Titel
Ulm.
[* 3]
1) Oberamt im württemb. Donaukreis, hat 415,33 qkm und (1895) 61865 (32649 männl., 29216 weibl.) E. in 3 Stadt- und 34 Landgemeinden. (Vgl. Beschreibung des Oberamtes hg. vom königl. Statistischen Landesamt, 2 Bde., Stuttg. 1897.) -
2) Hauptstadt des württemb. Donaukreises, Oberamtsstadt im Oberamt und Festung,
[* 4] gegenüber von
Neu-Ulm (s. d.), am linken Ufer der Donau, die hier die Iller und
Blau aufnimmt und für kleinere Fahrzeuge schiffbar wird,
in einer schönen und fruchtbaren Ebene, am Fuße der östl.
Ausläufer der Schwäbischen
Alb, liegt an den Linien
Stuttgart-Ulm-Friedrichshafen
(197,6 km), Mergentheim-Crailsheim-Ulm
(168,6 km), Ulm-Immendingen (145 km) der Württemb.,
Ulm-München
(146,4 km) und
Ulm-Kempten (87,4 km) der Bayr. Staatsbahnen,
[* 5] ist Sitz der Kreisregierung, des Oberamtes,
eines Landgerichts (Oberlandesgericht
Stuttgart)
[* 6] mit acht
Amtsgerichten
(Blaubeuren, Ehingen, Geislingen,
Göppingen,
[* 7]
Kirchheim
unter
Teck, Laupheim,
Münsingen, eines Amtsgerichts, Geueralsuperintendenten, Hauptzollamtes, einer Reichsbanknebenstelle,
Handels- und Gewerbekammer, eines Gouvernements, einer Kommandantur, der Kommandos der 27. Division, 53. und 54. Infanterie-
und 27. Kavalleriebrigade, einer Fortifikation, eines
Artilleriedepots und
Bezirkskommandos, und hat (1895) 39304 (22154 männl., 17150 weibl.)
E., darunter etwa 9900 Katholiken und 670 Israeliten, in Garnison das Grenadierregiment König
Karl (5. württemb.) Nr. 123,
die Infanterieregimente König Wilhelm I. (6. württemb.) Nr. 124 und
das 9. württemb. Nr. 127,
Stab,
[* 8] 1., 3. und 4. Eskadron des Ulanenregiments König
Karl (1. württemb.) Nr. 19, das Feldartillerieregiment
König
Karl (1. württemb.)
^[Wappen
[* 9] der Stadt Ulm]
Nr. 13 (außer der 4. Abteilung), das Fußartilleriebataillon Nr. 13 und das Pionierbataillon Nr. 13, ein Post- und ein Telegraphenamt. Zwei steinerne Brücken, [* 10] worunter eine Eisenbahnbrücke, führen nach Neu-Ulm. Die Stadt selbst ist eng, aber stattlich gebaut; großstädtisch ist die in neuerer Zeit erstandene Neustadt [* 11] im Norden. [* 12]
Gebäude. Das evang. Münster, [* 13] 1377 begonnen, bis Anfang des 16. Jahrh. fortgeführt, 1844-90 neu hergestellt und ausgebaut, ist eins der schönsten Denkmäler spätgot. Baukunst [* 14] und zugleich die größte Kirche Deutschlands [* 15] nächst dem Kölner [* 16] Dom. Die Kirche ist durch Teilung der Seitenschiffe (1507) fünfschiffig, im Innern 123,5 m lang und 48,75 m breit, auf einer überbauten Fläche von 7040 qm mit einem freien Raum von 5105 qm, der gegen 30000 Menschen faßt. Das Mittelschiff ist 41 m, der Chor 17 m hoch.
Der mächtige Turm in [* 17] der Mitte der Westfacade, mit dreiteiliger prächtiger Vorhalle, nach Plänen von Ulrich Ensinger (1392-99) begonnen und von ihm und seinen Nachfolgern bis 1494 bis zum Abschluß des Vierecks (70 m) gefördert, wurde 1882-90 von Professor Aug. Bever nach dem alten, von dem letzten Münsterbaumeister Matthäus Bölblinger (1477-92) hinterlassenen Aufriß durch Hinzufügung des Achtecks und der Pyramide ausgebaut. Mit 161 m Höhe ist er einer der höchsten Kirchtürme der Welt.
Von andern Baumeistern sind zu nennen Matthäus Ensinger von 1446 an, Moritz Ensinger von 1465 bis gegen 1477 (Mittelschiff). Nachdem der Münsterbau seit 1492 geruht, begannen die längst geplanten Restaurationsarbeiten. Münsterbaumeister Thrän errichtete die fehlenden Strebepfeiler und Strebebögen von kolossaler Spannweite, Schell den äußern Chorumgang und die zwei Chortürme (86 m hoch), Beyer den Hauptwestturm. Am wurde das 500 jährige Dombaujubiläum, das Fest der Vollendung gefeiert.
Auch das Innere ist restauriert, der hölzerne Dachstuhl [* 18] durch einen eisernen ersetzt. Sehenswürdigkeiten sind: die schönen Glasfenster im Chor von Hans Wild (1480), vier ältere von 1417 und 1449, neuere seit 1878 im Chor, Süd- und Nordschiff aus den Werkstätten von Zettler und Burkhard in München; [* 19]
das 1469-74 von Jörg Syrlin dem Altern in Eichenholz geschnitzte Chorgestühl, das schönste und reichste des ganzen spätern Mittelalters;
die Kanzel, um 1500 von Burkhard Engelberger gefertigt, der Deckel der Kanzel aus Lindenholz von Syrlin dem Jüngern 1510;
das 26 m hohe Sakramentshäuschen von 1467 fg., zierliche Steinarbeit vom «Meister aus Weingarten»;
das zierliche Altärchen in der Sakristei von 1484, angeblich von M. Schön, und seit 1885 das große hängende Crucifix [* 20] über dem Kreuzaltar, nach einem alten Original aus Syrlins Zeit geschnitzt;
endlich eine Reihe kostbarer Gemälde von Martin Schaffner, Barthol, Zeitblom und andern Meistern der Ulmer Schule, voran das erst 1877 aufgedeckte, von Weinmayer restaurierte kolossale und großartige Jüngste Gericht über dem Triumphbogen, wohl von Hans Schühlein oder Herlin um 1470 ausgeführt.
Ferner besitzt eine evang. (Hospital-) Dreifaltigkeitskirche, 1617-21 von Martin Buchmüller erbaut, mit trefflichem Renaissancechorgestühl (1620), eine kath. (Wengen-) Kirche, Synagoge (1873) in maur. Stil, ein Rathaus aus der gotischen und Frührenaissancezeit mit alten, jetzt ¶
mehr
wiederher-52 gestellten Fresken, gegenüber einen schönen got. Brunnen, [* 22] den sog. Fischkasten, das einzige bekannte steinerne Skulpturwerk des ältern Syrlin (1482); das Ehinger- oder Neubronnerhaus mit prachtvollen Renaissancetäfelungen, jetzt Gewerbemuseum, sowie das Bürglensche, von Schadsche, Fehlsche (früher Knoderersche) u. a. alte Privathäuser mit Säulenhöfen, die Jacksche Apotheke, im Holzstil restauriert, das Kraftsche Haus, das Museum mit altem Sgraffito, den Neuen Bau, jetzt Kameralamt, an der Stelle einer kaiserl. Pfalz 1591 erbaut; die Komturei des Deutschordens, 1712-18 erbaut auf der Stelle des alten Ordensgebäudes (13. Jahrh.), jetzt teils Schwurgericht, teils Artilleriekaserne; das Palais Herzog Heinrichs von Württemberg, [* 23] seit 1839 Sitz der Kreisregierung, das Kornhaus, die Markthallen, [* 24] das neue Justizgebäude und der neue Saalbau für Konzerte und Feste.
Von Unterrichtsanstalten bestehen ein königl. Gvmnasium mit Elementarschule, königl. Realgymnasium und Realanstalt, eine Gewerbe-, Fortbildungs- und landwirtschaftliche Winterschule, Frauenarbeits-, höhere Mädchen-, Knaben- und Mädchen-Mittelschule; ferner besitzt die Stadt ein städtisches Archiv, eine Bibliothek (36000 Bände, seltene Werke des 17. und 18. Jahrh.) der Verein für Kunst und Altertum eine reiche Sammlung von Altertümern, alten Bildern, Schnitzwerken, Rommelschen Thonfiguren zur Kostümkunde des 18. und 19. Jahrh. und eine wertvolle Bibliothek.
Die Industrie erstreckt sich auf Leinwandbleicherei, Messinggießerei, Fabrikation von Werkzeugen, Hüten, Feuerspritzen [* 25] und Feuerlöschgerätschaften, landwirtschaftlichen Maschinen, Brauereieinrichtungen, Tabak, [* 26] Goldleisten und Stärke, [* 27] sowie Brauereien; berühmt sind die Ulmer Pfeifenköpfe, das Zuckerbrot, Gemüse (Spargel), Gerste [* 28] und Bier. ist einer der bedeutendsten Handelsplätze Württembergs, besonders in Holz [* 29] und Brettern. Im Aufschwung begriffen ist der Tuch- und Ledermarkt. Außerdem besteht ein lebhafter Produkten- und Speditionsbandel sowie Donauschiffahrt. Die «Ulmer Schachteln» (Schiffe) [* 30] gehen (mit Aspbalt, Stärke u.s.w.) bis Wien. [* 31] ist Sitz der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft des württemb. Donaukreises.
Befestigung. wurde 1841 Bundesfestung und von 1842 ab unter Leitung des prenß. Ingenieurobersten von Prittwitz in Neupreußischer Befestigungsmanier (s.d.) befestigt. Den Brückenkopf bildet Neu-Ulm. Die Hauptfestung auf dem linken Donauufer zieht sich mit langen geradlinigen Fronten von der Donau ober- und unterhalb bis auf das Plateau des nördlich, 4½ km vom Strome entfernt liegenden Michelsberges, auf welchem die starke Wilhelmsfeste mit der Wilbelmsburg gewissermaßen eine Citadelle bilden. Vor die Hauptumwallung vorgeschoben liegt ein Gürtel [* 32] selbständiger Werke. Neu-Ulm hat vier Polygonalfronten und sechs detachierte Forts, welche sich dem Gürtel des linken Ufers anschließen. Seit 1871 ist deutsche Reichsfestung, seit 1873 erweitert und mit einem Gürtel detachierter Forts umgeben.
wird urkundlich zuerst 854 erwähnt und wurde schon im 12. Jahrh. Freie Reichsstadt des Schwäbischen Kreises, auf dessen Versammlungstagen es den Vorsitz führte. Die Stadt hatte neben der Bevölkerung [* 33] in ihren eigenen Mauern ein Landgebiet von 640 qkm mit 38000 E. Gegen Ende des Mittelalters im Besitz großer Rechte, war sie stets eins der Hauptmitglieder der Bündnisse in Schwaben (s. d.). An der Reformation nahm sie Anteil durch Übertritt zum augsburgischen Bekenntnis kam 1803 an Bayern, [* 34] 1810 an Württemberg; 1805 wurde es, nachdem die Franzosen unter Napoleon und Ney 14. und 15. Okt. bei dem nahen Elchingen gesiegt, 17. Okt. mit Kapitulation genommen und der österr. General Mack hier mit 26000 Mann kriegsgefangen.
Vgl. Jäger, U.s Verfassung u.s.w. im Mittelalter (Heilbr. 1831);
Grüneisen und Mauch, U.s Kunstleben im Mittelalter (Stuttg. 1840);
Haßler, U.s Buchdruckergeschichte (Ulm
1840);
ders., U.s Kunstgeschichte im Mittelalter (Stuttg. 1864);
Pressel, Ulmisches Urkundenbuch, Bd. 1 (ebd. 1873);
ders., und sein Münster (Ulm 1877);
Fischer, Geschichte der Stadt (ebd. 1863);
Mauch, Die Baugeschichte der Stadt (ebd. 1864);
Löffler, Geschichte der Festung (2. Aufl., ebd. 1883);
Schultes, (Chronik von (ebd. 1881; Nachtrag 1886);
R. Pfleiderer, Das Münster in mit Illustrationen (ebd. 1890);
Osiander, Pfleiderer, Seuffer, sein Münster und seine Umgebung (ebd. 1890);