berühmtern Werke alter und neuerer fremder Schriftsteller in magyarischer Sprache mehr oder minder glücklich nachzuahmen.
Die nennenswertesten unter diesen verdienstvollen Gardisten, welche die Gründer der modernen magyarischen Litteratur
wurden,
sind Georg Bessenyei (1752-1811), Abraham Barcsay (1742-1806), Alexander Baróczy (1737-1809) u. a. Früh teilten sich die Gardisten
und ihre Gesinnungsgenossen außer der Garde in drei Schulen.
Die französische (Bessenyei, Barcsay, Anyos, Graf Joseph Teleki, Jos. Péczeli, Baróczy) ahmte Voltaire, Racine, Wieland etc. nach; die klassische (David Baróti Szabó, Nikolaus Révai, Joseph Rajnis, Ben. Virág) hielt sich an das Muster der Alten, und nur die volkstümliche (A. Dugonics, A. Palóci Horváth, Graf J. Gvadányi) machte den schüchternen Versuch, national und selbständig zu sein. Den ersten Bahnbrechern folgte eine Schriftstellergeneration, deren Hervorbringungen bereits wesentlich höher stehen.
Joseph Kármán (1771-98) schrieb seinen sentimentalen Roman »Fannys Hinterlassenschaft«, der Aufsehen erregte; Michael Csokonai (1773-1805) dichtete das komische Epos »Dorothea«, die Satire »Froschmäusekrieg«, einige Lustspiele, die Anlauf [* 10] zur Selbständigkeit nahmen, besonders aber lyrische Verse, welche im Munde des Volkes noch heute leben; endlich trat Alexander Kisfaludy (1772-1844) auf, dessen Sammlung lyrischer Gedichte: »Himfys Liebe«, für Ungarn epochemachend wurde, insofern hier zum erstenmal die pedantische konventionelle Schulpoesie verlassen und neben vielem Schwulst und Unnatürlichkeit manchmal doch der Ton wahren Gefühls angeschlagen wird.
Von großem Einfluß auf die weitere Entwickelung der ungarischen Litteratur
war Franz Kazinczy (1759-1831) und sein Kreis.
[* 11] Kazinczy,
wenig bedeutend als Poet, that sich als Reformator der noch wenig ausgebildeten magyarischen Sprache hervor. Die gleiche Richtung
(Entwickelung, Veredelung und Bereicherung des magyarischen Idioms) befolgten der Odendichter Daniel Berzsenyi
(1776-1836), der Lyriker M. Vitkovics (1778-1829), der Dramenübersetzer G. Döbrentei (1786-1851), der Dramendichter Karl
Kisfaludy (1788-1830), der eigentliche Begründer des magyarischen Kunstdramas, und der Ependichter Andreas Horváth (1778-1839).
Was diese Schriftstellergruppe (den sogen. Kazinczyschen Kreis) sowie deren Zeitgenossen Kölcsey, Andr. Fáy, Joseph Katona u. a.
charakterisiert, das ist der nahezu ausschließlich patriotische Inhalt ihrer Werke; der einzige Stoff, den sie in allen Dichtungsarten
behandeln, ist ihr Vaterland, dessen glorreiche Vergangenheit, dessen betrübende Gegenwart und herrliche Zukunft. Noch heute
hat sich die magyarische Litteratur
von diesem durch die politischen Verhältnisse der Zeit erklärten und
gerechtfertigten
engen Stoffkreis nicht gänzlich loszuringen vermocht, und noch immer selten sind bis zu diesem Tag die
magyarischen Werke geblieben, die sich von beschränktem Nationalismus zu freier allgemeiner Menschlichkeit emporheben.
Im 19. Jahrh. nimmt die u. L. einen kräftigen Aufschwung. Zu den bedeutendsten Leistungen derselben gehört die Tragödie »Bánk Bán« von Joseph Katona (1792-1830), welche bis heute noch als das hervorragendste dramatische Kunstwerk der Magyaren gilt. Großen Ruhm erwarb sich ferner Michael Vörösmarty (1800-1855),
den manche den größten Dichter Ungarns nennen,
mit dem Epos »Zaláns Flucht« (1824), während von seinen zahlreichen Dramen, poetischen Erzählungen und lyrischen Gedichten
nur die letztern höhern Wert besitzen. Im allgemeinen ist Vörösmarty mehr Rhetor als Dichter, seine
Stärke
[* 12] ist die Deklamation. Gregor Czuczor, Joseph Bajza, Johann Garay, Alex. Vachott (1818-61) sind andere Epiker und Lyriker dieser
Periode, deren bedeutendster Dichter indes Alexander Petöfi ist (1823-1849). Petöfi, dessen poetische Erzählung »Held János«,
eine vortreffliche volkstümlich humoristische Dichtung, dessen Roman »Der Strick des Henkers« und dessen
Drama »Tiger und Hyäne« wertlose, unreife Produkte sind, erhebt sich als Lyriker weit über seine Vorgänger und ist der erste,
dessen Gedichte wahr, natürlich, einfach und menschlich sind. Er ist neben Joseph Katona die erste Erscheinung in der magyarischen
Litteratur
, die mit dem Maßstab
[* 13] der Weltlitteraturen gemessen werden kann, und die neben den großen Namen
der letztern einen Platz beanspruchen darf. Noch bedeutender als Petöfi ist Johann Arany (1817-82), der bedeutendste ungarische
Balladen und Ependichter dieses Jahrhunderts. Vortreffliche Balladen dichteten auch P. Gyulai, Joseph Kiß (geb. 1843) und Ludwig
Tolnai (geb. 1837). Als Lyriker verdienen Michael Tompa, Franz Császár, Paul Jámbor (Pseudonym Hiador), Kol.
Lisznyay (1823-63), Johann Vajda (geb. 1827), Joseph Lévay (geb. 1825), Karl Szász, Emil Abrányi (geb. 1851), Alex. Endrödy
(geb. 1850) hervorgehoben zu werden; als Dramatiker sind Szigligeti, Czakó, Obernyik, Ludwig Dobsa (geb. 1824), Karl Hugo (Hugo
Bernstein,
[* 14] 1817-77), Kol. Tóth, Aloys Degré (geb. 1820), Joseph Szigeti (geb. 1822), Eduard Tóth, Gregor Csiky),
Eugen Rákosi (geb. 1842), L. v. Dóczy, Ludwig Bartók (geb. 1851) zu erwähnen.
Auf dem Gebiet des Romans thaten sich hervor: Freiherr Nik. Jósika (1794-1865), der »ungarische
Walter Scott« genannt, dessen
Romane auch in Deutschland viel gelesen wurden, ferner Ludwig Kuthy (1813-64; »Die Geheimnisse des Vaterlands«),
Baron Joseph Eötvös (1813-71; »Der Kartäuser«, unter dem Einfluß der Chateaubriandschen christlich-romantischen Sentimentalität
geschrieben; »Dorfgeschichten«, realistisch und voll Humor; »Der Dorfnotar« und »Ungarn im Jahr 1514«, satte, fleißige Gemälde
ungarischen
Lebens zu bestimmten Perioden), Baron Siegmund Kemény (1816-75), Moritz Jókai (geb. 1825), Paul
Gyulai (geb. 1826), Zoltan Beöthy (geb. 1848). Die letzten zwei Jahrzehnte haben außer einigen bedeutenden Werken Johann Aranys,
einigen Dramen, die einen gewissen Tageserfolg errangen, und einigen Romanen Jókais nur weniges hervorgebracht, was besonderer
Erwähnung verdiente und hoffen könnte, außerhalb Ungarns zu interessieren. Hierher gehört vor allem das
philosophische Drama »Die Tragödie des Menschen« von Emerich v. Madách (1823-1864), eine Dichtung, reich an erhabenen Gedanken
und
¶
mehr
poetischen Schönheiten. Ein hervorragendes Talent der Gegenwart ist Koloman Mikszáth (geb. 1849), dessen nordungarische
Dorfgeschichten
auch außerhalb Ungarns großen Beifall gefunden haben. Die lebende Schriftstellergeneration widmet sich fast ausschließlich
der Journalistik, und die Folge davon ist tiefer Verfall auf allen Gebieten der schönwissenschaftlichen Litteratur.
Diese
hat bisher nicht gehalten, was sie in den 40er Jahren dieses Jahrhunderts zu versprechen schien; den Namen
Eötvös, Petöfi, Arany, Jókai haben sich keine neuern von nur annähernd gleichem Klang angefügt.
Die wissenschaftliche Litteratur
Ungarns war bis ins 18. Jahrh. fast ausschließlich lateinisch, ja noch in der ersten
Hälfte unsers Jahrhunderts bedienten sich die Gelehrten in der Litteratur
wie in der Schule mit Vorliebe
der Sprache Roms. Die ersten magyarischen Geschichtswerke sind die chronikartigen Aufzeichnungen aus dem 16. Jahrh.
von Anton Verancsics, Franz Zay, Valentin Homonnai, Franz Wathai und die Chroniken von Stephan Székely und Kaspar Heltai. Im 17. Jahrh.
schrieb Emmerich
[* 16] Tököly Memoiren über mehrere seiner Feldzüge;
Fürst Johann Kemény und Niklas Bethlen verfaßten Autobiographien;
zahlreiche andre politische Persönlichkeiten von bedeutenderer Stellung zeichneten die Ereignisse auf, deren Zeugen sie waren;
die Chronik von Gregor Petheö, später von Nachfolgern fortgesetzt, blieb lange das einzige geschichtliche
Handbuch des ungarischen
Publikums. Im 18. Jahrh. ragen hervor: »Historie Siebenbürgens« von Mich. Cserey
und »Metamorphose Siebenbürgens«, ein sittengeschichtliches Werk von Peter Apor;
»Briefe aus der Türkei« [* 17] von Cl. Zágoni-Mikes, Sekretär [* 18] Franz Rákóczys II.;
ferner Esaias Budais »Geschichte von Ungarn« (erschienen 1805);
Franz Budais »Bürgerliches Lexikon«, die Biographien ausgezeichneter Ungarn enthaltend.
Unter dem Einfluß der Göttinger historischen Schule, dann der
Arbeiten der ungarischen
Historiker Georg Pray und Steph. Katona sowie der Arbeiten von Gebhardi, Feßler und Engel erwachte im
ersten Viertel des 19. Jahrh. in der Geschichtschreibung ein neuer Geist. Man begann mit großem Fleiß Daten zu sammeln, Kritik
und Quellenstudium wurden leitende Grundsätze. Georg Fehér, Nikolaus v. Jankovics, Baron Aloys Mednyánszky,
Johann Czech, Benedikt Virág, Stephan Horváth wirkten als Forscher oder eröffneten durch ihre Schriften neue Gesichtskreise.
Später thaten sich hervor: Paul Jászay, Graf Joseph Teleki (Geschichte der Hunyadys), Ladislaus v. Szalay und Michael Horváth mit bedeutenden Werken über die ganze Geschichte Ungarns und Spezialwerken über einzelne Partien und Persönlichkeiten;
Arnold Ipolyi (früher Stummer), Anton Csengery, Karl Szabó, Alexander Szilágyi, Franz Salamon (Geschichte Ungarns zur Zeit der
Türkenherrschaft u. a.), Koloman Thaly (Geschichte F. Rákóczys und seiner Zeit), Wilhelm Fraknói (früher Frankl; Biographie
Peter Pazmánys, Geschichte der ungarischen
Landtage u. a.), Julius Pauler, Wolfgang Deák, Max Falk (Biographien Széchényis und Ladislaus
Szalays) u. a. Einen bedeutenden Aufschwung hat die ungarische
Einzel-Geschichtsforschung
seit 1867 genommen, insbesondere durch die Wirksamkeit der Ungarischen
Historischen Gesellschaft, deren Organ: »Századok« (»Jahrhunderte«)
eine Fundgrube zahlreicher Spezialarbeiten und Daten ist.
Die Litteraturgeschichte ist hauptsächlich durch Franz Toldy (früher
Schedel) und Zoltán Beöthy, die Ästhetik durch A. Greguß, P. Gyulai, Z. Beöthy, Eugen Péterffy, Friedr.
Riedl u. a. vertreten. Der Beginn der rechts-, der staatswissenschaftlichen und politischen
Litteratur fällt gleichfalls ins 16. Jahrh. Das Tripartitum Verböczys erschien, von B. Veres ins Ungarische
übersetzt,
zuerst 1565. Aus dem 17. Jahrh. sind zu verzeichnen: P. Kitonich (»Leitfaden der Prozeßordnung«),
Paul Medgyesi (Werke über Kirchenverwaltung),
J. Fésüs (»Spiegel [* 19] der Könige«),
M. Teleki (»Fürstenseele«);
im 18. Jahrh. erregten Sam. Balia und Georg Aranka in Siebenbürgen mit ihren staatsrechtlichen Versuchen Aufsehen;
Elias Georch war der erste, der sämtliche ungarische
Gesetze in ungarischer
Sprache bearbeitete. Im 19. Jahrh. gaben die Reformbewegung und die staatsrechtlichen
Bestrebungen, die erst zur Gesetzgebung von 1848, dann zum Ausgleich von 1867 führten, der rechts- und
staatswissenschaftlichen Litteratur bedeutende Impulse. Zu nennen sind: Alexander Kövy, Paul Szlemenics, Ignaz Frank, Johann
Fogarassy, Theodor Pauler, Ignaz Udvardy, Stephan Szokolay, Franz Deák, Aurel und Emil Dessewffy, Joseph Eötvös u. a. Deák, die
Brüder Dessewffy und Eötvös sind zugleich Größen auf dem Felde der politischen Litteratur, deren epochemachender
Schöpfer Stephan Széchényi (»Kredit«, »Licht«,
[* 20] »Stadium«, »Ein Volk des Ostens« u. a.) war. In dessen Fußstapfen trat Nikolaus
Wesselényi.
Der Schöpfer der ungarischen
politischen Journalistik ist Ludw. Kossuth. Auf diesem Feld sind zu nennen: Graf Aurel
Dessewffy, Siegmund Kemény, Anton Csengery, Joseph Eötvös, Johann Török. Als politische Redner ersten Ranges
glänzen: Stephan Széchényi, Kossuth, Wesselényi, Kölcsey, Franz Deák, Joseph Lonovics, Aurel Dessewffy, Barth. Szemere, Gabriel
Kazinczy, Eötvös, Koloman Ghyczy, Paul Somssich, Balthasar Horváth, Desidor Szilágyi, Graf Albert Apponyi u. a. Der erste, der
eine philosophische Doktrin in ungarischer Sprache bearbeitete, war Johann Apáczai Cseri (»Ungarische Logik«,
1659). Vom Ende des 18. Jahrh. an ist eine große Zahl ungarischer Lehrbücher über Philosophie und Geschichte der Philosophie
zu verzeichnen, die jedoch meist Kompilationen deutscher und französischer Werke sind.
Die Naturwissenschaft gelangte in Ungarn erst in neuester Zeit, unterstützt durch die Mittel, welche die Regierung unmittelbar und mittelbar diesem Zweig der Wissenschaft zuwendet, zu bedeutenderer Pflege. Die geologische Landesanstalt, das meteorologische, das chemische, das physiologische und hygieinische Landesinstitut, die neue chirurgische Klinik (sämtlich in Budapest), [* 21] die Naturwissenschaftliche und die Geologische Gesellschaft sind ebenso viele Stätten wissenschaftlicher Thätigkeit.
Die Hervorragendsten, von denen zahlreiche Arbeiten vorliegen, sind: Joseph Szabó, Joseph Krenner, Max v. Hantken (Geologie); [* 22]
A. Jedlik, Roland Eötvös, Koloman Szily (Physik);
Petzval, Véß, Hunyady (Mathematik);
Konkoly (Astronomie); [* 23]
Abt Krueß, Guido Schenzl (Meteorologie);
Lenhossek (Anatomie);
Jendrassik (Physiologie);
Semmelweis (Geburtshilfe);
Balassa und Joseph Kovács (Chirurgie) u. a. Die Naturwissenschaftliche Gesellschaft gibt eine reichhaltige Zeitschrift und die bedeutendsten naturwissenschaftlichen Werke der europäischen Litteratur in Übersetzungen heraus.
Ein gleicher Aufschwung ist auf dem Felde der Nationalökonomie (J. ^[Julius = Gyula] Kautz, M. Lónyay, A. György u. a.), der Statistik (A. Konek, Keleti, J. Körösi, Johann Hunfalvy), der Geographie und Reiselitteratur (Johann und Paul Hunfalvy, Ladislaus Magyar, Joh. Xantus u. a.), der ¶
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Ungarische
Litteratur. Die Litteratur in der Sprache der Magyaren (s. d.) beginnt im 13. Jahrh. Aus der ältern Epoche ist außer Übersetzungen von Legenden und biblischen Büchern wenig erhalten. (S. Ungarische Sprache.) Im 16. Jahrh. trat eine Periode höherer Ausbildung der Litteratur ein, indem unter Ferdinand I. und Maximilian II. (1517–76) politische, vor allem aber religiöse Bewegungen ein geistiges Leben wachriefen, das für die Bildung des Volks und die Entwicklung seiner Litteratur fördernd sein mußte.
Die Reformation wirkte belebend auf alle Schichten. Durch den Gebrauch in den Religionsstreitschriften, in den Kirchen und Schulen, durch Kriegs- und Volkslieder bereicherte sich und erhob sich die ungar. Nationalsprache damals auf den Standpunkt, den sie bis Ende des 18. Jahrh. innehielt. Man beeiferte sich, das Volk über die Schicksale seiner ältesten und nächsten Vorfahren in seiner eigenen Sprache zu belehren. Dazu dienten die ungar. Chroniken, z.B. von Székely (1559), Temesvári (1569), Heltai (1572), Pethö, eigentlich Zrinyi (1660), Bartha (1664), Lisznyai (1692) u.a. Noch viel häufiger erschienen ungar. Übersetzungen der Heiligen Schrift, so von Komjáti (Krak. 1533), Pesti (Wien 1536), Erdösi oder Sylvester (Ujszigeth 1541), Heltai (Klausenb. 1546), Székely (Krak. 1548), von Juhász oder Melius (Debreczin [* 24] 1565), Félegyházi (ebd. ¶