die Versicherung gegen die Folgen persönlicher Unfälle, sowohl körperlicher Verletzungen als auch
des Todes. Diese Art der Versicherung hat eine hohe Bedeutung für den Arbeiterstand gewonnen. Wie die Besonderheiten des Arbeiterlebens
überhaupt zu verschiedenen Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen des privaten Versicherungswesens
zwingen (Zulässigkeit, Notwendigkeit des Zwanges, Schwierigkeit allgemeiner Durchführung schon wegen der Zahlungsunfähigkeit
bei Erwerbslosigkeit; Beiziehung von Arbeitgebern und zwar zum Teil schon aus dem Grund, weil der Lohn für die Prämienzahlung
nicht vollständig zureicht; besondere Vorzüge der genossenschaftlichen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Kassen
etc.), so sind solche Abweichungen insbesondere auch bei der Unfallversicherung geboten.
Ursache von körperlichen Verletzungen und Tötungen, welche während der Arbeit und in Verbindung mit derselben eintraten, kann
sein eine menschliche Verschuldung (eigne Schuld, Schuld Dritter, insbesondere des Arbeitgebers, eines Beamten oder Mitarbeiters),
oft aber auch liegt eine solche Verschuldung nicht vor, oder sie ist wenigstens nicht nachweisbar (Naturgefahren,
»Zufall«, »höhere Gewalt«). Nach römischem Recht und dem gemeinen Rechte der meisten Kulturländer erwächst bei Unfällen
ein Anspruch auf Entschädigung nur gegenüber demjenigen, welcher den Schaden verschuldet hat. So haftet der Arbeitgeber nur für
eigne Schuld und für diejenige seiner Leute, deren er sich bei dem Betrieb bedient, nur insofern, als
ihm eine Verschuldung bei Wahl oder Beibehaltung derselben zur Last fällt. Hierbei ist der Begriff der Verschuldung ganz bedingter
Natur, insbesondere abhängig unter anderm auch vom Stande der Technik, vom üblichen, Herkömmlichen etc. Dem Verletzten liegt
die Beweislast ob. Bei den meisten Unfällen wird er nichts erhalten und selbst dann leer ausgehen, wenn
die Verschuldung eines Haftpflichtigen zwar nachgewiesen werden kann, letzterer aber nicht zahlungsfähig ist.
Strenger als in den gedachten Ländern wird die Haftpflicht in Frankreich aufgefaßt. Hier wurde die römisch rechtliche Verschuldung
in der Auswahl und Überwachung der Leute schon im 18. Jahrh. dahin gedeutet,
eine solche Verschuldung sei immer von vornherein zu vermuten. Denn es sei Pflicht des Herrn,
sich überhaupt nur guter Arbeiter
zu bedienen. Diese für den Beschädigten günstigere Rechtsauffassung fand in erweitertem Umfang in der preußischen Eisenbahngesetzgebung
von 1838 Eingang.
Eine weitere Besserung in der Lage vieler Arbeiter in Deutschland wurde durch das Haftpflichtgesetz von 1871 bewirkt,
welches die Zahl der Fälle vermehrte, in denen dem Arbeiter ein Ersatz zugestanden wird. Bei Eisenbahnen haftet nach diesem
Gesetz der Betriebsunternehmer, wenn er nicht beweist, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eignes Verschulden des
Verletzten hervorgerufen wurde. Da ein derartiger Nachweis meist gar nicht oder nur schwer zu erbringen ist, so trugen die
Eisenbahnen die Schäden selbst, oder sie bildeten unter sich einen Unfallversicherungsverband mit Versicherung auf Gegenseitigkeit.
Weniger günstig wurde die Lage der Geschädigten bei Bergwerken, Steinbrüchen, Gräbereien und Fabriken. Hier wurde die
Haftpflicht nur in der Art erweitert, daß der Unternehmer nicht allein für eigne Schuld einstehen muß, sondern auch für
diejenige seiner Bevollmächtigen oder Vertreter, wie überhaupt der Personen, welche er für Leitung und Beaufsichtigung
des Betriebs oder der Arbeiter angenommen hat. Für alle übrigen Arbeiter kamen die Bestimmungen des gemeinen
Rechts in Anwendung.
Das genannte Haftpflichtgesetz gab den Anstoß zur Errichtung von Unfallversicherungsanstalten, welche sich ausschließlich
mit der Unfallversicherung als Kollektivversicherung befaßten oder dieselbe neben andern Versicherungszweigen betrieben,
nachdem freilich schon vorher die Einzelversicherung (insbesondere in der Form der Reiseunfallversicherung) als Ergänzung
der Lebensversicherung für Fälle vorübergehender Erwerbsstörung und der Invalidität vielfach vorgekommen
war. In Deutschland und der Schweiz gab es bald zwölf solcher Anstalten, darunter sechs Aktiengesellschaften und sechs Gegenseitigkeitsanstalten.
Von erstern befassen sich mit der Unfallversicherung vorzüglich die Magdeburger Allgemeine Versicherungsgesellschaft, die Kölnische Unfallversicherungsgesellschaft
und die Rhenania zu Köln, dann die Magdeburger Lebensversicherungsgesellschaft, die Schlesische zu Breslau und
die Viktoria zu Berlin. An Gegenseitigkeitsgesellschaften bestehen nur noch der Allgemeine Deutsche Versicherungsverein zu Stuttgart
und der Prometheus zu Berlin. Österreich hat eine Erste Allgemeine Unfallversicherungsaktiengesellschaft zu Wien, die Schweiz
zwei Gesellschaften zu Zürich
und Winterthur, welche neben der Baseler Lebensversicherungsgesellschaft und der Brüsseler Royale Belge
ihre Wirksamkeit auch auf Deutschland erstrecken.
Die Unfallversicherung war zum Teil eine Haftpflichtversicherung, indem sie nur solche Schäden berücksichtigte, für welche Unternehmer
auf Grund des Haftpflichtgesetzes ihren Arbeitern gegenüber haftbar waren, meist aber wurde im Interesse der Vereinfachung
und der Meidung von Prozessen die Ausdehnung auch auf die nicht haftpflichtigen Unfälle vorgezogen. Da kein
Zwang zur Versicherung bestand und die Unfallversicherung eine ungleichmäßige war, so wurde das Haftpflichtgesetz, welches
überdies nur für einen beschränkten Kreis von Arbeitern galt, bald als ungenügend empfunden (vgl. hierüber Haftpflicht,
S. 1004). Infolge hiervon wurde die Unfallversicherung der Arbeiter durch Reichsgesetze einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterzogen,
nachdem die Reichsregierung vorher, um brauchbare statistische Unterlagen zu schaffen, in den vier Monaten
August bis November 1881 aus 93,554 gewerblichen Betrieben mit 1,615,253
mehr
männlichen und 342,295 weiblichen Arbeitern statistische Erhebungen veranstaltet und damit den Grund zu einer umfangreichen,
in Zukunft weiter auszubauenden Unfallstatistik gelegt hatte. Zunächst erschien das (industrielle) Unfallversicherungsgesetz
vom 6. Juli 1884. Dasselbe erstreckt den Versicherungszwang auf Arbeiter und Betriebsbeamte und zwar auf letztere, sofern ihr
Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt 2000 Mk. nicht übersteigt, in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten,
Steinbrüchen, Gräbereien (Gruben), auf Werften und Bauhöfen, in Fabriken und Hüttenwerken, ferner in Unternehmungen, deren
Gegenstand die Ausführung von Maurer-, Zimmer-, Dachdecker-, Steinhauer- und Brunnenarbeiten ist, im Schornsteinfegergewerbe
sowie in allen sonstigen Unternehmungen, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft bewegliche Triebwerke
zur Verwendung kommen.
Durch Gesetz vom 25. Mai 1885 wurde die gesetzliche Unfallversicherung auf die großen Transportbetriebe des Binnenlandes sowie die Betriebe
des Heers und der Marine, der Speicherei, Kellerei etc., durch Gesetz vom 15. März 1886 auf Beamte und Personen des Soldatenstandes
ausgedehnt. Das Gesetz vom 5. Mai 1886 regelte hierauf Unfallversicherung und Krankenversicherung für die in land- und forstwirtschaftlichen
Betrieben beschäftigten Personen, das Gesetz vom 11. Juli 1887 die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen und endlich das Gesetz
vom 13. Juli d. J. diejenige der Seeleute und andrer bei der Seeschiffahrt beteiligter Personen.
Nach dem Gesetz von 1884 kann durch statutarische Bestimmung die Versicherungspflicht auch auf Betriebsbeamte
mit höherm Jahresarbeitsverdienst ausgedehnt werden, dann kann durch Statut bestimmt werden, daß und unter welchen Bedingungen
Unternehmer der versicherungspflichtigen Betriebe berechtigt sind, sich selbst oder andre nicht versicherungspflichtige Personen
gegen die Folgen von Unfällen zu versichern (fakultative Versicherung). Das Gesetz sieht von der Frage der
Verschuldung zunächst ab. Es schließt einen Anspruch des Verletzten nur dann aus, wenn derselbe den Betriebsunfall vorsätzlich
herbeigeführt hat.
Die Versicherung ist genossenschaftlich organisiert und zwar derart, daß Unternehmer, welche einem oder mehreren verwandten
Berufen angehören, mit der räumlichen Ausdehnung über das ganze Reich oder auch nur über Teile desselben
Berufsgenossenschaften bilden, welche innerhalb des gesetzlichen Rahmens ihre Angelegenheiten durch ein zu errichtendes Genossenschaftsstatut
regeln und dieselben durch Generalversammlung und selbstgewählten Vorstand verwalten.
Damit die Verwaltung nicht zu schwerfällig werde, können die Genossenschaften, welche sich über größere Bezirke ausdehnen,
durch Statut die Einteilung in Sektionen sowie die Einsetzung von Vertrauensmännern als örtliche Genossenschaftsorgane
vorschreiben, welche vorgekommene Unfälle untersuchen, insbesondere auch bei Aufstellung von Vorschriften zur Verhütung
von Unfällen thätig sein sollen. Die Gesamtzahl aller versicherten Personen bezifferte sich 1886 auf 3,725,313; es gab:
Berufsgenossenschaften
Reichs- und Staatsbetriebe
Zahl der Betriebe
269174
-
Zahl der versicherten Personen.
a) Unternehmer
2686
-
b) Durchschnittlich beschäftigte Betriebsbeamte u. Arbeiter
3467619
251878
c) Sonstige
3180
-
Im J. 1887 zählte man 62 Berufsgenossenschaften und 366 Sektionen mit 319,453 Betrieben und 3,861,560 versicherten Personen;
dazu kamen 47 Reichs- und
Staatsbetriebe mit 259,977 Personen. An Entschädigungen wurden 1887 bezahlt von
den Berufsgenossenschaften: 5,373,496 Mk., von den Kassen der Reichs- und Staatsbetriebe: 559,434 Mk. Nach der Zahl der versicherten
Personen waren die größten Genossenschaften mit mehr als 100,000 Personen die
Zahl der Betriebe
Zahl der versichert. Pers.
Knappschafts-Berufsgenossenschaft
1658
343707
Ziegelei-Berufsgenossenschaft
10135
174995
Zucker-Berufsgenossenschaft
455
127200
Sächsische Baugewerks-Berufsgenossensch.
7272
116987
" Textil-Berufsgenossenschaft
2721
116007
Norddeutsche Textil-Berufsgenossenschaft
2096
104942
Unter 14,000 Personen hatten die
Sächsische Holz-Berufsgenossenschaft
1031
13943
Bayrische Holzindustrie-Berufsgenossensch.
1855
13420
Westdeutsche Binnenschiffahrt-B.
2839
11935
Berufsgenossenschaft der Schornsteinfegermeister des Deutschen Reichs
3044
5452
Zur Wahrung ihrer Interessen haben die Genossenschaften einen Verband gebildet, welcher 1887 den ersten Genossenschaftstag
in Frankfurt a. M. abhielt.
Die Genossenschaften stehen unter staatlicher Aufsicht, und zwar wurde ein eignes Reichsversicherungsamt in Berlin errichtet,
welches aus drei ständigen, vom Kaiser ernannten Beamten, vier Mitgliedern des Bundesrats und je zwei Vertretern der Unternehmer
und der versicherten Arbeiter zusammengesetzt ist. Für Berufsgenossenschaften, deren Gebiet nicht über die
Grenze des Landes sich erstreckt, können besondere Landesversicherungsämter errichtet werden. Von dieser Befugnis haben Sachsen
und Bayern, neuerdings auch Baden, Württemberg und Mecklenburg Gebrauch gemacht.
Der gesetzliche Zwang kehrt sich nur gegen die Arbeitgeber, welche die Kosten der Versicherung zu tragen haben, und in deren
Händen auch die Verwaltung liegt. Die Genossenschaften erheben alljährlich postnumerando die nach Maßgabe
der Arbeiterzahl, der Lohnhöhe und der Gefahrenklasse bemessenen Beiträge auf dem Weg des Umlageverfahrens. Die Post besorgt
die nötigen Zahlungen verlagsweise ohne Anrechnung von Kosten. Außer dieser Beihilfe leistet das Reich eine solche noch insofern,
als leistungsunfähige Berufsgenossenschaften vom Bundesrat aufgelöst werden können und ihre Rechtsansprüche
und Verpflichtungen auf das Reich übergehen, bez. auf die Bundesstaaten, welche ein eignes Landesversicherungsamt errichtet
haben.
Die versicherten Arbeiter haben nur Rechte auf Entschädigung im Fall eintretender Verunglückung. Solche Entschädigungen gewährt
aber die Kasse der Berufsgenossenschaft erst nach Verlauf von 13 Wochen (Karenzzeit). In dieser Zeit haben
die Krankenkassen einzutreten mit der Maßgabe, daß das Krankengeld von der 5. Woche ab auf Kosten des Unternehmers um ⅓
erhöht wird. Die Leistungen der Genossenschaftskasse bestehen in Gewährung einer Rente im Betrag von 3 des letzten Jahresverdienstes,
welche bei nur teilweise verminderter Erwerbsfähigkeit entsprechend erniedrigt wird. Im Fall der Tötung
ist Ersatz der Beerdigungskosten, dann eine Rente an die Witwe im Betrag von 20 Proz. des Jahresverdienstes, an unerwachsene
Kinder (im Höchstbetrag von 60 Proz. an Witwen und Waisen zusammen), bez. auch an Aszendenten, deren einziger Ernährer der
Verunglückte war, zu gewähren. Der zu leistende Schadenersatz wird von den
mehr
Organen der Berufsgenossenschaft auf Grund vorausgegangener polizeilicher Untersuchung des Unfalls festgestellt, gegen diese
Feststellung kann Berufung an ein Schiedsgericht, zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der Genossenschaft und Vertretern der versicherten
Arbeiter unter Vorsitz eines öffentlichen Beamten bestehend, in schwereren Fällen noch Rekurs an das Reichsversicherungsamt
ergriffen werden. 1886 wurden an Verletzte Entschädigungen gewährt:
bei Berufsgenossenschaften
bei Staatsbetrieben
Erwachsene
männlich
9104
814
"
weiblich
332
3
Jugendliche unter 16 Jahren
männlich
224
-
"
weiblich
43
-
Zusammen:
9723
817
Das Haftpflichtgesetz ist zwar für die nach Maßgabe des Unfallversicherungsgesetzes versicherten Personen außer Kraft gesetzt,
doch bleibt es für alle übrigen Personen bestehen, dann für Betriebsbeamte mit mehr als 2000 Mk. Gehalt.
Demgemäß hat denn auch die Privatversicherung ihre Bedeutung nicht ganz eingebüßt. Die Unfallversicherung für
Arbeiter der Land- und Forstwirtschaft weicht von derjenigen für industrielle Arbeiter mehrfach ab. Durch Landesgesetzgebung
kann die Versicherungspflicht auch auf Unternehmer erstreckt werden.
Die als Entschädigung zu gewährende Rente wird nicht nach dem letzten Jahresverdienst des Verletzten, sondern nach dem durchschnittlichen
Verdienst land- u. forstwirtschaftlicher Arbeiter am Orte der Beschäftigung bemessen. Die Rente kann, wenn der Lohn herkömmlich
ganz oder zum Teil in Naturalien entrichtet wurde, ebenfalls in dieser Form gewährt werden. In den ersten 13 Wochen
nach Eintritt eines Unfalls hat die Gemeinde, sofern eine Krankenversicherung nicht vorliegt, für die Kosten des Heilverfahrens
aufzukommen. Die Versicherung erfolgt durch Berufsgenossenschaften, welche für örtliche Bezirke zu bilden sind. - Außer in
Deutschland besteht noch eine besondere Unfallgesetzgebung in England (Gesetz vom 7. Sept. 1880), in der Schweiz
(Gesetz vom 25. Juni 1881, abgeändert durch Gesetz vom 26. April 1887) und in Österreich (Gesetz vom 28. Dez. 1887). Nach dem österreichischen
Gesetz sind die versicherungspflichtigen Betriebe nur annähernd die gleichen wie nach dem deutschen Gesetz von 1884; im wesentlichen
erstreckt es sich auf den industriellen Gewerbebetrieb.
Die Versicherungsbeiträge werden nach einem von der Versicherungsanstalt aufzustellenden, staatlich zu genehmigenden Tarif
bemessen. 10 Proz. derselben fallen dem Versicherten, 90 Proz. dem
Unternehmer des versicherungspflichtigen Betriebs zur Last. Mit Rücksicht auf die Beitragsleistung der Arbeiter wurde die
Karenzzeit auf nur vier Wochen festgesetzt. Die Versicherung erfolgt durch territoriale, auf Gegenseitigkeit
beruhende Anstalten (Territorialsystem), neben welchen bei Erfüllung bestimmter Bedingungen als gleichberechtigt auch Privatanstalten
und Berufsgenossenschaften zugelassen sind. Auf die Verwaltung übt der Staat einen weiter gehenden Einfluß aus als in Deutschland.
Vgl. Mucke, Die tödlichen Verunglückungen im Königreich Preußen (Berl. 1880);
Woedtke, Kommentar zum Unfallversicherungsgesetz
(3. Aufl., das. 1888);
Derselbe, Die Unfallversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten
Personen (2. Aufl., das. 1888);
Just, Desgleichen (das. 1888);
Nienhold, Die Unfallversicherung (Leipz. 1886);
Döhl, Die Unfallversicherung (das. 1886);
Hahn,
Haftpflicht und
Unfallversicherung (das. 1882);
Schloßmacher, Die öffentlich-rechtliche Unfallversicherung im Zusammenhang mit der Sozialreform (Mind. 1886);
Ertl, Das österreichische Unfallversicherungsgesetz (Leipz. 1887);
Becker, Anleitung zur Bestimmung der
Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit nach Verletzungen (Berl. 1887);
Stupp, Handbuch zur Unfallversicherung (Sammlung der Verordnungen, Entscheidungen
etc., 3. Jahrg., Münch. 1888);
Schmitz, Sammlung der Bescheide, Beschlüsse und Rekursentscheidungen des Reichsversicherungsamtes
(Berl. 1888);
Lutscher, Die Unfall-Statistik der Berufsgenossenschaften und ihr Einfluß auf die Beiträge
der Mitglieder (Düsseld. 1889);
Platz, Die Unfallverhütungsvorschriften (Berl. 1889).
Zeitschrift: »Die Arbeiterversorgung« (hrsg.
von Schmitz, das., seit 1884), in welcher auch die Entscheidungen der Landesversicherungsämter veröffentlicht werden.
Das deutsche Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 hat sich im allgemeinen in der Praxis als
segensreich bewährt. Einige bei der Durchführung zu Tage getretene Mängel haben neuerdings das Reichsversicherungsamt
zu einer bezüglichen Umfrage bei den Berufsgenossenschaften veranlaßt, deren Resultat die Grundlage für eine Reform dieser
Gesetzesmaterie bilden wird; letztere dürfte indessen in der Reichstagssession 1890/91 nicht zu erwarten sein. Die Ergebnisse
der Unfallversicherung während des Jahres 1889 sind aus folgenden Tabellen ersichtlich.
A. Betriebe, Versicherte und Verletzte in den Jahren 1886,1887,1888 und 1889.
Jahr
Zahl der
Anzahl der versicherungspflichtigen Betriebe
Durchschnittszahl der versicherten Personen
Verletzte in versicherungspflichtigen
Betrieben bei entschädigungspflichtigen Unfällen
Bestand aus den Vorjahren
im Laufe des Jahres hinzugekommen
Hinterbliebene
der Getöteten
mit Erwerbsunfähigkeit von weniger als 13 Wochen
überhaupt Verletzte
darunter Getötete
1889
A. Gewerblichen Berufsgenossenschaften 64
372236
4742548
31726
22340
3382
7019
117209
B. Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften 48
4753808
8088698
640
6631
1368
2378
12911
C. Staatlichen Ausführungsbehörden 152
-
523283
2851
2027
433
1014
12551
D. Provinzialen u. kommunalen Ausführungsbehörden 133
20037
4
21
2
8
95
E. Versicherungsanstalten der Baugewerks-Berufsgenossenschaften 13
-
-
171
430
75
175
659
1889:
Generalsumme
5126044
13374566
35392
31449
5260
10594
143425
1888
-
-
10343678
20556
21236
3692
7764
116821
1887
-
-
4121537
7914
17102
3270
7083
98477
1886
-
-
3725313
177
10540
2716
5935
89619
B.
Lohnbeträge, Ausgaben und Reservefonds in den Jahren 1886,1887,1888 und 1889.
Jahr
In Anrechnung zu bringende Lohnbeträge der zu versichernden Personen
Ausgaben im Jahre 1889
Bestand des Reservefonds am Schluß des Jahres
überhaupt Mark
davon Entschädigungsbeträge Mark
Rücklagen zum Reservefonds Mark
Mark
1889
A. Gewerbliche Berufsgenossenschaften 2947138403,91 Mk.
29677028,11
12956410,32
12759213,66
41885866,37
B. Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften
1714327,80
678258,57
158163,10
171682,45
C. Staatliche Ausführungsbehörden
1427368,08
1383304,50
-
-
D. Provinziale und kommunale Ausführungsbehörden.
5963,17
4332,71
-
-
E. Versicherungsanstalten der Baugewerks-Berufsgenossenschaften -
398991,32
120255,62
69679,65
117350,96
1889:
Gesamtsumme
33223678,00
15142562,00
12987057,00
42174899,00
1888
-
26871881,68
9681447,07
12371950,62
28458600,23
1887
-
9732598,01
5932930,08
9935438,94
15720841,66
1886
-
10517383,85
1915366,24
5401878,06
5463099,20
mehr
Es kommen 1889 bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften auf 1000 Versicherte an Verletzten überhaupt (Tabelle A, Spalte 5 und
8): 29,42 (1888: 28,04), darunter solche, für welche Entschädigungen festgestellt wurden (Tabelle A, Spalte 5): 4,71 (1888:
4,4).
In den außerdeutschen Staaten hat die Unfallversicherung in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht; namentlich
sind es die Länder Österreich-Ungarn, Italien, die Schweiz und Frankreich, wo die Unfallversicherung neuerdings gesetzlich geregelt wurde oder
eine solche Regelung angestrebt wird.
In Österreich-Ungarn sind nach dem Gesetz, betreffend die Unfallversicherung vom 28. Dez. 1887, alle in Fabriken und Hüttenwerken, in Bergwerken
auf nicht vorbehaltene Mineralien, auf Werften, Stapeln und Brüchen sowie in den zu diesen Betrieben gehörigen
Anlagen beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamten gegen die Folgen der beim Betrieb sich ereignenden Unfälle versichert.
Als Arbeiter, bez. als Betriebsbeamte werden auch Lehrlinge, Volontäre, Praktikanten und andre Personen angesehen, welche wegen
noch nicht beendeter Ausbildung keinen oder einen niedrigern Arbeitsverdienst beziehen. Im Falle einer
Körperverletzung soll der Schadenersatz in einer dem Verletzten vom Beginn der fünften Woche nach Eintritt des Unfalls angefangenen,
für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Rente bestehen.
Die Rente beträgt: a) im Falle gänzlicher Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben 60 Proz. des Jahresarbeitsverdienstes,
b) im Falle teilweiser Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben einen Bruchteil jener Rente, welche
nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu bemessen ist, jedoch nicht über 50 Proz. des
Jahresarbeitsverdienstes betragen darf. Im Falle der Tod aus dem Betriebsunfall erfolgt ist, besteht der Schadenersatz außer
in den Leistungen, welche dem Verletzten für die Zeit vor dem Eintritt des Todes etwa gebühren, noch:
1) in den Beerdigungskosten, nach dem Gebrauch des Ortes, höchstens von 25 Gulden;
2) in einer den Hinterbliebenen des Getöteten, vom Todestag angefangen, zu gewährenden Rente, welche ähnlich wie die im
deutschen Unfallversicherungsgesetz festgestellte Rente berechnet wird. Zur Durchführung der ist in der
Regel für jedes Land in der Landeshauptstadt eine Versicherungsanstalt errichtet. Mitglieder dieser Anstalt sind die
Unternehmer der im Bezirk gelegenen versicherungspflichtigen Betriebe und die in denselben beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamten.
Der Vorstand der Anstalt besteht zu einem Drittel aus Vertretern der Betriebsunternehmer, zu einem Drittel
aus Vertretern der Versicherten und zu einem Drittel aus den mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Bezirks vertrauten,
vom Minister des Innern berufenen Personen. Die Versicherungskosten werden durch Beiträge aufgebracht, welche von den Mitgliedern
nach Maßgabe des von den Versicherten bezogenen Arbeitsverdienstes und unter Zugrundelegung eines Gefahrenklassentarifs
zu entrichten sind.
Ein Arbeitsverdienst, welcher den Betrag von 1200 Guld. für ein Jahr übersteigt, kommt nur mit diesem
letztern in Anrechnung. Von den Versicherungsbeiträgen fallen dem Versicherten 10 Proz., dem Unternehmer
des versicherungspflichtigen Betriebs 90 Proz. zur Last; letzterer muß beide Quoten bezahlen, hat aber das Recht, die Quote
des Versicherten von dem Gehalt oder Lohne desselben einzubehalten. Außerhalb des Gesetzes stehende berufsgenossenschaftliche
Versicherungsanstalten können nach ministerieller Genehmigung die Funktionen der staatlichen
Anstalten übernehmen. Die übrigen
Einrichtungen sind in gleicher oder ähnlicher Weise wie in Deutschland getroffen.
In Italien existiert als Hauptversicherungsanstalt die auf Grund des Gesetzes vom 8. Juli 1883 gegründete Nationalbank
für Versicherung der Arbeiter gegen Unfälle. Die Bank ist nicht staatlich, sondern der Staat hat sie nur ins Leben gerufen und
führt eine gewisse Aufsicht über ihre Thätigkeit, namentlich über die Feststellung der Prämiensätze. Ursprünglich haben 10 Geldinstitute
einen Garantiefonds von 1,500,000 Lire zugesichert und sich auch zur Tragung der Verwaltungskosten verpflichtet.
Der Dienst der Postsparkassen ist von der Regierung der Bank kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Zweck der Nationalbank ist,
gegen die Schäden zu versichern, welche den Arbeitern im Gebiete des italienischen Staates durch Unglücksfälle bei der Arbeit
entstehen. Die Versicherung ist individuell oder kollektiv; die Kollektivversicherung kann von den Arbeitgebern
allein, oder von den Arbeitgebern und Arbeitern, oder nur von Arbeitern ausgehen. Die Versicherung findet Anwendung auf solche
Unglücksfälle, welche den Tod des Versicherten, eine vollständige dauernde Arbeitsunfähigkeit, eine teilweise dauernde
Arbeitsunfähigkeit, endlich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben.
Überschüsse werden alle 5 Jahre zur Hälfte dem Garantiefonds zugewiesen, zur Hälfte an die Versicherten
verteilt, welche innerhalb dieses Zeitraums eine Entschädigung wegen vollständiger und dauernder Arbeitsunfähigkeit erhalten
haben. Am 1. Jan. 1889 hatte die Nationalbank 70,222 Versicherungen abgeschlossen. Diese geringe Entwickelung liegt teils in verschiedenen
Einrichtungen der Bank selbst, teils in der geringen Selbständigkeit derselben begründet.
Die Unfallversicherung wird in Italien ferner noch durchgeführt von privaten und kommunalen Instituten; unter letztern
ist besonders das 1883 in Mailand begründete Patronat für Versicherung von Arbeitern bei Unglücksfällen zu nennen. Die Anstalten
dieser Art haben sich verhältnismäßig viel günstiger entwickelt als die Nationalbank. Für eine obligatorische Staatsversicherung
herrscht in Italien wenig Meinung. Die Zahl der in Italien gegen Unfall versicherten Arbeiter wurde 1. Jan. 1889 auf
100,000 geschätzt.
Die Schweiz erstrebt seit mehreren Jahren eine Unfallversicherung nach deutschem Muster. Zu diesem Zwecke werden seit Ende 1887 auf die Dauer
von 3 Jahren alle Unfälle vermerkt, welche für Arbeiter im Alter von mehr als 14 Jahren den Tod oder eine
Erwerbsunfähigkeit von mehr als 6 Tagen zur Folge haben.
In Frankreich herrscht bezüglich der gesetzlichen Regelung der Unfallversicherung ein ähnliches Bestreben. Dort besteht nämlich auf Grund
des Gesetzes vom 11. Juli 1868 und unter Verwaltung der Depositenkasse eine Lebens- und Unfallversicherungskasse. Die
Versicherung bei derselben ist eine freiwillige und kann auf eine Summe bis zu 3000 Frank erfolgen. Die Kasse kennt keine Gefahrenklassen
und gewährt bei Erwerbsunfähigkeit, deren Grad durch ein aus Sachverständigen bestehendes Schiedsgericht bestimmt wird, dem
Verletzten den 320fachen Betrag der Prämie als Rente; letztere wird im Falle vollständiger Erwerbsunfähigkeit
aus Staatsmitteln um das Doppelte erhöht. Die Versicherungssumme wird bei der Altersrentenkasse in eine entsprechende Leibrente
umgewandelt. Die Hinterbliebenen erhalten eine Rente, welche die Höhe von zwei Jahresraten der dem Versicherten zugesprochenen
Leibrente erreichen kann.
mehr
Im J. 1887 waren etwa 25,000 Personen bei jener Kasse versichert. Seit dem Jahre 1881 sind dem Senat verschiedene Gesetzentwürfe
unterbreitet worden, welche die Unfallversicherung fruchtbringender gestalten sollen und unter anderm sich für Versicherungszwang aussprechen.
Der neueste Entwurf, welcher vom Senat im J. 1889 an die Kommission zurückverwiesen wurde, stellt eigentlich
mehr ein Haftpflicht- als ein reines Unfallversicherungsgesetz vor. Er bezweckt, die Arbeitgeber durch Bestimmungen über
die Haftpflicht zu zwingen, ihre Arbeiter zu versichern, und zwar entweder bei der im Entwurf projektierten Staatsanstalt oder
bei territorialen oder genossenschaftlichen Anstalten, oder endlich bei Privatanstalten für umfangreichere Betriebe. Bei
allen diesen Instituten ist eine Finanzverwaltung durch die Staatskasse in Aussicht genommen.
Zur Litteratur: Von Platz, Die Unfallverhütungsvorschriften, herausgegeben vom Verband der deutschen Berufsgenossenschaften,
erschien der 2, Band: »Vorschriften für Arbeiter« (Berl. 1889).
Vgl. ferner: Engelmann, Handbuch der gesamten Unfallversicherung für untere
Verwaltungs-, Ortspolizei- und Gemeindebehörden (Stendal 1890);
Piloty, Das Reichsunfallversicherungsrecht (Würzb. 1890).
die Versicherung gegen die nachteiligen Folgen von Unfällen, die den Körper eines Menschen betreffen,
vor allem gegen den gänzlichen oder teilweisen Verlust der Erwerbsfähigkeit oder den Tod. Sie erscheint
in zwei Arten:
1) als private, wenn eine Privatversicherungsanstalt die gegen eine nach dem Grade der Gefahr bemessene Prämienzahlung übernimmt;
sie ist regelmäßig gleichzeitig Kranken-, Invaliditäts- und Lebensversicherung. Erst seit Anfang der 70er Jahre ist sie
ein selbständiger Zweig des privaten Versicherungswesens, zuerst als Reiseunfallversicherung, die jetzt
sehr gebräuchlich ist und namentlich durch Aufstellung von Automaten mit Versicherungsbillets auf Bahnhöfen und auch unmittelbar
durch Ausgabe von mit verbundenen Fahrkarten geschieht, jetzt auch als allgemeine jedoch schließen die Versicherungsbedingungen
eine Reihe von Unfällen aus. In Deutschland bestehen einige zwanzig private Unfallversicherungsanstalten,
die aber fast alle noch andere Versicherungen pflegen. Da sie über ihr Unfallversicherungsgeschäft nur teilweise gesonderte
Rechnung legen, ist die Statistik unvollständig.
2) als öffentliche, d. h. im öffentlichen (socialpolitischen) Interesse eingeführte
Unfallfürsorge. Eine solche besteht nach dem Vorgang Deutschlands insbesondere für Arbeiter, nachdem sich die privatrechtlichen
Haftpflichtgesetze in dieser Richtung als unzureichend erwiesen (Arbeiterunfallversicherung).
I. Deutschland. Zwar bedeutete das Haftpflichtgesetz (s. d.) von 1871 einen
Fortschritt gegenüber dem bis dahin ausschließlich geltenden engherzigen Gemeinen Recht. Allein es trug eher zu einer Verschärfung
als zur Versöhnung der Gegensätze bei. Einmal ließ es gerade Unfälle, bei denen eine Verschuldung des Unternehmers und
seiner Beamten nicht nachgewiesen werden konnte oder überhaupt nicht vorhanden war, unberücksichtigt. Es nötigte ferner
in der Regel den armen, schneller Hilfe bedürfenden Verletzten oder dessen Hinterlassene erst zu langwieriger Prozeßführung,
und blieb in der Wirkung immer unsicher, mochte nun der Geschädigte eine Rente erstritten haben, deren Fortdauer von der
dauernden Zahlungsfähigkeit des Unternehmers abhing, oder mochte er sich mit Zahlung eines kleinen Kapitale zufrieden gegeben
haben, das in unerfahrenen Händen schnell genug aufgebraucht zu werden pflegte.
Aus diesen Gründen setzt die neue Unfallversicherungsgesetzgebung an Stelle des civilrechtlichen Schadensersatzanspruchs die
öffentlich-rechtliche Fürsorge, sorgt sicher, schnell und dauernd, bezieht sich gleichmäßig auf alle
Betriebsunfälle, mögen sie der Schuld des Unternehmers und dessen Beamten, dem Zufall oder gar der Fahrlässigkeit des Verletzten
zuzurechnen sein, und begreift
die Kosten des Heilverfahrens oder der Beerdigung in sich. Die Grundregeln der gegenwärtigen
Arbeiterunfallversicherung sind in dem (industriellen) Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 niedergelegt (seit 1. Okt. 1885 in
Kraft). An dieses schlossen sich das Ausdehnungsgesetz vom 28. Mai 1885 (seit 1. Juli 1886 in Kraft), welches die auf das Transportgewerbe,
Heer, Marine und die öffentlichen Verkehrsanstalten ausdehnte, das land- und forstwirtschaftliche Unfallversicherungsgesetz
vom 5. Mai 1886, das Bauunfallversicherungsgesetz vom 11. Juli 1887 und das Seeunfallversicherungsgesetz vom 13. Juli 1887 (beide
seit 1. Jan. 1888 in Kraft).
Hiernach unterliegen gegenwärtig dem Unfallversicherungszwange:
1) die industriellen Betriebe (als: Bergwerke, Steinbrüche, Gräbereien, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Hüttenwerke, Werften,
Bauhöfe, Fabriken, Motorenbetriebe) samt ihren Nebenbetrieben, ferner die Gewerbe der Schornsteinfeger, Maurer, Zimmerer,
Dachdecker, Weinbauer und Brunnenarbeiter;
2) der Betrieb der Post, Telegraphen-, Eisenbahn-, Marine- und Heeresverwaltungen, der Baggereibetrieb,
die gewerbsmäßigen Transportbetriebe (Fuhrwerks-, Binnenschiffahrts-, Flößereibetrieb u. s. w.), der Speditions-, Speicherei-
und Kellereibetrieb und die Hilfsgewerbe bei Handel und Schiffahrt;
3) die Land- und Forstwirtschaft, einschließlich der Kunst- und Handelsgärtnerei und der nicht unter 1 fallenden Nebenbetriebe;
4) alle Baubetriebe, insbesondere die Tiefbaubetriebe (gewerbsmäßige Ausführung von Eisenbahn-,
Wege-, Wasser-, Strom-, Kanal-, Deichbauten u. s. w.) und die sog. Regiebauten;
5) die großen Seetransportbetriebe. Ein die Ausdehnung der auf Handwerk, Handel, Hausindustrie und Kleingewerbe betreffender
Gesetzentwurf lag dem Reichstage 1894 vor; auch ein die Ausdehnung hauptsächlich auf den mit einem Handelsgewerbe verbundenen
Lager- und Fuhrwerksbetrieb, auf Seefischerei und kleine Seeschiffahrt, aber nicht Handwerk beabsichtigender,
dem Reichstage 1896/97 vorgelegter blieb unerledigt. Zweifel über die Versicherungspflicht entscheidet das Reichsversicherungsamt
(s. d.).
Die erstreckt sich auf die Arbeiter ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Lohnes, ferner auf die niedern Betriebsbeamten mit
einem Jahresverdienst bis zu 2000 M.; sie kann statutarisch auch auf höher gelohnte Betriebsbeamte,
sogar auf Betriebsunternehmer ausgedehnt werden, auch steht diesen in gewissen Grenzen das Recht zu, sich selbst zu versichern.
Die öffentliche beruht auf dem Princip des Versicherungszwanges. Die in einem unfallversicherungspflichtigen Betriebe beschäftigten
Personen sind mit Eintritt in die Beschäftigung und während deren Dauer ununterbrochen versichert, ohne
ihr Wissen und Zuthun, sind jedoch nicht Mitglieder der für die Zwecke der Versicherung gebildeten Körperschaften und tragen
unmittelbar zu deren Kosten nichts bei.
Die regelmäßigen Träger der Versicherung sind die Berufsgenossenschaften (s. d.), während in letzter Linie dem Reiche die
Vertretung etwaiger, von den Berufsgenossenschaften nicht zu erfüllender Ansprüche obliegt. Für Reichs-,
Staats- und Kommunalbetriebe ist die zum Teil unmittelbar dem Reiche, den Bundesstaaten und Gemeinden und Gemeindeverbänden
übertragen und erfolgt, ohne Vermittelung von Berufsgenossenschaften, durch Ausführungsbehörden.
mehr
Auf die ersten 13 Wochen vom Tage des Betriebsunfalls an gewährt die Berufsgenossenschaft nichts. Es besteht also zu ihren
Gunsten eine 13wöchige Karenz- oder Wartezeit (s. d.), innerhalb welcher die
ausschließliche Fürsorge den Krankenkassen obliegt. Auch nach Ablauf dieser Frist bis zur Beendigung des Heilverfahrens können
die Kassen veranlaßt werden, die Kur und Pflege auf Kosten der beteiligten Berufsgenossenschaft fortzuführen.
Andererseits sind die Berufsgenossenschaften befugt, auch schon vorher das Heilverfahren zu übernehmen.
Personen, welche zwar unfalls-, aber nicht krankenversicherungspflichtig sind (z. B.
vorübergehend Beschäftigte), haben dem Betriebsunternehmer gegenüber für die ersten 18 Wochen Anspruch auf die Leistungen
der Gemeindekrankenversicherung des Beschäftigungsortes. Außerdem ist bei allen Betriebsunfällen das
Krankengeld des Verletzten von Beginn der 5. Woche von 50 Proz. des zu Grunde liegenden Lohnes auf 66⅔ Proz. zu erhöhen,
die Differenz fällt dem Unternehmer zur Last. Das Sterbegeld beträgt das Zwanzigfache des Tagesverdienstes im letzten Beschäftigungsjahre,
die Rente wird nach Prozenten des Jahresarbeitsverdienstes berechnet.
Die Kosten der werden von den Betriebsunternehmern getragen und innerhalb einer jeden Berufsgenossenschaft alljährlich durch
das Umlageverfahren (s. d.) erhoben. Die Gesamtbedürfnisse einer Genossenschaft
setzen sich zusammen aus den jährlich zu zahlenden Heilkosten, Renten und Sterbegeldern, aus den Spesen der Verwaltung und
aus einem zur Bildung des Reservefonds zurückzulegenden Betrag, der sich bis zum 11. Jahr allmählich
vermindert und dann gänzlich wegfällt.
Sie werden den Genossenschaftsmitgliedern nach Maßgabe der Zahl ihrer Arbeiter, der Höhe der gezahlten Löhne und der Gefahrenklassen,
denen die Arbeiter zugeteilt sind, anteilig berechnet und postnumerando erhoben. Nur bei der Tiefbau-Berufsgenossenschaft ist
statt dessen das Kapitaldeckungsverfahren (s. d.) und bei
den «Versicherungsanstalten» der Baugewerks -Berufsgenossenschaften das Prämienreserveverfahren (s. d.) eingeführt.
Die Postverwaltungen haben alle Bezüge an die Verunglückten oder deren Hinterlassenen vorschußweise und zwar zinsfrei zu
zahlen. In dieser zinsfreien Vorschußleistung so beträchtlicher Summen und in der kostenlosen Besorgung dieses Geschäfts
besteht die Teilnahme des Reichs an den Lasten der
Durch diese erheblichen Opfer, welche der einzelne Betriebsunternehmer der zu bringen hat, ist er bei ordnungsmäßiger Verwaltung
seines Betriebes gegen Ansprüche seiner Arbeiter aus Betriebsunfällen gedeckt. Das Haftpflichtgesetz ist jedoch nicht völlig
durch die neue Gesetzgebung beseitigt. (S. Haftpflichtsgesetze.) Außerdem besteht es für alle Dritten, nicht
zu den Arbeitern des betreffenden Betriebes gehörenden Personen, für alle nicht versicherungspflichtigen Betriebsbeamten
u. s. w. fort.
Die Mitwirkung der Arbeiter bei der Verwaltung der ist, ihrer finanziellen Beteiligung entsprechend, gering; sie nehmen an den
polizeilichen Unfalluntersuchungen, an den Verhandlungen über den Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften (s. d.) sowie an den
Schiedsgerichten und dem Reichsversicherungsamt (s. d.) teil
und zwar durch Vertreter, die für die landwirtschaftliche Behördlich ernannt, im übrigen durch die Krankenkassenvorstände
gewählt
werden.
Im J. 1896 waren bei 112 Berufsgenossenschaften und 400 Ausführungsbehörden über 18 Mill. Personen versichert; neue entschädigungsberechtigte
Unfälle traten 86 520 ein. Die Gesamtentschädigungen (also auch für Unfälle früherer Jahre) betrugen 1896 etwa
57,3 Mill. M. (gegen 44,9 im J. 1895, 1,9 im J. 1886). Die Zahl der Empfänger (Verletzte und Hinterbliebene) betrug 452 953.
II. Ausland. Nur in Österreich und Norwegen (Gesetz vom 23. Juli 1894, in Kraft seit 1. Juli 1895) besteht bis jetzt eine Arbeiterunfallversicherung
nach deutschem Muster. Das österreichische Unfallversicherungsgesetz vom 28. Dez. 1887, im ganzen dem deutschen nachgebildet,
umfaßt hauptsächlich die Großindustrie, das Ausdehnungsgesetz vom 20. Juli 1894 fügte hauptsächlich Transport- und Transporthilfsgewerbe,
aber auch Berufsfeuerwehren u. s. w. hinzu. Träger der sind territoriale, auf Gegenseitigkeit beruhende Versicherungsanstalten
unter staatlicher Aufsicht.
Daneben sind Berufsgenossenschaften und Privatinstitute zugelassen. Die Feststellung der Renten erfolgt
endgültig durch Schiedsgerichte ohne centrale Oberinstanz, die Auszahlung durch Postsparkassen (s. d.).
Kapitalabfindung ist zulässig. Die Kosten werden nach dem Kapitaldeckungsverfahren zu 90 Proz.
von den Unternehmern und zu 10 Proz. von den Arbeitern aufgebracht. Sämtliche Betriebe sind nach Prozentsätzen in 12 Gefahrenklassen
geteilt; die Einreihung in diese Klassen geschieht durch die Regierung, die zu zahlenden Prozentsätze
stellen die Versicherungsanstalten fest. - Ein finländisches Gesetz vom 5. Dec. 1895 verpflichtet die Arbeitgeber, ihre Arbeiter
gegen Betriebsunfälle entweder bei einer staatlichen oder einer in- oder ausländischen Anstalt zu versichern. Am nächsten
der Verwirklichung einer Arbeiterunfallversicherung stehen dann die Schweiz (eine staatliche Versicherungsanstalt,
deren untere Ausführungsorgane die örtlichen Krankenkassen sein sollen), Holland und Italien. In Frankreich wird die Frage
schon seit 16 Jahren behandelt. Spanien (1895), England (1896) und Rußland streben nur nach Erweiterung des privaten Haftpflichtrechts.
S. auch Arbeiterversicherung, Berufsgenossenschaft, Reichsversicherungsamt.
Litteratur. Kommentare zu den deutschen Unfallversicherungsgesetzen von Freund, Fuld, Gräf, Landmann,
Mugdan, Rasp, von Rohr, Rumpelt, Trutzer, von Woedtke, Zeller u. a. m. Systematische Bearbeitungen: Piloty, Das Reichs-Unfallversicherungsrecht
(3 Bde., Würzb. und Dresd. 1890-93);
Handbuch der (hg. vom Reichsversicherungsamt, 2. Aufl., Lpz. 1897);
Amtliche Nachrichten des Reichsversicherungsamtes (Berlin 1885 fg.);
Die Arbeiterversorgung (ebd. 1884 fg.);
Die Berufsgenossenschaft (ebd. 1886 fg.);
Riesenfeld, Das besondere Haftpflichtrecht (ebd. 1894);
Weyl, Lehrbuch des Reichsversicherungsrechts
(Lpz. 1894);
Menzel, Die Arbeiterversicherung nach österr.
Recht (ebd. 1893);
Kaan, Erkenntnisse und Bescheide der Unfallschiedsgerichte
(Wien 1895);
Artikel im «Österr. Staatswörterbuch», Bd. 2 (ebd.
1896);
Bödiker, Die Unfallgesetzgebung der europ. Staaten (Lpz. 1884);
ders., Die Arbeiterversicherung
in den europ. Staaten (ebd. 1895).