Umbrien
(Umbria), s. Umbrer.
Umbrien
23 Wörter, 178 Zeichen
Umbrien
(Umbria), s. Umbrer.
(spr. -ruhdscha), Provinz und selbständige Landschaft (compartimento) des Königreichs Italien, [* 3] welche auch den Namen Umbrien führt und aus der ehemaligen Delegation Perugia des Kirchenstaats sowie aus den damit vereinigten Delegationen Orvieto, Rieti und Spoleto gebildet wurde. Sie umfaßt 9633 qkm, nach Strelbitsky 9474 qkm (172,1 QM.), mit (1881) 572,060 Einw. (60 auf das QKilometer) und ist größtenteils gebirgig, umfaßt aber auch größere Ebenen, ausgefüllte Seebecken, wie die um Rieti und Foligno.
Die Gebirge gehören den westlichen Verzweigungen des römischen Apennin und den Sabiner Bergen [* 4] an. Der Hauptfluß ist der Tiber, welcher hier den Chiascino mit Clituno ^[richtig: Chiascio mit Clitunno] und Topino, die Nera mit Velino und Turano und die Paglia aufnimmt. Das Land enthält mehrere Seen, darunter den Trasimenischen See (s. d.). Die reichbewässerten Thäler bringen Getreide [* 5] (1886: 2,1 Mill. hl Weizen, 1,6 Mill. hl Mais) u. Hülsenfrüchte (1885: 124,577 hl), Wein (Olivetano, 1886: 1 Mill. hl), Maulbeer-, Öl- und Obstbäume hervor; die gebirgigen Gegenden sind reich an guten Weiden, welche die Viehzucht [* 6] begünstigen.
Unter den Produkten des Mineralreichs sind Marmor, rote Töpfer- und Porzellanerde, Bausteine, Eisenerz und Kohle zu erwähnen; auch zählt man einige Mineralquellen. Die Industrie beschränkt sich auf Seidenmanufaktur, dann auf Eisenhüttenwerke (Terni), Papierfabriken etc. Die Provinz wird von den zwei Bahnlinien von Florenz [* 7] nach Rom [* 8] durchschnitten, die hier zusammenlaufen, und an deren östliche sich in Foligno die Bahn nach Ancona [* 9] (mit der Abzweigung von Terni nach Pescara) anschließt. Sie zerfällt in die sechs Kreise: [* 10] Foligno, Orvieto, Perugia, Rieti, Spoleto, Terni.
Die gleichnamige Hauptstadt liegt amphitheatralisch auf einer 520 m ü. M. sich erhebenden Anhöhe am Tiber und an der Eisenbahn Florenz-Foligno-Rom, ist gut gebaut, von alten Mauern umgeben, hat große Vorstädte und 10 Thore. Die ehemalige Citadelle wurde 1848 vom Volk zerstört und geschleift. Die frühern Festungsgräben sind in schöne Spaziergänge umgewandelt worden. Die gesunde Lage und Sauberkeit der Stadt wie ihre Kunstschätze und die Intelligenz der Bevölkerung [* 11] ziehen viele der in Rom lebenden Fremden im Sommer herbei.
Die hervorragendsten Stadtplätze sind: die Piazza Grimana mit dem malerischen Triumphbogen des Augustus (dem besterhaltenen und größten der alten etruskischen Thore von Perugia, s. Tafel »Baukunst [* 12] V«, [* 13] Fig. 4);
der den Dom umgebende Platz mit der Bronzestatue des Papstes Julius III. und dem schönen dreischaligen Springbrunnen (Fonte maggiore) von 1277, mit reichen Skulpturen von Niccolò und Giovanni Pisano, und die Piazza Vittorio Emmanuele, welche einen herrlichen Ausblick gewährt.
Unter den Straßen ist der breite und palastreiche Corso zu erwähnen, welcher den Domplatz mit der Piazza Vittorio Emmanuele verbindet und das hoch gelegene Zentrum der Stadt ausmacht. Die bedeutendsten Kirchen von Perugia sind: die Kathedrale San Lorenzo, ein gotisches Gebäude des 15. Jahrh. mit bemerkenswerten Gemälden und Kunstwerken;
San Domenico, mit dem Grabmal Benedikts XI. von Giov. Pisano und prächtigem Glasfenster von 1402;
die Basilika [* 14] San Pietro fuori di mura (angeblich im 6. Jahrh. gegründet), dreischiffig, mit antiken Granit- und Marmorsäulen, vielen Gemälden, schönem Stuhlwerk etc.;
das Oratorium von San Bernardino, mit zierlicher Fassade der Frührenaissance;
Sant' Angelo, ein merkwürdiger, alter Bau, von außen 16eckig mit gotischem Portal, im Innern cylindrisch mit 16 antiken korinthischen Säulen; [* 15]
San Severo, ehemalige Klosterkirche der Kamaldulenser, mit Freskobild von Raffael.
Andre hervorragende Gebäude sind: das Stadthaus (Palazzo pubblico), in italienisch-gotischem Stil, 1281 im Bau begonnen, mit einem Portal gegen den Domplatz und einer Fassade mit schönem Rundbogenportal gegen den Corso;
il Cambio, ehemals Gerichtssaal der Wechslerzunft, 1453-57 erbaut, mit berühmtem Freskencyklus von Perugino;
das Universitätsgebäude;
die Privatpaläste Conestabile und Baldeschi;
die Maestà delle Volte hinter dem Dom, ein grandioser Rest des einstigen Palazzo del Podestà und Bischofsresidenz;
das ehemalige Haus des Pietro Perugino, wo der zwölfjährige Raffael dessen Unterricht genoß. Perugia zählt (1881) 17,395, als Gemeinde 51,354 Einw. Die geringfügige Industrie der Stadt liefert Woll- und Seidenstoffe, Wachskerzen und Liköre;
der Handel hat landwirtschaftliche Produkte und Vieh zum Gegenstand.
Die Stadt besitzt eine 1307 gestiftete freie Universität mit drei Fakultäten (Jurisprudenz, Medizin, Mathematik und Naturwissenschaften), Bibliothek, botanischem Garten [* 16] und meteorologischem Observatorium. Andre Bildungsanstalten sind: ein Lyceum, Gymnasium, eine technische Schule, Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt, eine Akademie der schönen Künste mit Malerschule, die Gemäldesammlung im Stadthaus (Pinacoteca Vanucci), welche für die Kenntnis der umbrischen Malerschule unerläßlich ist, eine archäologische Sammlung in der Universität (mit etruskischen, römischen und mittelalterlichen Werken), ein naturhistorisches Museum, eine reiche Kommunalbibliothek und 4 Theater. [* 17]
Außerdem hat eine Volksbank, eine Filiale der Nationalbank, ein altes Leihhaus, ein Irrenhaus und andre (zusammen 15) Wohlthätigkeitsanstalten. Perugia ist der Sitz der Präfektur, eines Bischofs, eines Appellhofs, eines Tribunals, einer Finanzintendanz und zweier Präturen. In der nächsten Umgebung von an der Straße nach Rom, liegt die 1840 entdeckte Nekropolis (Grotta dei Volumni) mit etruskischen Grabkammern, vielen Aschencisten mit Reliefs (namentlich der Familie Volumnia) und andern Antiquitäten der etrusk. Zeit.
Geschichte. Perugia hieß im Altertum Perusia und war eine der Zwölfstädte Etruriens. 310 v. Chr. wurde es vom römischen Konsul Q. Fabius nach harter Belagerung erobert. Die zweite Eroberung erfuhr die Stadt, als in dem nach ihr benannten Perusinischen ¶
Krieg (41-40 v. Chr.) Lucius Antonius, Bruder des Triumvirs M. Antonius, nach seiner Erhebung gegen Oktavian sich hierher zurückzog und von demselben belagert wurde. In der eng eingeschlossenen Stadt brach eine so furchtbare Hungersnot aus, daß der »perusinische Hunger« (fames Perusina) sprichwörtlich wurde. Nachdem die Stadt kapituliert hatte, ließ Oktavian 300-400 vornehme Perusiner 15. März 40 am Altar [* 19] des G. Cäsar hinschlachten. Die zur Plünderung verdammte Stadt wurde von einem ihrer angesehensten Einwohner, Cestius Macedonicus, selbst angezündet.
Durch Augustus wieder aufgebaut, erhielt die Stadt den Namen Perusia Augusta und bildete einen der festesten Orte. Zum zweitenmal ward sie von dem Gotenkönig Totilas 546 erobert und zerstört. Nachdem sie von Narses wieder für Ostrom erobert worden, fiel sie 568 in die Gewalt der Langobarden, 774 Karls d. Gr., dessen Sohn Ludwig der Fromme sie dem Papst schenkte. Doch behielt Perugia seine selbständige bürgerliche Verwaltung, um deren Leitung sich verschiedene Parteien, wie die Rasparti, Oddi und Baglioni, mit wechselndem Erfolg stritten. 1416 bemächtigte sich Andrea Braccio di Montone der Herrschaft und führte sie weise und mild.
Nach seinem Tod fiel die Stadt an den Papst zurück und verlor damit ihre politische Bedeutung, erlangte aber später um so größere Wichtigkeit in der Malerei durch eine Reihe großer Meister der berühmten umbrischen Malerschule. 1543 wurde Perugia vom Papst völlig unterjocht und nach Errichtung einer Citadelle von Kardinallegaten regiert. Die 1553 von Julius III. verliehene städtische Verfassung gewährte ihr nur eine scheinbare Freiheit. 1832, 1838 und 1854 litt die Stadt sehr durch Erdbeben. [* 20] Im Juni 1859 brach hier ein Aufstand zu gunsten eines Anschlusses an Piemont aus, welcher aber 20. Juni von päpstlichen Truppen unter Oberst Schmidt auf die blutigste Weise unterdrückt wurde. Ende 1860 fiel die Stadt mit der ganzen Delegation an Italien.
Vgl. Bonazzi, Storia di Perugia (Perugia 1875-79, 2 Bde.).